Zaouia

Zaouia in Hergla, Tunesien
Zaouia Sidi al Bahi, Tunis
Zaouia Sidi Bel Abbes, Marrakesch
Zaouia von Tamegroute, Marokko

Der Begriff Zāwiya (arabisch زاوية, DMG zāwiya ‚Ecke‘) oder Zaouïa bezeichnet in den Ländern Nordafrikas ein Gebäude, das dazu dient, Reisende und Mitglieder einer örtlichen Sufī-Bruderschaft unterzubringen und zu verpflegen.[1] Als soziale Institution nimmt sie allerdings noch eine große Bandbreite weiterer Funktionen wahr. Im Englischen manchmal als Lodge übersetzt, ist die Zāwiya vor allem ein Treffpunkt für spirituelle Aktivitäten und religiöse Unterweisung. In diesem Sinne ist sie das maghrebinische Gegenstück zur Tekke. In der östlichen islamischen Welt wurde der Begriff Zāwiya häufig speziell auf eine kleinere Moschee oder einen Versammlungsort der Sufī angewendet. Im Maghreb hingegen wird eine Zāwiya typischerweise mit einer religiösen Abstammungsgruppe in Verbindung gebracht. Da sie häufig die Qubba oder das Grab eines „heiligen Mannes“ (walī oder Marabout) beherbergt und von einem Friedhof umgeben ist, dient sie oft auch als Heiligtum und Wallfahrtsort.[2] Der Name ging in manchen Fällen auch auf den gesamten Ort über (z. B. Zaouia d’Ifrane oder Zaouiat Ahansal). In Städten gibt es oft mehrere Zaouias, an deren Spitze jeweils ein cheikh steht.

Geschichte

Im Koran und in den Hadithen ist die Heiligenverehrung mit keinem Wort erwähnt; eine religiöse Verehrung gebührt nur Allah. Die Entstehung der ersten islamischen Zaouias liegt somit im Dunkeln; es ist jedoch anzunehmen, dass ein Großteil des dahinterliegenden Gedankenguts auf vorislamische (manchmal vielleicht auch auf jüdisch-christliche) Traditionen zurückgreift. Während sich die ersten Bruderschaften vorwiegend religiösen oder quasi-religiösen Zielen widmeten, wandten sie sich in Zeiten innerer und äußerer Krisen auch politisch-sozialen Zielen zu. In Marokko beispielsweise gewannen die Zaouias unter der eher schwachen Herrschaft der Meriniden (1269–1465), Wattasiden (1465–1554) und Saadier (1554–1667) verstärkt an innenpolitischem Einfluss, den selbst die offiziell erst seit 1667 an der Macht befindlichen Alawiden anfangs kaum kontrollieren konnten; erst Moulay ar-Raschid (reg. 1664–1672) gelang es im Jahr 1664 in einer mehrtägigen Schlacht bei Meknès, die um das Jahr 1566 gegründete und überaus mächtig gewordene Dila-Bruderschaft auszuschalten und vier Jahre später deren Stammsitz ad Dila im Mittleren Atlas zu zerstören.

Funktion

Neben ihrer identitätsstiftenden Funktion als quasi-religiöser Mittelpunkt eines ländlichen Ortes oder Gebietes, die in jährlichen Pilgerfahrten und -festen (moussems) zum Ausdruck kommt, widmeten sich die Mitglieder einer Bruderschaft in früherer Zeit auch pädagogisch-schulischen und medizinisch-psychologischen Aufgaben. In manchen Fällen wird das Grabgebäude des heiligen Mannes ganzjährig von Hilfesuchenden in Krankheitsfällen physischer oder psychischer Art oder bei Kinderlosigkeit aufgesucht.

Architektur

Während Außenkuppeln in der Maurischen Kunst des islamischen Westens (maghreb) nahezu unbekannt sind, schließen die kleineren Marabout-Grabmäler oder Zaouias nach oben häufig mit Kuppeln ab; einige haben auch Pyramidendächer. Manche dieser Grabbauten haben nur eine schlichte Eingangstür; andere verfügen über einen mehr oder weniger großen ummauerten Vorhof, der dem Gebäude insgesamt den Charakter einer kleinen – minarettlosen – Moschee verleiht.

Siehe auch

Literatur

  • Sheila Blair: “Zāwiya. 1. Architecture” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden 2002. Bd. XII, S. 466b–467a.
  • Octave Depont und Xavier Coppolani: Les Confréries religieuses musulmanes. Algier 1897, Reprint Paris 1987, ISBN 2-7200-1051-0[3]
  • J. G. Katz: “Zāwiya. 2. North Africa” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden 2002. Bd. XII, S. 467b–468b.
  • Mohammed Lahlou: Zaouïa et développement culturel au Maroc. Édilivre, Paris 2015, ISBN 978-2332841612
  • D.B. Little: “The nature of khānqāhs, ribāṭs, and zāwiyas under the Mamluks”, in Islamic studies presented to Charles P. Adams. Brill, Leiden 1991. S. 91–105.
Commons: Zaouia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden 2002. Bd. XII, S. 466b.
  2. Katz: “Zāwiya. 2. North Africa”. 2002, S. 467b
  3. Octave Depont und Xavier Coppolani: Les Confréries religieuses musulmanes – Inhalt