Lokiarchaeum ossiferum

Lokiarchaeum ossiferum
Systematik
Stamm: Promethearchaeota
Klasse: Lokiarchaeen s. l. (Promethearchaeia)
Ordnung: Promethearchaeales
Familie: Lokiarchaeen s. s. (Promethearchaeaceae)
Gattung: Lokiarchaeum
Art: Lokiarchaeum ossiferum
Wissenschaftlicher Name der Gattung
„Ca. Lokiarchaeum
corrig. Spang et al. 2015
Wissenschaftlicher Name der Art
„Ca. Lokiarchaeum ossiferum
Rodrigues-Oliveira et al. 2023[1]

Ca. Lokiarchaeum ossiferum“ ist eine Kandidaten-Spezies der Kandidaten-Gattung (Biologie)Ca. Lokiarchaeum“ der Archaeen-Familie Promethearchaeaceae. Aus dieser Gattung stammen die ersten Metagenomik-Hinweise auf die Archaeen-Klasse Promethearchaeia (Lokiarchaeen) und damit des Reichs der Asgard-Archaeen (Promethearchaeati).

Forschungsgeschichte

Spitze (1 m) eines 12 m hohen Schlotes der Hydrothermalquelle Loki’s Castle. Links im Bild befindet sich der Arm eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs, mit dem 2008 vom Centre for Geobiology der Universität Bergen Wasserproben entnommen wurden.

Das organische Material, in dem diese erste genetische Signatur der Lokiarchaeen identifiziert wurde, stammt aus Proben mariner Sedimente aus einem Geothermalgebiet in einer vulkanisch aktiven arktischen Tiefseeregion zwischen Nordwesteuropa und Grönland, in dem sich Schlote aus sulfidischen Mineralen über heißen Quellen, sogenannten Schwarzen Rauchern, gebildet haben. Es handelt sich um einen nördlichen Ausläufer des Mittelozeanischen Rückens in der Übergangsregion vom Nordatlantik in den Arktischen Ozean. Das wegen der bizarren Formen der Schlote von seinen Entdeckern „Lokis Schloss“ (englisch Loki’s Castle) genannte Gebiet liegt im Mohn-Knipovich-Bogen (73,55° N, 8,15° O) am nordöstlichen Ende des Mohn-Rückens, im Übergang zum Knipovich-Rücken.[A. 1][2]

Die dort im Jahr 2010 entnommene Sedimentproben wurden durch Teams aus Bergen, Uppsala und der Arbeitsgruppe von Christa Scheper an der Universität Wien[3] mit metagenomischen Verfahren analysiert, wobei sich eine Fülle von Hinweisen auf bis dahin unbekannte Archaeen ergab.[4][5] Insbesondere gehörte dazu die Kandidatengattung Lokiarchaeum, von der allerdings damals noch kein Vertreter im Labor in Reinkultur gezüchtet werden konnte. Bei der niedrigen Zelldichte (Zellen pro Gramm Sediment) stammt die damals ermittelte DNA-Sequenz GC14_75 von Ca. Lokiarchaeum eher nicht von einer isolierten Zelle, sondern aus der Kombination von Genfragmenten mehrerer Individuen. Das gefundene Genom war zu 92 % komplett und 1,4-fach redundant. Insgesamt fanden sich damals zunächst Fragmente von drei Spezies bzw. Kladen (Loki1 alias GC14_75, Loki2 und Loki3) des neuen Archaeen-Taxons.[6]

Erst wie 2019/2020 berichtet war es Mikrobiologen nach zwölf Jahren Forschungsarbeit gelungen, einem anderen Promethearchaeum syntrophicum genanntes neues und sich nur sehr langsam vermehrendes Mitglied der der Familie (mit Referenzstamm MK-D1) aus Tiefseeschlamm zu isolieren und zu kultivieren.[7][8][9][10] Zur Jahreswende 2022/2023 wurde dann nach diesmal sechs Jahren Forschungsarbeit die erfolgreiche Co-Kultivierung einer weiteren Spezies der Gattung Ca. Lokiarchaeum selbst, Ca. Lokiarchaeum ossiferum, bekannt gegeben.[11]

Beschreibung

Das Genom von Ca. Lokiarchaeum ossiferum setzt sich aus 5381 Protein codierenden Genen zusammen. Davon passen 32 % nicht zu bekannten Proteinen, 26 % sind eng mit den Proteinen bekannter Archaeen verwandt und 29 % mit bakteriellen Proteinen. Diese Zusammensetzung spricht für Folgendes:

  1. Es handelt sich um Proteine eines neuen Stammes, der zusammen mit dem MAG von GC14_75 der Domäne der Archaeen ein neues basales Taxon hinzufügt.
  2. Es hat ein besonders intensiver horizontaler Gentransfer von Bakterien zu Archaeen stattgefunden (Zum Vergleich: bei der Gattung Methanosarcina wurde „nur“ ein Anteil von 5 % Genen bakteriellen Ursprungs gefunden.[12]).

Ein kleiner, aber signifikanter Anteil der Gene (175 = 3,3 %) von Ca. Lokiarchaeum ossiferum ähnelt stark den Genen von eukaryotischen Proteinen. Da sie stets von prokaryotischen Gensequenzen flankiert vorkamen, war es war sehr unwahrscheinlich, dass diese für Prokaryoten höchst ungewöhnlichen Gene aus Verunreinigungen der Proben stammten. Zudem konnten auch im Metagenom der Sedimentproben des thermophilen Biotops wie erwartet keine Gene eukaryotischen Ursprungs entdeckt werden.[6] Proteine, die Ca. Lokiarchaeum ossiferum mit Eukaryoten gemeinsam hat, sind bei letzteren Bestandteile des Cytoskeletts und dienen der Verformung der Zellmembran und der Zellform.[6][13][14] Anscheinend teilt Ca. Lokiarchaeum ossiferum diese Fähigkeit mit Eukaryoten.[6] Ein anderes gemeinsames Protein, nämlich Aktin, ist essenziell für die Phagocytose der Eukaryoten,[7][13] also der Fähigkeit der Organismen, Partikel zu umfließen und in die Zelle aufzunehmen. Wenn sich bestätigt, dass auch Lokiarchaeen zur Phagocytose fähig sind, könnte das gut erklären, wie es zur Symbiose von Archaeen und Bakterien kam. Ca. Lokiarchaeum oder enge Verwandte könnten sich Bakterien einverleibt und dann als Symbionten genutzt haben, worauf diese sich dann nach der allgemein akzeptierten Endosymbiontentheorie zu Mitochondrien entwickelten.[6][15]

Systematik

Äußere Taxonomie der Lokiarchaeen und Bedeutung in der Evolution

Stellung der Lokiarchaeen und der Wurzel der Eukaryoten im Stammbaum der Archaeen, vereinfacht nach Spang et al.[6] Es basiert auf der Auswertung der Gene von 36 Proteinen, die bei Eukaryoten typisch und hoch konserviert sind. Da sich aus der Analyse dieser Gene nur bedingt auf die Wurzel der Archaeen schließen lässt, wurde der obere Teil des Stammbaums vereinfacht. Die hochgestellten Nummern sind die Taxonomie-Nummern in der Universal Protein Resource (UniProt).[16]

Eines der drei ursprünglich gefundenen Teilgenome Loki1, Loki2 und Loki3 (vgl. Abbildung) weist einen signifikant niedrigeren GC-Gehalt als die beiden anderen auf. Das bedeutet, dass sie einen unterschiedlichen Gehalt der DNA-Basen Guanin und Cytosin in ihrer DNA aufweisen. Dieser Unterschied kann nur aus einer erheblichen Menge an einzelnen Punktmutationen der beiden Äste der Lokiarchaeen resultieren.

Die vergleichende Untersuchung der Genome von Ca. Lokiarchaeum ossiferum und denen von bekannten Eukaryoten lässt stark vermuten, dass diese Organismen eine gemeinsame phylogenetische Vergangenheit und einen gemeinsamen monophyletischen Stammbaum haben.[6][17][18][19]

Artenliste

Die Gattung Ca. Lokiarchaeum setzt sich nach LPSN, GTDB und der NCBI-Taxonomie wie folgt zusammen:[1][20][21]

Gattung „Ca. Lokiarchaeumcorrig. Spang et al. 2015 [„Ca. Lokiarchaeon“ Spang et al. 2015, früher „Loki1“][22]

  • Spezies „Ca. Lokiarchaeum ossiferumRodrigues-Oliveira et al. 2023 [Ca. Lokiarchaeum sp. B-35 (NCBI), Archaeon Loki-B35], mit
  • Spezies Ca. Lokiarchaeum sp. GC14_75 (NCBI) [Archaeon Loki, Archaeon Loki1], mit
  • Spezies Ca. Promethearchaeota archaeon isolate AMARA_1S (NCBI) [früher Lokiarchaeota archaeon isolate AMARA_1S (NCBI)], mit

Namensherkuft

Der Gattungsname und die Bezeichnung der Gruppe als „Lokiarchaeen“ nehmen Bezug sowohl auf den Fundort als auch darauf, dass diese Archaeen ihre Zellform ändern können und damit wie der Gott Loki der nordischen Mythologie Formwandler sind.[6]

Anmerkungen

  1. a b NCBI Nucleotide gibt zwar die korrekten Koordinaten für Lokis Schloss an: am nordöstlichen Ende vom Mohn-Rücken im Mohn-Knipovich-Bogen, dem Übergang zum Knipovich-Rücken, nennt aber im Text fälschlicherweise den Gakkelrücken, der sich auf der anderen Seite des Knipovich-Rückens anschließt.

Einzelnachweise

  1. a b LPSN: Species "Candidatus Lokiarchaeum ossiferum" Rodrigues-Oliveira et al. 2023.
  2. Rolf B. Pedersen, Hans Tore Rapp, Ingunn H. Thorseth, Marvin D. Lilley, Fernando J. A. S. Barriga, Tamara Baumberger, Kristin Flesland, Rita Fonseca, Gretchen L. Früh-Green, Steffen L. Jorgensen: Discovery of a black smoker vent field and vent fauna at the Arctic Mid-Ocean Ridge. In: Nature Communications. 1, Art.-Nr. 126. Jahrgang, 2010, doi:10.1038/ncomms1124 (englisch).
  3. Christa Schleper: Neue komplexe Archaea entdeckt. Nächste Verwandte der Eukaryoten. In: LABO Online, 7. Mai 2015. Abgerufen am 17. Februar 2016.
  4. Steffen Leth Jorgensen, Bjarte Hannisdal, Anders Lanzén, Tamara Baumberger, Kristin Flesland, Rita Fonseca, Lise Øvreås, Ida H. Steen, Ingunn H. Thorseth, Rolf B. Pedersen, Christa Schleper: Correlating microbial community profiles with geochemical data in highly stratified sediments from the Arctic Mid-Ocean Ridge. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 109, Nr. 42, 16. Oktober 2012, ISSN 0027-8424, S. E2846–E2855, doi:10.1073/pnas.1207574109 (pnas.org).
  5. Steffen Leth Jørgensen, Ingunn Hindenes Thorseth, Rolf Birger Pedersen, Tamara Baumberger, Christa Schleper: Quantitative and phylogenetic study of the Deep Sea Archaeal Group in sediments of the Arctic mid-ocean spreading ridge. In: Extreme Microbiology. Band 4, 4. Oktober 2013, S. 299, doi:10.3389/fmicb.2013.00299 (frontiersin.org).
  6. a b c d e f g h i Anja Spang, Jimmy H. Saw, Steffen L. Jørgensen, Katarzyna Zaremba-Niedzwiedzka, Joran Martijn, Anders E. Lind, Roel van Eijk, Christa Schleper, Lionel Guy, Thijs J. G. Ettema: Complex archaea that bridge the gap between prokaryotes and eukaryotes. In: Nature. Band 521, 2015, S. 173–179, doi:10.1038/nature14447, PMID 25945739, PMC 4444528 (freier Volltext).
  7. a b Paul Rincon: Newly found microbe is close relative of complex life. Auf BBC vom 6. Mai 2015.
  8. Carl Zimmer: This Strange Microbe Ma​y Mark One of Life’s Great Leaps. In: The New York Times vom 15. Januar 2020.
  9. Jonathan Lambert: Scientists glimpse oddball microbe that could help explain rise of complex life. In: Nature. Band 572, 2019, S. 294 (nature.com).
  10. Hiroyuki Imachi, Masaru K. Nobu, Nozomi Nakahara, Yuki Morono, Miyuki Ogawara, Yoshihiro Takaki, Yoshinori Takano, Katsuyuki Uematsu, Tetsuro Ikuta, Motoo Ito, Yohei Matsui, Masayuki Miyazaki, Kazuyoshi Murata, Yumi Saito, Sanae Sakai, Chihong Song, Eiji Tasumi, Yuko Yamanaka, Takashi Yamaguchi, Yoichi Kamagata, Hideyuki Tamaki & Ken Takai: Isolation of an archaeon at the prokaryote–eukaryote interface. In: Nature. Band 577, Januar 2020, S. 519–525, doi:10.1038/s41586-019-1916-6 (englisch, nature.com). Isolement d’un archéon à l’interface procaryote – eucaryote, auf: Crumpe.com (französisch).
  11. a b Thiago Rodrigues-Oliveira, Florian Wollweber, Rafael I. Ponce-Toledo, Jingwei Xu, Simon K.-M. R. Rittmann, Andreas Klingl, Martin Pilhofer, Christa Schleper: Actin cytoskeleton and complex cell architecture in an Asgard archaeon. In: Nature, Band 613, S. 332–339, 12. Januar 2023; doi:10.1038/s41586-022-05550-y, PMID 36544020, Epub 21. Dezember 2022. Dazu:
  12. Sofya K. Garushyants, Marat D. Kazanov, Mikhail S. Gelfand: Horizontal gene transfer and genome evolution in Methanosarcina. In: BMC Evolutionary Biology. 15. Jahrgang, Nr. 1, 2015, S. 1–14, doi:10.1186/s12862-015-0393-2 (englisch).
  13. a b Umesh Ghoshdastider, Shimin Jiang, David Popp, Robert C. Robinson: In search of the primordial actin filament. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 112, Nr. 30, 28. Juli 2015, ISSN 1091-6490, S. 9150–9151, doi:10.1073/pnas.1511568112, PMID 26178194.
  14. Amina Khan: Meet Loki, your closest-known prokaryote relative. In: Los Angeles Times. 6. Mai 2015.
  15. Steven G. Ball, Debashish Bhattacharya, Andreas P. M. Weber: Pathogen to powerhouse. In: Science. 351. Jahrgang, Nr. 6274, 2016, S. 659–660, doi:10.1126/science.aad8864 (englisch, sciencemag.org).
  16. UniProt: Promethearchaeota (phylum)
  17. T. Martin Embley, William Martin: Eukaryotic evolution, changes and challenges. In: Nature. Band 440, Nr. 7084, 30. März 2006, ISSN 1476-4687, S. 623–630, doi:10.1038/nature04546, PMID 16572163.
  18. J. A. Lake: Origin of the eukaryotic nucleus determined by rate-invariant analysis of rRNA sequences. In: Nature. Band 331, Nr. 6152, 14. Januar 1988, ISSN 0028-0836, S. 184–186, doi:10.1038/331184a0, PMID 3340165.
  19. Lionel Guy, Thijs J. G. Ettema: The archaeal 'TACK' superphylum and the origin of eukaryotes. In: Trends in Microbiology. Band 19, Nr. 12, 1. Dezember 2011, ISSN 1878-4380, S. 580–587, doi:10.1016/j.tim.2011.09.002, PMID 22018741.
  20. GTDB: Lokiarchaeum.
  21. NCBI Taxonomy Browser: Candidatus Lokiarchaeum, Details: "Candidatus Lokiarchaeum" corrig. Spang et al. 2015, homotypic synonym: "Candidatus Lokiarchaeon" Spang et al. 2015 (genus); graphisch: Candidatus Lokiarchaeum, auf: Lifemap (lifemap.cnrs.fr).
  22. a b c Michaela M. Salcher, Adrian-Ştefan Andrei, Paul-Adrian Bulzu, Zsolt G. Keresztes, Horia L. Banciu, Rohit Ghai: Visualization of Lokiarchaeia and Heimdallarchaeia (Asgardarchaeota) by Fluorescence In Situ Hybridization and Catalyzed Reporter Deposition (CARD-FISH). In: mSphere, Band 5, Nr. 4, Juli–August 2020; doi:10.1128/mSphere.00686-20, PMID 32727863, PMC 7392546 (freier Volltext) (englisch). Siehe insbes. Fig. 1: Kladen Loki1 (mit GC14_75), Loki4 (mit MK-D1), sowie Loki2 und Loki3 zwischen den beiden anderen, d. h. Mitglieder derselben Familie.
  23. GTDB: GCA_000986845.1 Stamm GC14_75: Failed Quality Check.