Untergetauchte Juden während des Nationalsozialismus

Karte zur Mitgliedschaft im Wiener "U-Boot Verband" zur Unterstützung untergetauchter Juden und anderer Verfolgter

Untergetauchte Juden während des Nationalsozialismus waren diejenigen Juden, die durch das Leben im Verborgenen der drohenden Deportation und Ermordung zu entgehen versuchten.[1] Diese Menschen mussten jeglichen Kontakt zu Behörden vermeiden und lebten oft jahrelang ohne legalen Status, ständig bedroht von Entdeckung und Verhaftung. In der zeitgenössischen Sprache wurden diese Verfolgten als „Illegale“ bezeichnet, da sie außerhalb des offiziellen Rechtsrahmens existierten. Von den Betroffenen selbst wurde auch der Ausdruck „U-Boote“ verwendet – eine Anspielung auf den Begriff „untertauchen“[2] also sich verstecken, und sinnbildlich dafür, unsichtbar unter der Oberfläche der Gesellschaft zu leben. Besonders unter den jüdischen Untergetauchten in Berlin war diese Bezeichnung ab 1941 verbreitet und etablierte sich als Teil ihres Alltagsjargons, ebenso in Wien[3][4] und anderen Orten.

Begriffsgeschichte

Mit den Verfolgungsmaßnahmen nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gelangte „untertauchen“ mit Ableitungen und Komposita aus dem negativ konnotierten Verbrecherjargon in die Sprache des Widerstandes. Die untertauchende Person entzog sich durch den Gang in die Illegalität dem Zugriff einer terroristischen Organisation und Regierung. Mit dem Holocaust wurde „untertauchen“ zu einem Schlüsselbegriff der Rettung der Juden vor der Deportation.[5]

Historischer Hintergrund

Die Verwendung des Begriffs steht im Kontext der Verfolgung der Juden und anderer Verfolgter im „Dritten Reich“ ab 1933. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden jüdische Deutsche schrittweise entrechtet und ausgegrenzt (Berufsverbote, Arisierung, Nürnberger Gesetze 1935). Die Novemberpogrome 1938 markierten eine Eskalation der Gewalt; viele versuchten daraufhin zu fliehen, doch längst nicht alle schafften die Emigration[6]. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 war legale Ausreise kaum noch möglich[7]. Gleichzeitig steigerte das NS-Regime den Druck: Ab 1941 wurden die systematischen Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager eingeleitet (in Wien z. B. ab Februar 1941, in Berlin ab Herbst 1941) – die sogenannte „Endlösung[8]. Für die betroffenen Verfolgten gab es nur wenige Handlungsoptionen: Einigen blieb der Suizid, andere versuchten, trotz höchster Gefahr in den Untergrund zu gehen[9].

Insbesondere in Großstädten wie Berlin oder Wien entschieden sich Hunderte Verfolgte, ihren gelben Judenstern abzulegen und „abzutauchen“, anstatt sich deportieren zu lassen[10]. Dieses Untertauchen aus dem öffentlichen Leben war extrem riskant und häufig spontan: Oft erfolgte es, wenn ein Deportationsbefehl eintraf oder eine Razzia bevorstand. Die Gestapo fahndete intensiv nach ihnen. In Berlin etwa startete die Gestapo Ende Februar 1943 mit der Fabrikaktion eine Großrazzia, bei der rund 4.000 noch in Rüstungsbetrieben arbeitende Juden zur Verhaftung ausgeschrieben waren. Etliche der Gejagten entkamen damals und tauchten unter – ein Ereignis, das die Zahl der Untergetauchten weiter erhöhte. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 10–15.000 Menschen im Deutschen Reich durch Flucht in den Untergrund versuchten, der Verfolgung zu entgehen. Allein in Berlin versuchte etwa jeder zehnte der nach Kriegsbeginn noch verbliebenen jüdischen Bewohner unterzutauchen[11]. Allerdings endeten viele dieser Versuche tragisch: Die Gestapo und ihre Helfer (darunter auch jüdische Greifer wie Stella Goldschlag in Berlin) spürten zahlreiche Untergetauchte auf. Etliche wurden denunziert oder bei Razzien entdeckt, verhaftet und schließlich in Konzentrationslager deportiert[12].

Geografischer Fokus: Berlin und Wien

In Berlin, der Hauptstadt des NS-Staates, war das Phänomen der jüdischen „U-Boote“ besonders ausgeprägt. Dort lebte bis 1933 die größte jüdische Gemeinde Deutschlands (über 160.000 Personen)[13]. Trotz umfangreicher Emigration waren 1941 noch Zehntausende jüdische Berliner in der Stadt – viele von ihnen wurden ab Herbst 1941 deportiert. Doch ein Teil beschloss, sich der Deportation durch Flucht in die Illegalität zu entziehen.[14] Schätzungen zufolge tauchten etwa 7.000 Berliner Jüdinnen und Juden im Laufe der Jahre 1941–1945 unter[15]. Die NS-Behörden erklärten Berlin im Juni 1943 offiziell für „judenfrei“, doch in Wirklichkeit lebten zu diesem Zeitpunkt noch zahlreiche Untergetauchte in der Stadt[16]. Etwa 1.500–1.700 von ihnen überlebten versteckt bis Kriegsende im Mai 1945,[17][18] – das entsprach weniger als einem Viertel aller Untergetauchten. Berlin bot durch die Anonymität der Großstadt einigen Schutz; so konnten manche in der Menge untertauchen oder unter falscher Identität als Arier leben. Gleichzeitig war die Gefahr allgegenwärtig: Bekannt wurde etwa der Fall der genannten Stella Goldschlag, die im Auftrag der Gestapo in Berlin gezielt versteckte Juden aufspürte. Trotz der Risiken gelang es einigen, mitten in Berlin zu überleben – sei es in wechselnden Verstecken, mit Hilfe von Freunden oder durch waghalsige Täuschungsmanöver.

Auch in Wien, wo nach dem Anschluss 1938 rund 200.000 Jüdinnen und Juden von Verfolgung betroffen waren, gab es zahlreiche Untergetauchte. Lange herrschte die Annahme, in Wien sei ein Untertauchen nahezu unmöglich gewesen – nicht zuletzt wegen der rigorosen Judenverfolgung durch Eichmanns Helfer Alois und Anton Brunner[19]. Tatsächlich aber verbargen sich auch dort Hunderte Menschen für kürzere oder längere Zeit. Neuere Forschungen der Historikerin Brigitte Ungar-Klein identifizierten 1.634 jüdische Personen, die zwischen 1938 und 1945 in Wien zumindest zeitweise als Untergetauchte lebten[20]. Etwa die Hälfte davon waren Frauen, viele noch sehr jung[21]. Von diesen Untergetauchten wurden etwa ein Drittel entdeckt oder verraten und schließlich doch noch deportiert[22]. Rund 1.000 Wiener Jüdinnen und Juden überlebten hingegen tatsächlich im Versteck die NS-Zeit – sei es dank falscher Papiere oder getarnt in privaten Unterschlüpfen[23]. Diese Zahl liegt deutlich über früheren Schätzungen, die oft nur von 150–300 in Wien versteckt Überlebenden ausgingen[24]. Wie in Berlin, stammten viele Helfer und Versteckte in Wien aus einfachen Verhältnissen der Arbeiter- und Mittelschicht[25]. Die lokalen Gegebenheiten beeinflussten die Überlebenschancen: In der Millionenstadt Wien boten überfüllte Mietshäuser einerseits Deckung, zugleich aber auch neugierige Nachbarn und Blockwarte ein Risiko. Dennoch konnten – verstreut über die ganze Stadt – Hunderte Juden im Untergrund die Jahre bis zur Befreiung durch die Rote Armee im April 1945 überstehen[26].

Lebensbedingungen und Herausforderungen der Untergetauchten

Der Alltag der untergetauchten Verfolgten war von enormen Entbehrungen, ständiger Angst und improvisiertem Überlebenskampf geprägt. Da Untergetauchten keine gültigen Ausweispapiere besaßen, konnten sie offiziell keine Lebensmittelkarten beziehen. Um nicht zu verhungern, waren sie auf die Hilfe Dritter oder den Schwarzmarkt angewiesen. Die staatlich zugeteilten Rationen waren so knapp, dass selbst hilfsbereite Unterstützer kaum etwas abgeben konnten. Regelmäßige Einkäufe auf dem illegalen Markt konnten Verdacht erregen, zumal hohe Preise oder Tauschware nötig waren. Auch eine Unterkunft zu finden, war schwierig. Ein legales Mietverhältnis ließ sich ohne Papiere nicht eingehen. Viele Untergetauchte konnten nur im Verborgenen Unterschlupf finden – in Hinterzimmern, auf Dachböden, in Kellern oder Gartenhäuschen. Manche wechselten alle paar Tage ihr Versteck, um Entdeckung zu entgehen[27]. Andere verbargen sich monatelang an ein und demselben Ort, ohne Tageslicht und Bewegung. Ein Wiener Anwalt, Ludwig Haydn, notierte 1942 in sein Tagebuch: „Tausende Juden haben es vorgezogen, ihre Wohnungen im Stich zu lassen, um unauffindbar zu sein… sie schlafen heute in einem Keller, morgen in einem Magazin… Ich kenne einen 65-jährigen Advokaten, der sich bei Tag in einem licht- und luftlosen Magazin aufhält und in der Dämmerung herauskriecht“[28]. Solche Schilderungen verdeutlichen die extremen Bedingungen dieser Schattenexistenz.

Untergetauchte konnten sich kaum frei auf der Straße bewegen. Besonders Männer gerieten in Verdacht, da die meisten wehrfähigen Männer an der Front oder im Arbeitsdienst waren – ein junger Mann in Zivil fiel im Stadtbild sofort auf und riskierte Ausweiskontrollen[29]. Deshalb lebten männliche Untergetauchte oft völlig verborgen, während sich Frauen manchmal etwas freier bewegen konnten, sofern sie keine als „jüdisch“ identifizierbaren Merkmale trugen. Allerdings bestand für alle Untergetauchten bei jeder Begegnung mit Bekannten die Gefahr, erkannt zu werden. Zufällige Treffen mit früheren Nachbarn oder Kollegen konnten tödlich enden, wenn diese regimetreu waren. Die Gestapo setzte Spitzel ein, um Netzwerke Unterstützender zu infiltrieren. Denunziation durch Mitwisser oder Nachbarn war eine ständige Bedrohung – in Wien wurde rund ein Drittel der versteckten Juden letztlich verraten oder entdeckt[30]. Auch äußere Umstände bedrohten die verborgen Lebenden: Während der alliierten Luftangriffe konnten Untergetauchte nicht in öffentliche Luftschutzbunker gehen, ohne sich auszuweisen, und waren den Bomben schutzlos ausgeliefert[31].

Das Leben als Untergetauchter bedeutete, seine ganze Existenz auszulöschen – man war offiziell „nicht mehr vorhanden“[32]. Untertauchen konnte nur im Verborgenen oder unter falscher Identität gelingen, was ständige Vorsicht erforderte. Viele lebten monatelang in völliger Einsamkeit auf engstem Raum, oft auf die Hilfe wildfremder Menschen angewiesen. Die Angst vor jedem unbekannten Geräusch oder vor dem Verrat durch Mitwisser war allgegenwärtig. Einige Überlebende berichten, dass sie nur im Minutentakt oder „stundenweise“ denken konnten, um psychisch nicht zu zerbrechen[33]. Improvisation war überlebenswichtig: Falsche Ausweispapiere waren schwer zu beschaffen und oft nur über Untergrundnetzwerke erhältlich. Einige Untergetauchte legten sich eine überzeugende Legende zurecht und tarnten ihre Identität – z. B. als ausgebombte Kriegsflüchtlinge aus anderen Städten – um bei Kontrollen nicht aufzufallen. Wieder andere versuchten, als sogenannte „Mischlinge“ oder durch eine scheinbare Konversion zum Christentum dem Zugriff zu entgehen[34]. In der Regel erforderte das Überleben im Untergrund die Mithilfe mehrerer Menschen: Neue Untersuchungen zeigen, dass für jede untergetauchte Person bis zu zehn, manchmal sogar mehr Helfer aktiv wurden, sei es durch Bereitstellen von Unterkunft, Beschaffung von Essen oder Organisation gefälschter Dokumente. Viele dieser Helfer handelten aus Mitmenschlichkeit oder Freundschaft – sie riskierten ihr eigenes Leben, da auf „Judenbegünstigung“ harte Strafen bis hin zur Hinrichtung standen. Allerdings waren die Motive der Helfer unterschiedlich: Manche leisteten Hilfe aus antifaschistischer Überzeugung oder christlicher Nächstenliebe, andere aus Mitleid, wieder andere verlangten Geld oder Gegenleistungen für das Verstecken[35]. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen endeten zahlreiche Verstecke mit einer Verhaftung – sei es durch Verrat, Zufall oder weil die Tarnung irgendwann aufflog. Für die Betroffenen bedeutete dies in der Regel ein Todesurteil. Nur wenige der entdeckten Untergetauchten überlebten die folgende Deportation ins KZ[36].

Quellenlage und Dokumentation

Die historischen Quellen über im Untergrund versteckte Juden und anderer Verfolgter sind begrenzt, da während der NS-Herrschaft jede Aufzeichnung über solche Hilfsaktionen für alle Beteiligten lebensgefährlich war[37]. Weder die Verfolgten selbst noch ihre Helfer führten Buch, um keine Spuren zu hinterlassen. Vieles, was heute über die Untergetauchten bekannt ist, entstammt daher nachträglichen Berichten: Erinnerungsbüchern der Überlebenden, Interviews, Tagebüchern, die erst nach 1945 aufgezeichnet wurden, sowie den Akten der Verfolger. Besonders Gestapo-Protokolle über gefasste Untergetauchte und Gerichtsakten gegen Helfer liefern Informationen darüber, wo und wie versteckt wurde – allerdings meist nur in den Fällen, die scheiterten[38].

Unmittelbar nach Kriegsende begannen die Behörden in beiden Ländern, das Schicksal der NS-Opfer zu dokumentieren. In Wien richtete man 1946 eine „Zentralregistrierstelle für die Opfer des Naziterrors“ ein, bei der Überlebende Angaben zu ihrer Verfolgung machen konnten[39]. Auf den standardisierten Meldekarten dieser Stelle existierte eigens ein Feld „U-Boot“, das angekreuzt werden konnte[40]. Diese Meldungen – viele davon handschriftlich mit Vermerken wie „illegal geblieben“ – sind heute im Wiener Stadt- und Landesarchiv erhalten. Auch ein eigener „U-Boot-Verband“ (Interessengemeinschaft der ehemaligen Untergetauchten) wurde in Wien gegründet; dieser stellte an seine Mitglieder Ausweise aus[41]. Ein erhaltenes Exemplar eines solchen Mitgliedsausweises (ausgestellt auf einen Heinrich Ehlers) zeigt, dass der Verband vermutlich der Vernetzung und gegenseitigen Unterstützung der ehemals untergetauchten Überlebenden diente[42]. Darüber hinaus sammelte der österreichische KZ-Verband (Vereinigung der Konzentrationslager-Überlebenden) in den Nachkriegsjahrzehnten in Fragebögen auch Angaben von Personen, die im Versteck überlebt hatten[43]. Diese Dokumente lagern heute im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien[44]. In Berlin und der BRD erfolgte die Erfassung der „Untergetauchten“ teils im Rahmen von Entschädigungsanträgen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, wo Überlebende ihre Leidensgeschichte darlegen mussten. Allerdings galten in Westdeutschland zunächst nur jene als „rassisch Verfolgte“, die deportiert worden waren – versteckt Überlebende fielen lange durch das Raster der Entschädigungsgesetze, worauf unten näher eingegangen wird.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Historiker begonnen, die verstreuten Informationen über Untergetauchte systematisch auszuwerten. Bereits in den 1980er-Jahren stellte der amerikanische Historiker C. Gwyn Moser eine erste Liste von 619 in Österreich versteckt Überlebenden zusammen – deutlich mehr als bis dahin angenommen[45]. Er stützte sich auf die genannten Archivquellen (DÖW, städtische Meldekarten, Opferfürsorge-Akten)[46]. In Deutschland und Österreich erschienen zudem mehrere wissenschaftliche Publikationen, die das Thema beleuchten. Als Standardwerke gelten heute insbesondere „Schattenexistenz. Jüdische U-Boote in Wien 1938–1945“ (2019) der Historikerin Brigitte Ungar-Klein[47] sowie Studien zu Berlin, etwa von Autoren wie Wolfgang Benz und Marion Neiss (die z. B. 2003 das Buch „Untergetaucht!“ veröffentlichten, eine Sammlung von Zeitzeugenberichten Berliner "U-Boote"). Durch solche Forschungen lässt sich die Anzahl der Untergetauchten und ihrer Helfer inzwischen genauer beziffern, und es werden die vielfältigen Strategien sichtbar, mit denen Menschen damals versuchten zu überleben. Redaktionelle Beiträge in Medien – etwa eine Wiener-Zeitung-Reportage 2002 mit dem Titel „U-Boote in der NS-Zeit“ – sowie Ausstellungen und Gedenkprojekte (siehe unten) haben das Thema ebenfalls dokumentiert. Dennoch bleiben Lücken: Viele Schicksale sind namenlos geblieben, da die Betroffenen nach 1945 auswanderten oder ihre Geschichte nie öffentlich erzählten.

Erinnerungskultur und Nachwirkungen

Die Überlebenden, die als Untergetauchte im Versteck der Shoah entkamen, waren nach 1945 oft mit neuen Herausforderungen konfrontiert. In der unmittelbaren Nachkriegszeit standen die sechs Millionen ermordeten Juden im Vordergrund; die vergleichsweise wenigen überlebenden „Unsichtbaren“, fanden in der Öffentlichkeit zunächst wenig Beachtung.[48][49][50] Zudem traf sie bisweilen Unverständnis oder Ressentiment – etwa nach dem Motto, sie hätten „sich drücken können“, während andere ins KZ mussten. Entsprechend zögerlich war ihre Anerkennung als Opfer des NS-Regimes. In Österreich galten Juden und andere Verfolgte, die im Untergrund überlebt hatten, lange nicht als gleichberechtigte Opfergruppe, und sie mussten Jahre darum ringen, überhaupt offiziell als Opfer anerkannt und entschädigt zu werden[51]. In Deutschland dauerte es ebenfalls bis in die 1950er-Jahre, bis versteckt Überlebende Entschädigungsleistungen beantragen konnten (nach diversen Novellen des Bundesentschädigungsgesetzes). Viele Überlebende litten psychisch an den Folgen der langen Isolation und Angst. Einige wanderten in die USA, nach Palästina/Israel oder anderswohin aus, da in Europa ihre Familien und sozialen Netzwerke oft ausgelöscht waren. Diejenigen, die blieben, schlossen sich teils in Überlebendenverbänden zusammen (wie dem erwähnten U-Boot-Verband in Wien) oder engagierten sich in jüdischen Gemeinden.

Erst allmählich rückte das Schicksal der Untergetauchten in das kollektive Gedächtnis. In Berlin erinnert seit 1991 die Gedenkstätte Stille Helden (heute Teil der Stiftung Deutsches Historisches Museum) an Menschen, die Juden und anderen Verfolgten während der NS-Zeit halfen – und damit indirekt auch an die Geretteten selbst. Das Museum in der Blindenwerkstatt Otto Weidt – dem Ort, an dem der Blindenbürstenmacher Weidt mehrere jüdische Mitarbeiter versteckte – stellt exemplarisch Schicksale von Untergetauchten vor[52]. 2016 konzipierte das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt eine Sonderausstellung „Dem Leben hinterher – Fluchtorte jüdischer Verfolgter“, die anhand zahlreicher Einzelschicksale die Verstecke untergetauchter Berliner Juden und die Hilfeleistungen der Retter dokumentierte[53]. In Wien beleuchtet das Jüdische Museum Wien in Führungen und Publikationen ebenfalls die Geschichten jener, die im Verborgenen überlebten. An Einzelpersonen wird durch Gedenkinitiativen erinnert: So sind im Rahmen der Wiener „Steine der Erinnerung“ (analog zu Stolpersteinen) auch Tafeln für ehemals versteckt Überlebende wie Fritz Rubin-Bittmann angebracht[54]. Gedenkveranstaltungen zum Novemberpogrom oder Holocaust-Gedenktage beziehen inzwischen auch die Untergetauchten mit ein.

Nationaal Onderduikmuseum, Aalten 2004

In der Literatur und Filmkunst finden diese Geschichten ebenfalls Nachhall. Neben den schon erwähnten autobiografischen Büchern (Untergetaucht, Ich trug den gelben Stern etc.) gibt es Romane und Erzählungen, die auf realen Schicksalen basieren. In Österreich erschien z. B. der Roman „Im Verborgenen“ (2019) von Ljuba Arnautović über Walter Baumgartner, der 1944 in Wien mithilfe einer mutigen Frau untertauchte[55]. Der deutsche Kinodokumentarfilm „Die Unsichtbaren“ (2017) machte die Schicksale der vier Berliner Überlebenden einem breiten Publikum bekannt, begleitet von Zeitzeugen-Interviews[56]. Solche Werke tragen dazu bei, das Bewusstsein für diese spezielle Form des Holocaust-Überlebens wachzuhalten.

Heute wird die Bezeichnung „U-Boot“ für untergetauchte Juden und andere Verfolgte hauptsächlich in historischen Darstellungen verwendet, ist aber ein fester Begriff in der deutschsprachigen Aufarbeitung der NS-Zeit geblieben. Er symbolisiert die unsichtbaren Leben, die im Schatten des Terrors geführt wurden, und erinnert daran, dass Überleben auch abseits von Lagern und Ghettos – im Versteck mitten in der deutschen und österreichischen Gesellschaft – möglich war. Die Geschichten der „U-Boote“ und ihrer Helfer sind mittlerweile wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur: Sie mahnen zum Gedenken an die Opfer, würdigen die Zivilcourage der Helfenden und zeigen zugleich, zu welch radikalen Maßnahmen Menschen greifen mussten, um dem NS-Völkermord zu entkommen.

In Aalten besteht das Nationaal Onderduikmuseum der Niederlande, in dem das Leben von in die Illegalität abgetauchten jüdischen und nichtjüdischen Verfolgten vermittelt wird.

Literatur

  • Susanne Beer: Die Banalität des Guten. Hilfeleistungen für jüdische Verfolgte 1941–1945. Berlin 2018, Metropol Verlag, ISBN 978-3-86331-396-8.
  • Richard Lutjens: Vom Untertauchen: U-Boote und der Berliner Alltag 1941–1945. In: Alltag im Holocaust. Hrsg.: Andrea Löw, Doris L. Bergen u. Anna Hảjkovả, Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Band 106, München 2013, Oldenbourg-Verlag, ISBN 978-3-486-70948-3.
  • Richard Lutjens: Submerged on the Surface. The Not-So-Hidden Jews of Nazi Berlin, 1941–1945. New York 2019, Berghahn Books, ISBN 978-1-78533-455-9.
  • Susanna Schrafstetter: Flucht und Versteck. Untergetauchte Juden in München - Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag. Göttingen 2015, Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-1736-9.
  • Brigitte Ungar-Klein: Schattenexistenz. Jüdische U-Boote in Wien 1938–1945. Wien 2019, Picus-Verlag, ISBN 978-3-7117-2079-5.

Einzelnachweise

  1. Beate Meyer: Lebensrettende Hilfe für Jüdinnen und Juden in Deutschland – ein Projektbericht. Hrsg.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bremen 2007, ISBN 978-3-86108-874-5, S. 207.
  2. Annual 2 Chapter 3. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  3. Versteckt vor NS-Regime Das Leben der jüdischen „U-Boote“. In: ORF. 13. Juni 2019, abgerufen am 2. Juni 2025.
  4. Er wollte leben – Eugen Friede als einer der letzten Zeitzeugen. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  5. Erika Ising: Die Sprache im deutschen antifaschistischen Widerstand. In: Zeitschrift für Germanistik. Band 9, Nr. 4. Peter Lang, August 1988, S. 415 f., JSTOR:23975110.
  6. 06 07 2019 um 11:01 von Günther Haller: Die jüdischen U-Boote von Wien. 6. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  7. 06 07 2019 um 11:01 von Günther Haller: Die jüdischen U-Boote von Wien. 6. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  8. Der Jud muss weg – sein Gerstl bleibt da – Steine des Gedenkens. 9. November 2021, abgerufen am 27. Mai 2025.
  9. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  10. 06 07 2019 um 11:01 von Günther Haller: Die jüdischen U-Boote von Wien. 6. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  11. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  12. Magdalena Miedl für ORF.at: Versteckt vor NS-Regime: Das Leben der jüdischen „U-Boote“. 13. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  13. Living Submerged: Jews hiding as non-Jews in Nazi Germany. 11. März 2017, abgerufen am 27. Mai 2025 (englisch).
  14. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  15. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  16. Er wollte leben – Eugen Friede als einer der letzten Zeitzeugen. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  17. Er wollte leben – Eugen Friede als einer der letzten Zeitzeugen. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  18. Living Submerged: Jews hiding as non-Jews in Nazi Germany. 11. März 2017, abgerufen am 27. Mai 2025 (englisch).
  19. Annual 2 Chapter 3. Abgerufen am 27. Mai 2025.
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  22. Magdalena Miedl für ORF.at: Versteckt vor NS-Regime: Das Leben der jüdischen „U-Boote“. 13. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
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  47. 06 07 2019 um 11:01 von Günther Haller: Die jüdischen U-Boote von Wien. 6. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  48. Christoph Hamann und Beate Kosmala: flitzen - verstecken - überleben? Hilfe für jüdische Verfolgte 1941-1945. In: Gedenkstätte Stille Helden. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 2018, abgerufen am 3. Juni 2025.
  49. Susanne Beer: S. Schrafstetter: Flucht und Versteck. In: H-Soz-Kult. H-Soz-Kult, 14. April 2017, abgerufen am 3. Juni 2025.
  50. Magdalena Miedl für ORF.at: Versteckt vor NS-Regime: Das Leben der jüdischen „U-Boote“. 13. Juli 2019, abgerufen am 3. Juni 2025.
  51. Alexia Weiss: Als U-Boot überlebt. In: Wina - Das jüdische Stadtmagazin. 27. August 2019, abgerufen am 27. Mai 2025 (deutsch).
  52. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  53. X.-TM GmbH- http://x-tm.de: Man nannte sie »U-Boote« – Magazin der VVN-BdA. Abgerufen am 27. Mai 2025.
  54. Der Jud muss weg – sein Gerstl bleibt da – Steine des Gedenkens. 9. November 2021, abgerufen am 27. Mai 2025.
  55. Magdalena Miedl für ORF.at: Versteckt vor NS-Regime: Das Leben der jüdischen „U-Boote“. 13. Juli 2019, abgerufen am 27. Mai 2025.
  56. Er wollte leben – Eugen Friede als einer der letzten Zeitzeugen. Abgerufen am 27. Mai 2025.