Emmy Wechßler

Emmy Wechßler (* 17. Dezember 1883 in Neu-Ulm als Katharina Emilie Gindorfer; † 15. Juni 1969 in Ulm) war eine deutsche Theaterschauspielerin und Kommunalpolitikerin (DDP). Sie war eine der ersten Ulmer Stadträtinnen und engagierte sich zeitlebens für die Rechte, die Bildungsmöglichkeiten und die sozialen Belange der Frauen.

Karriere am Theater

Emilie Gindorfer, genannt „Emmy“, wurde am 17. Dezember 1883 in der bayerischen Garnisonstadt Neu-Ulm geboren.[1] Ihre Eltern waren der Feldwebel und spätere Kaufmann Anton Gindorfer (1838–1911) und die Ulmerin Susanna Wiblishauser (1856–1936). Emmy besuchte Schulen in Neu-Ulm und Ulm und zeigte schon früh Interesse am Theater.[2]

Von ihrem 20. Lebensjahr an war sie an verschiedenen deutschen Bühnen als Schauspielerin tätig. In der Spielzeit 1902/1903 gehörte sie dem Schauspiel-Ensemble des Stadttheaters Aachen an.[3] Von Aachen wechselte sie für die Spielzeit 1903/1904 an das Königliche Schauspielhaus in Potsdam, wo sie in der Rolle der jugendlichen tragischen Liebhaberin auftrat.[4] 1904 gab sie ein Gastspiel am Herzoglichen Hoftheater in Braunschweig.[5]

Ab 1907 ist ihr Wirken am Volkstheater München dokumentiert. Am 5. Mai 1907 trat sie dort als Gast in der Rolle der Margarete (Gretchen) in Goethes Faust I auf,[6] und am 9. Mai 1907 war sie in einer Gastrolle als Beatrice in Friedrich Schillers Die Braut von Messina zu sehen.[7] Am 10. November 1907 – an Schillers Geburtstag – übernahm sie die Rolle der weiblichen Hauptfigur Luise Miller in Schillers Kabale und Liebe.[8] Im Jahr 1908 gehörte sie laut dem Neuen Theater-Almanach dem Schauspiel-Ensemble des Münchner Volkstheater als reguläres Mitglied an.[9] Am 17. März 1908 wirkte sie in der Uraufführung eines neuen Einakter-Zyklus’ des Prager Dichterjuristen Jakob Fürth (* 1864) mit dem Titel Gegen den Strom mit[10][11] und war wenige Wochen vor ihrer Eheschließung im April desselben Jahres in München an der Seite von Albert Bassermann nochmals als Gretchen in Faust I zu sehen.[12][2]

Heirat

Die „Villa Wechßler“ links in der Bildmitte; historische Postkarte (vor 1913)

Aufsehen erregte es, als Emmy Gindorfer am 25. Juni 1908 im Alter von 24 Jahren in Ulm den 79-jährigen verwitweten ehemaligen Tabakfabrikanten Adolf Wechßler (* 1829) heiratete, der sich nach dem Verkauf seines Unternehmens als Privatier mit Erfolg als Dichter und Schriftsteller betätigte und auch einige Theaterstücke geschrieben hatte. Mit ihrem 55 Jahre älteren Ehemann teilte sie ihre Leidenschaft für Theater und Literatur. Die Ehe blieb kinderlos.

Das Ehepaar bewohnte das ehemalige Sommerhaus Adolf Wechßlers auf der Anhöhe „Wilhelmshöhe“ am Ufer der Donau in Ulm, das Adolf Wechßler zu einer Villa in Form einer romantischen Burg hatte erweitern lassen.[13] Die auffällige „Villa Wechßler“ war in jener Zeit ein beliebtes Motiv für Zeichnungen und Gemälde und zierte auch die Bildseite zahlreicher Ulmer Ansichtskarten.

Nach sechsjähriger Ehezeit starb Adolf Wechßler im August 1914 – wenige Tage nach Beginn des Ersten Weltkriegs – und hinterließ seiner jungen Witwe ein beträchtliches Vermögen.

Gesellschaftliches und politisches Engagement

Emmy Wechßlers Leben war schon vor ihrer Heirat durch ein ungewöhnlich frühzeitiges öffentliches und soziales Engagement geprägt gewesen. Als Zwanzigjährige hatte sie 1904 bereits zu den Gründungsmitgliedern der Ortsgruppe Ulm/Neu-Ulm des Frauenfördervereins „Frauenbildung – Frauenstudium“ gehört, dessen Vorsitzende sie später wurde. Dieser Verein setzte sich anfangs für eine gleichberechtigte Frauen- und Mädchenbildung und für die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium ein, er vermittelte Plätze in Kinderkrippen und vergab Stipendien an begabte junge Frauen aus Ulm.[1]

Nach dem Tod ihres Ehemannes nahm die wohlhabende 31-jährige Witwe ihr soziales und gesellschaftliches Engagement wieder auf. Während des Ersten Weltkriegs organisierte sie unter anderem die Aufführung von Puppenspielen, die sehr erfolgreich in Neu-Ulm aufgeführt wurden, und spendete die Erlöse für die Kriegswohlfahrt.[2] Ganz besonders setzte sich Wechßler in diesen Jahren für die Einführung des Frauenwahlrechts und für die politische Partizipation von Frauen ein. Diesbezüglich hielt sie beidseits der Donau in Ulm und Neu-Ulm zahlreiche öffentliche Vorträge. Sie trat in die Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein, deren linksliberales Programm ihren Vorstellungen entsprach, und ließ sich von ihrer Partei als Kandidatin für den Ulmer Gemeinderat aufstellen.

Am 11. Dezember 1919 – ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Frauenwahlrechts – zählte Emmy Wechßler gemeinsam mit Agnes Schultheiß (Zentrum) und Katharina Lutz (SPD) zu den ersten gewählten Stadträtinnen in Ulm.[1] Der Schwerpunkt ihrer kommunalpolitischen Arbeit lag auf sozial- und kulturpolitischen Themen. Dem Ulmer Gemeinderat gehörte Wechßler bis 1933 an. Wechßler war eine der beliebtesten und bekanntesten Kommunalpolitikerinnen und Bürgerinnen der Stadt Ulm.[14]

Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sie sich in der Betreuung von Verwundeten. Nach dem Ende des Krieges setzte Wechßler ihren Einsatz für die Belange der Frauen fort. Gemeinsam mit Martha Hahn, der Frau des Ulmer DVP-Vorsitzenden Friedrich Hahn, erweckte Wechßler im März 1948 den – von ihr mehr als 40 Jahre zuvor mitgegründeten – „Frauenbildungsverein“ erneut zum Leben. Dieser hatte sich im Dritten Reich 1944 aufgelöst, um seine zwangsweise Überführung in die NS-Frauenschaft zu verhindern.[1] Im Mittelpunkt der Arbeit des Vereins, der sich nun „Frauenbildung – Frauendienst“ und ab 1991 „Frauenring Ulm Neu-Ulm e. V.“ nannte, standen in den Nachkriegsjahren die Unterstützung der Frauen beim Wiederaufbau der Stadt, die Förderung der Allgemeinbildung und „die Heranführung der Frauen an ihre sozialen und staatsbürgerlichen Pflichten“.

Für ihr umfangreiches gesellschaftliches Engagement und ihre Verdienste in der Verwundetenbetreuung im Zweiten Weltkrieg wurde ihr 1958 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.[14]

Emmy Wechßler starb nach langer Krankheit am 15. Juni 1969 im Alter von 85 Jahren in Ulm.

Auszeichnungen und Ehrungen

zu Lebzeiten:

posthume Ehrungen:

  • Seit 2018 trägt ein Straßenbahnwagen der neu in Betrieb genommenen Baureihe Avenio M der Straßenbahn Ulm ihren Namen.[15]
  • Im August 2018 gab das Frauenbüro der Stadt Ulm im Rahmen einer 16-teiligen Postkarten-Serie mit dem Titel Frauen bewegen Ulm die Postkarte „Emmy Wechßler“ heraus.[16]
  • 2023 wurde der Emmy-Wechßler-Weg im Ulmer Stadtteil Söflingen nach ihr benannt.[1]

Trivia

Als eine der ersten Frauen in Ulm absolvierte Emmy Wechßler 1931 die Führerscheinprüfung. Sie gehörte zudem zu den Gründerinnen der Ulmer „Weiberfasnet“.[1]

Literatur

  • Wechßler, Katharina Emilie („Emmy“), geb. Gindorfer. In: Frank Raberg: Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm 1802–2009. Süddeutsche Verlagsgesellschaft im Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7995-8040-3, S. 456 f.
  • Hans Eugen Specker: Die Ulmer Bürgerschaft auf dem Weg zur Demokratie. Zum 600. Jahrestag des Großen Schwörbriefs. Begleitband zur Ausstellung (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Reihe Dokumentation 10), Kohlhammer, Ulm 1997, S. 373 f.
  • Frauenbüro Ulm/Ulmer Frauenforum: Ulmer Frauenbewegung im 20. Jahrhundert, Ulm 2006.
  • Frauenbüro Ulm (Hrsg.)/Marie-Kristin Hauke (Bearb.): „Frau sein heißt politisch sein“. Frauen in Ulm nach 1945, Ulm 2016 (Nachweis im Archiv der deutschen Frauenbewegung).
  • Frauenbüro Ulm (Hrsg.)/Marie-Kristin Hauke (Bearb.): Frauen wollen mehr! Die vergessene Erste Frauenbewegung in Ulm (1895–1919), Ulm 2022 (Nachweis im Archiv der deutschen Frauenbewegung)
Commons: Emmy Wechßler – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Lisa Neumann: Emmy Wechssler. In: Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Abgerufen am 9. September 2025 (mit Foto).
  2. a b c Raberg, S. 456.
  3. Die deutschen Theater, ihre Vorstände und Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge. In: Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hrsg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressen-Buch. Jg. 14. F. A. Günther & Sohn, Berlin 1903, S. 223 (Digitalisat).
  4. Die deutschen Theater, ihre Vorstände und Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge. In: Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hrsg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressen-Buch. Jg. 15. F. A. Günther & Sohn, Berlin 1904, S. 465 (Digitalisat).
  5. Die deutschen Theater, ihre Vorstände und Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge. In: Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hrsg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressen-Buch. Jg. 15. F. A. Günther & Sohn, Berlin 1904, S. 272 (Digitalisat).
  6. General-Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, 6. Mai 1907, S. 2 (Digitalisat).
  7. General-Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, 10. Mai 1907, S. 2 (Digitalisat).
  8. Münchner Neueste Nachrichten, 8. Mai 1907, S. 2 (Digitalisat).
  9. Die deutschen Theater, ihre Vorstände und Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge. In: Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hrsg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressen-Buch. Jg. 19. F. A. Günther & Sohn, Berlin 1908, S. 492 (Digitalisat).
  10. Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Bd. 2. 6. Aufl. Leipzig 1913, S. 309. In: Deutsches Textarchiv (Digitalisat), abgerufen am 16. Dezember 2024.
  11. Münchner Neueste Nachrichten, 17. März 1908, S. 3 (Digitalisat).
  12. Generalanzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, 20. April 1908, S. 2 (Digitalisat)
  13. Station 8 Wilhelmshöhe | Future History. In: future-history.eu. 31. Juli 2023, abgerufen am 9. September 2025.
  14. a b Raberg, S. 457.
  15. Straßenbahn Fahrzeuge > Avenio M > Tw 61 "Emmy Wechßler". In: ulmereisenbahnen.de. 31. Oktober 2018, abgerufen am 9. September 2025.
  16. Diana Bayer: Chancengerechtigkeit und Vielfalt – Frauen bewegen Ulm. Postkartenaktion. In: chancengerechtigkeitundvielfalt.ulm.de. 27. Juli 2023, abgerufen am 9. September 2025 (mit Downloadlink zur Postkarte „Emmy Wechßler“).