Carl Henning

Carl Johann Henning, auch Karl Henning (* 14. Februar 1860 in Broos, Siebenbürgen; † 3. Juni 1917 in Wien) war ein Siebenbürger Arzt, Leiter des Wiener Instituts für Moulagen, Erfinder der kolloidalen Abformmasse „Elastine“ sowie der elastischen Henning-Prothese und Lyriker.
Leben

Carl Henning war ein Sohn des Siebenbürger Finanzrats, Lyrikers und Dichters Gottfried Wilhelm Henning (Pseudonym „Erwin Sachs“), einer der ersten Übersetzer ungarischer Lyrik ins Deutsche.[1] Carl zeigte früh künstlerisches und sprachliches Talent. Er besuchte deutsche und ungarische Schulen, studierte Medizin zunächst in Klausenburg und anschließend in Wien. Im Jahr 1888 wurde Carl Henning von der medizinischen Fakultät Wien zur Promotion sub auspiciis imperatoris nominiert und zum Doktor der Medizin promoviert.
Er assistierte den renommierten Wiener Chirurgen Theodor Billroth und Carl Gussenbauer als sogenannter Operationszögling. Wegen seiner Doppelbegabung als Mediziner und Künstler wurde er, nach einem Studienaufenthalt am Pariser Hospital St. Louis, in der Hautklinik von Moriz Kaposi mit der Leitung eines kleinen Moulage-Laboratoriums betraut. Im Jahr 1893 wurde ihm die Leitung des 1. Wiener Moulageninstituts übertragen. Ab 1897 führte er das Universitätsinstitut für Moulagen als Vorstand im Range eines Primararztes.
Carl Henning war Turner und naturbegeisterter Wanderer und Radfahrer. Seinen sieben Kindern war er ein strenger, aber fürsorglicher Förderer und Erzieher. In Ausübung seines Berufs zog er sich eine Blutvergiftung zu, an der er 1917 verstarb. Er ruht im Familiengrab in Klosterneuburg.
Wirken
Carl Henning stellte während des Sezierens fest, dass beim Menschen der Darm zehnmal länger ist als die jeweilige Körperlänge. Seine diesbezüglichen Erkenntnisse publizierte er im Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften in Berlin unter dem Titel Über die vergleichende Messung der Darmlänge. Aufgrund seiner Forschung kam Henning zu dem Ergebnis, dass der Mensch nicht zu den Allesfressern, sondern zu den pflanzenfressenden Säugetieren gerechnet werden muss. 1886 publizierte er einen Systematisch-topographischen Atlas der Anatomie des Menschen mit dreidimensional wirkenden Kupferstichen des Knochenskeletts.
Noch als Student wurde er daraufhin von seinen Professoren, unter anderen Ernest Finger, Moriz Kaposi, Karl Langer von Edenberg, Isidor Neumann und Gustav Riehl (Mediziner, 1855) mit der Illustration einiger ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen durch Kupferstiche und mehrfarbige Lithografien beauftragt.

Im Zuge der Herstellung seiner Moulagen erfand Henning die Abformmasse „Elastine“, deren Nutzung – auch in der Zahnmedizin – große Vorteile gegenüber dem Gipsabdruck brachte, sowie Gussmassen aus Naturharzmischungen. Dank dieser Technologien und der künstlerisch hochwertigen Bemalung überzeugten seine Moulagen auf dem II. Internationalen Dermatologischen Congress in Wien 1892 durch ihre präzise und lebensechte Darstellung. Auf dieser Basis entwickelte er danach die sogenannte „elastische Henning–Prothese“. Dank dieser Erfindungen konnte den durch Syphilis Entstellten, und nach 1914 vor allem den vielen Kriegsverstümmelten des Ersten Weltkriegs geholfen werden, wieder ein „unauffälliges“ Aussehen zu erlangen.
Bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 1917 fertigte Carl Henning Tausende naturgetreue Modelle von Krankheitsbildern zu Unterrichtszwecken an. Sein Lebenswerk befindet sich heute in der Welt größter Moulagen-Sammlung, ausgestellt in der pathologisch-anatomischen Abteilung[2] des Naturhistorischen Museums Wien im sogenannten Narrenturm des Alten Allgemeinen Krankenhauses Wien.
Familie
Carl Henning war mit der Schriftstellerin und Lyrikerin Thusnelda Henning, Tochter des Bildhauers und Kunsterziehers Friedrich Hermann aus Kronstadt, verheiratet. Sie war in ihrer Heimat sehr geschätzt, da sie in ihrem Roman Der hölzerne Pflug auch die Geschichte und die Bräuche der Siebenbürger Sachsen vor dem historischen Hintergrund der Ungarischen Revolution 1848/1849 umfassend dokumentiert hatte.

Einer der Söhne, Theodor Henning (* 13. Oktober 1897 in Wien; † 5. September 1946 in Salzburg), studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien und München und wurde Bildhauer. Er war schon als Obergymnasiast Demonstrator im Moulagen-Institut seines Vaters. Nach dessen Tod wurde er 1917 zum Leiter dieses Instituts ernannt. Er führte die Arbeit des Vaters zunächst im Institut, ab 1920 als freischaffender Künstler fort und vervollkommnete die Verfahren Carl Hennings zur Herstellung von Moulagen und kosmetischen Gesichtsprothesen. Diese Technologie wandte er auch bei der Anfertigung von Totenmasken an, zum Beispiel für Ludwig Salvator von Österreich-Toskana, Julius Wagner-Jauregg und Kardinal Friedrich Gustav Piffl.
Sein jüngerer Bruder, Harald Henning (* 21. März 1907 in Wien; † 6. November 1946 in Klagenfurt an den Folgen einer Kriegsverletzung), studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er nutzte ebenfalls das ererbte künstlerische Talent, wirkte zuerst als Erzieher und ab dem Jahr 1937 als Studienrat an der Staatsgewerbeschule Villach.[3]
Der jüngste Sohn Carl Hennings, Walter Henning (* 10. Februar 1909 in Wien; † 3. März 1976 in Wien), sein Sohn Diether Henning sowie ein Sohn Harald Hennings, Klaus Henning – bis zu seinem Tod Leiter der Urologischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt – setzten die medizinische Tradition der Familie fort.
Werke

- Systematisch-topographischer Atlas der Anatomie des Menschen. Toeplitz & Deuticke, Wien 1886. Nachdruck E-Book on Demand: Reprint of the Original from 1886, ISBN 3-226-00332-1.
- Lebensfluten. Karl Graeser & Kie. Verlagsbuchhandlung, Wien 1922 (posthum herausgegeben).
Henning verfasste zu Lebzeiten zwei lyrische Gedichtbände:
- Aus Herzenstiefen (1897)
- Freilicht (1909)
Literatur
- Henning, Karl. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 2, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1959, S. 274. (Online).
- Isidor Fischer: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band I Aaser–Komoto, Urban & Schwarzenberg, München 1962.
- Felix Czeike (Hrsg.): Henning, Karl. In: Historisches Lexikon Wien. Band 3, Kremayr & Scheriau, Wien 1994, ISBN 3-218-00545-0, S. 143 (Digitalisat).
- Walter Myß (Hrsg.): Lexikon der Siebenbürger Sachsen. Wort und Welt, Thaur 1993, ISBN 3-85373-140-6, S. 186.
- Arnold Huttmann: Siebenbürgische Ärzte als Universitätsprofessoren in Österreich. In: Arnold Huttmann (Herausgeber): Medizin im alten Siebenbürgen, Hora Hermannstadt/Sibiu 2000, S. 362–363.
- Hermann A. Hienz: Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen VII, H–J. In: Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 75.
- Gustav Riehl: II. Internationaler Dermatologischer Congress in Wien 1892: Bericht über die Verhandlungen. Classic Reprint, Taschenbuch, 24. August 2018.
- Isidor Fischer: Das Wiener Moulage-Institut. Sonderdruck aus: Die österreichische Krankenhausverwaltung, Wien, Jahrgang 1935, Mai-Nummer.
- Karl Alfons Portele: Die Moulagensammlung. Mitteilung des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums, Wien 1977.
- Wolfgang U. Eckart: Die im Dunkeln sieht man nicht. Zerschlagen, verstümmelt, registriert und vergessen: Was die Vernichtungsmaschinerie des Ersten Weltkriegs produzierte. In: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli 2004, S. 12.
- Henrik Eßler: Krankheit gestalten. Eine Berufsgeschichte der Moulagenbildnerei. transscript Verlag, Bielefeld 2022.
- Barbara Weiss: Dr. Carl Henning – ein runder Geburtstag. In: Amtsblatt der Stadtgemeinde Klosterneuburg, Ausgabe 02 20, S. 31.
Ehrung
Im Narrenturm des Naturhistorischen Museums Wien wurde im Jahr 2015 in der Pathologisch-anatomischen Sammlung in einer der Zellen ein „Henning-Raum“, in Zusammenarbeit mit einem Enkel Carl Hennings, geschaffen. Dieser Raum dokumentierte Biografie und Werke der beiden Moulageure Carl und Theodor Henning. Nach der umfassenden Restaurierung des Narrenturms wurde dieser öffentlich zugängliche Raum im Jahr 2025 neu gestaltet.
Weblinks
- Julius Henning: Bedeutender Arzt und Lyriker: Dr. Carl Henning starb vor 100 Jahren. In: Siebenbürgische Zeitung. Zeitung der Gemeinschaften der Siebenbürger Sachsen, 21. Juni 2017 (online).
- Karl Henning im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
- Personalakte des Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (online).
- Dr. Carl Henning – dem Schrecken des Krieges ein neues Gesicht geben. In: Amtsblatt der Stadtgemeinde Klosterneuburg, 21. Oktober 2022 (online).
- Klaus Jeschke: Historie der Abteilung für Urologie in Klagenfurt. Website des Landeskrankenhauses (online).
- Naturhistorisches Museum Wien: Die Kunst der Moulage – verewigte Krankheitsbilder. Sonderausstellung im Narrenturm 2025 (online).
Einzelnachweise
- ↑ „Henning, Gottfried Wilhelm“. In: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 2. Wien 1959, S. 274.
- ↑ Karl Alfons Portele: Die Moulagensammlung des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums in Wien. Nr. 1. Mitteilungen des Pathologisch-anatomischen Bundesmuseums, Wien 1977.
- ↑ Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Bestand) – Deutsche Digitale Bibliothek. Abgerufen am 30. August 2025.