Red Flag Act

Der Red Flag Act oder auch Locomotive Act war ein Gesetz im Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland, das 1865 eingeführt und 1896 wieder abgeschafft wurde. Es sollte dazu dienen sollte, Unfälle im Straßenverkehr durch die immer weiter verbreiteten Dampfwagen zu vermeiden.
Das Gesetz schrieb vor, dass ein Gefährt ohne Pferde oder ein Automobil mit einer Höchstgeschwindigkeit von maximal 4 Meilen in der Stunde (~ 6,4 km/h) fahren durfte. Innerhalb der Ortschaften betrug das Limit 2 Meilen pro Stunde. Bei jedem Automobil mussten zwei Personen zum Führen des Fahrzeugs anwesend sein. Ein Fußgänger hatte voraus zu laufen, der zur Warnung der Bevölkerung eine rote Flagge (red flag) tragen musste.
Trotz der strengen Geschwindigkeitsbegrenzung war es bereits zu Verkehrstoten gekommen. Die erste namentlich bekannte Verkehrstote war die, 1869 in Irland verstorbene Naturwissenschaftlerin Mary Ward.[1]
Historische Einordnung

Einer weit verbreiteten Behauptung zufolge sollen die einflussreichen Eisenbahngesellschaften sowie die Lobby der Pferdebesitzer die Einführung dieses Red Flag Acts veranlasst haben, um neue Konkurrenten zu behindern.[2] Es fehlen Belege für diese These. Es gab in den 1860er Jahren keinen Grund, die Konkurrenz der Lokomotiven auf Straßen zu fürchten, weil deren Zahl gering war und blieb. Andererseits nahm die Zahl der Pferdetransporte im ganzen 19. Jahrhundert und auch noch viele Jahre nach Abschaffung des Red Flag Acts ungehindert zu; die Zahl der Pferdefuhrwerke in Großbritannien erreichte erst in den 1920er Jahren ihren Höhepunkt.[3]
Auch die Behauptung, das Gesetz hätte die Entwicklung des Automobils behindert, erscheint fragwürdig: In Großbritannien entstand eine eigenständige Automobilindustrie zwar erst um das Jahr 1896 und damit 30 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes und acht Jahre später als etwa im Deutschen Reich (1888), wo es keine vergleichbare Vorschriften gab.[4] Damals wurde das Gesetz allerdings schon lange laxer gehandhabt und kaum mehr durchgesetzt.[5]

Seit das Gesetz Ende 1896 durch das Oberhaus abgeschafft wurde, durften Autos und Kraftfahrzeuge, je nach Gewichtsklasse, mit 5 bis 12 Meilen pro Stunde fahren. Automobilfreunde organisierte daraufhin am 14. November 1896, das erste Motor Car Out to Birmingham, aus dem sich das London-Brighton-Autorennen entwickelte, welches in den darauffolgenden 20 Jahren alljährlich am gleichen Tag stattfand. Die britische Automobilindustrie nahm die Abschaffung des Red Flag Acts als Befreiungsschlag wahr, sodass der Industrielle Harry John Lawson (Inhaber der Daimler Motor Company) den Tag auch als Emancipation Day bekannt machte.[7]
Vergleichbare Vorschriften in anderen Ländern
Ähnliche Gesetze, die eine aus heutiger Sicht große Zurückhaltung gegenüber motorisierten Fahrzeugen zum Ausdruck brachten, gab es vielerorts – so musste man in manchen US-amerikanischen Städten eine Autofahrt vorab bei den Behörden anmelden.[8] Im schweizerischen Kanton Graubünden waren Autos von 1900 bis 1925 verboten (Bündner Autoverbot).[9]
Bei der süddeutschen Walhallabahn, die in Konkurrenz zur Straßenbahn Regensburg stand, gab es eine ähnliche Vorschrift. Die vor dem Zug hergehende Person mit der roten Fahne wurde hier im Volksmund bayerisch „Fahnerlbua“ (Fahnenjunge) genannt.
Siehe auch
Literatur
- James J. Flink: The Automobil Age. Cambridge (Mass.) 1988, S. 21.
- Maxwell G. Lay: Die Geschichte der Straße. Vom Trampelpfad zur Autobahn. Frankfurt am Main 1995, S. 159–162.
- Kenneth Richardson: The British Motor Industry 1896-1939. London 1977, S. 11–13.
- Marcel Hänggi: Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik. Frankfurt am Main 2015, S. 192–208.
Einzelnachweise
- ↑ Frank Patalong: Unfall vor 150 Jahren Mary Ward war das erste Opfer des Autoverkehrs. vom 31. August 2019 Der Spiegel, abgerufen am 14. September 2025
- ↑ Beispielsweise Maxwell G. Lay: Die Geschichte der Straße. Vom Trampelpfad zur Autobahn. 1995, S. 159 bis 162. oder Adrian Smith: Privatized Infrastructure: The Role of Government. 1999, S. 36.
- ↑ David Edgerton: The Shock of the Old. Technology and Global Change since 1900. 2006, S. 33.
- ↑ Kenneth Richardson: The British Motor Industry 1896-1939. 1977, S. 33.
- ↑ Kenneth Richardson: The British Motor Industry 1896-1939. 1977, S. 192 bis 208. Siehe allgemein zum Mythos Red Flag Act: Kapitel "Tempo", in: Marcel Hänggi: Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik. 2015, S. 13.
- ↑ Die Werbung besagt, man habe schon hohe Qualitätsstandards für Automobilmotore gepflegt, als der Red Flag Act noch griff, also zu einer Zeit, als der Automobilsektor Regierung und Standardisierungsgremien wenig beschäftigte.
- ↑ London – Brighton Emancipation Run. vom 31. August 2019 Mercedes-Benz Group , abgerufen am 14. September 2025
- ↑ Für einen Überblick siehe Brian Ladd: Autophobia. Love and Hate in the Automotive Age. 2008.
- ↑ Jürg Simonett: Die verweigerte Automobilität : das Bündner Autoverbot 1900-1925. In: Rote Revue : Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Heft 4/1993, S.- 37 ff. doi:10.5169/seals-341019 Simonett nannte als maßgebliches Werk Felici Maissen: Der Kampf um das Automobil in Graubünden 1900-1925, Chur 1968.