Seidel & Naumann
| Seidel & Naumann / Nähmaschinenfabrik und Eisengießerei vormals Seidel & Naumann / AG vorm. Seidel & Naumann / Seidel & Naumann AG / VEB Schreibmaschinenwerk(e) Dresden (SWD) / robotron Erika GmbH
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| Rechtsform |
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| Gründung | 5. August 1868 |
| Auflösung | 11. Januar 1963 (Seidel & Naumann AG) / 29. Juni 1992 (robotron Erika GmbH) |
| Auflösungsgrund | Liquidation |
| Sitz | Dresden, Deutschland Düsseldorf, BRD |
| Leitung |
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| Mitarbeiterzahl |
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| Branche | Maschinenbau (Nähmaschinen, Schreibmaschinen, Fahrräder, Kraftfahrzeuge) |
Seidel & Naumann war ein deutsches Maschinenbau-Unternehmen mit Sitz in Dresden. Es geht zurück auf den Gründer Bruno Naumann zu Königsbrück, der sich 1868 selbständig machte und ein Jahr später den Kaufmann Erich Seidel als Teilhaber aufnahm. Unter der Firma Seidel & Naumann erwarb sich das Unternehmen schnell einen guten Ruf, so dass sie langfristig beibehalten wurde, obwohl Seidel bereits 1876 wieder ausschied. Das Unternehmen stieg zum größten Nähmaschinen- und Schreibmaschinen-Produzenten Deutschlands auf. Nach 1945 wurde die Produktion vom VEB Schreibmaschinenwerk(e) Dresden (SWD) fortgeführt und nach der Wende 1990 in die robotron Erika GmbH eingebracht, dann aber bereits 1991 eingestellt.
Geschichte
Unternehmensgründung und Expansion
Nach Handwerkslehre und Wanderjahren kehrte Bruno Naumann nach Dresden zurück und gründete am 5. August 1868 mit eigenen Ersparnissen in Höhe von einigen 100 Talern eine kleine Werkstatt für Feinmechanik. Schon im darauf folgenden Jahr produzierte Naumann Nähmaschinen nach einer Lizenz des US-amerikanischem Unternehmens Wheeler & Wilson. 1869 beteiligte sich Emil Seidel mit 25.000 Talers an Naumanns Unternehmen, das daraufhin ab 1870 unter Seidel & Naumann firmierte. Obwohl Seidel 1876 mit einer Abfindung in Höhe von einer 250.000 Mark ausschied, blieb die Firma unverändert. Im Laufe der Unternehmensgeschichte kam es zu mehreren Veränderungen der Produktionsschwerpunkte. 1872 war das Unternehmen das erste in Deutschland, das „hocharmige“ Nähmaschinen nach der moderneren Bauart von Singer produzierte und diese Konstruktion immer weiter verbesserte.
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Im Jahr 1883 erwarb Naumann ein Gelände außerhalb der eng bebauten Innenstadt an der Hamburger Straße in der Friedrichstadt und errichtete dort eine große Fabrik. Drei Jahre später wurde das Unternehmen zum 6. Mai 1886 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt; die Firma lautete zunächst Nähmaschinenfabrik und Eisengießerei vormals Seidel & Naumann, wurde 1900 offiziell verkürzt zu AG vormals Seidel & Naumann und 1940 weiter zu Seidel & Naumann AG gestrafft. In dieser Zeit waren in der Fabrik 1000 Arbeiter beschäftigt, die rund 80.000 Nähmaschinen im Jahr produzierten. Die Neue Fabrikanlage an der Hamburger Straße bot aber auch Platz für neue Produkte. So wurde um 1892 die Massenproduktion von Fahrrädern unter der Marke „Germania“ begonnen. Anzeigen zeugen auch von „Naumanns Fahrrädern“ unter diesem eigenständigen Namen.[2] Hinzu kamen Geschwindigkeitsmesser für Lokomotiven und seit 1887 Musikautomaten. Weltweite Anerkennung erlangten dann die Schreibmaschinen der Marke „Ideal“, die speziell nach Kundenwunsch mit Tabulatoren und unterschiedlichen Tastaturen ausgerüstet werden konnten. 1900 gingen auch die Schreibmaschinen in die Massenproduktion. 1901 begann der Lizenzbau von Laurin-&-Klement-Motorrädern vom Typ Germania mit Ein- und V-Zweizylinder-Motoren mit Leistungen von 2,5 bis 6 PS. Der Plan, eigene Motorfahrzeuge zu produzieren, wurde nach dem frühen Tod Naumanns im Jahr 1903 aufgegeben.
Ein 1908 veröffentlichter Artikel[3] erwähnt allerdings mehrfach, dass auch zu dieser Zeit noch Germania-Motorfahrräder und Gepäckdreiräder nach der Lizenz von Laurin & Klement gefertigt wurden.
Beim Tod von Naumann beschäftigte das Unternehmen etwa 2500 Arbeitnehmer. Bruno Naumann schuf für seine Beschäftigten eine Reihe sozialer Einrichtungen: eine Fabrikkrankenkasse für Arbeiter mit langjähriger Betriebszugehörigkeit und deren Angehörige, Beihilfekassen für längere Krankheits- und für Sterbefälle, Invaliditätskassen und eine Beamtenunterstützungskasse. In den Werkstätten gab es eine großzügige Grundausstattung mit Garderoben, Toiletten, Wasch- und Speiseräumen.
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Naumann-Nähmaschine -
Motorrad Germania (Baujahr 1901) im Museum für sächsische Fahrzeuge – nachweislich eines der drei ältesten Motorräder Deutschlands
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Gepäck-Motordreirad Germania (vor 1908) -
Arbeiterinnen in der Endkontrolle der Schreibmaschinenfabrik (1934)
Geschichte nach dem Tod des Gründers bis 1945
Das Unternehmen wurde von den Nachfolgern weitergeführt und war bis zu den schweren Kriegsschäden bei den Luftangriffen in den Jahren 1944 und 1945 einer der wichtigsten Großbetriebe in Dresden. Weltberühmt wurde die 1910 erstmals produzierte, leichte Reiseschreibmaschine „Erika“ Nr. 1, benannt nach Naumanns einziger Enkeltochter Hermine Marie Erika Naumann (1907–2000)[4][5], die spätere Ehefrau von Emil Woermann.[6] Diese Schreibmaschine hatte nur drei Tastenreihen, dafür waren aber die Typen dreifach belegt. Für Exporte nach Großbritannien und Frankreich gab es die besonderen Markennamen „Bijou“ und „Gloria“. Am 28. Januar 1910 beantragte das Unternehmen den Schutz des Markennamens „Erika“ für Schreibmaschinen beim Kaiserlichen Patentamt[7], die Eintragung erfolgte noch im gleichen Jahr am 3. August.

Der Gießereibetrieb wurde in eine neue, 1911–1912 in Heidenau errichtete Fabrikanlage ausgelagert. 1914 wurde die Nähmaschinenfabrik Biesolt & Locke GmbH in Meißen übernommen. Die Produktion wurde auf Rechenmaschinen (Kleinstaddier- und Addiermaschinen Typ SuN, Rechenmaschinen Typ XxX), Buchungsautomaten (ab 1925 Typen Idealo und Blitz) und optische Profilschleifmaschinen (ab 1932) ausgeweitet, während die Fahrradproduktion zum Ende des Geschäftsjahrs 1938 eingestellt wurde. Das Aktienkapital belief sich 1943 auf 3,9 Millionen Reichsmark.
Enteignung und Geschichte nach 1945
Das Unternehmen wurde 1946 in der sowjetischen Besatzungszone enteignet; ob es Besitz oder Beteiligungen außerhalb der Zone gab, ist nicht bekannt. Erst Anfang 1963 wurde eine rechtsgültige Sitzverlagerung nach Düsseldorf vorgenommen und gleichzeitig die Liquidation eingeleitet – handelnde Personen dafür (Manager oder Aktionäre) werden in den Quellen nicht genannt.[8]
Die Fabrik in Dresden genörte nach der Überführung in Volkseigentum zum VEB Schreibmaschinenwerk(e) Dresden (SWD), in den 1951 auch die Produktionsanlagen der ehemaligen Clemens Müller AG integriert wurden. Ab 1979 zum VEB Kombinat Robotron (RSD) gehörend[9], wurden dort noch bis 1990 Schreibmaschinen produziert, meist weiterhin unter der traditionellen Marke Erika. Eine Besonderheit der Erika war die Segmentumschaltung, die bei der Umschaltung von Klein- auf Großschreibung weniger Kraft benötigt als die Wagenumschaltung. Der Betrieb hatte bis zu 3500 Beschäftigte und verfügte über eine eigene Betriebsberufsschule, an der jährlich ca. 300 Lehrlinge ausgebildet wurden. In kleinerem Umfang wurden auch spezielle Maschinen als Dokumentationsschreibmaschine oder als Blindenpunktschrift-Bogenmaschine produziert. Ab 1965 fertigte das Werk Rechenelektronik Glashütte bestimmte Baugruppen der Erika. Die nach der Privatisierung 1990 gebildete robotron Erika GmbH stellte 1991 die Produktion ein und meldete 1992 die Liquidation an. 2004 lief der Markenschutz aus, weshalb 2005 die Marke Erika nach 95 Jahren gelöscht wurde.[10] Die seit 1975 unter der Marke Erika-Picht beim Patentamt eingetragenen Blindenschreibmaschinen nach dem System von Oskar Picht[11] wurden noch 2010 von der multi-tech gGmbH in Dresden produziert.[12]
Das Schreibmaschinenwerk an der Hamburger Straße wurde 1991 durch Rüdiger Freiherr von Künsberg erworben und diente ab 1992 der Stadtverwaltung Dresden als Technisches Rathaus.[13] Nach im Jahr 2008 erhobenen massiven Vorwürfen hinsichtlich bestehender Kontaminationen im Boden und auch im Gebäude selbst und wegen des seit 1992 völlig ungenügenden Brandschutzes zog diese Stadtverwalrung bis 2010 aus. Hinsichtlich der Kontaminationen ermittelten sowohl der Stadtrat als auch die Staatsanwaltschaft bis 2012, ohne jedoch die Gesundheitsgefährdung (es wurde sogar von Todesfällen gesprochen) nachweisen zu können.[13] Ab 2015 diente das Gebäude nach Sanierungsarbeiten als Flüchtlingsunterkunft.[14]
- Schreibmaschine Erika
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Werbeanzeige für die Erika-Reise-Schreibmaschine, 1910
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Exponat von 1912 in den Technischen Sammlungen Dresden -
Erika E 100, hergestellt im April 1984 (damaliger Preis 420,- Mark der DDR, was etwa der Hälfte eines durchschnittlichen Monatseinkommens entsprach); Design Erich John -
Endmontage einer Erika-Schreibmaschine bei Robotron im Jahr 1987 -
Erika E 115 (Baujahr 1980) im DDR-Museum Berlin
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Erika-Schreibmaschine im Schloss Duwisib (2019)
Automobilproduktion
1905 stellte das Unternehmen ein selbst entwickeltes Automobil her. Das Fahrzeug mit der Modellbezeichnung 34/40 PS wurde 1905 bei der Herkomer-Konkurrenz eingesetzt. Es ist unklar, ob weitere Fahrzeuge entstanden.[15]
Literatur
- Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, 19. Ausgabe 1914, Band 1, S. 1118.
- Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften, 48. Ausgabe 1943, Band 4, S. 3333.
- Hans Christoph Graf von Seherr-Thoß: Naumann, Bruno. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18 , Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 766 f. (Digitalisat).
Weblinks
- H. Reckzeh: VEB Schreibmaschinenwerk Dresden, Förderverein der Technischen Sammlungen Dresden, 2006, PDF (200 kByte)
- Biografie von Bruno Naumann (englisch)
- Übersicht der von 1987 bis 1991 im VEB Robotron Optima Büromaschinenwerk Erfurt produzierten Schreibmaschinenserie Erika elektronic 3004, 3005, 3006, 3015 und 3016
- Frühe Dokumente und Zeitungsartikel zu Seidel & Naumann in den Historischen Pressearchiven der ZBW
Einzelnachweise
- ↑ Anzeige mit grafischen Darstellungen der Hauptprodukte der AG vorm. Seidel & Naumann mit Angabe der damaligen Produktionsstückzahlen und Anzahl der Mitarbeiter in: Berliner Tageblatt vom 25. September 1905.
- ↑ Mittelbachs Verlag Leipzig: Rückseite der Hülle der Strassenprofilkarte für Radfahrer vom Bodensee u. weit. Umgebung
- ↑ Oscar Koch: Der heutige Stand der Motorfahrräder. In: Dinglers polytechnisches Journal, 1908, Digitalisat
- ↑ Geburtsurkunde Dresden A 1637/1907
- ↑ Sterbeurkunde Oldenburg (Oldenburg) C 1688/2000
- ↑ Seidel & Naumann. In: Deutsche Biographie (Index-Eintrag).
- ↑ Auskunft zur Marke Wort-Bildmarke „Erika“ im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA)
- ↑ Hans-Georg Glasemann, Ingo Korsch: Hoffnungswerte. Ungeregelte Ansprüche aus Wertpapieremissionen vor 1945 und ihre Entschädigung nach der Wiedervereinigung. Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1991, ISBN 3-409-14031-X, S. 239.
- ↑ Leonhard Dingwerth: Historische Schreibmaschinen. Battenberg Verlag, Regenstauf 2008, ISBN 978-3-86646-041-6, S. 60.
- ↑ Auskunft zur Marke Wort-Bildmarke „Erika“ im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA)
- ↑ Auskunft zur Marke Wort-Bildmarke „Erika-Picht“ im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA)
- ↑ Moderne Nachfolger des Modells E500 von 1912: Die multi-tech gGmbH ( vom 2. November 2004 im Internet Archive)
- ↑ a b Altes Technisches Rathaus in Dresden, Behördenversagen beim Brandschutz. In: Dresdner Neueste Nachrichten vom 4. September 2015, abgerufen am 20. August 2021.
- ↑ Linda Barthel: Vom Giftrathaus zur Notunterkunft. ( vom 23. Oktober 2016 im Internet Archive) In: Sächsische Zeitung vom 15. September 2015.
- ↑ Harald H. Linz, Halwart Schrader: Die Internationale Automobil-Enzyklopädie. United Soft Media Verlag, München 2008, ISBN 978-3-8032-9876-8.
