Agnes Schultheiß
Agnes Schultheiß, geborene Landmann (* 9. Januar 1873 in Danzig; † 10. Dezember 1959 in Ulm), war eine deutsche Pädagogin und eine der ersten Gemeinderätinnen der Stadt Ulm.
Leben
Agnes Landmann kam als elftes von zwölf Kindern in einer großbürgerlichen liberalen katholischen Familie aus Danzig zur Welt. Sie erhielt eine Ausbildung am Danziger Lehrerinnenseminar, arbeitete zunächst als Lehrerin bei den Ursulinen in Breslau und anschließend neun Jahre an der von ihrer Schwester geleiteten Höheren katholischen Mädchenschule in Danzig. Nach der Jahrhundertwende studierte sie als eine der ersten Frauen in Oxford und Bonn Sprach- und Literaturwissenschaften und schloss das Studium mit dem Staatsexamen ab. Während ihrer Zeit in Oxford kam sie mit der Frauenbewegung im Vereinigten Königreich und deren Kampf für das Frauenwahlrecht in Berührung. Mit ihrem Ehemann, dem Postinspektor Franz Schultheiß, ging sie 1906 nach Ulm, wo sie sich früh für die Rechte der Frau engagierte. In Ulm war sie im Jahr 1908 Mitbegründerin und 27 Jahre lang Vorsitzende des Rettungsvereins Guter Hirte, der sich schwangerer und von ihren Eltern verstoßener Mädchen annahm. Zusätzlich gründete sie 1917 den Ortsverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes, der seine Arbeit 1933 einstellen musste. Ende 1918 trat sie der Zentrumspartei bei und kandidierte 1919 bei den Ulmer Gemeinderatswahlen. Ab 1932 war sie im Verein Päpstliches Werk für Priesterberufe aktiv. Ihre Wohnung wurde während des Zweiten Weltkriegs Anlaufstelle für Priestersoldaten und Theologiestudenten. Nach dem Krieg gehörte sie zu den Neugründerinnen des Frauenbundes, dessen Vorsitzende sie bis zum Jahr 1950 war.[1]
Sie wohnte zuletzt in Ulm-Wiblingen, wo sie sich bis zu ihrem Tod sozial engagierte. Agnes Schultheiß starb am 10. Dezember 1959 im Alter von 86 Jahren in Ulm. Sie wurde auf dem Hauptfriedhof Ulm begraben.
Frauenwahlrecht
Im „Saalbau“, heute Bahnhofstraße 8, hielt Agnes Schultheiß am 7. Januar 1919 in Ulm eine Wahlrede, in der sie die Stellung der Frau zum Frauenwahlrecht thematisierte:
„Heute haben sich die Anschauungen über das Frauenwahlrecht gänzlich gewandelt. Das Recht hat die Pflicht geboren. Nehmt sie wahr! Das Gebot der Stunde heißt: politisch handeln durch Aufklärung durch die Presse, durch Einfluss auf die Männer, auf die zurückgekehrten Feldgrauen durch den Wahlzettel.“
Wahl in den Gemeinderat
Noch im selben Jahr wurde Agnes Schultheiß (Zentrum) mit Emmy Wechßler (DDP) und Katharine Lutz (SPD) als erste Stadträtinnen der Stadt Ulm in den Gemeinderat gewählt. Bis 1928 war sie als eine „besonders profilierte Vertreterin“ für den Gemeinderat aktiv. Sie soll eine gesellschaftspolitisch engagierte Frau mit großer Willensstärke gewesen sein.[3]
Ehrungen und Gedenken

zu Lebzeiten:
- 1933 wurde Agnes Schultheiß mit dem Goldenen Päpstlichen Ehrenkreuz Pro Ecclesia et Pontifice geehrt, damals die höchste päpstliche Auszeichnung, die an Frauen verliehen werden konnte.[4]
posthum:
- In Ulm erinnern seit 2002 Gedenk-Stelen an zehn herausragende Frauen oder Frauengruppen aus sieben Jahrhunderten, die sich in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Gerechtigkeit, Wirtschaft und Handwerk verdient gemacht haben. Die Stelen stehen an neun Orten in der Innenstadt und im Klosterhof Söflingen und bilden einen thematischen Weg durch die Stadtgeschichte. Die Stele Nr. 9 „Agnes Schultheiß“ steht beim Haus Bahnhofstraße 8, Ecke Mühlengasse. Der Verlauf des Weges und die Nummerierung der Stelen sind dem zugehörigen Flyer zu entnehmen.[2]
- 2014 wurde der Agnes-Schultheiß-Platz in der Ulmer Weststadt nach ihr benannt.[5]
- Seit 2018 trägt ein Straßenbahnwagen der neu in Betrieb genommenen Baureihe Avenio M der Straßenbahn Ulm ihren Namen.[6]
- In der Ausstellung Danube Women Stories 2018 im Museum Ulm wurde Agnes Schultheiß als erste Stadträtin Ulms präsentiert.[7][8]
- 2019 gab das Frauenbüro der Stadt Ulm im Rahmen seiner 16-teiligen Postkarten-Serie Frauen bewegen Ulm die Postkarte „Agnes Schultheiß“ heraus.[9]
Literatur
- Marie-Kristin Hauke (Bearb.): Frauen wollen mehr! Die vergessene Erste Frauenbewegung in Ulm (1895–1919). Frauenbüro Ulm, Ulm 2022 (auch im Archiv der deutschen Frauenbewegung).
- Frank Raberg: Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm 1802–2009. Süddeutsche Verlagsgesellschaft im Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7995-8040-3, S. 395 f.
- Ilse Schulz: Agnes Schultheiß. Eine Ulmerin aus Danzig. In: Ökumenischer Arbeitskreis Frauen und Kirche (Hrsg.): Ulmer Frauenwege im 20. Jahrhundert. 12 Lebensbilder. Süddeutsche Verlagsgemeinschaft, Ulm 2004, ISBN 3-88294-344-0 (auch im Archiv der deutschen Frauenbewegung).
- August Hagen: Agnes Schultheiß. In: Gestalten aus dem schwäbischen Katholizismus. Teil 4. Schwabenverlag, Stuttgart 1963, S. 376 ff.
Einzelnachweise
- ↑ Lisa Neumann: Agnes Schultheiss. Ulm 1919-1933, Zentrum, Haus der Geschichte, Baden-Württemberg (abgerufen am 11. September)
- ↑ a b Agnes Schultheiß. In: Frauen der Ulmer Stadtgeschichte, Flyer der Stadt Ulm, Frauenbüro. 3. Auflage, 11/2013 (Downloadlink zur PDF-Datei)
- ↑ Edeltraud Aubele: „Eure Kinder brauchen Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt!“ Frauenwahlrecht und Versorgungskrise 1919 in Ulm. In: Sabine Holtz, Sylvia Schraut (Hrsg.): 100 Jahre Frauenwahlrecht im deutschen Südwesten. Eine Bilanz. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-17-039338-7, S. 268–269.
- ↑ Raberg, S. 395.
- ↑ Verena Schühly: Treffpunkt und eigene "Neue Mitte" für die Weststadt. 24. Mai 2014, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 7. Dezember 2020; abgerufen am 28. November 2020.
- ↑ Straßenbahn Ulm: Avenio M Tw 55 Agnes Schultheiß
- ↑ Ausstellung begleitend zum Donaufest Danube Women Stories im Museum Ulm, Uni Ulm
- ↑ Sabine Geller, Christiana Weidel, Belinda Schmalekow (Hrsg.): Danube women stories. Band 2., 64 Frauen, 6 Länder, 8 Städte. danube books. Ulm 2018, ISBN 978-3-946046-22-6; S. 16–17.
- ↑ Diana Bayer: Chancengerechtigkeit und Vielfalt – Frauen bewegen Ulm. Postkartenaktion. In: chancengerechtigkeitundvielfalt.ulm.de. 27. Juli 2023, abgerufen am 13. Dezember 2024 (mit Downloadlink zur Postkarte „Agnes Schultheiß“).