Xeneion

Unterschriften der Gründungsmitglieder von Xeneion, aufbewahrt in der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg

Das Xeneion war ein 1810[1] oder 1811 gegründeter Zusammenschluss philhellenischer europäischer Reisender, Künstler und Archäologen. Die Vereinigung spielte im Zuge ihrer Entdeckungs- und Ausgrabungsreisen eine bedeutende Rolle in den frühen Jahren der Klassischen Archäologie, insbesondere durch die Entdeckung des Aphaiatempels 1811 sowie die Freilegung des Apollontempels bei Bassae 1812.[2][3] Letzterer Tempel ist heute als UNESCO-Welterbe anerkannt.[4]

Nach vorliegender Literatur wird das Xeneion als erste internationale Gesellschaft von Archäologen bezeichnet.[5] Es inspirierte die Gründung weiterer einschlägiger Vereinigungen.[6]

Geschichte und Organisation

Eine größere Gruppe um Carl Haller von Hallerstein, Cockerell, Peter-Oluf Bröndtstedt, John Foster, Linckh, von Stackelberg und John Lee[2] gründeten das Xeneion im Jahr 1810[1] in Athen[1] oder 1811[5] in Rom[5].[7] Einem weiteren Hinweis nach kam es zur offiziellen Gründung am 8. November 1811 in der „Athener Residenz der Briten“.[8] Die erste gemeinsame Reise führte 1811 nach Athen, um von dort aus nach Ägina zu gelangen.[3]

Im Jahr 1812 trafen mehrere Mitglieder auf Zakynthos weitere Persönlichkeiten des damaligen archäologischen und diplomatischen Umfeldes, darunter den österreichischen Konsul Georg Christian Gropius, den Engländer Thomas Legh sowie Johann Martin von Wagner, Agent des bayerischen Kronprinzen Ludwig. Von dort aus reiste die Gruppe zu den Ionischen Inseln, wo sie von Oberst Charles Philippe de Bosset empfangen wurde.[2]

Die Reise durch Griechenland endete 1814.[3] Brøndsted kehrte nach Dänemark zurück, Gropius und Linckh gingen fort, Haller verlor bei einem Sturm seine Zeichnungen, doch das Xeneion blieb als idealistische Vereinigung in Erinnerung, die Wissenschaft, Kunst und ein bewusst einfaches Leben in Griechenland verband.[9]

Als Erkennungsmerkmal trugen die Mitglieder der Vereinigung Siegelringe aus antiker Bronze mit der Eule der Minerva, die sie am 12. November 1811 nach einem Entwurf von Otto Magnus von Stackelberg erhielten.[8]

Charta der Xeneion, aufbewahrt in der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg

Die Charta des Xeneion, aufbewahrt in der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, verlautet:[10]

„XENEION ist das Pfand der Wertschätzung und des Gefühls: der Ring ist der Schlüssel des Herzens und des Hauses, und es ist die Pflicht eines jeden Mitglieds, sobald er den Ring erhält, dessen Träger als seinen wahren und eigentlichen Freund aufzunehmen und ihn mit aller Ehrlichkeit und aller Gastfreundschaft zu empfangen, die er aufzubringen vermag.

Es steht uns sieben ersten XENEIOI frei, die Zahl der Gesellschaft zu erweitern; und jedes neue Mitglied, sobald es den Ring zusammen mit einem von Hand geschriebenen Exemplar der Statuten erhält, soll in gleichem Maße alle Rechte und Privilegien genießen, die dieses Zeichen verleiht – mit Ausnahme des Rechts, sie an weitere Personen weiterzugeben.

Jeder würdige Mann, gleich welcher Nation, Religion oder Alters, kann nach der Aufnahme als XENEIOS streben; die einzige wesentliche Eigenschaft ist die Begeisterung für Griechenland, die alte Literatur und die schönen Künste.

Jedes ursprüngliche Mitglied kann beim Tod seine Rechte schriftlich und vor Zeugen an den Freund vermachen, den es am würdigsten erachtet, indem es ihm zusammen mit dem Ring die Urkunde der Gesellschaft übergibt. Es ist die Pflicht des Erben, bei erster Gelegenheit seine Anerkennung durch die übrigen Mitglieder zu erlangen.

Die XENEIOI bilden ein Volk für sich; sobald der Ring am Finger steckt, wird er nie wieder abgelegt. Die zufälligen Unterschiede der Nationen sind aufgehoben, und man wird gänzlich und ausschließlich XENEIOS.“

Carl Haller von Hallerstein, Georges Roux

Ausgrabungen

Ionische Inseln

Auf Kefalonia untersuchten die Mitglieder Stätten wie Krane, Same und Skala. Den Höhepunkt bildeten die Untersuchungen auf Ithaka, das durch die Schriften von William Gell mit den homerischen Schauplätzen des Odysseus identifiziert worden war. Dort führten sie erste systematische Ausgrabungen auf dem Aetos sowie bei den Ruinen der sogenannten „Schule Homers“ im Norden der Insel durch.[2]

Die Arbeiten wurden jedoch durch die wiederholten Eingriffe des korsischen Gouverneurs Guitiera erschwert, der von den „Schätzen“ des Aetos angelockt, eigene Grabungen unternahm. Bei den Ausgrabungen kamen reiche Grabbefunde aus der hellenistisch-römischen Zeit zutage. Es wurden Schmuck, Gefäße aus Gold, Silber und Bronze, Keramik, Bronzefiguren, Terrakotten und Münzen gefunden.[2]

Die Interpretation dieser Funde wurde stark durch die „homerische Topographie“ (Deutung von Landschaft durch Dichtung Homers als Landkarte) geprägt. So wurde in der Darstellung einer Frau auf einem Goldring Penelope beim Opfer für die Rückkehr ihres Gatten gesehen, während ein silbernes Gefäß mit dem Pileus des Odysseus assoziiert wurde.[2]

Ägina und Arkadien

Ruinen des Aphaiatempels auf Ägina (2014)
Apollontempel bei Bassae (1982)

1811 begannen Cockerell und Haller von Hallerstein mit Vermessungen am Aphaiatempel auf Ägina.[5] Dabei stießen sie auf sechzehn Skulpturen aus der Übergangszeit zwischen Archaik und Klassik,[5][1] darunter zwei Köpfe im Pronaos.[5] In den folgenden Tagen wurden weitere Fragmente aus den Giebeln geborgen.[5] Charles Robert Cockerell spielte eine Schlüsselrolle bei den Ausgrabungen in Ägina und Bassae.[2]

Während der Grabungen am Apollontempel von Bassae in Arkadien[5] lebten die Mitglieder mehrere Monate in einfachsten Verhältnissen zusammen mit einheimischen Hirten und Bauern, was sie als eine „arkadische“ und sorgenfreie Zeit empfanden. Stackelberg erinnerte sich später an diese Gemeinschaft als Ausdruck des Gründungsspruchs des Xeneion und veröffentlichte die wissenschaftlichen Ergebnisse in seinem Werk Der Apollotempel zu Phigalia.[9]

Wirkung und Rezeption

Die ausgegrabenen Figuren der Ostgiebel des Aphaiatempels auf Ägina in der Glyptothek (München)
Fries des Apollontempels von Bassae / Phigalia im British Museum

Die lokale Bevölkerung auf Ägina begegnete den Arbeiten mit Skepsis und schrieb den Statuen übernatürliche Kräfte zu. Trotz Widerstands gelang es den Forschern, die Funde für geringe Summen zu erwerben und nach Athen zu bringen, wo sie dokumentiert und abgeformt wurden.[5] Im August 1813 kamen die Skulpturen aus Ägina dann nach Rom.[3] Bald darauf setzte ein internationaler Wettlauf um die Skulpturen ein. Cockerell bemühte sich um eine Übertragung an das British Museum, während Haller von Hallerstein die Interessen des bayerischen Kronprinzen Ludwig vertrat. Auch Frankreich meldete Ansprüche über den Diplomaten Fauvel an, der die Stücke für das Musée Napoléon (heutiger Louvre) gewinnen wollte. Schließlich kam es 1813 durch Vermittlung von Johann Martin von Wagner[3] zu einem Vertrag zugunsten Bayerns. Für 120.000 Mark gingen 18 Statuen und zahlreiche Fragmente in den Besitz des Kronprinzen über. Vor der Ausstellung in der Münchner Glyptothek wurden die Werke von Bertel Thorvaldsen umfassend restauriert. Die Vorgänge lösten internationale Kritik aus, da eine ursprünglich angekündigte Auktion nicht stattfand. Erst zwei Jahre nach Vertragsabschluss trafen die Stücke in München ein.[5]

Einige Zeitgenossen bezeichneten die Mitglieder der Vereinigung als „Räuber der Antike“.[5]

Die Nachricht von den Funden auf Ithaka, die als erste Entdeckung dieser Art in Griechenland galt, verbreitete sich schnell im In- und Ausland. Lokale Blätter wie die Ἐφημερὶς τῶν ἐλευθερωμένων Ἰωνικῶν νήσων berichteten ebenso wie die englische Presse. Sie trugen dazu bei, Ithaka als „Vaterland des Odysseus“ ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken.[2]

Gleichzeitig erlangte der korsische Gouverneur Guitiera von Kefalonia einen zweifelhaften Ruf, da er viele der Metallobjekte einschmelzen ließ, um daraus Messer und Gabeln herzustellen.[2]

Einige Mitglieder des Xeneion traten auch in Kontakt mit Ali Pascha von Ioannina. Der dänische Archäologe Peter Oluf Brøndsted hielt sich von Dezember 1812 bis Februar 1813 in Ioannina auf und schilderte ihn in seinen Aufzeichnungen als „außergewöhnlichen alten Mann“, der sich für vieles interessierte. Ali bot an, Ausgrabungen in Albanien zu unterstützen, sofern er an den Funden beteiligt würde. Gemeinsam mit Brøndsted wurden kleinere Grabungen in Nikopolis durchgeführt. Auch Carl Haller von Hallerstein machte Beobachtungen zu Ali Pascha und seinem Umfeld.[11]

Das Beispiel des Xeneion führte am 1. September 1813 zur Gründung der Gesellschaft der Philomusen.[12] Weiterhin inspirierte es die Gründung der Römischen Hyperboreer und des späteren Deutschen Archäologischen Instituts.[6]

Einzelnachweise

  1. a b c d Jean-Marie-Dominique Ingres (1780-1867) and Bertel Thorvaldsen (1770-1844) - The Thorvaldsens Museum Archives. Thorvaldsen-Museum, 18. Juli 2023, abgerufen am 3. September 2025 (englisch).
  2. a b c d e f g h i Francesca Crema: Le isole Ionie dall’arcaismo all’età classica: tradizioni epiche e strutture storiche fra centralità e periferia nel mondo greco : prospettive storiografiche. [Die Ionischen Inseln von der Archaik bis zur Klassik: Epische Traditionen und historische Strukturen zwischen Zentralität und Peripherie in der griechischen Welt: historiographische Perspektiven]. 11. Dezember 2014, S. 44 f. (italienisch, unive.it [abgerufen am 2. September 2025]).
  3. a b c d e Laura Moreschini: Ein Weiteres Gemälde mit dem Bildnis Stackelbergs. In: ARCHAEOLOGISCHE AINZIGER JDL. 1. Januar 2011, S. 253 f. (academia.edu [abgerufen am 3. September 2025]).
  4. UNESCO World Heritage Centre: Temple of Apollo Epicurius at Bassae. Abgerufen am 3. September 2025 (englisch).
  5. a b c d e f g h i j k ISIDRO M. FERNÁNDEZ TAPIAS: El templo de Afaia en la isla de Egina. [Der Aphaiatempel auf der Insel Ägina]. In: Revista de Claseshistoria. Nr. 284, 15. März 2012, ISSN 1989-4988, S. 5–7 (spanisch, unirioja.es [PDF]).
  6. a b Ève Gran-Aymerich: Les Chercheurs du passé. CNRS éditions, Paris 2007, ISBN 978-2-271-06538-4, S. 885 f., 1271 (französisch).
  7. Evangelos Konstantinou: Griechenlandbegeisterung und Philhellenismus. In: Thomas Bremer (Hrsg.): Europäische Geschichte Online (EGO). Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 22. Oktober 2012, S. 5 (d-nb.info).
  8. a b Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Ms. 2.720, 2, 6: Tagebuch aus Griechenland. Aus Jahren Aug. 1811 bis April 1813. Unvollständig. Notes sur le voyage en Grèce, mit zahlreichen Zeichnungen und Plänen, April 1811 – 26. April 1813, 60 fol., fol. 9v.
  9. a b Inland. In: Neue Dörptsche Zeitung. Nr. 117, 25. Mai 1882 (etera.ee [PDF]).
  10. Carl Haller von Hallerstein, Georges Roux (Hrsg.): Le Temple de Bassae : relevés et dessins du temple d'Apollon à Bassae, conservés à la Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg. [Der Tempel von Bassae: Ansichten und Zeichnungen des Apollontempels in Bassae, aufbewahrt in der National- und Universitätsbibliothek Straßburg]. Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, 1976, ISBN 2-85923-000-9, S. 43-XIV.
  11. Lida Miraj: „Travellers in Albania during the First Half of the XIX Century.“ In: Polis. Revista de Ştiinţe Politice. Band 13, Nr. 2. Universitatea „Petre Andrei“ din Iaşi, Mai 2025, ISSN 1221-9762, S. 73–78 (englisch, researchgate.net).
  12. Evthymios Papachristos: Von Xeineion zu den Philomusen. Franken und Griechen um 1811/17 in Athen. In: Von Nürnberg nach Hellas, Carl Haller von Hallerstein zum 200. Todestag. 2018, ISBN 978-3-921590-99-7, S. 147.