Sombrero Vueltiao

Sombrero Vueltiao

Der Sombrero Vueltiao ist ein aus Caña Flecha hergestellter traditioneller Hut der Zenú aus den kolumbianischen Karibik-Regionen. Der Hut hat in Kolumbien eine große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung. Seit dem Jahr 2021 ist der 18. Juni der offizielle Gedenktag „Día del Sombrero Vueltiao“.

Ursprung

Die ältesten Nachweise gehen auf die Zenú zurück, einem indigenen Volk, dessen kulturelles Einflussgebiet von ca. 75.000 Quadratkilometer sich zwischen dem Río Magdalena und dem karibischen Meer befand.[1] Die Gemeinden Tuchín, Córdoba und Sampués, Sucre gelten als die Wiege des Hutes.[2]

Herstellung

Caña Flecha (Gynerium sagittatum)

Der Hut wird aus den Blättern der Caña Flecha (Gynerium sagittatum) hergestellt. Von dem Blatt wird die Blattader entfernt. Dann wird das Blatt mit einem Messer abgeschabt, bis man eine saubere Faser erhält. Diese wird in der Sonne getrocknet, gebleicht und gekocht, um ihr Festigkeit und Elastizität zu verleihen.[3]

Schaben des Caña Flecha-Blattes

Für das Bleichen werden die Fasern traditionell in Sauerrohr (Costus woodsonii), Bitterorange und Zitrone eingelegt. Nach dieser Behandlung werden die weißen und dunklen Fasern sortiert. Fleckige Fasern werden in Lehm alkalisiert, um eine Grundfärbung zu erhalten, und schließlich mit schwarzem Lehm, Jenipapo, Hoyeto (in Kolumbien wild wachsende Färberpflanze), Bija (Bixa orellana) oder anderen Färberpflanzen gefärbt. Dieser Prozess kann einschließlich der natürlichen Trocknung bis zu drei Tage dauern.[4][3]

Aus den aufbereiteten Fasern wird ein langes Band hergestellt, trenza genannt, was Zopf oder Geflecht bedeutet. Die von den Zenú verwendete Technik wird als eine Mischung aus Flechten und Weben beschrieben. Es gibt stets zwei Gruppen von Fäden, die senkrecht zueinander stehen – wie beim Weben –, doch lassen sich die Fäden nicht in zwei feste Gruppen (beim Weben Kette und Schuss genannt) einteilen, die dauerhaft rechtwinklig zueinander bleiben. Man beginnt mit zwei Gruppen von Fadenpaaren, die senkrecht zueinander liegen, aber im Verlauf des Webvorgangs ändern die Fäden mehrfach ihre Richtung (wie beim Flechten), und ihr Verlauf knickt im rechten Winkel ab. Anders als beim Flechten sind die Fäden jedoch nicht flexibel. Dieser von den Zenú gewebte trenza wird anschließend kreisförmig zusammengenäht. Der Name Sombrero Vueltiao stammt vom spanischen Wort vuelta, das „Drehung“ bedeutet. Der Name des Hutes beschreibt also die Technik, mit welcher er gefertigt wird.[5]

Die Qualität des Hutes hängt von der Qualität der verwendeten Fasern ab und außerdem von der Anzahl der miteinander verflochtenen Faserpaare bzw. -stränge, wobei bei den traditionellen schwarz‑weißen Hüten ein Paar in der Regel aus einem schwarzen und einem weißen Strang besteht, die übereinandergelegt werden.[5] Das Muster eines Hutes wird durch die Anzahl der farbigen Fasern bestimmt. Je mehr Fasern verwendet werden, desto komplexer, zeitaufwändiger und wertvoller ist das Endergebnis. Ein sombrero vueltiao muss außerdem so flexibel sein, dass man ihn in der Tasche tragen kann, ohne dass er Schaden nimmt.[6]

  • Quinceano: 15 Faserpaare, benötigt etwa 3 Tage zur Herstellung und ist die günstigste Variante
  • Diecinueve: 19 Faserpaare, feiner, etwa eine Woche Herstellungszeit
  • Veintiuno: 21 Faserpaare, 10–15 Tage Herstellungszeit, kostet zwischen 100 und 400 US-Dollar

Die Qualität eines Hutes kann nach der von Benjamin Puche Villadiego entwickelten Formel einfach berechnet werden:

wobei

  • X = Zahl der Faserpaare des Flechtbandes (zugleich die Handelsbezeichnung)
  • N = Zahl der Rauten (rombos) über den Querschnitt des Flechtbandes

Die gebräuchlichsten Qualitäten sind der Quinceano, der Diecinueve und der Veintiuno.[5]

Kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung

Gabriel García Márquez mit Sombrero Vueltiao, 1984

Kulturelle Bedeutung

Internationale Bekanntheit erhielt der Hut erstmals durch Miguel „Happy“ Lora. Der aus Montería, der Hauptstadt von Córdoba stammende kolumbianische Boxer trug anlässlich seines Weltmeistertitels 1985 in Miami nebst dem grünen und goldenen Weltmeistergürtel im Ring den Sombrero Vueltiao.[7][8][9] Er hatte den Hut vom Journalisten Róger Olascoaga Maduro erhalten. Dieser hatte den Hut im Zenú-Reservat gekauft und segnen lassen.[7][10]

Der Sombrero Vueltiao gehört zu den wichtigsten kunsthandwerklichen Erzeugnissen Kolumbiens und ist seit 2004 ein offizielles Nationalsymbol.[11] Im Jahr 2021 wurde der Hut vom Andenparlament zum Kulturerbe erklärt[12][13]; seither ist der 18. Juni der Gedenktag „Día del Sombrero Vueltiao“.[14][15]

Auf der 2016 eingeführten 20.000-Peso-Banknote, die der Zenú-Kultur gewidmet ist, ist der Sombrero Vueltiao neben den prähispanischen Zenú-Kanälen in den La Mojana-Feuchtgebieten[16], dem Zimtapfel und typischen Zenú-Ohrringen zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten Alfonso López Michelsen zu sehen.[17]

Der Hut wird traditionell von Künstlern der Cumbia und des Vallenato getragen, zwei populären kolumbianischen Musikrichtungen.[5]

Wirtschaftliche Bedeutung

Sombrero Vueltiao in den kolumbianischen Nationalfarben

Eines der Produktionszentren des Sombrero Vueltiao ist Tuchín, wo rund 90 % der Bevölkerung mit der Produktion der Hüte ihren Lebensunterhalt verdienen;[18] im Jahr 2020 waren über 20.000 Personen damit beschäftigt.[19] Aufgrund der Bedeutung der Hutproduktion wurde 2013 eine Buße von bis zu 520 Millionen kolumbianischen Pesos für Fälschungen aus China eingeführt.[5][20]

Massenproduktion

Die große Nachfrage, welche durch die Erhebung des Hutes zum Nationalsymbol ausgelöst wurde, führte zu einer arbeitsteiligen Massenproduktion mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. Rund 70 % aller an der Produktion beteiligten Indigenen erstellen ausschließlich geflochtene Streifen (trenzas), die sie als Meterware verkaufen. Sie haben keinen Einfluss auf die anderen Produktionsschritte. Sie gehören in der Regel zu den ärmsten Produzenten im Handwerkskreislauf und sind gezwungen, bei Geldverleihern bzw. Zwischenhändlern, welche oft nicht Indigene sind, Tageskredite zu sehr schlechten Bedingungen aufzunehmen, um das Rohmaterial für die Erstellung der trenzas zu kaufen. Dieses als „gota-a-gota“ bekannte Verschuldungssystem führt dazu, dass die Produzenten der Meterware sich in einer Abhängigkeit befinden und keine Möglichkeit haben, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Die erstellten trenzas kaufen die Zwischenhändler als Meterware zu sehr geringen Preisen und verkaufen sie dann an größere Unternehmen weiter, in welchen die Meterware von Näherinnen zu den eigentlichen Hüten vernäht wird.[21][22]

Das Bleichen der Faser, welches traditionell durch das Eintauchen der Fasern in Wasser mit Orange, Zitrone oder zerstoßenen Stücken von caña agria (Costus speciosus) über mehrere Tage hinweg durchgeführt wurde, ist durch Wasserstoffperoxid ersetzt worden, das den Prozess auf insgesamt ein bis zwei Stunden beschleunigt. Sämtliches „caña flecha“, das heute in der Region industriell verarbeitet wird, ist mit Wasserstoffperoxid gebleicht. In der Heimarbeit existieren die traditionelle Methode und das Bleichen mit Wasserstoffperoxid nebeneinander. Die gesundheitlichen Risiken von Wasserstoffperoxid sind Augenreizungen und rissige Haut; es sind auch Fälle schwerer Augenleiden bekannt. Außerdem kam es beim versehentlichen Konsum des Wasserstoffperoxids zu Todesfällen.[21]

Trivia

Der Hut ist ein beliebtes Geschenk für ausländische Prominente, so trugen bei ihren Besuchen z. B. Papst Johannes Paul II. (1986), Bill Clinton (2000), oder Prinz Charles (2014) den Hut. Verschiedene kolumbianische Sportler trugen den Hut bei Olympiaden ebenso wie Musiker bei den Grammys.[23] Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro trug den Hut im Frühling 2024, um eine kürzlich erfolgte Haartransplantation zu kaschieren.[24]

Einzelnachweise

  1. Benjamín Puche Villadiego: El sombrero vueltiao zenú. Revista de Extensión Cultural | Número 60 | 106, 15 de mayo de 1983.7 Universidad Nacional de Colombia | Sede Medellín
  2. El Sombrero Vueltiao del Sinú, auf culturadecordoba.tripod.com
  3. a b Conoce aquí la historia y curiosidades del Sombrero vueltiao. Abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  4. Artesanías de Colombia-Sistema de Información para la Artesanía SIART: Colombia Artesanal: caña flecha, trenzando historias. Abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  5. a b c d e Milena Damrau: Sombrero Vueltiao – Weaving Mathematics. In: The Bridges Archive. 2019, S. 359--362, abgerufen am 24. Juni 2025 (englisch).
  6. Mathkind | Colombia | Sombreros Vueltiaos. Abgerufen am 25. Juni 2025 (amerikanisches Englisch).
  7. a b Eduardo Garavito Maldonado: Hace 35 años, 'Happy' Lora hizo famoso el sombrero vueltiao. 8. August 2020, abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  8. Andrés Morales: Aquel día en que Miguel. Abgerufen am 25. Juni 2025 (englisch).
  9. Sombrero vueltiao: del Caribe para el mundo | Uniandes. Abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  10. Murió periodista Róger Olascoaga. 28. Februar 2012, abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  11. Compilación Jurídica Mincultura - Ley 908 de 2004. Abgerufen am 25. Juni 2025.
  12. Johan Godoy: El Sombrero Vueltiao de la República de Colombia como referente cultural material y artesanal de la región Andina. 23. März 2025, abgerufen am 25. Juni 2025 (europäisches Spanisch).
  13. Sede electrónica Gobernación de Córdoba: Gobernador Orlando Benítez Mora recibe resolución del parlamento andino que exalta el sombrero vueltiao. 6. Juli 2021, abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  14. Yajaira Iglesias: Dos mil años de historia: el Sombrero Vueltiao celebra este 18 de Junio su día - LARAZÓN.CO. In: LARAZÓN.CO - Diario de noticias y actualidad en Colombia y el mundo. Abgerufen am 25. Juni 2025 (es-CO).
  15. Johan Godoy: El Sombrero Vueltiao de la República de Colombia como referente cultural material y artesanal de la región Andina. 23. März 2025, abgerufen am 25. Juni 2025 (europäisches Spanisch).
  16. Pre-Hispanic Hydraulic System of the San Jorge River. In: UNESCO. 27. September 2012, abgerufen am 24. Juni 2025 (englisch).
  17. Billete de 20 mil pesos, cinco pasos para reconocerlo | Banco de la República. Abgerufen am 24. Juni 2025.
  18. Jordan Jones: How the town behind Colombia’s most iconic ‘sombrero’ can cash in on the Orange Economy. In: The Bogotá Post. 17. Januar 2020, abgerufen am 24. Juni 2025.
  19. The story of a Sombrero Vueltiao, auf feed.jeronimomartins.com
  20. Familie Montalvo aus Tuchín – Hersteller des legendären Sombrero Vueltiao | Honorarkonsularische Vertretung der Republik Kolumbien. Abgerufen am 24. Juni 2025.
  21. a b Sombreros made in China. Una reflexión sobre la producción artesanal y la propiedad intelectual en el Caribe colombiano. América Labraín, Carlos Uscátegui. Desacatos 64 2020, S. 118–131
  22. Ministerio de las Culturas: Plan Especial de Salvaguardia. (gov.co [PDF; abgerufen am 2. September 2025]).
  23. Conoce aquí la historia y curiosidades del Sombrero vueltiao. Abgerufen am 25. Juni 2025 (spanisch).
  24. Victor Cohen: Secret Behind Colombian President's Hats Revealed. 25. Mai 2024, abgerufen am 25. Juni 2025 (amerikanisches Englisch).