Girolamo Zanchi

Girolamo Zanchi, Kupferstich aus dem 16. Jahrhundert

Girolamo Zanchi (* 2. Februar 1516 in Alzano Lombardo; † 19. November 1590 in Heidelberg) war ein italienischer Augustinermönch in Bergamo und Lucca, Exulant, später reformierter Theologe, Alttestamentler in Straßburg und Dogmatiker in Heidelberg und Neustadt an der Weinstraße, Reformator und Prediger in Chiavenna und Autor zahlreicher theologischer Schriften.[1]

Leben

Kindheit, Jugend und Ausbildung

Zanchi wurde als Sohn des Juristen, Historikers und Dichters Francesco Terenzio Zanchi und dessen Frau Barbara Mozzi Morlotti, beide aus alten adligen Familien, in Alzano Lombardo bei Bergamo geboren. Die ganze Familie war sehr gebildet, seine Eltern starben jedoch 1528 an der Pest. Nach anfänglicher Grundausbildung bei seinem Vater und in seinem Heimatort trat er 1531 mit 15 Jahren bei den regulierten Augustinerchorherren in Bergamo ein, wo auch sein Onkel Eugenio Mozzi Morlotti und drei seiner Vettern waren. Er erlernte dort die Alten Sprachen, studierte Aristoteles und die Scholastiker; und er legte 1536 die Profess ab. Nach Abschluss seiner humanistischen Studien im Kloster S. Spirito in Bergamo, studierte er wahrscheinlich im Konvent S. Giovanni in Verdara bei Padua weiter.

Chorherr, Lehrer und Prediger in Lucca

Das Generalkapitel des Augustinerordens in Cremona sandte den Gräzisten Celso Martinengo aus Brescia, den Lateiner Paolo Lazise aus Verona und Zanchi als Chorherr 1541 ins Kloster S. Frediano nach Lucca.[2] Unter dem Einfluss des evangelisch gesinnten Priors Peter Martyr Vermigli studierte er weiter Theologie. Außer den Werken von Augustinus und der Kirchenväter gewann er Kenntnis von Huldrych Zwingli, Martin Bucer[3] und Philipp Melanchthon[4], las auch Martin Luthers Schriften und die weiterer Schweizer Reformatoren; am stärksten bestimmte ihn aber Johannes Calvin.

Auch nachdem Vermigli, Lazise und Immanuel Tremellius im Sommer 1542 von der Inquisition der Häresie verdächtigt wurden und fliehen mussten, blieb Zanchi als Lehrer an der Klosterschule zurück. 1544 übernahm er zusätzlich die Rolle als Prediger, bis er 1548 in den Konvent S. Spirito nach Bergamo zurückgerufen wurde. 1550 kehrte er erneut nach S. Frediano in Lucca zurück, wo sein Freund Martinengo inzwischen Prior geworden war. Doch dieser floh im April 1551 nach Graubünden.

Flucht nach Chiavenna, Genf und Basel

So entschloss sich auch Zanchi nach einem kurzen Abstecher zu Familienangehörigen in Alzano Lombardo, ins bündnerische Chiavenna zu flüchten. Er ging weiter nach Genf, wo er Martinengo, der nun Pastor der italienischsprachigen Gemeinde geworden war, traf und Calvins Predigten und Vorlesungen hörte. Eigentlich wollte er nach England gehen, um einen Ruf wahrzunehmen und Vermigli in Oxford zu treffen. Aber zuerst besuchte er 1553 Celio Secondo Curione in Basel, den er von Lucca her kannte, und heiratete dessen Tochter Violante.

Professor in Straßburg

Daraufhin änderte er seine Pläne und ging nach Straßburg[5], wo er als Professor für das Alte Testament berufen wurde.[6] Seine Standpunkte waren scharfsinnig, seine Auslegungen von Genauigkeit geprägt. In seiner theologischen Gesamtauffassung legte er sich weder auf die lutherische noch auf die calvinische Lehrmeinung fest, obgleich er zweiterer zuzurechnen ist. Er war einer der gelehrtesten Theologen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ohne ganz neue Ideen einzubringen, aber ein trefflicher und konsequenter Lehrer.[7]

Schon die Anfrage, sich auf die Confessio Augustana zu verpflichten, bereitete ihm Schwierigkeiten. Berufungen nach Genf und Lausanne musste er ablehnen, da man ihn in Straßburg festhielt. Aber aufhalten ließ sich die Auseinandersetzung mit dem Lutheraner Johannes Marbach nicht mehr, so dass es bei Feierlichkeiten am 19. April 1560 zu einem offenen Streit kam.[8] Zanchi hatte die Unterschiede in der Abendmahlslehre als geringfügig bezeichnet, lehrte auch streng calvinisch die Prädestination, die Vorherbestimmung des Menschen durch Gott. Nach Einholung vieler Gutachten auswärtiger Theologen wurde ein Konsens gefunden und die Einigungsformel von allen Straßburger Predigern und Professoren unterschrieben.

Als Calvin ihn wegen seiner Nachgiebigkeit tadelte und er daraufhin seine Auffassung erneut und präziser vortrug, begann der Streit von neuem.

Pfarrer in Chiavenna

Jetzt ging Zanchi aus Straßburg fort und wurde im November 1563 reformierter Pfarrer in Chiavenna als Nachfolger des soeben verstorbenen Reformators Agostino Mainardi, der dort 1545 die evangelische Kirche gegründet und geleitet hatte.[9] Hier traf er Ulisse Martinengo, den Bruder seines Freundes Celso Martinengo, und viele weitere Exulanten aus Italien. Aber es traten Spannungen auf, weil die Einheimischen den zweiten Pastor, Simone Fiorillo, bevorzugt hätten. Er meisterte diese Auseinandersetzungen eher auf eine autoritäre Art und Weise und war den meisten Glaubensgenossen intellektuell überlegen, so dass er mangels Perspektive keine vier Jahre dort blieb und im Juli 1567 ins benachbarte Plurs weiterzog.

Professor in Heidelberg

1568 erhielt er einen Ruf nach Heidelberg, wo er am 12. Februar seine Antrittsrede hielt. Am 21. Juni wurde ihm der Doktortitel in Theologie verliehen, er hielt Vorlesungen zur Dogmatik, neben Zacharias Ursinus hatte er die erste Stelle inne und wurde 1571 Rektor. Hier verfasste er einige bedeutsame Werke, meist apologetischen und polemischen Charakters. Die Darstellungsweise ist noch ganz scholastisch. Im Auftrage des reformierten Staates verfasste er schließlich 1581 eine »Harmonia confessionum fidei«, die als Gegenstück zur lutherischen „Formula Concordiae“ von 1577 die vorhandenen reformatorischen Bekenntnisse zusammenfassen sollte.

Professor in Neustadt und Tod

Als in Heidelberg durch einen Regierungswechsel 1576 von Friedrich III. zu Ludwig VI. die reformierten Professoren vertrieben wurden, ging er im Frühjahr 1578 ans Casimirianum in Neustadt an der Weinstraße, eine reformierte theologische Hochschule, die Pfalzgraf Johann Kasimir für die Vertriebenen gegründet hatte. 1583 hätte er mit der neuen Hochschule wieder nach Heidelberg zurückkehren können, aber er trat vom Lehramt zurück und verblieb wegen Alterskrankheiten und beinahe Erblindung mehrheitlich in Neustadt. Im April 1584 nahm er noch in Heidelberg an einer Disputation zwischen lutherischen und reformierten Theologen teil.[10] Auf der letzten Besuchsreise nach Heidelberg, wo er zwischendurch immer wieder weilte, verstarb er 1590 und wurde in der Universitätskirche beigesetzt.[11]

Familie

Zanchi war in erster Ehe seit 1553 mit Violante Curione (1532–1556), der Tochter des Celio Secondo Curione, und in zweiter Ehe seit 1561 mit Livia Lumaga, einer Tochter des Lorenzo Lumaga, eines reichen Händlers aus Plurs bei Chiavenna, verheiratet.[12] Von den neun Kindern überlebten vier Söhne und drei Töchter: Tito Cornelio wurde Pfarrer in Neustadt, Girolamo Roberto Pfarrer in Utrecht, Ludovico Professor für die Heilige Schrift in Leiden und Egeberto blieb bei seiner Mutter in Heidelberg. Anna Lidia heiratete Enrico Cochardo, Theologieprofessor und Pfarrer in Utrecht, Violante Giovanni Rodolfo Bovillio, Mediziner in Utrecht und Lelia Costanza Georg Gabel, Pastor in Musbach.[13]

Ehrungen

Seit 1996 ist in Bergamo eine Bibliothek nach Zanchi benannt, sie und das Archiv der Waldenser sind seit 2018 im evangelischen Kulturzentrum an der via Tasso untergebracht. Sie umfasst etwa 5.000 Werke der protestantischen Kultur seit 1700, wobei italienische und ausländische Bibelausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts und italienische reformierte Texte zum Kernbestand gehören.[14]

Schriften (Auswahl)

  • De Tribus Elohim, Aeterno Patre, Filio et Spiritu Sancto, Uno Eodemque Iehova, Corvinus, Frankfurt 1573 (gegen die Antitrinitarier):
    • In Duas Distincti Partes, Cum Indice Triplici 1: In qua tota orthodoxa de hoc magno mysterio doctrina, ex sacrarum literarum fontibus, explicatur, et confirmatur.
    • In Duas Distincti Partes, Cum Indice Triplici 2: In qua continentur refutationes, tam exceptionum, quam sophismatum: quae aduersus doctrinam, superius confirmatam, fieri ab Antichristis solent.
  • De natura Dei ... libri 5, Heidelberg 1577 und 1598.
  • Annotationes ad consilia diversorum qui de iure responderunt, Damiani Zenari, Venedig 1577 und 1583.
  • De Iesu Christi a mortuis resurrectione, in coelum ascensione, ad dextram Patris sessione, Matthäus Harnisch, Neustadt an der Weinstrasse 1581.
  • Ad Cuiusdam Ariani Libellum. Cui Titulus Est, Antithesis doctrinae Christi & Antichristi de uno vero Deo. Responsio Ad Joan. Sturmium V. Ampl. A. A. P., Harnisch, Neustadt an der Weinstrasse 1586.
  • De spirituali inter Christum et ecclesiam, Singulosque Fideles, connubio, Liber VNVS. Ad Hortium Palauicinum, Equitem Auratum, Christoph Rab, Herborn 1591.
    • The Spiritual Marriage Between Christ and His Church and Every One of the Faithful, Reformation Heritage Books, Grand Rapids 2021.
  • mit Lodovico Zanchi: De scriptura sacra, Liber nouus. Controversias Eius Argumenti omnes ex ipsis sacris fontibus, & Orthodoxorum Patrum authoritatibus accuratissima tractatione & Methodo explicans. Praefixa est eiusdem Oratio grauissima de Verbo Dei puro putoqúe in Ecclesia et Scholis conseruando. Oratio de verbo Dei puro putoque in ecclesia et scholis conservando, Josua und Matthäus Harnisch, Heidelberg, 1593
  • In Hoseam primum et difficilimum ... prophetam Commentarius, 1600.
  • De religione Christiana fides, 1601; De religione Christiana fides - Confession of Christian Religion, 2 Bände, hg. von Luca Baschera und Christian Moser, Brill, Leiden 2007, ISBN 978-90-04-16118-4.
    • La fede cristiana, hg. von Emanuele Fiume, GBU, Chieti 2011, ISBN 978-8-896-44111-4.
  • Commentarius in Epistolam sancti Pauli ad Ephesios, Johannes Adam Wormser, Amsterdam 1888 (Band 1: 1886; Band 2: 1889).

Literatur

  • Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  • Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Band 21, Seite 607.
  • Erich WennekerGirolamo Zanchi. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 14, Bautz, Herzberg 1998, ISBN 3-88309-073-5, Sp. 339–343. (archive.org)
  • Theologische Realenzyklopädie, Band 36, Seite 482–485.
  • Otto Gründler: Die Gotteslehre des Girolamo Zanchi, in: Beitrag zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche, Band 20, Neukirchen 1965.
  • Giampaolo Zucchini: Riforma e società nei Grigioni, 1978.
  • Christopher J. Burchill: Girolamo Zanchi, in: Sixteenth Century Journal, 15, 1984, S. 185–207.
  • Manfred E. Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Band 193). Mohn, Gütersloh 1985, ISBN 3-579-01663-6, S. 53–137 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  • Stephen J. Grabill: Introduction to On the Law in General, and D. Hieronymus Zanchi, Theological Writings, volume 4, 1617, übersetzt von Jeffrey J. Veenstra, Journal of Markets & Morality 6, 2003, S. 305–398.
  • Patrick O'Banion: Jerome Zanchi, the Application of Theology, and the Rise of the English Practical Divinity Tradition, Renaissance and Reformation / Renaissance et Réforme, 29, 2/3 2005, S. 97–120.
  • Jan-Andrea Bernhard: The Reformation in the Three Leagues (Grisons), in: Amy Nelson Burnett und Emidio Campi: A Companion to the Swiss Reformation, Leiden & Boston, Brill, 2016.
  • Zanchi, Hieronymus. In: Heinz Scheible (Hrsg.): Melanchthons Briefwechsel. Band 16, Personen T–Z und Nachträge. Stuttgart–Bad Cannstatt 2022, S. 359–360.
  • Girolamo Zanchi (1516-1590), Studi di Teologia N° 55, I.F.E.D.
Commons: Girolamo Zanchi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  2. Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  3. Laura Ronchi: Zanchi, Girolamo, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 100 (2020), Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 7. September 2025)
  4. Hieronymus Zanchi an M. [in Worms]. - Straßburg, 4. September 1557. In: Melanchthons Briefwechsel – Regesten online. Abgerufen am 12. Mai 2023.
  5. Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  6. Laura Ronchi: Zanchi, Girolamo, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 100 (2020), Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 7. September 2025)
  7. Emidio Campi: Girolamo Zanchi. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. Februar 2014.
  8. Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  9. Conradin Bonorand: Geschichte der Reformation in den ehemaligen Bündner Untertanenlanden, insbesondere im Gebiet von Chiavenna. Artikel in Bündner Monatsblatt, Zeitschrift für Bündner Geschichte, Landeskunde und Baukultur. Heft 1–2, 1979, Seiten 31 und 32
  10. Friedrich Wilhelm CunoZanchius, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 44, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 679–683.
  11. Laura Ronchi: Zanchi, Girolamo, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 100 (2020), Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 7. September 2025)
  12. Emidio Campi: Girolamo Zanchi. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. Februar 2014, abgerufen am 14. Februar 2020.
  13. Laura Ronchi: Zanchi, Girolamo, Dizionario Biografico degli Italiani - Volume 100 (2020), Website treccani.it (italienisch, abgerufen am 7. September 2025)
  14. Girolamo Zanchi Bibliothek, Website visitbergamo.net, abgerufen am 8. September 2025