Creamcheese

(2024, während der Ausstellung „Palastblühen“)
Das Creamcheese war ein Lokal in der Düsseldorfer Altstadt, das am 21. Juli 1967 eröffnete und bis Dezember 1976 bestand.
Geschichte

Gegründet von Hans-Joachim Reinert und Bim Reinert[1] und konzeptionell gestaltet von dem Bildhauer Günther Uecker, dem Filmemacher Lutz Mommartz, dem Designer Danilo Silvestrin, der im Haus selber wohnte[2], und dem Künstler Ferdinand Kriwet, entstand in der Neubrückstraße 12 ein für damalige Verhältnisse spektakuläres und originelles Lokal, wie u. a. die Frankfurter Rundschau im Januar 1968 berichtete.[3] Uecker hatte sich der von Heinz Mack und Otto Piene gegründeten Künstlergruppe ZERO angeschlossen, deren Werke sich um Licht, Bewegung, Raum und Zeit, Dynamik und Vibration drehten. Diese Elemente sollten auch das Creamcheese bestimmen.[4] Die Idee, Popmusik mit Kunst zu verbinden, beruhte auf dem Vorbild von Andy Warhols Club The Dom.[5]
Die Ausstattung, wie etwa eine 20 Meter lange Theke mit Spiegel-Lamellen-Rückwand von Heinz Mack, Titel „der Mund“, ein Gemälde von Gerhard Richter im Vorraum, das ein liegendes Mädchen zeigte, die bis zu 24 laufenden Fernseher, eine zum Podium erhobene Tanzfläche, dem „Aktionsraum“ und diverse Kunstobjekte wie ein überdimensionaler Nagel in einem Metallkäfig als Objekt von Uecker, Titel: „electric Garden“, machte das Creamcheese zu einem intellektuellen Lokal in der Zeit der End-1960er. Das Creamcheese-Manifest[6] lieferte die Programmatik des Künstlerlokals.
Ein nach seiner Aussage eifriger Besucher des Creamcheese berichtete 1968, im Jahr nach der Eröffnung des Creamcheese, als Mitautor eines Kneipenreports der Altstadt:
- Gleich am Eingang stand ein zerstörtes Fernsehgerät, dessen Uecker-Nägel von den Gästen als Souvenir mitgenommen worden waren, „ein Fernseh-Igel, dem man alle Stacheln gezogen hat“, rechts eine Pyramide aus Holz, „Zufluchtsort für Kunstfreunde mit schwachem Trommelfell“. Von der Wand mit Fernsehgeräten „von denen früher die allermeisten, jetzt jedoch nur noch 1 bis 2 das Geschehen im hinteren Raum nach vorn übertragen. Die anderen senden Bildstörungen raffiniertester Art“. An der langen Bar nur wenige Bierhocker, eng, „nicht besonders schön“. Hinter der Bar eine Faltenwand mit inzwischen einer Beule. Ein paar Schritte weiter, „in die Erde gerammt, die Discothek“, mit zwei Sitzen, einer für den Disc-Jockey. Im Lokal einige große Würfel, einer als Tanzfläche, die auf 1,20 Meter hochgehoben werden kann, außerdem eine Tribüne zum Zuschauen. Die neuesten Platten aus London und New York wurden „mit atemberaubender Lautstärke durch die Verstärker gejagt“, dazu alle paar Sekunden optische Blitze. Film- und Diaprojektoren zeigten Ausschnitte aus der Bild-Zeitung, ein tanzendes Mädchen, deutsche Panzer in Russland, Jagdflugzeuge im Angriff und Mickey Mouse. Das Altbier kostete DM 1,10 inklusive Bedienung. Geöffnet war es werktags von 19 bis 1 Uhr, sonntags ab 16 Uhr.[7]
Weit über Düsseldorfs Stadtgrenze bekannt stand der Name Creamcheese für einen progressiven Musiksound. Zu hören waren bekannte Bands wie Atomic Rooster, Iron Butterfly, Camel, Pink Floyd, Birth Control, Supertramp, Genesis, Deep Purple und Frank Zappa, der mit seinem Song Son of Suzy Creamcheese den Namen für den Insidertreff lieferte. Suzy Creamcheese ist eine fiktive Person, die unter anderem auf Zappas Album Freak Out! mehrere Auftritte hat. Uecker hatte Zappa bei seinen New York-Aufenthalten kennengelernt. Bei seinen Tourneen im Dezember 1970 und November 1971 trat Zappa auch in Düsseldorf auf und besuchte bei diesen Gelegenheiten das Creamcheese. Deutsche Gruppen wie Tangerine Dream, Can, Kraftwerk oder Freejazzer und Peter Brötzmann spielten hier live.[8]
Achim Reinert stand in seinem langen schwarzen Ledermantel mit Schaffnerkasse vor dem Bauch wie eine lebendige Skulptur an der Tür. Hinter der Theke bedienten heute bekannte Künstler, wie Blinky Palermo, Imi Knoebel oder Katharina Sieverding. Das Creamcheese zog nicht nur Musik- und Tanzbegeisterte an, sondern auch Künstler wie Joseph Beuys, Anatol Herzfeld und Günther Uecker zählten zum Stammpublikum. Angeregt durch Johann Kuiper fanden diverse „Kneipentheater“-Aufführungen statt, gefördert von den damaligen Besitzern Bim und Achim Reinert. So führten zum Beispiel die Künstler Beuys und Herzfeld am 5. Dezember 1968 die gemeinsame Aktion Handaktion und Der Tisch auf.[9] Mommartz drehte 1967/68 im Creamcheese zwei Kurzfilme: Oben / Unten[10] und Gegenüber[11]. Beide Filme zeigte Mommartz 1968 auf der Documenta 4 in seinem Zweileinwandkino.[12] Auch für Filmvorführungen und avantgardistische Modenschauen stand das Cream zur Verfügung. Mit seinen Rundscheiben, den an die Wand projizierten, kreisförmig angeordneten Worten, schaffte Krivet eine neue Art der visuellen Gestaltung von Texten, welche zusammen mit dem Stroboskoplicht ganz neue Sinnes-Eindrücke für die Besucher erzeugte.
Das Creamcheese gilt als Gesamtkunstwerk und entwickelte sich zu einem Stück Zeitgeschichte. Der langjährige documenta-Ausstellungsleiter Arnold Bode äußerte sich 1968 entsprechend: „Das ist keine Kneipe, sondern als Raum ein Gesamtkunstwerk“.[13]
Im Dezember 1976 zog das Lokal unter dem neuen Namen Cream in die Flingerstraße 11 um. Die neue Version des Lokals konnte aber an den alten Erfolg nicht mehr anknüpfen.[14]
Der Nachbau der damaligen „längsten Theke Deutschlands“ wird, mit einer Unterbrechung, im Düsseldorfer Kunstmuseum im Ehrenhof mit den Original-Exponaten ausgestellt. Das Museum hatte fast die ganze künstlerische Innenausstattung aufgekauft.[15] Erwähnung fand das Creamcheese auch in „Summer of Love“, einer Ausstellung der Tate Liverpool in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main und der Kunsthalle Wien.
Rekonstruktion
Der Kunstpalast (damals Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof) kaufte das Inventar kurz nach der Schließung des Clubs an. 2023 ließ der aktuelle Direktor des Kunstpalasts, Felix Krämer, den Raum vollständig rekonstruieren und im Museum installieren.[16][17]
Creamcheese (eingetragener Verein)
Der eingetragene Verein Creamcheese (offiziell Creamcheese e. V.) ist ein Düsseldorfer Kulturverein.
Zweck
Laut Satzung verfolgt der Verein folgende Ziele:
- „Die Pflege des Andenkens an das kulturelle Leben im und rund um das Creamcheese, das von 1967 – 1976 ein wichtiger kultureller Treffpunkt von Künstlern und anderen wichtigen Kulturträgern war.“
- „Durchführung von Veranstaltungen.“
Bezug zum historischen Creamcheese
Das ursprüngliche Creamcheese wurde am 19. April 1967 von Hans-Joachim (Achim) Reinert eröffnet und bis Ende 1976 betrieben.[18] Die Kunsthistorikerin Dr. Tiziana Caianiello beschreibt das Creamcheese als „von Reinert betriebenes Tanzlokal“, dessen Barbetrieb die Grundlage für künstlerische Aktivitäten bildete. Zeitgenössische Kritiker bezeichneten es zugleich als Gesamtkunstwerk, da Malerei, Lichtkunst, Musik, Film, Theater und Architektur hier eng miteinander verbunden waren.[19]
Vereinsgründung und Aktivitäten
Achim Reinert nutzte den Namen Creamcheese seit 1967 durchgängig im geschäftlichen Verkehr. Im Jahr 2005 wurde der Name Creamcheese als Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt durch Achim Reinert, Jost Reinert, Peter Rewald und Johannes Herriger eingetragen.[20] Herriger und Rewald gehörten später auch zu den Mitbegründern des Vereins.
Der Verein Creamcheese ging aus den fortgesetzten Aktivitäten von Gästen sowie Mitarbeitern hervor, die bereits im neuen Club „CREAM“ von Achim Reinert tätig gewesen waren und seit 1977 regelmäßig Tanz- und Musikveranstaltungen organisieren, die an die ursprüngliche Mischung aus Club- und Kunstraum anknüpfen.[21] Über viele Jahre wurden diese Veranstaltungen fast ausschließlich von Gästen aus dem harten Kern der früheren Creamcheese-Szene besucht und fanden daher kaum mediale Beachtung.
Durch die über Jahrzehnte fortgesetzte Kontinuität und das anhaltende Interesse wurde es schließlich möglich, größere Locations wie etwa die Frankenheim-Halle anzumieten – und damit auch die Aufmerksamkeit der Presse sowie eines breiteren Publikums zu erreichen.
Ab 2005 fanden größere Creamcheese–Partys in Düsseldorf statt, die von der Presse als „Zeitmaschine“ und „Revival“ beschrieben wurden.[22][23][24] Zur Veranstaltung 2006 hatte Achim Reinert laut Zeitungsberichten eingeladen und war dort zusammen mit seiner Ehefrau Bim anwesend, obwohl sie seit vielen Jahren nicht mehr zusammenlebten. Bim äußerte zunächst die Befürchtung, es könne sich um „eine schlechte Kopie“ handeln, stellte dann aber fest, dass sich das „Creamcheese-Gefühl“ eingestellt habe, und zeigte sich „sehr gerührt“.[25]
2007 nahm Achim Reinert erneut an einer Veranstaltung in der Frankenheim-Halle teil, begleitet von seiner langjährigen Lebensgefährtin Anita Wandrey. Die Besucherzahl lag dabei um ein Vielfaches höher als bei den früheren, kleineren Events.[26]
2018 kuratierte HA Schult im Mutter–Ey–Café die Ausstellung Creamcheese ist ein Gefühl mit begleitender Musikveranstaltung. Gastgeber war Uwe Schmitz von der FRANKONIA Eurobau AG', der mit der Einrichtung des Mutter Ey Cafés und der Galerie den Ort für die Ausstellung möglich machte. Unterstützt wurde das Projekt von den Düsseldorfer Jonges. Vertreter des Vereins Creamcheese wurden bei der Eröffnung neben Jost Reinert namentlich vorgestellt und gewürdigt.[27][28][29][30]
Bedeutung
- Der Verein Creamcheese dokumentiert und bewahrt die Geschichte des Creamcheese und organisiert Veranstaltungen, die die Club- und Tanztradition fortsetzen.
- Er ist Inhaber der Markenrechte und schützt den Namen vor kommerzieller Fremdnutzung.
Literatur
- Tiziana Caianiello: Der Lichtraum, Hommage à Fontana, und das Creamcheese im Museum Kunst Palast. Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre. Bielefeld: transcript, 2005.
- Thomas Hecken: Pop und Politik. Überlegungen am Beispiel des ‚Creamcheese‘ und der ‚Internationalen Essener Song-Tage 1968‘. In: Dirk Matejovski, Marcus S. Kleiner, Enno Stahl (Hrsg.): Pop in R(h)einkultur. Oberflächenästhetik und Alltagskultur in der Region. Klartext, Essen 2008, ISBN 978-3-8375-0005-9, S. 245–264.
- Tiziana Caianiello: Der "Lichtraum (Hommage à Fontana)" und das "Creamcheese" im museum kunst palast: Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre (Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement); transcript Verlag; 1. April 2005, ISBN 978-3-89942-255-9, S. 95–164
- Uwe Husslein (Hrsg.): Pop am Rhein; Verlag Walther König; 10. Dezember 2007, ISBN 978-3-86560-375-3, S. 8–45
- Alexander Simmeth: Krautrock transnational: Die Neuerfindung der Popmusik in der BRD, 1968–1978; transcript Verlag; 16. Juni 2016, ISBN 978-3-8376-3424-2
Weblinks
- Schirn Magazin: Kunst ist Unterhaltung ist Pop ist Creamcheese von Marie-Sofie Beckmann, 11. Dezember 2014
- Schirn Magazin: In Düsseldorf ging dann die Post ab von Sabine Weier, 9. Januar 2015
- Creamcheese-Radioclip bei YouTube
- Düsseldorf, Altstadt 1975 (Creamcheese: ab Minute 5:47 bis 6:58) bei YouTube
- Video der Veranstaltung „Creamcheese ist ein Gefühl“
- Creamcheese e. V.
Einzelnachweise
- ↑ Clemens von Looz-Corswarem, Benedikt Mauer (Hrsg.): Das grosse Düsseldorf Lexikon. Greven Verlag, Köln 2012, ISBN 978-3-7743-0485-7, S. 576.
- ↑ Silvestrin Danilo Neubrück 12. In Adreßbuch für die Landeshauptstadt Düsseldorf 1968. S. 647 (uni-duesseldorf.de)
- ↑ Antonia Loick: Was war los in Düsseldorf 1950–2000. Sutton, Erfurt 2000, ISBN 3-89702-273-7, S. 43.
- ↑ Uwe Husslein (Hrsg.): Pop am Rhein; S. 10–11
- ↑ Alexander Simmeth: Krautrock transnational: Die Neuerfindung der Popmusik in der BRD, 1968-1978; S. 113
- ↑ Creamcheese-Manifest In: emuseum.duesseldorf.de. Abgerufen am 27. Mai 2020
- ↑ Helmuth Hartmann, Franz F. Froeb, Peter Andreas: In out – ein Reprt. Die Düsseldorfer Altstadt. Dr. Wolfgang Schwarze Verlag, Wuppertal 1968, S. 238–253
- ↑ Uwe Husslein (Hrsg.): Pop am Rhein; S. 12 und S. 25
- ↑ Dietmar Kirves Filmdokumentationen In: kirves.no-art.info. Abgerufen am 27. Mai 2020.
- ↑ Lutz Mommartz: Oben / Unten, Kurzfilm 1967. mommartzfilm.de, abgerufen am 24. November 2022.
- ↑ Lutz Mommartz: Gegenüber, Kurzfilm 1968 ( vom 7. März 2017 im Internet Archive), auf mommartzfilm.de
- ↑ Fallstudie 6: Lutz Mommartz, Zweileinwandkino, 1968 In: stiftung-imai.de. Abgerufen am 27. Mai 2020
- ↑ Antonia Loick: Was war los in Düsseldorf 1950–2000. Sutton, Erfurt 2000, ISBN 3-89702-273-7, S. 44.
- ↑ Tiziana Caianiello: Der "Lichtraum (Hommage à Fontana)" und das "Creamcheese" im museum kunst palast; S. 127
- ↑ Manfred Schwarz: Gestrandete Himmelfahrt. In: Die Zeit. 17. September 2009, Nr. 39 (Artikel im Portal creamcheese-ev.de ( vom 23. Februar 2017 im Internet Archive), abgerufen am 27. März 2015).
- ↑ Legendärer Club „Creamcheese“: Atemlos durch die Nacht, Annette Bosetti, Rheinische Post, Düsseldorf, 28. September 2023
- ↑ Rekonstruktion des legendären CREAMCHEESE im neuen Kunstpalast, Website des Kunstpalast, Düsseldorf, abgerufen am 5. Oktober 2023
- ↑ Caianiello, Tiziana: Der Lichtraum, Hommage à Fontana, und das Creamcheese im Museum Kunst Palast. Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre. Bielefeld: transcript, 2005, S. 74.
- ↑ Caianiello 2005, S. 74.
- ↑ Deutsches Patent- und Markenamt (DPMA), Registernummer 30468830, Anmeldetag 4. Dezember 2004, Eintragung 19. April 2005. Weitere Eintragungen: Nr. 302015209074 (Anmeldetag 28. Mai 2015, Eintragung 24. August 2015); Nr. 302021110327 (Anmeldetag 11. Juni 2021, Eintragung 10. November 2021).
- ↑ Google Arts & Culture: Creamcheese, Düsseldorf
- ↑ Rheinische Post, 3. Oktober 2005: „Das Creamcheese lebt“.
- ↑ NRZ, 3. April 2006: „Zeitmaschine“.
- ↑ WZ, 3. April 2006: „Creamcheese – die Legende lebt“.
- ↑ Express, 3. April 2006: „Wunderbares Creamcheese“.
- ↑ Denkotainment.de, März 2007: „Kult in Düsseldorf – das war der Geist der 68er“. Archivlink
- ↑ Lokalbüro Düsseldorf, 19. Oktober 2018: „Creamcheese – ein Gefühl“ (Archivlink)
- ↑ Express Düsseldorf, Oktober 2018: „Altstadt feiert das Creamcheese“.
- ↑ Wolfgang Frings: „Erinnerungen an das Creamcheese – Creamcheese ist ein Gefühl“. In: das tor. Düsseldorfer Jonges, Nr. 12/2018, S. 16–17. Archivlink
- ↑ Eröffnung der Creamcheese-Ausstellung 2018 (Vimeo), aufgenommen von Holger Stoldt, letzter Barkeeper des Creamcheese.