Mäander (Ozeanographie)

Ein Mäander (engl. meander), manchmal auch mäandernde Strömung genannt, ist eine großräumige, wellenförmige Instabilität in ozeanischen Randströmungen. Diese Strömungen schlängeln sich „um die eigene Achse“ und weisen in der horizontalen Ebene eine charakteristische Wellenform auf. Unter bestimmten dynamischen Bedingungen können diese Mäander exponentiell anwachsen, sich schließen und dabei einen geschlossenen Kreislauf, einen Wirbel (Eddy) oder einen Ring bilden. Dieser weist je nach Ausrichtung des ursprünglichen Mäanders (konvex oder konkav, insbesondere in Bezug auf die Nordrichtung) eine entweder zyklonale oder antizyklonale Zirkulation auf.[1]
Forschung
Die Bahnen von Oberflächen- und Unterwasser-Floats, frei im Ozean driftenden Messbojen haben dazu beigetragen, die komplexen Bewegungen ozeanischer Gewässer wie Mäanderströmungen, Wirbelbewegungen und Ringe besser zu verstehen. Seit Anfang 1983 wurden mehrere Unterwasser-Floats im Golfstrom (vor der Ostküste Nordamerikas) eingesetzt. Rossby et al. (1986)[2] lieferten ein Beispiel für die raumzeitliche Entwicklung der Mäanderströmung, basierend auf der Zugbahn eines Unterwasser-Floats. Die Bahn wies die charakteristische Wellenform des mäandernden Golfstroms auf. In diesem Beispiel betrug die Durchschnittsgeschwindigkeit der Boje 55 cm/s. Ein auffälliger Aspekt dieser und aller anderen Float-Bahnen im Golfstrom war die Tendenz der Boje, von Mäandertal zu Mäanderkamm flacher zu werden und von einem Mäanderkamm zum nächsten tiefer zu werden. Es wurde beobachtet, dass während der 2100 km langen Reise des Floats nach Osten seine seitlichen Verschiebungen relativ zur Strömung weniger als 100 km betrugen. Anhand der Druckaufzeichnungen konnte festgestellt werden, dass diese Bewegungen nicht zufällig waren, sondern eindeutig das Ergebnis der Dynamik kurvenförmiger Bewegungen. Großräumige Mäander der Meeresströmungen führen zum Ablösen mesoskaliger Wirbel und Ringe.
Die Dynamik und Vorhersage von Mäandern ist ein aktives Forschungsfeld. Neuere Ansätze verwenden maschinelles Lernen, um die nichtlineare Entwicklung dieser Strukturen zu modellieren. So entwickelten Gray et al. (2024) einen „digitalen Zwilling“ des Golfstroms namens OceanNet, der auf neuronalen Operatoren basiert und in der Lage ist, die langfristige Entwicklung von Mäandern über mehrere Monate hinweg präzise vorherzusagen.[3]
Vorkommen von Mäandern
Neben dem stabilsten Mäander des Golfstroms kommen Mäander auch häufig in den anderen großen westlichen Randstromsystemen vor. Der Kuroshio-Strom südlich von Japan beispielsweise verläuft in zwei stabilen Bahnen, einer zonalen und einer mäanderförmigen, die jeweils mehrere Jahre lang bestehen. Mizuno und White (1983) berichteten von der Entdeckung eines quasistationären Mäandermusters (Kuroshio-Mäander) in der Kuroshio-Erweiterung nahe dem Schatski-Rücken (160° Ost).[4] Die zugrundeliegende Theorie für diese Stabilität wurde bereits von McCreary und White (1979) entwickelt, die zeigten, dass die Wechselwirkung der Strömung mit der Bathymetrie eine Schlüsselrolle für die Bildung stationärer Mäander spielt.[5] Der Kuroshio-Mäander wird durch erhöhte Wirbelaktivität und Ringbildung instabil. Diese Mäander können sich auch in das Ostchinesische Meer fortpflanzen, wie Lee et al. (2024) durch kombinierte Satellitenbeobachtungen und in-situ-Messungen nachweisen konnten.[6]
Im Agulhasstrom vor der Südküste Afrikas sind Mäander ebenfalls ein prägendes Merkmal. McMonigal et al. (2020) untersuchten deren Einfluss auf die Temperaturvariabilität des Stroms. Sie fanden heraus, dass die Amplitude der Mäander sowie die damit einhergehende Verbreiterung und Vertiefung des Stroms einen größeren Einfluss auf die Temperaturschwankungen haben als jahreszeitliche Effekte.[7]
Mäander sind nicht auf subtropische Randströmungen beschränkt. Auch der antarktische Zirkumpolarstrom (ACC) bildet großskalige, stehende Mäander aus. Zhang et al. (2022) entwickelten eine Erklärung für diese Strukturen. Ihre Theorie legt nahe, dass diese Mäander durch die Wechselwirkung der Strömung mit der Bathymetrie des Meeresbodens entstehen und sich in Reaktion auf Schwankungen in der Windspannung stabilisieren oder destabilisieren können.[8]
Die Entstehung von Mäandern
Ursachen
Die Entstehung von Mäandern in ozeanischen Strömungen ist ein komplexer physikalischer Prozess, der primär auf dem Mechanismus der baroklinen Instabilität beruht. Der Hauptantrieb liegt in der Tendenz des Ozeans, potentielle Energie in kinetische Energie umzuwandeln. Starke Randströmungen wie der Golfstrom oder der Kuroshio sind nicht nur schnell, sondern weisen auch erhebliche horizontale Dichteunterschiede auf – Wasser auf der warmen Seite ist leichter als auf der kalten Seite. Diese Dichteunterschiede führen zu einem Gefälle in der Meeresoberfläche: die warme Seite ist höher als die kalte, und einer Neigung der Grenzfläche zwischen warmem und kaltem Wasser.
Dieser Zustand speichert eine große Menge potenzieller Energie. Das System ist jedoch instabil und sucht nach einem Weg, diese Energie abzubauen. Es tut dies, indem es die Energie durch die Bildung von Wellen und Mäandern in die kinetische Energie der turbulenten Strömung umwandelt. Dieser Prozess der Energieumwandlung wird als barokline Instabilität bezeichnet.[9]
Der Prozess der Entstehung
- Kleine Störungen: Der zunächst relativ geradlinige Strom wird durch kleine, natürliche Störungen ausgelenkt. Diese können in Wechselwirkung mit der Topographie des Meeresbodens (z. B. Unterwassergebirge wie der Schatski-Rücken beim Kuroshio), durch Windspannungsvariationen oder einfach durch turbulente Fluktuationen entstehen.
- Exponentielles Wachstum (Barokline Instabilität): Eine Störung, z. B. eine kleine Ausbuchtung in der Stromachse, wird durch die Rotation der Erde (Corioliskraft) und die Druckgradientenkräfte verstärkt. Auf der zyklonalen Seite (auf der Südhalbkugel nach links, auf der Nordhalbkugel nach rechts ausgelenkt) wird kälteres Wasser unter dem Strom nach oben gedrückt (Upwelling). Dies führt zu einem Druckabfall in der Tiefe, der die Ausbuchtung weiter antreibt. Auf der antizyklonalen Seite wird warmes Wasser nach unten gedrückt (Downwelling), was einen Druckaufbau verursacht, der die Strömung ebenfalls in ihrer Mäanderform unterstützt. Dieser Feedback-Prozess lässt die anfänglich kleine Störung exponentiell anwachsen, sodass sich eine immer größere Amplitude ausbildet – der Mäander entsteht.
- Abschnüren von Wirbeln (Ringbildung): Wenn die Amplitude des Mäanders zu groß wird, kann er sich nicht mehr stabil halten. Der Mäander „kneift sich ab“ (engl. pinches off), und der geschlossene Kreislauf trennt sich vom Hauptstrom. Es entsteht ein unabhängiger, rotierender Wirbel (Eddy) oder Ring. Ein Kaltwasserring (zyklonal) entsteht, wenn sich ein Mäander nach Norden (auf der Nordhalbkugel) „ausbeult“ und abschnürt. Er besteht aus kälterem Wasser, das vom landwärtigen Rand des Stroms stammt. Ein Warmwasserring (antizyklonal) entsteht, wenn sich ein Mäander nach Süden ausbeult und abschnürt. Er besteht aus warmem Wasser aus dem stromabgewandten Rand.
- Zusätzliche Einflussfaktoren: Der Meeresboden spielt eine zentrale Rolle. Unterwasserrücken und -täler können Mäander an bestimmten Positionen „verankern“ (siehe McCreary und White, 1979, für den Kuroshio[5]) oder deren Bildung erst auslösen. Veränderungen in der Windzirkulation können die Mäanderaktivität modulieren, indem sie die zugrundeliegende Dichtestruktur und die Strömungsgeschwindigkeit beeinflussen (siehe Zhang et al., 2022,[8] für den Antarktischen Zirkumpolarstrom). Schnellere Strömungen mit starken horizontalen Dichteunterschieden (einem stark baroklinen Charakter) sind anfälliger für mäandernde Instabilitäten.
Die Bedeutung von Mäandern
Mäander spielen eine wichtige Rolle in einer Vielzahl von physikalischen, biologischen und klimatologischen Prozessen. Ihre Bedeutung lässt sich in mehrere Schlüsselbereiche unterteilen:
Wärmetransport und Klima
Mäander und die daraus hervorgehenden Ringe sind essentielle Akteure im globalen Wärme- und Energiehaushalt. Westliche Randströme wie der Golfstrom transportieren warmes Wasser aus den Tropen in höhere Breiten. Durch das Abschnüren von Mäandern entstehen Wirbel, die diese Wärme weit in die seitlichen Meeresbecken leiten.
- Warmwasserringe bringen warmes, tropisches Wasser nach Norden und in das Beckeninnere.
- Kaltwasserringe transportieren kühleres, nährstoffreiches Wasser nach Süden.
Dieser Prozess mildert das Klima in Küstenregionen (z. B. in Nordwesteuropa) und ist ein kritischer Mechanismus für die Ausgleichsströmungen in der meridionalen Umwälzzirkulation.
Biologische Produktivität und Ökosysteme
Die Dynamik der Mäander hat tiefgreifende Auswirkungen auf das marine Leben:
- Verteilung von Nährstoffen: Durch die Verwirbelung an den Flanken von Mäandern und in den abgeschnürten Ringen kommt es zu Auftrieb (Upwelling) und Abtrieb (Downwelling). Dies vermischt die oberen, nährstoffarmen Wasserschichten mit tieferen, nährstoffreichen Schichten.
- Hotspots der Produktivität: Dieser Eintrag von Nährstoffen in die sonnenbeschienene Euphotische Zone führt zu einer explosionsartigen Vermehrung von Phytoplankton.[10] Dies bildet die Grundlage der marinen Nahrungskette und zieht Fische, Meeressäuger und Vögel an. Die Mäanderregionen gehören zu den biologisch produktivsten Gebieten der Ozeane.[11]
- Verbreitung von Arten: Die von den Mäandern abgeschnürten Ringe wirken wie „bewegliche Inseln“ eines bestimmten Wassertyps. Sie können marine Organismen über Hunderte von Kilometern transportieren und so zur Verbreitung von Arten und zum genetischen Austausch zwischen Populationen beitragen.
Vermischung der Ozeane und Stofftransport
Mäander gehören zu den effizientesten Mechanismen für die laterale Vermischung von Wassermassen mit unterschiedlichen Eigenschaften (Temperatur, Salzgehalt, Dichte, gelöste Gase).
- Dieser Mischprozess ist entscheidend für die Verteilung von Sauerstoff in mittleren Tiefen und für die Aufnahme von anthropogenem CO₂ aus der Atmosphäre in den Ozean.
- Sie tragen maßgeblich zum Eddy-getriebenen Transport von Impuls, Wärme und Salz bei, der für die Dynamik der Ozeane fundamental ist.
Wechselwirkung mit der Atmosphäre
Die Oberflächenstruktur der Ozeane, die durch Mäander und Wirbel geprägt ist, beeinflusst direkt die untere Atmosphäre:
- Warme Meeresoberflächen (über Warmwasserringen) können die Bildung von Tiefdruckgebieten verstärken und die Wärmeabgabe an die Atmosphäre erhöhen.
- Kalte Meeresoberflächen (über Kaltwasserringen) können hingegen die Wolkenbildung beeinflussen. Diese kleinskaligen Wechselwirkungen sind eine große Unsicherheit in Klimamodellen und werden intensiv erforscht.
Bedeutung für die operationelle Ozeanographie und Prognose
Das Verständnis und die Vorhersage von Mäandern ist von praktischer Relevanz:
- Schifffahrt: Die Kenntnis der exakten Position und Stärke von Strömungen und deren Wirbeln kann Schiffsrouten optimieren und Treibstoff sparen.
- Fischerei: Da sich viele Fischarten an den produktiven Fronten von Mäandern konzentrieren, nutzen Fischer diese ozeanischen Strukturen, um ihre Erträge zu steigern.
- Ölkatastrophen und Such- und Rettungsaktionen: Die Vorhersage, wie sich treibende Objekte (Ölteppiche, Rettungsboote) in einer komplexen Strömungslandschaft bewegen, ist ohne das Verständnis der Mäander- und Wirbeldynamik unmöglich. Die Arbeit von Gray et al. (2024) mit OceanNet (einem auf neuronalen Operatoren basierender „digitaler Zwilling“ für regionale Ozeane)[3] ist ein wegweisendes Beispiel dafür, wie moderne „digitale Zwillinge“ diese Vorhersagen verbessern können.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Antony Joseph: Measuring Ocean Currents - Chapter 1 - Oceanic Currents and Their Implications. Elsevier, 2014, S. 1–49. ISBN 978-0-12-415990-7.
- ↑ Hans Thomas Rossby, D. Dorson, J. Fontaine (1986): The RAFOS System. In: Journal of Atmospheric and Oceanic Technology, Band 3, Ausgabe 4, S. 672–679. doi:10.1175/1520-0426(1986)0032.0.CO;2
- ↑ a b Michael A. Gray, Ashesh Chattopadhyay, Tianning Wu, Anna Lowe, Ruoying He (2024): Long-term Prediction of the Gulf Stream Meander Using OceanNet: a Principled Neural Operator-based Digital Twin. EGUsphere [preprint]. PDF.
- ↑ Keisuke Mizuno, Warren B. White (1983): Annual and Interannual Variability in the Kuroshio Current System. In: Journal of Physical Oceanography, Band 13, Ausgabe 10, S. 1847–1867. DOI:10.1175/1520-0485(1983)013%3C1847:AAIVIT%3E2.0.CO;2.
- ↑ a b Julian P. McCreary, Warren B. White: On a theory of the Kuroshio meander. In: Deep Sea Research Part A., Oceanographic Research Papers, Band 26 (1979), Ausgabe 3, S. 317–320. doi:10.1016/0198-0149(79)90027-X.
- ↑ SeungYong Lee, Hanna Na, Hong Sik Min, Dong Guk Kim, Hirohiko Nakamura, Ayako Nishina (2025): Observational evidence of the Kuroshio meander and its propagation in the East China Sea. In: Frontiers in Marine Science, Section Physical Oceanography, Band 11 (2024). doi:10.3389/fmars.2024.1512572.
- ↑ K. McMonigal, Lisa M. Beal, Shane Elipot, Kathryn L. Gunn, Juliet Hermes, Tamaryn Morris, Adam Houk (2020): The Impact of Meanders, Deepening and Broadening, and Seasonality on Agulhas Current Temperature Variability. In: Journal of Physical Oceanography, Band 50, Ausgabe 12, S. 3529–3544. doi:10.1175/JPO-D-20-0018.1.
- ↑ a b Xihan Zhang, Maxim Nikurashin, Beatriz Peña-Molino, Stephen R. Rintoul, Edward Doddridge (2022): A Theory of Standing Meanders of the Antarctic Circumpolar Current and Their Response to Wind. In: Journal of Physical Oceanography, Band 53, Ausgabe 1, S. 235–251. doi:10.1175/JPO-D-22-0086.1.
- ↑ Joseph Pedlosky: Geophysical Fluid Dynamics. Springer-Verlag New York, 1990. ISBN 978-0-387-96387-7. doi:10.1007/978-1-4612-4650-3.
- ↑ Dennis J. McGillicuddy Jr. (2016): Mechanisms of Physical-Biological-Biogeochemical Interaction at the Oceanic Mesoscale. In: Annual Review of Marine Science, Band 8 (2016), S. 125–159. doi:10.1146/annurev-marine-010814-015606.
- ↑ Peter Gaube, Dennis J. McGillicuddy Jr., Dudley B. Chelton, Michael J. Behrenfeld, Peter G. Strutton (2014): Regional variations in the influence of mesoscale eddies on near-surface chlorophyll. In: Journal of Geophysical Research: Oceans, Band 119, Ausgabe 12, S. 8195–8220. doi:10.1002/2014JC010111.