Wohnungsbauprogramm GUS 1990 – 1996

Abzug von sowjetischen Waffen und Gerät über den Hafen in Rostock, 1991

Die Bezeichnung Wohnungsbauprogramm GUS wurde vom Deutschen Bundestag bei seiner Beschlussfassung 1992 verwendet.[1] Obwohl die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) mehrere Staaten der früheren Sowjetunion umfasste, sah das Programm nur Wohnungen in Russland, Belarus und der Ukraine vor. Die Ukraine trat zudem 2018 aus der GUS aus. Im Tausch für den Abzug der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der ehemaligen DDR hatte das wiedervereinigte Deutschland in der Sowjetunion dieses Wohnungsbauprogramm in einer außergewöhnlichen Dimension für zurückkehrende Soldaten finanziert.

Historische Einordnung

Die grundlegende Vereinbarung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mit den beiden deutschen Staaten war der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990, geschlossen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sowie den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, Frankreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Dieser Vertrag, unterzeichnet in Moskau von den Außenministern Hans-Dietrich Genscher, Lothar de Maizière, James Baker, Douglas Hurd, Roland Dumas und Eduard Schewardnadse, trat an die Stelle des Potsdamer Abkommens von 1945 und ersetzte den darin geforderten Friedensvertrag.

Artikel 4 des Zwei-plus-Vier-Vertrags sah vor, dass die UdSSR und das vereinigte Deutschland die Modalitäten des Truppenabzugs unverzüglich regeln sollten. Dies geschah mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, kurz Aufenthalts- und Abzugsvertrag genannt, vom 12. Oktober 1990. Darin war der Abzug aller sowjetischen Truppen bis zum Ende des Jahres 1994 festgeschrieben. Nach der Auflösung der UdSSR durch Staatschef Michail Gorbatschow am Weihnachtstag 1991 trat faktisch die neu entstandene Russische Föderation die Rechtsnachfolge der Sowjetunion an.[2] Zudem übernahm sie mit Zustimmung der USA den Sitz der UdSSR im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mit Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation Nr. 248 vom 4. März 1992 wurde die Westgruppe der Truppen unter russische Jurisdiktion gestellt.[3]

Die Westgruppe der Truppen hatte 1987 die Nachfolge der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (kurz: GSSD; russisch Группа советских войск в Германии, ГСВГ [Gruppa sowjetskich wojsk w Germanii, GSWG]) angetreten. Diese waren Gliederungen der Land- und Luftstreitkräfte der Sowjetarmee, die von 1954 bis 1991 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bzw. der Bundesrepublik Deutschland stationiert waren. Von 1987 an, über die Auflösung der Sowjetunion 1991 hinaus, bis zum Abzug der dann russischen Truppen 1994 war die offizielle Bezeichnung Westgruppe der Truppen (kurz: WGT, russisch Западная группа войск, ЗГВ [Sapadnaja gruppa wojsk, SGW]). In der Bundesrepublik bezeichnete man sie auch als Gruppe der Sowjetischen Truppen in Deutschland (GSTD).

Die sowjetischen Truppen in der DDR stellten das größte Truppenkontingent dar, das jemals über einen so langen Zeitraum von einer Besatzungsmacht im Ausland unterhalten wurde.

Wohnungsbauprogramm

Jelnja, Kutusowskij Mikrorajon, erbaut von Samsung, Südkorea

Dem Aufenthalts- und Abzugsvertrag waren vier Anhänge beigefügt, in denen auch die Übernahme der Kosten in Höhe von zunächst 7,8 Milliarden DM, dann auf 8,35 Milliarden DM aufgestockt (Gesamtkosten der Maßnahmen gemäß Aufenthalts- und Abzugsvertrag 15 Milliarden DM), zur Errichtung von 44.500 Wohnungen im europäischen Teil der Sowjetunion durch die Bundesregierung vorgesehen war. Nur so war es möglich, Wohnraum für die aus der ehemaligen DDR heimkehrenden Familien bereit zu stellen. In einer in ihrer Größenordnung einmaligen Aktion wurden insgesamt 43 Projekte in Russland, Belarus und der Ukraine ausgeschrieben, geplant, durchgeführt und finanziert. Die beteiligten Baufirmen kamen aus Deutschland, der Türkei, Österreich, Finnland, Russland, Südkorea, Schweden, Indien und Bulgarien (auch in Kooperation); die meisten Baufirmen waren deutsche (beteiligt an 24 Projekten) und türkische (14 Projekte). Von den 43 Garnisonsstädten, in denen die geplanten Wohnsiedlungen errichtet werden sollten, lagen sieben in Belarus, vier in der Ukraine und die übrigen 32 in Russland. An der Planung hielt man auch nach dem Zerfall der UdSSR fest; somit wurden auch die beiden anderen postsowjetischen Republiken mit Wohnungsbauten bedacht. Achtzehn Wohnprojekte entfielen auf Standorte der Luftstreitkräfte (drei in Belarus und eines in der Ukraine).[4]

Organisation und Verwaltung

Federführend waren auf deutscher Seite das Bundeswirtschaftsministerium und auf sowjetischer (und später russischer) Seite das Verteidigungsministerium. Ein gemeinsamer Lenkungsausschuss fällte strategische Beschlüsse und überwachte das Programm. Mit der Umsetzung dieser politischen Beschlüsse wurden fachspezifische Institutionen beauftragt: Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) war für die finanzielle Abwicklung des Programms verantwortlich. Als Bauherr trat die wohnungswirtschaftliche Hauptverwaltung des sowjetischen Verteidigungsministeriums auf. Sie war zuständig für die Planung und die Leitung der Planungsinstitutionen. Herzstück des Programms war das „Consulting Konsortium Wohnungsbau UdSSR“ (CWU), das im Auftrag des sowjetischen Verteidigungsministeriums das Vorhaben plante, durchführte und überwachte sowie die Ausschreibungen managte.[5]

Die 43 Wohnungsbauprojekte

Quelle der nachstehenden Übersicht sind die offizielle Mitteilung der CWU, Moskau und München[6] sowie Jakob Holzer, op. cit.[7] Zur Erläuterung der Tabelle:

  • TSK Teilstreitkraft
  • SW Landstreitkräfte (Сухопутные войска, СВ)
  • WWS Luftstreitkräfte (Военно-воздушные силы, ВВС)
Projekt Nr. Standort Verwaltungsbezirk Staat Anzahl Wohnungen Bauträger TSK Verlegung aus Bemerkungen
1 Schaikowka Oblast Kaluga Russland 1056 PEM (Finnland/Türkei) WWS Köthen
2 Baryssau Minskaja Woblasz Belarus 725 Enka (Türkei) SW früherer Name Borissow
3 Wladikawkas Nordossetien-Alanien Russland 1156 Holzmann (Deutschland) SW Plattenbausiedlung, früherer Name Ordschonikidse
4 Krywyj Rih Oblast Dnipropetrowsk Ukraine 1500 Arge Hofmann & Maculan (Deutschland) SW früherer Name Kriwoj Rog
5 Baranawitschy Breszkaja Woblasz Belarus 600 Tekser/CBU (Türkei/Deutschland) WWS Brand Plattenbausiedlung, früherer Name Baranowitschi
6 Slonim Hrodsenskaja Woblasz Belarus 1452 Enka (Türkei) SW Plattenbausiedlung
7 Bjarosa Breszkaja Woblasz Belarus 720 Arge DSW & Elbo (Deutschland) WWS Sármellek (Ungarn) früherer Name Berjosa
8 Lida Hrodsenskaja Woblasz Belarus 832 Arge DSW & Elbo (Deutschland) WWS Großenhain Plattenbausiedlung
9 Marjina Horka Minskaja Woblasz Belarus 780 Haka (Finnland) Plattenbausiedlung, früherer Name Marina Gorka
10 Starokostjantyniw Oblast Chmelnyzkyj Ukraine 1282 Arge Hochtief (Deutschland) WWS Merseburg früherer Name Starokonstantinow
11 Wolgograd Oblast Wolgograd Russland 1277 Walter Bau/Tekser (Deutschland/Türkei)
12 Durnewo Oblast Kursk Rusland 1320 Baytur (Türkei) SW Oschatz
13 Ross Hrodsenskaja Woblasz Belarus 836 Arge Benoba (Deutschland/Belarus) WWS Brand, Finow
14 Kassimowo Oblast Leningrad Russland 540 Züblin (Deutschland) SW Plattenbausiedlung
15 Alakurtti Oblast Murmansk Russland 600 Züblin (Deutschland) SW Plattenbausiedlung
16 Krasnodar Region Krasnodar Russland 2004 Gabeg/Enka (Deutschland/Türkei) SW Plattenbausiedlung, Militärakademie
17 Tschaikowski Region Perm Russland 1385 Gabeg/Enka (Deutschland/Türkei) SW
18 Tschernoretschje Oblast Samara Russland 1910 HMB/Tekfen (Deutschland/Türkei) SW 1993 in Roschtschinski umbenannt
19 Mulino Oblast Nischni Nowgorod Russland 1008 Yit Corporation (Finnland) Plattenbausiedlung
20 Nowo Smolino Oblast Nischni Nowgorod Russland 1075 Yit Corporation (Finnland) SW Plattenbausiedlung
21 Kamenka Oblast Pensa Russland 999 Rosgraschdankonstrukzija (Russland) WWS Groß-Dölln
22 Twer Oblast Twer Russland 2002 Arge Industriebau Magdeburg (Deutschland/Österreich) SW, WWS
23 Kostroma Oblast Kostroma Russland 946 You One (Südkorea) WWS Groß-Dölln Plattenbausiedlung
24 Wjasma Brjanska Oblast Brjansk Russland 1004 Arge Industriebau Magdeburg (Deutschland/Österreich) SW
25 Morosowsk Oblast Rostow Russland 775 Tekser/CBU (Türkei/Deutschland) WWS Finsterwalde
26 Kubinka Oblast Moskau Russland 1035 Wayss & Freytag (Deutschland) WWS Wünsdorf, Sperenberg, Werneuchen Plattenbausiedlung
27 Budjonnowsk Region Stawropol Russland 1003 Baytur (Türkei) WWS Tutow
28 Marinowka Oblast Wolgograd Russland 1322 Samsung (Südkorea) WWS Großenhain, Welzow
29 Millerowo Oblast Rostow Russland 780 Bilfinger & Berger (Deutschland) WWS Damgarten, Rechlin, Lärz
30 Andreapol Oblast Twer Russland 840 Strabag (Deutschland) WWS Wünsdorf, Wittstock, Damgarten
31 Bogutschar Oblast Woronesch Russland 1753 You One (Südkorea) SW
32 Oreschkowo Oblast Kaluga Russland 541 Wiemer & Trachte/Tre Byggare (Deutschland/Schweden) SW
33 Sernograd Oblast Rostow Russland 840 Larsen & Toubro (Indien) WWS Falkenberg
34 Kiew Oblast Kiew Ukraine 1696 Walter/Tekser (Deutschland/Türkei) Plattenbausiedlung
35 Jelnja Oblast Smolensk Russland 1003 Samsung (Südkorea) SW
36 Novohrad Volynskyi Oblast Schytomyr Ukraine 1692 Hochtief (Deutschland) SW Plattenbausiedlung, 2002 in Swjahel umbenannt
37 Rostow am Don Oblast Rostow Russland 1897 Hochtief (Deutschland) SW, WWS Swidnica (Polen) Plattenbausiedlung
38 Nachabino Oblast Moskau Russland 1037 SW Plattenbausiedlung, Standort der Raumfahrt
39 Wsewoloschsk Oblast Leningrad Russland 1004 Holzmann (Deutschland) SW Plattenbausiedlung
40 Strugi Krasnyje Oblast Pskow Russland 602 Tekser (Türkei) SW
41 Woronesch Oblast Woronesch Russland 1038 Arge DSW & Elbo (Deutschland) WWS Großenhain Plattenbausiedlung
42 Tula Oblast Tula Russland 500 Lavbolgarstroj (Bulgarien) SW Plattenbausiedlung
43 Jegorlykskaja Oblast Rostow Russland 401 Enka (Türkei) WWS
45119

Literatur

  • Jakob Holzer: Die sozialistische Stadt am Ende? Der deutsch-österreichische Beitrag zum Wohnungsbauprogramm GUS 1990–1996. Diplomarbeit, Technische Universität Wien, 16. Februar 2023.
  • Jakob Holzer: Das Wohnungsbauprogramm GUS 1990–1996, 43 Siedlungen in Russland, Belarus und der Ukraine – Überblick und Einordnung. In: Sub/Urban, Zeitschrift für kritische Stadtforschung, 11/2023, S. 463–474.
  • Heinrich Harries: Die KfW – eine Bank mit öffentlichem Auftrag. Fritz Knapp Verlag, Frankfurt am Main 1998.
  • Peter Konang: Das Wohnungsbauprogramm in der Russischen Föderation, der Republik Weißrußland und der Ukraine. Frankfurt am Main, Kreditanstalt für Wiederaufbau/ Consulting Konsortium Wohnungsbau UdSSR/Arbeitsgemeinschaft zur Projektvorbereitung des Wohnungsbauprogramms, 1994.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode, Drucksache 12/3100, 1992, Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996, S. 48
  2. Zhenis Kembayev: Probleme der Rechtsnachfolge von der Sowjetunion auf die Russische Föderation; in: Archiv des Völkerrechts, Band 46, Nr. 1, 2008, S. 106–129; JSTOR:40800208.
  3. Über den Übergang der militärischen Formationen auf den Territorien Deutschlands, Polens, der Mongolei und Kubas unter die Jurisdiktion der Russischen Föderation, in: Sowjetische Truppen in Deutschland 1945 – 1994, Moskau, Junge-Garde-Verlag, 1994, S. 284.
  4. Jakob Holzer, Das Wohnungsbauprogramm in Rußland, Weißrußland und der Ukraine, Hrsg. Consulting Konsortium Wohnungsbau (CWU), Moskau und München, April 1993
  5. Jakob Holzer, Das Wohnungsbauprogramm GUS 1990-1996, 43 Siedlungen in Russland, Belarus und der Ukraine – Überblick und Einordnung, in: Sub/Urban, Zeitschrift für kritische Stadtforschung, 11/2023, S. 463–474
  6. Das Wohnungsbauprogramm in Rußland, Weißrußland und der Ukraine, Hrsg. Consulting Konsortium Wohnungsbau (CWU), Moskau und München, April 1993
  7. Das Wohnungsbauprogramm in Rußland, Weißrußland und der Ukraine, Hrsg. Consulting Konsortium Wohnungsbau (CWU), Moskau und München, April 1993 sowie Jakob Holzer, Das Wohnungsbauprogramm GUS 1990-1996, 43 Siedlungen in Russland, Belarus und der Ukraine – Überblick und Einordnung, in: Sub/Urban, Zeitschrift für kritische Stadtforschung, 11/2023, Anhang S. 474.