Muscimol

Strukturformel
Struktur von Muscimol
Allgemeines
Name Muscimol
Andere Namen
  • 5-(Aminomethyl)-1,2-oxazol-3-ol (IUPAC)
  • 5-Aminomethyl-isoxazol-3-ol
  • 5-Aminomethyl-2H-isoxazol-3-on
  • 3-Hydroxy-5-aminomethyl-isoxazol
  • Agarin
  • Pantherin
Summenformel C4H6N2O2
Kurzbeschreibung

farblose Kristalle[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 2763-96-4
EG-Nummer 220-430-4
ECHA-InfoCard 100.018.574
PubChem 4266
ChemSpider 4116
DrugBank DB12458
Wikidata Q412504
Eigenschaften
Molare Masse 114,10 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

175 °C (Zersetzung)[1]

pKS-Wert

4,8 und 8,4[2]

Löslichkeit

leicht in Wasser (567 g·l−1)[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​336
P: 301+310+330[1]
Toxikologische Daten
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Muscimol ist ein psychotropes Alkaloid, das seine Wirkung über die Aktivierung von GABA-Rezeptoren entfaltet. Es entsteht durch Decarboxylierung von Ibotensäure, die in Pilzen der Gattung Amanita vorkommt.

Fliegenpilz (Amanita muscaria) enthält Ibotensäure

Allgemeines

Muscimol wurde in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre von mehreren Forschergruppen unabhängig voneinander im Zuge analytischer Arbeiten über die Inhaltsstoffe der Amanita-Pilze entdeckt und isoliert.[4][5] Seine Molekularstruktur wurde alsbald aufgeklärt und durch Synthese bestätigt.[6]

Bildung

Ibotensäure ist der im Fliegenpilz, Pantherpilz und Königsfliegenpilz enthaltene Ausgangsstoff, aus dem sich Muscimol durch Decarboxylierung unter bestimmten Bedingungen bildet, z. B. bei längerer Lagerung des Pilzes oder Trocknung bei etwa 60 °C. Es ist besser verträglich als sein Ausgangsstoff und seine halluzinogenen Wirkungen sind deutlich stärker.

Wirkung

Etwa zwei Stunden nach Einnahme kommt es bei Überdosierung zu Steigerung der Salivation, Ataxie, Psychosen und eventuell zum Kreislaufversagen. Weil die in Pilzen enthaltene Menge an Muscimol stark variiert, ist nicht vorauszuberechnen, ob ein Pilzgericht eine letale Dosis enthält. Todesfälle sind selten und betreffen vorwiegend Kleinkinder, ältere Personen und chronisch Kranke.[7]

Das Bundesinstitut für Risikobewertung wies im Juni 2025 darauf hin, dass vor allem in Online-Handel vermehrt Erzeugnisse angeboten werden, denen Muscimol zugesetzt ist. Eine Online-Recherche des BfR zeigte, dass neben Erzeugnissen, die an Fruchtgummis oder Gummibärchen erinnern, auch andere Produkte mit Fliegenpilzgift erhältlich sind, die mit Lebensmitteln verwechselt werden können, darunter Brownies und Lollis. Der Verzehr derartiger Produkte kann zu Rauschzuständen und erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Ein besonderes Risiko besteht zudem darin, dass Kinder derartige Produkte leicht mit Süßigkeiten verwechseln können und dadurch versehentlich hohe Mengen an Muscimol aufnehmen können. Hieraus können schwere Vergiftungen resultieren.

Das BfR hat die deutschen Giftinformations­zentren zu Vergiftungsfällen mit derartigen muscimolhaltigen Produkten befragt. Hier wurden mehrere Fälle mit teilweise erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemeldet – darunter vor allem Bewusstseinseintrübungen bis hin zum Koma, Verwirrtheit und Erregungszustände. Betroffen waren Jugendliche und Erwachsene, die die Produkte missbräuchlich zu Rauschzwecken konsumiert hatten.[8]

Analytik

Die sichere qualitative und quantitative Bestimmung von Muscimol kann nach adäquater Probenvorbereitung durch Kopplung der HPLC mit Massenspektrometrie erfolgen.[9][10][11][12][13]

Pharmakologie

Strukturüberlagerung – GABA in überwiegend gestreckter Konformation abgebildet

Muscimol ist ein Strukturanalogon der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und als solches ein hochaffiner, kompetitiver, orthosterischer Agonist (d. h. Ligand an der GABA-Bindungsstelle) an GABAA- und Partialagonist an GABAA-Rho-Rezeptoren.[14] An der Vielzahl von GABAA-Rezeptortypen wirkt Muscimol, entgegen der ursprünglichen Erwartung, nicht als unterschiedsloser Universalagonist.[15] An extrasynaptischen GABAA-Rezeptoren zeigt es mit einer auf GABA bezogenen maximalen Wirkstärke von 120 bis 140 % eine superagonistische Eigenschaft, welche erklärt wird mit der geringeren Neigung des Muscimols, die Desensibilisierung dieser Rezeptoren auszulösen.[2] Mit geringer Affinität werden G-Protein-gekoppelte GABAB-Rezeptoren aktiviert.[16] Muscimol ist kein Substrat der GABA-Transaminase. Im Ergebnis aktiviert Muscimol das inhibitorische (zentral dämpfende) System des Gehirns.

In der extrazellulär gelegenen Bindungskavität zwischen den Untereinheiten α1 und β2+ des GABAA-Ionenkanals wird Muscimol über Salzbrücken und Wasserstoffbrückenbindungen gebunden, und zwar über die Aminosäurereste Arg66, Thr129, Thr202 einerseits und Glu155 andererseits, wobei zusätzlich eine konzertierte Bindung über ein Wassermolekül mit den Rückgrat-Carbonylgruppen von Ser156 und Tyr157 möglich ist. Kation–Pi-Wechselwirkungen ergeben sich über die ionisierte Aminfunktion des Liganden mit den rezeptorseitigen Aromaten Tyr205 und Phe200.[17]

Bei Sondierungen der Struktur-Wirkungsbeziehungen an GABAA-Rezeptoren zeigte sich unter den strukturell enger verwandten Derivaten bislang nur (S)-4,5-Dihydromuscimol als etwas höher affin.[17][18]

Weiterhin führt Muscimol zu einem Anstieg der Konzentration an Serotonin im synaptischen Spalt der Nervenzellen des zentralen Nervensystems.[19]

Synthese

Für die präparative Synthese existieren verschiedene Zugänge.[5] Möglich ist sie ausgehend von γ-Chloracetoacetat, das erhalten werden kann durch Chlorierung von Acetessigester bzw. Diketen. Die Ketofunktion des γ-Chloracetoacetats wird mit Orthoformiat zum Ketal geschützt. Mit Hydroxylamin wird der Ester unter schonenden Bedingungen zur Hydroxamsäure umfunktionalisiert. Mit chlorwasserstoffgesättigter Essigsäure wird das Ketal entschützt und in situ der Ringschluss zum 3-Hydroxy-5-chlormethyl-isoxazol vollzogen. Dieses Zwischenprodukt wird durch Kochen in ammoniakalischer Lösung unter Austausch des Chlor-Nukleofugs aminiert und so schließlich das Titelprodukt erhalten.[6]

Einzelnachweise

  1. a b c d e Eintrag zu Muscimol in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 8. Januar 2021. (JavaScript erforderlich)
  2. a b G. A. Johnston: Muscimol as an ionotropic GABA receptor agonist. In: Neurochemical research. Band 39, Nummer 10, Oktober 2014, S. 1942–1947, doi:10.1007/s11064-014-1245-y, PMID 24473816.
  3. a b Eintrag zu Muscimol in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  4. G. F. Müller, C. H. Eugster: [Muscimol, a Pharmacodynamically Active Substance From Amanita Muscaria]. In: Helvetica chimica acta. Band 48, Juni 1965, S. 910–926, doi:10.1002/hlca.19650480427, PMID 14321963.
  5. a b P. Pevarello, M. Varasi: An Improved Synthesis of Muscimol. In: Synthetic Communications. 22. Jahrgang, Nr. 13, 1992, S. 1939, doi:10.1080/00397919208021324. Referenzen dort.
  6. a b A.R. Gagneux, F. Häfliger, C.H. Eugster, R. Good: Synthesis of pantherine (agarin). In: Tetrahedron Letters. 6. Jahrgang, Nr. 25, 1965, S. 2077, doi:10.1016/S0040-4039(00)90157-6.
  7. David G Spoerke; Barry H Rumack (Hrsg.): Handbook of mushroom poisoning: diagnosis and treatment, Boca Raton, Ann Arbor, London: CRC Press, 1994, S. 269, ISBN 978-0-8493-0194-0, Vorschau Google Books.
  8. Fliegenpilzgift: Gesundheitliche Risiken muscimolhaltiger „Fruchtgummis“ – Kinder sind besonders gefährdet. 27. Juni 2025, abgerufen am 11. September 2025.
  9. Li SN, Xu F, Long P, Liu F, Zhang P, Fan YG, Chen ZH, Five new species of Inosperma from China: Morphological characteristics, phylogenetic analyses, and toxin detection., Front Microbiol. 2022 Oct 31;13:1021583, PMID 36386664.
  10. Bambauer TP, Wagmann L, Weber AA, Meyer MR: Further development of a liquid chromatography-high-resolution mass spectrometry/mass spectrometry-based strategy for analyzing eight biomarkers in human urine indicating toxic mushroom or Ricinus communis ingestions., Drug Test Anal. 2021 Sep;13(9):1603-1613, PMID 34080326.
  11. Xu XM, Zhang JS, Huang BF, Han JL, Chen Q: Determination of ibotenic acid and muscimol in plasma by liquid chromatography-triple quadrupole mass spectrometry with bimolecular dansylation., J Chromatogr B Analyt Technol Biomed Life Sci. 2020 Jun 1;1146:122128, PMID 32361630.
  12. Liu WQ, Shi Y, Xiang P, Yu F, Xie B, Dong M, Ha J, Ma CL, Wen D: Analysis of Five Mushroom Toxins in Blood by UPLC-HRMS., Fa Yi Xue Za Zhi. 2021 Oct 25;37(5):646-652, PMID 35187916.
  13. Tsujikawa K, Kuwayama K, Miyaguchi H, Kanamori T, Iwata Y, Inoue H, Yoshida T, Kishi T: Determination of muscimol and ibotenic acid in Amanita mushrooms by high-performance liquid chromatography and liquid chromatography-tandem mass spectrometry., J Chromatogr B Analyt Technol Biomed Life Sci. 2007 Jun 1;852(1-2):430-5, PMID 17317341.
  14. R. M. Woodward, L. Polenzani, R. Miledi: Characterization of bicuculline/baclofen-insensitive (rho-like) gamma-aminobutyric acid receptors expressed in Xenopus oocytes. II. Pharmacology of gamma-aminobutyric acidA and gamma-aminobutyric acidB receptor agonists and antagonists. In: Molecular pharmacology. Band 43, Nummer 4, April 1993, S. 609–625, PMID 8386310.
  15. D. Chandra, L. M. Halonen, A. M. Linden, C. Procaccini, K. Hellsten, G. E. Homanics, E. R. Korpi: Prototypic GABA(A) receptor agonist muscimol acts preferentially through forebrain high-affinity binding sites. In: Neuropsychopharmacology : official publication of the American College of Neuropsychopharmacology. Band 35, Nummer 4, März 2010, S. 999–1007, doi:10.1038/npp.2009.203, PMID 20032968, PMC 2823376 (freier Volltext).
  16. T. Yamauchi, T. Hori, T. Takahashi: Presynaptic inhibition by muscimol through GABAB receptors. In: The European journal of neuroscience. Band 12, Nummer 9, September 2000, S. 3433–3436, PMID 10998126.
  17. a b J. G. Petersen, R. Bergmann, P. Krogsgaard-Larsen, T. Balle, B. Frølund: Probing the orthosteric binding site of GABAA receptors with heterocyclic GABA carboxylic acid bioisosteres. In: Neurochemical research. Band 39, Nummer 6, Juni 2014, S. 1005–1015, doi:10.1007/s11064-013-1226-6, PMID 24362592 (Review).
  18. P. Krogsgaard-Larsen, L. Nielsen, E. Falch, D. R. Curtis: GABA agonists. Resolution, absolute stereochemistry, and enantioselectivity of (S)-(+)- and (R)-(−)-dihydromuscimol. In: Journal of medicinal chemistry. Band 28, Nummer 11, November 1985, S. 1612–1617, PMID 2999396.
  19. Emsbach: Gefahrstoffe – Pflanzenschutz – Umweltschutz, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2008. ISBN 978-3-7692-4309-3.