Wirtschaftsgeschichte Österreichs

Die Darstellung der Wirtschaftsgeschichte Österreich wird durch die tiefgreifenden historischen Veränderungen im Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs erheblich erschwert.[1] Die gängige Fachliteratur orientiert sich dabei rückblickend zumeist am geographischen Raum der heutigen Republik Österreich.[2]

Übersicht

Das Gebiet des heutigen Österreich war schon in frühgeschichtlicher Zeit durch seine strategisch wichtige Lage und seine Bodenschätze (Erzvorkommen, Steinsalz) eine wirtschaftlich wichtige Region Zentraleuropas. Nach dem Rückschlag der Völkerwanderungszeit brachten das Früh- und Hochmittelalter eine Periode kontinuierlichen Wachstums, das auch von den jeweiligen Herrschern (Babenberger, Habsburger) bewusst gefördert wurde.

Die europäische Krise um 1350 verlief hier etwas schwächer als in anderen Regionen Europas, und speziell der alpine Erzabbau erreichte im 15. und 16. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Der Dreißigjährige Krieg ging zwar von habsburgischem Territorium aus, verschonte allerdings im Wesentlichen das Gebiet des heutigen Österreich. Dafür war der Osten der Region und die Landeshauptstadt Wien im 16. und 17., Jahrhundert durch die immer wiederaufflammenden Türkenkriege gefährdet. Erst nach 1683 endete diese Gefahr und die riesigen Landgewinne auf Kosten des osmanischen Reichs führten zum explosiven Wachstum Wiens als Ort adeliger Zurschaustellung und Konsumation, aber auch zur Etablierung entsprechender Luxusgewerbe.

In der Industrialisierungsperiode des 18. und 19. Jahrhunderts erwies sich das heutige Österreich zunächst eher als Nachzügler. Der gebirgige Charakter des Landes behinderte den Kanal- und später den Eisenbahnbau, die Errichtung der Semmeringbahn überstieg die Kapazitäten privaten Unternehmertums. Die kapitalistische Entwicklung wurde aber in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie deutlich vorangetrieben, maßgebliche Träger dieser Entwicklung waren häufig zugewanderte Unternehmer.

Nach dem Verlust der Führungsrolle im Deutschen Bund (1867) geriet der Habsburgerstaat in zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit zum 1871 neu gegründeten Deutschen Reich. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie im Herbst 1918 führte dies zu weit verbreiteten Zweifeln an der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des klein gewordenen Reststaates. Allerdings wurde im Friedensvertrag von Versailles ein Anschlussverbot Österreichs an das Deutsche Reich festgehalten. In der Zwischenkriegszeit erwies sich der neue Kleinstaat trotz ungünstigster Voraussetzungen (Rüstungskonversion der Kriegsindustrien im Bereich des Wiener Beckens, „Wasserkopf“ der ehemaligen Reichsbürokratie in Wien, überdimensionierter Bankensektor, Konflikt Rotes Wien, konservative Bundesregierung) als überlebensfähig. Große Produktivitätszuwächse wurden unter anderem in der Landwirtschaft erzielt.

Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre traf allerdings Österreich besonders stark, nicht zuletzt aufgrund der Maßnahmen des benachbarten NS-Regimes gegen den als Wirtschaftsfaktor bedeutsam werdenden Tourismus.

Die in der Zeit des Nationalsozialismus ab 1938 forciert vorgenommenen kriegswirtschaftlichen Industrialisierungsmaßnahmen und Infrastrukturausbauten (Eisen-, Aluminium- und chemische Industrie, Kraftwerksbauten, Ausbau der Erdölförderung) stärkten nach 1945 paradoxerweise die wirtschaftliche Basis und das Selbstgefühl des neu erstandenen Österreich. Die so genannte „Verstaatlichte Industrie“ bildete bis etwa 1980 einen wesentlichen Faktor der wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes, wurde allerdings durch Überforderung als Instrument der Arbeitsplatzsicherung in der Rezession von 1974–75 und durch Politisierung zum Problemfall. In den 1990er Jahren und danach kam es zu einem weitgehenden Abbau gemeinwirtschaftlicher Strukturen. Auch die für das Österreich nach 1945 kennzeichnende (Wirtschafts- und) Sozialpartnerschaft hat in den letzten Jahrzehnten einen Rückgang ihrer Bedeutung erfahren.

Aktuell ist die Lage der österreichischen Wirtschaft in der EU eine im Vergleich der meisten Indikatoren überdurchschnittlich günstige.

Frühgeschichte und Antike

Carnuntum:Rekonstruktion einer Villa Urbana
Grabrelief aus Virunum, Darstellung eines römischen Reisewagens

Die Entstehung von Wallanlagen bereits zu Beginn der Bronzezeit dokumentiert die frühe Bedeutung des Abbaus und der Verarbeitung von Kupfer und Zinn im heute zu Österreich gehörigen alpinen Raum. Der entsprechende Handel mit Rohmaterial und Halbprodukten ist durch Gräberfunde in Pitten, Franzhausen, Niederösterreich belegt. In der Urnenfelderzeit begann der Abbau von Steinsalz in Hallstatt, der bis in die heutige Zeit betrieben wird und somit der älteste heute noch in Betrieb befindliche Bergbau der Welt ist.[3] Steinsalz wurde in der Zeit der Kelten eines der wichtigsten Handelsgüter und an mehreren Stellen des heutigen Staatsgebiets abgebaut, erkennbar an den Namen, die bis heute das keltische Wort für Salz Hal(l) beinhalten (z. B. Hallein, Hall in Tirol, Halltal). In der älteren Eisenzeit (Hallstattzeit) sind Handelskontakte zu den griechischen Kolonien an der ligurischen Küste und zu den Etruskern, im Osten aber auch zu den Steppenvölkern des Karpatenbeckens nachweisbar. In der Antike florierte das Regnum Noricum vor allem durch den Abbau metallischer Erze, insbesondere des Norischen Eisens. Sein Zentrum war vermutlich die Siedlung auf dem Magdalensberg (später Virunum). Noricum driftete langsam in die Stellung eines Protektorats der römischen Weltmacht und wurde schließlich zur römischen Provinz. Als solche umfasste es ungefähr die heutigen österreichischen Bundesländer Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark sowie den Südosten Bayerns mit dem Chiemgau. Außerdem gehörten östliche Teile Tirols dazu. Das heutige Gebiet Wiens, des Burgenlands und der östliche Teil Niederösterreichs gehörten aber zur römischen Provinz Pannonien mit der Hauptstadt Carnuntum. Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung war hier der Weinbau und die wintersichere Verbindung zwischen Carnuntum und Aquileia. Diese römische Bernsteinstraße ist in der Tabula Peutingeriana verzeichnet. Das Tiroler Gebiet westlich des Inns und das heutige Vorarlberg gehörten wiederum zur römischen Provinz Raetia.

Nach mehrhundertjähriger Dominanz römischer Zivilisation im Donau- und Alpenraum kam es allerdings im 5. Jahrhundert zum Zusammenbruch Severin von Noricum (um 410 – 8. Januar 482), Einsiedler, Abt von Favianis und vermutlich auch hoher römischer Verwaltungsangestellter verhandelte 488 den Abzug der galloromanischen Bevölkerung aus Noricum Ripense. Auch das besonders während der Severerdynastie (193–235) blühende Carnuntum erlebte in der Spätantike einen dramatischen Niedergang. In der Mitte des 4. Jahrhunderts dürfte es von einer schweren Erdbebenkatastrophe betroffen worden sein. Ammianus Marcellinus beschreibt die einst blühende Provinzhauptstadt gegen Ende des vierten Jahrhunderts bereits als verfallenes und schmutziges Nest. Antike Siedlungsspuren lassen sich in Carnuntum aber noch bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts nachweisen.

Die Wachstumsperiode im Früh- und Hochmittelalter (900–1350)

Wandteppich, Wien, 1560, Darstellung des Pflügens

Den historischen Kern des heutigen Österreich bildete die in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstandene dem Herzog von Baiern unterstellte Markgrafschaft östlich der Enns. 976 wurde Liutpold (Leopold) aus dem Geschlecht der Babenberger mit dieser Mark belehnt. In einer Urkunde König Ottos III. von 996 fand der Name Ostarrîchi erstmals Erwähnung. Daraus entwickelte sich später die Schreibweise Österreich. Die Babenberger betrieben eine zielbewusste Rodungs- und Kolonisierungspolitik und errichteten eine gefestigte Landesherrschaft mit schrittweiser Ostverlegung der Residenz. Große wirtschaftliche Bedeutung hatten auch die Klostergründungen von Leopold III. (Österreich), der ihretwegen heiliggesprochen wurde.

Zwischen dem Ende des 9. Jahrhunderts und dem Beginn des 14. Jahrhunderts stieg die Bevölkerungszahl im heutigen Österreich von etwa einer halben Million auf das Dreifache.[4] Dies wurde ermöglicht durch die mittelalterliche Agrarrevolution, die an die Stelle des Hakenpflugs den die Scholle umstürzenden Beetpflug setzte, und die alpine Viehweidewirtschaft. Die vertikale Wassermühle, ein Erbe der Antike, erlangte im alpinen Bereich mit seinen schnell fließenden Gewässern große Bedeutung als Quelle der Antriebsenergie verschiedener Maschinen, etwa für Hammer-, Säge- und Stampfwerke.[5] Der Burgenbau des 9. bis 12, Jahrhunderts wurde maßgeblich für die Erneuerung des städtischen Lebens.[6] Zwischen 1180 und 1270 kam es zu einer Welle von Städtegründungen. Zu den ökonomisch relevantem Stadtrechten gehörte das Stapelrecht, etwa für Wien 1221. Im 13. und frühem 14. Jahrhundert kam es zu einem „Silberrausch“ im steirischen Oberzeiring, der um 1361 durch eine Katastrophe (massiven Wassereinbruch) zu Ende ging.

Von der Krise des Spätmittelalters zum Frühkapitalismus (1350–1600)

Bulgenkunst im Bergbau ermöglichte den Abbau in tief gelegenen Sohlen
Grabnerhammer in Gaming. Die protoindustrielle Eisenproduktion in der Eisenwurzen reicht zurück bis ins Mittelalter

Schon 1317 war auch der Raum des heutigen Österreich von der damals herrschenden europäischen Hungersnot betroffen. Die große europäische Pestepidemie von 1347 bis 1353, die etwa ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung tötete, hatte weitgehende Auswirkungen. Eine der beiden Ausbreitungswellen ging von Venedig aus. Von dort gelangte die Seuche über den Brenner nach Österreich. Über Tirol kam der schwarze Tod nach Kärnten, anschließend in die Steiermark und erreichte dann erst Wien. Wien war die einzige Stadt, in der jeder Sterbende das letzte Sakrament erhielt, was dafür spricht, dass es in Wien besser als in anderen Städten gelang, die soziale Ordnung angesichts der ausgebrochenen Epidemie aufrechtzuerhalten. Der Bevölkerungsrückgang durch die Pest wirkte sich in der Folge als Arbeitskräftemangel aus – die Löhne stiegen.[7] Andererseits sanken die Agrarpreise: Grenzböden wurden aufgegeben, es kam zu Wüstungen.

Die wirtschaftliche Dynamik jener Zeit hatte ihren Schwerpunkt in den Alpen, speziell in Tirol mit seinem florierenden Bergbau. Während der Blütezeit des Silber- und Kupferbergbaus im 15. und 16. Jahrhundert war der Silberabbau in Schwaz der größte Silberbergbau in Europa. Schwaz wuchs zu einer der größten Bergbaumetropolen Europas, mit über 12.000 Einwohnern (heute etwa 13.000) und zu dieser Zeit nach Wien die zweitgrößte Ortschaft im Habsburgerreich. Der Bergsegen hatte allerdings durch Abholzung auch schwere Beeinträchtigungen der örtlichen Umwelt zur Folge.[8] Durch den Boom des Silberbergbaus in Schwaz wurde der Abbau auch in anderen Bergbaugebieten gesteigert, dessen Material man für den Abbau des Silbers benötigte, z. B. Blei vom Bleiberger Erzberg in Kärnten, der in den folgenden Jahrhunderten zum größten Bleiabbau Mitteleuropas wuchs.[9]

Glaubenskampf, Krisen, Absolutismus (1600–1750)

Wien als Ort adeliger Repräsentation nach den Siegen der Türkenkriege: Die Gärten des Palais Schwarzenberg (links) und des Belvedere auf einer Wienansicht von Bernardo Bellotto

In den habsburgischen Erblanden, die bis auf Tirol überwiegend protestantisch geworden waren, begann die Gegenreformation im großen Stil schon mit Kaiser Rudolf II. ab 1576 und wurde im 17. Jahrhundert mit besonderer Schärfe durchgeführt. Die zusammengeschlossenen protestantischen Stände Böhmens rebellierten dagegen und setzten mit dem Prager Fenstersturz 1618 den Anlass für den Dreißigjährigen Krieg, der große Teile Deutschlands verwüstete, die Region des heutigen Österreich aber nur marginal betraf. Sandgruber interpretiert die Gegenreformation als landesherrlich-absolutistischen „Angriff gegen Stände und Regionalismus“[10] und vermerkt unter den negativen Folgen die Zurückdrängung des Buchdrucks.[11] Wirtschaftlich gesehen gab es im heutigen Österreich im 17. Jahrhundert eine Klimaverschlechterung mit Missernten und in den 1630er Jahren, eine Pestwelle.

Der Landgewinn im Gefolge der 1683 erfolgreich abgewehrten Zweiten Türkenbelagerung hatte allerdings euphorisierende Wirkung. 1684 publizierte Philipp Wilhelm von Hörnigk:

„Oesterreich über alles, wann es nur will. das ist: wohlmeinender Fürschlag, wie mittels einer wolbestellten Lands-Oeconomie, die Kayserl. Erbland in kurzem über alle andere Staat von Europa zu erheben, und mehr als einiger derselben von denen andern independent zu machen;“

Philipp Wilhelm von Hörnigk[12]

Hörnigk setzt in diesem dem Geist des Merkantilismus entsprechenden Traktat auf die Entwicklung des Binnenmarktes und den protektionistischen Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Das Werk erlebte im 18. Jahrhundert zahlreiche Neuauflagen und reflektierte die herrschende Wirtschaftsgesinnung.

Ein weiterer Aspekt der deutlichen Vergrößerung des habsburgischen Staatsgebildes war die Errichtung zahlreicher barocker Gartenpaläste des Hochadels rund um die Wiener Stadtmauern und das ihnen vorgelagerte Glacis – mit dem Belvedere des Prinz Eugen als imposantestem Dokument der Bereicherung durch den gewonnenen Türkenkrieg. Diese Konzentration der Konsumkraft in der Haupt- und Residenzstadt Wien stimulierte auch die hauptstädtischen Luxusgewerbe, wie etwa die Seidenverarbeitung.

Aufgeklärter Absolutismus Revolutionsängste und Protoindustrialisierung (1750–1867)

In der 1754 verstaatlichten Linzer Wollzeugfabrik kamen auch Bettler, Vagabunden und Strafgefangene zum Einsatz (Bild aus 1890)

Der aufgeklärte Absolutismus und seine wirtschaftspolitischen Doktrinen strebten eine Vereinheitlichung des beherrschten Wirtschaftsraums an. Diesem Ziel dienten die Aufhebung der Binnenzölle und der Ausbau der Straßenverbindungen.[13] Staatsmonopole dienten der Erzielung von Einnahmen, aber zum Teil auch sozialpolitischen Zielen (etwa das 1784 eingeführte staatliche Tabakmonopol mit seiner Begünstigung der Kriegsinvaliden). Zudem setzte man auf die Förderung des Fleißes und der Produktivität der Bevölkerung. Die Gründung und Führung von staatlichen Manufakturen, wie etwa die Linzer Wollzeugfabrik oder die Wiener Porzellanmanufaktur, sowie die Bekämpfung der Bettelei und die Auflösung der kontemplativen Orden durch Joseph II. repräsentieren das gleiche Gedankengut. Sandgruber nennt die Periode 1750–1850 das „Jahrhundert des Fleißes“. Grundkenntnisse des Lesens und Schreibens erschienen nun erforderlich, „Lesewut“ blieb aber Objekt obrigkeitlichen Argwohns.[14] Das Angebot an Höherer Bildung wurde eher gedrosselt, das Misstrauen gegen potentielle „Unruhestifter“ führte auch, speziell im Gefolge der Französischen Revolution zum Verbot von Industrieunternehmungen in der Residenzstadt Wien.[15]

Ferdinand Georg Waldmüller: Die Pfändung (1847): Soziale Not als Objekt der biedermeierlichen österreichischen Genremalerei

Gravierende Staatsschuldenprobleme gab es ab dem Ende des Siebenjährigen Krieges besonders aber nach den Kriegen gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich.[16] Das nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs 1804 neu entstandene Kaisertum Österreich musste in Folge der im Frieden von Schönbrunn auferlegten Reparationszahlungen 1811 Staatsbankrott anmelden.[17] Im Kaiserlichen Patent vom 20. Februar 1811 (Bankrottpatent) wurde der Zwangsumtausch der bisher im Umlauf befindlichen Banco-Zettel im Verhältnis 1:5 in Einlösungsscheine, der sogenannten Wiener Währung, verordnet. Verursacht durch die hohen Kriegskosten nahm die inflationäre Entwicklung weiterhin zu. Neues Papiergeld, Antizipationsscheine (vorweggenommene Steuereinnahmen) wurden gedruckt. Nach dem Ende der Kriege wurde die Stabilisierung der Währungspolitik vorangetrieben und am 1. Juni 1816 die Privilegierte Oesterreichische Nationalbank, mit dem Privileg der Geldausgabe versehen, gegründet. Als eigenständige Aktiengesellschaft hatte sie eine, wenn auch geringe, Unabhängigkeit vom Finanzbedarf des Staates. Bis zum Revolutionsjahr 1848 konnte das Währungssystem stabil gehalten werden. Der latenten Schwäche des Staates entsprach auch eine gewisse Schwäche der heimischen Unternehmerschaft. Viele führende österreichische Unternehmerfamilien des 19. Jahrhunderts waren Zuwanderer und/oder entsprangen religiösen Minderheiten.

Die Geschichte der Eisenbahn in Österreich mit ihrem mehrfachen Wechsel zwischen Privat- und Staatsbahnsystem illustriert dieses Phänomen. In Österreich setzte in dieser Periode eine zunehmende Industrialisierung ein, die durch den Ausbau eines österreichischen Eisenbahnnetzes begleitet und beschleunigt wurde. Die erste Strecke in Österreich, die Österreichische Nordbahn wurde am 23. November 1837 offiziell in Betrieb genommen und verband Wien mit Krakau. In den Folgejahren wurden die Bahnstrecken in Österreich stark ausgebaut, um die großen Städte des riesigen Reiches zu verbinden. Zu diesem Zweck wurden an private Investoren Konzessionen für die Errichtung und den Betrieb erteilt. Zugleich wurden mehrere Lokomotivfabriken errichtet. Als erste wurde 1839 die Lokomotivfabrik der StEG gegründet. Es folgten 1842 die Wiener Neustädter Lokomotivfabrik, die die größte der Monarchie war, und 1869 die Lokomotivfabrik Floridsdorf. Die kurzlebigste war die Mödlinger Lokomotivfabrik, die 1873 errichtet und bereits zwei Jahre später nach einer Wirtschaftskrise wieder geschlossen wurde. 1880 entstand durch die deutsche Lokomotivfabrik Krauss & Comp. am Standort Linz eine weitere Lokomotivfabrik in Österreich, siehe Lokomotivfabrik Krauss & Comp. Linz. Die Industrialisierung und Wirtschaftsentwicklung erfolgte jedoch nicht überall gleichmäßig. Kleine industrielle Verarbeitungsbetriebe waren ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um die alpinen Rohstofforte (z. B. kleine Eisen- und Stahlwerke bei Erzlagerstätten) entstanden und entwickelten sich vor allem in den urbanen Zentren, während die ruralen Gebiete weiterhin bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts agrarisch geprägt blieben. Die meisten Maschinen wurden aus Großbritannien importiert, bis sich ab den 1840ern auch eigene Maschinenhersteller im Kaisertum Österreich etablieren konnten. Zwischen 1818 und 1870 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate des BIP pro Kopf ca. 3 %.[18][19]

Die bäuerliche Grundentlastung zählt zu den Errungenschaften des Revolutionsjahres 1848. Nach der Aufhebung der Grundherrschaften wurde in den beiden Folgejahren durch eine Reihe von Gesetzen geregelt, wie die bisherigen Abgaben und Frondienste der Bauern gegenüber Grundherren und Zehentempfängern abgelöst werden sollten.

Ein letzter Aufschwung der Donaumonarchie (1867–1914)

Die Landwirtschaftliche Maschinenausstellung auf der Wiener Weltausstellung 1873

Der unglücklich verlaufene Krieg von 1866 gegen Preußen und Italien bedeutete das Ende einer strikt interventionistischen Geldpolitik und mit dem Ausgleich von 1867 auch eine Änderung der staatlichen Struktur mit wirtschaftlichen Auswirkungen. Die beiden Reichsteile waren z. B. in einer Zollunion verbunden, die alle 10 Jahre verlängert werden musste, was bis zum Untergang der Monarchie auch regelmäßig geschah. Verträge im Außenhandel wurden jedoch getrennt verhandelt und abgeschlossen. Wichtigster Handelspartner war das Deutsche Kaiserreich (1910: 48 % der Exporte, 39 % der Importe), gefolgt von Großbritannien (1910: 10 % der Exporte, 8 % der Importe), den USA, dem Russischen Zarenreich und Frankreich.[20] Zum konjunkturellen Aufschwung in den darauffolgenden Jahren trugen auch mehrere außergewöhnlich ertragreiche Ernten bei.[21] Unternehmer verdoppelten zwischen 1867 und 1873 das Schienennetz der Monarchie – ein Symbol der fortschreitenden Industrialisierung und Modernisierung. Die missglückte Weltausstellung 1873 und der Börsenkrach markierten trotzdem das Ende der kurzlebigen Dominanz des Liberalismus. Nach einer ausgeprägten Rezession kam es zwar nochmals zu einem gründerzeitlichen Wachstumsschub, allerdings machten sich unter Karl Lueger deutlich antikapitalistische, aber auch antisemitische Tendenzen bemerkbar, und es kam zur Kommunalisierung von urbanen Versorgungsunternehmen.

In dieser Zeit und teilweise in die Nachkriegszeit nach dem Zerfall der Monarchie hinein, wirkten auch zahlreiche bedeutende Ökonomen, wie z. B. Carl Menger, Eugen von Böhm-Bawerk, Ludwig von Mises, Joseph Schumpeter oder Friedrich August von Hayek. Ihre Lehren führten dazu, dass sogar der Begriff der Österreichischen Schule der Nationalökonomie entstand. Durch den US-Ökonomen Murray Rothbard wurde in den 1970ern die Bezeichnung Austrians bzw. Neo-Austrians für Anhänger dieser Ökonomischen Schule geprägt und wird bis in die heutige Zeit, teilweise als Synonym für den Libertarismus, verwendet. Der argentinische Präsident Javier Milei bezieht sich bei seinem Programm immer wieder auf die Lehren der Österreicher.[22]

Um 1900 erreichte auch das Kulturleben in der Monarchie seine größte Ausprägung. Neben bedeutenden Schriftstellern und Musikern zählten Österreicher auch im Filmwesen zu den Pionieren dieser Kunst.

Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich Österreich-Ungarn zum global 4. größten Maschinenhersteller, wobei das Zentrum des Maschinenbaus in den heute tschechischen Regionen Böhmen und Mähren lag, in denen ungefähr ein Drittel der industriellen Produktion der Monarchie stattfand. Die 1859 gegründete Firma Škoda stieg in diesem Zeitraum zu einem der größten Maschinenbauer der Welt auf. Auch bei neu entstandenen Industriesparten, wie dem Automobilbau und der elektronischen Industrie war Österreich-Ungarn maßgeblich vertreten.[23] Die Industrie trug ca. 22–24 % zum BIP bei.[24] Im damals zum österreichischen Reichsteil (und heute zur Ukraine) gehörenden Galizien wurden Ölquellen entdeckt, die ab den 1880er Jahren rasant entwickelt und ausgebeutet wurden. Am Spitzenpunkt der Förderung 1909 war Österreich-Ungarn dadurch der 3. größte Ölförderer der Welt und förderte 5 % des weltweiten Erdöls.[25][26] Stark ausgebaut wurden auch die Schifffahrtsverbindungen. Durch die Anbindung an die Südbahn wuchs Triest bis 1914 zum 5. größten Hafen Kontinentaleuropas und wurde der Österreichische Lloyd zur größten Schifffahrtsgesellschaft des Mittelmeers, während bei der Binnenschifffahrt die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft schon bis 1880 zur größten Binnenreederei der Welt gewachsen war.

Das BIP pro Kopf in Österreich-Ungarn wuchs von 1870 bis 1913 durchschnittlich um 1,76 % pro Jahr und übertraf damit das pro Kopf Wachstum anderer europäischer Großmächte, wie dem Deutschen Kaiserreich (1,51 %), Frankreich (1,06 %) und Großbritannien (1 %). Damit gelang es allerdings nicht den Gesamtrückstand durch das verspätete einsetzen der Industrialisierung im Vergleich zu diesen Ländern aufzuholen. Das BIP verdoppelte sich von 1870 bis 1913 fast (+93 %) und Österreich-Ungarn hatte das 6. größte BIP der Welt. Das BIP im Rest Europas war im gleichen Zeitraum jedoch um durchschnittlich +115 % gewachsen. Zum überdurchschnittlichen BIP/Kopf Wachstum Österreich-Ungarns trug nämlich auch bei, dass speziell in diesem Zeitraum eine Massenemigration verarmter Bevölkerung nach Amerika stattfand und so die Bevölkerung etwas weniger schnell wuchs, als in anderen Teilen Europas.[27] Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft sank von 1870 bis 1913 von 67 % auf 60 %, während der Anteil der Beschäftigten in der Industrie von 16 % auf 22 % stieg.[28]

Vergleich der pro Kopf-Einkommen österreichischer Kronländer 1911–13 in Kronen (nach Good)[29]

Land Einkommen pro Kopf in Kronen Zum Vergleich Einkommen pro Kopf in Kronen
Niederösterreich 850 Böhmen 761
Oberösterreich 626 Mähren 648
Salzburg 641 Schlesien 619
Steiermark 519 Krain 439
Kärnten 556 Küstenland 522
Tirol, Vorarlberg 600 Galizien 316

Österreichs Wirtschaft im Ersten Weltkrieg

Werbeplakat für die siebente Kriegsanleihe, 1917.

Die Donaumonarchie gab zwar mit dem Ultimatum an Serbien den Anstoß zum Ersten Weltkrieg, war aber de facto bereits ein wirtschaftlicher Satellit des Deutschen Kaiserreichs. Bereits im September 1914 wurde als deutsches Kriegsziel ein mitteleuropäischer Wirtschaftsverband unter deutscher Führung definiert.[30] In weiterer Folge geriet das heterogene Gebilde des Habsburgerstaates immer stärker unter Druck. Ab 1916 verbreiteten sich Streiks und Unruhen.[31] Die immer prekärere Versorgungslage sah die Landwirtschaft als „Kriegsgewinner“. Gegen Kriegsende wurde die Versorgungslage immer dramatischer, 1917 war bereits ein Jahr der „Ersatznahrungsmittel“, 1918–19 war ein regelrechter Hungerwinter, speziell in der Millionenstadt Wien. Die Finanzierung des Krieges erfolgte durch fest verzinste Kriegsanleihen, die infolge der Geldentwertung bis 1922 praktisch wertlos wurden und zur Verarmung der bürgerlichen Mittelschicht führten.

Die Auswirkungen der Kriegswirtschaft waren über die eigentlichen Kriegsjahre hinaus massiv spürbar. Der Kraftaufwand für die Kriegswirtschaft war nur möglich, indem das Land in großem Stil seine wirtschaftliche Substanz aufzehrte: Schätzungen zufolge wurde über ein Viertel des verfügbaren Volksvermögens durch den Krieg verbraucht. Mit Fortdauer des Krieges wurden die Strukturschwächen der österreichischen Wirtschaft offenbar: Die geringe Produktivität der Landwirtschaft, dazu die mangelnde Leistungsfähigkeit vieler Industriezweige und das Überangebot an hochspezialisierten Luxusprodukten vor allem auf dem Gebiet des Nachkriegs-Österreichs. Ab 1916 sanken Produktivität und Produktion deutlich ab, wobei auch die immer mehr zu beobachtende Unterernährung vieler Arbeitskräfte eine wesentliche Rolle spielte. Die Ursache für die Nahrungsmittelknappheit war nicht zuletzt der fehlende Ausgleich zwischen der österreichischen Reichshälfte als Lebensmittel-Zuschussgebiet und der ungarischen Reichshälfte als Überschussgebiet. Hinzu kam, das in der Kriegszeit kaum in neue Anlagen sowie in die Instandhaltung bestehender Infrastruktur investiert wurde, sodass die Erste Republik mit einem deutlichen Investitionsrückstau konfrontiert war.[32]

Die Jahre 1918 bis 1945

Feierlichkeiten zum ersten Spatenstich der Reichswerke Hermann Göring am 13. Mai 1938 in Linz

In Folge der Niederlage im Ersten Weltkrieg entstand 1918 die Republik Österreich, die durch den Friedensvertrag von Saint Germain umfangreiche Gebietsabtretungen hinnehmen musste und auf einen kleinen Teil des vormaligen Staatsgebiets schrumpfte. Da man durch den Verlust des großen Binnenmarkts, im klein gewordenen Nachkriegsösterreich mehrheitlich nicht an die eigenständige Lebensfähigkeit des Landes glaubte, suchte man den Anschluss ans demokratische Deutschland – oder in Vorarlberg an die Schweiz. Ein Anschluss an Deutschland wurde durch das Anschlussverbot im Vertrag von Saint-Germain durch die Siegermächte untersagt und auch ein Anschluss von Vorarlberg an die Schweiz nach der Volksabstimmung 1919 in Vorarlberg wurde nicht bewilligt, da die Siegermächte Österreich groß genug erhalten wollten, um es nicht in die Arme Deutschlands zu treiben. Die unsichere politische Zukunft Österreichs und die vielen sonstigen Probleme verhinderten auch die Stabilisierung der durch die Kriegsschulden schwer belasteten Kronenwährung. Bis 1920 hatte sich der Geldumlauf im Land von 12 auf 30 Milliarden Kronen erhöht. Ab Herbst 1921 geriet der Kursverfall der Krone außer Kontrolle und Ende des Jahres betrug der Geldumlauf bereits 174 Milliarden Kronen. Im August 1922 war schließlich die Billionengrenze überschritten.[33]

Die Preise hatten sich zwischen 1914 und 1922 jährlich zumindest verdoppelt und erreichten in der letzten Phase mit monatlichen Steigerungen von 50 Prozent die Schwelle zur Hyperinflation. Insgesamt waren die Lebenshaltungskosten bis Sommer 1922 auf das 14.000-fache der Vorkriegszeit gestiegen. Erst durch Aufgabe der Inflationspolitik durch die Regierung Seipel, die dabei maßgeblich vom Ökonomen Ludwig von Mises beraten wurde[34], einer Anleihe des Völkerbundes und durch die Neugründung der Österreichischen Nationalbank konnte die Inflation schließlich zum Stillstand gebracht werden. Mit dem Schillingrechnungsgesetz vom 20. Dezember 1924 und der Festlegung des Umrechnungskurses von 10.000 Kronen zu einem Schilling begann die Periode stabilen Geldwerts in Österreich, die dem Österreichischen Schilling sogar im Volksmund die Bezeichnung Alpendollar einbrachte.[33]

Das neue Staatsgebilde blieb aber wirtschaftlich und politisch fragil. Zwei dominierende Großparteien (CS bzw. CSP und die SDAP) standen sich gegenüber und hatten auch jeweils bewaffnete paramilitärische Verbände. Schon in den 1920er-Jahren erschütterten eine Reihe von Finanzskandalen das Land (Niederösterreichische Bauernbank, Centralbank der deutschen Sparkassen, Postsparkassenskandal, Bodencreditanstalt), denen in den 1930er Jahren, mit internationalen Auswirkungen, der Zusammenbruch der Creditanstalt und der Phönix-Skandal folgten. Eine Deutsch-österreichische Zollunion scheiterte um 1930/31 an internationalem Protest, da darin eine Umgehung des Anschlussverbots gesehen wurde. Die Instabilität führte schließlich zur Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie, Etablierung des autokratischen Ständestaats und zum kurzen Bürgerkrieg.

In der Weltwirtschaftskrise sah sich das kleine Land zu einer drastischen Austeritätspolitik gezwungen, die den Wert der Währung stabil hielt, aber eine expansive Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit unmöglich machte. Es wurden zwar Versuche der Arbeitsbeschaffung, wie etwa der Bau der Großglockner-Hochalpenstraße unternommen, der Tourismus litt jedoch unter der von NS-Deutschland verhängten Tausend-Mark-Sperre. Die Arbeitslosigkeit sank so vom Höchststand 1933 mit 26 % bis 1937 nur leicht auf 22 %. 1934 markiert mit der Etablierung der Ölquelle Gösting II im Weinviertel den Beginn der Erdölförderung auf österreichischem Staatsgebiet, die in der Folge rasch wuchs und auch eine wichtige Versorgungsquelle für den NS-Staat darstellte. Die Ölförderung in Österreich wird bis in die Gegenwart betrieben (von der OMV) und deckt ca. 10 % des Bedarfs.[35]

Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wurde der gehortete Devisenschatz der österreichischen Nationalbank sofort geplündert, andererseits sog die überhitzte Rüstungskonjunktur in der „Zeit des Nationalsozialismus“ die österreichische Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit auf. So fiel die Zahl der Arbeitslosen von 276.000 im Schnitt des Jahres 1938 auf nur noch 66.000 im Schnitt des Jahres 1939.[36] Da Integration der Österreichischen Wirtschaft in den NS-Staat wurde stufenweise vollzogen, da die Währungs- und Wirtschaftspolitiken sehr unterschiedlich ausgerichtet waren. Eine expansive Geldpolitik mit überhitzter Rüstungskonjunktur und Vollbeschäftigung (NS-Deutschland), traf auf eine dezidierte Hartwährungspolitik mit unausgelasteter Wirtschaftskapazität. Der Österreichische Schilling wurde zwar schon nach einem Monat durch die Reichsmark ersetzt, jedoch wurden nur die Zölle für Landwirtschaftsprodukte sofort nach dem Anschluss aufgehoben. Die restlichen Zölle wurden bis Oktober 1938 beseitigt, aber dafür traten fallweise Gebietsschutzabkommen in Kraft, die erst Mitte 1939 ausliefen. Bis dahin wurden Preisniveau, Preisstruktur und das Zinsniveau angeglichen, außerdem die deutschen Postgebühren, Bahntarife und die Preisregulierungen übernommen. Einen schnellen, kurzlebigen Boom erlebte der Österreichische Tourismus, der im August 1938 eine Verachtfachung der deutschen Urlauber verzeichnete.[37] In den Kriegsjahren war die Österreichische Wirtschaft bereits voll integriert und unterschied sich die Entwicklung nicht vom restlichen NS-Staat.

Vom Wiederaufbau zur Eingliederung in die EU (ab 1945)

Kaprun, Stausee Mooserboden
LD-Tiegel der VÖEST, eine österreichische Innovation der 1950er Jahre, heute Technisches Museum, Wien

Nach der totalen Niederlage des NS-Regimes sah sich das wieder erstandene demokratische Österreich mit einer Reihe von halbfertigen und/oder halb zerstörten industriellen und Infrastrukturprojekten konfrontiert, deren Bau im NS-System mit brutalsten Mitteln (Zwangsarbeit von KZ-Insassen) begonnen worden war und über deren Zukunft Uneinigkeit bestand. Man entschied sich, paradoxerweise mit Zustimmung der westlichen Besatzungsmächte und gegen den Widerspruch der Sowjetunion, für den Weiterbau mit Mitteln der öffentlichen Hand. Durch die Verstaatlichung der Grundstoffindustrie 1946 und der Elektrizitätswirtschaft 1947 sollte eine solide Basis für einen wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen werden, denn Privatinvestoren waren nach dem Zweiten Weltkrieg kaum vorhanden. Durch die Verstaatlichung wollte man auch einen etwaigen Zugriff der Alliierten auf das ehemals deutsche Eigentum unterbinden. Die Verstaatlichung in Österreich ermöglichte so, abgesichert durch Mittel aus dem Marshallplan unter anderem den Fertigbau der VÖEST, der Aluminiumwerke Ranshofen und des Kraftwerks Kapruns.[38] Die Sowjetunion ließ sich die Zustimmung in der alliierten Kommission durch einen anderen Wechselkurs ihrer Barvermögen abkaufen. Die erhaltenen Waren mussten zum Inlandspreis verkauft werden. Die erzielten Geldmittel mussten auf ein Counterpart-Konto eingezahlt werden. Warenlieferungen erfolgten bis 1953 und erreichten einen Wert von ungefähr einer Milliarde Dollar. Dieses Konto wurde am 12. Juli 1962 in die Verfügungsgewalt des österreichischen Staates übergeben aus dem dann der privatwirtschaftlich geführte ERP-Fonds entstand. Die Förderungen für Österreich waren europaweit am höchsten. Dafür gab es zwei Gründe: Einerseits war Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg sehr schwach industrialisiert und musste erst eine Industrie errichten, andererseits musste Österreich wie Deutschland Reparationszahlungen an die Sowjetunion zahlen. Aufgrund dieser beiden Gründe galt Österreich als besonders förderungswürdig. Der Österreichische Schilling wurde schon 1945 wieder eingeführt, musste aber 1947 per Parlamentsbeschluss auf 1/3 des Wertes herabgesetzt werden. Die Versorgungslage verbesserte sich nur langsam, 1949 konnte z. B. die tägliche Lebensmittelzuteilung auf 2100 Kalorien angehoben werden, lag damit aber immer noch deutlich unter dem Vorkriegsniveau von 3200 Kalorien.[39] Das umfassende Konsensualsystem der Sozialpartnerschaft sicherte in der Nachkriegszeit den sozialen Frieden. Außerdem wurde ein umfangreiches Proporzsystem zur Machtteilung zwischen ÖVP und SPÖ ausverhandelt, um eine Wiederholung der gegenseitigen Ausgrenzung, die zur Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie 1933 geführt hatte, zu verhindern. Das führte jedoch vor allem 1950ern und 1960ern in den Unternehmen der Verstaatlichten Industrie zu einer typischen Parteibuchwirtschaft, bei der die Parteimitgliedschaft bei entweder SPÖ oder ÖVP praktisch Voraussetzung war, um dort eine Anstellung zu erhalten. Bis zum Abschluss des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 blieb Österreich militärisch besetzt und mussten auch alle Wirtschaftsvorhaben mit den Besatzungsmächten absprechen.

Das ausverhandelte Proporzsystem, das auch die Machtteilung in der Verstaatlichten Wirtschaft regelte, geriet zunehmend in die Kritik, weil es als „Packelei“ zwischen ÖVP und SPÖ wahrgenommen wird. Es endete schließlich 1966, als es einer Partei (ÖVP) erstmalig gelang, eine absolute Mehrheit bei der Nationalratswahl zu erzielen (bzw. danach dreimal der SPÖ). Die Verstaatlichte Industrie wurde 1967 zunächst in einer GmbH (ÖIG) organisiert und 1970 in eine Aktiengesellschaft (ÖIAG) umgewandelt, blieb aber in alleinigem Staatseigentum.

Bis zur Stahlkrise in den 1970ern erzielte Österreichs Wirtschaft ständiges Wachstum. Mit Deutschland als wichtigstem Handelspartner blieb die Wirtschaftsentwicklung bis in die Gegenwart, eng an die dortige Entwicklung gekoppelt. Man versuchte auch wirtschaftlich von der Bündnisfreiheit durch Handel mit Ostblockstaaten und der Sowjetunion zu profitieren. 1968 vereinbarte Österreich als erster westeuropäischer Staat einen Gasliefervertrag mit der Sowjetunion. Von 1970-73 wurde die Transgas-Pipeline erbaut, über die bis Ende 2024 Gas nach Österreich geliefert wurde. Durch die anhaltende schwache Preisentwicklung am Stahlmarkt, Ölpreiskrise, aber auch, weil die Verstaatlichten Betriebe zunehmend von den Regierungsparteien verwendet wurden, um Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen, kam es ab den 1980ern zu zunehmenden Verlusten in der Verstaatlichten Industrie. Als dann 1985/86 der Intertrading-Skandal für hohe Verluste sorgte, wurde es zu einer Verstaatlichtenkrise. Die hohen Verluste sorgten für eine Budgetkrise, Absetzung des VOEST-Vorstands durch den Finanzminister und Massendemonstrationen von empörten Arbeitern.

„Wir sind pleite. Verstehen Sie das bitte, wir sind pleite!“

Hugo Michael Sekyra, Vorstand der ÖIAG bei einer Arbeiterversammlung 1986 in Kapfenberg

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Die Verstaatlichtenkrise führte zum Sturz der Regierung und konnte nur mühsam beendet werden. Von 1980 bis 1992 wurden 55.000 Arbeitsplätze abgebaut und von 1980 bis 1988 musste der Staat 48,9 Milliarden Schilling zuschießen. Viele große Staatskonzerne wurden zerschlagen, neu strukturiert und Teile verkauft. Parallel zur Verstaatlichtenkrise kam es ab den 1970ern auch zu einer krisenhaften Entwicklung im genossenschaftlich organisierten Einzelhandel. So entstand 1978 durch Fusionierung von Regionalgenossenschaften zum Konsum, die größte Konsumgenossenschaft Österreichs (1994: 700.000 Mitglieder). Schon zum Zeitpunkt der Fusion waren einige dieser Regionalgenossenschaften schwer defizitär, auch in der Folge gelang keine Sanierung. 1995 musste der Konsum mit ca. 15.000 Mitarbeitern schließlich Insolvenz anmelden.

Das Anschlussverbot des Staatsvertrags wurde lange Zeit von wichtigen Signatarmächten auch als Beitrittsverbot zur EWG ausgelegt. Österreich schloss sich daher zeitweilig der EFTA an.[41] Dem am 17. Juli 1989 abgegebenen Beitrittsantrag wurde aber schließlich stattgegeben. Seit 1. Jänner 1995 ist das Land Mitglied der EU.[42]

Literatur

  • Felix Butschek: Österreichische Wirtschaftsgeschichte – von der Antike bis zur Gegenwart. Böhlau, Wien 2011, ISBN 978-3-205-78643-6.
  • Günther Chaloupek, Peter Eigner, Michael Wagner: Wirtschaftsgeschichte der Stadt Wien 1740 bis 1938. 2 Bände. Jugend & Volk, Wien 1991, ISBN 3-224-16051-9.
  • Peter Eigner, Andrea Helige: Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Brandstätter, Wien 1999, ISBN 3-85447-693-0.
  • David F. Good: Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750–1914. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1986, ISBN 3-205-06390-2.
  • Roman Sandgruber: Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ueberreuter, Wien 1995, ISBN 3-8000-3620-7 (= Österreichische Geschichte, hg. v. Herwig Wolfram, Bd. 10).
  • Dieter Stiefel: Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938. Böhlau, Wien 1988, ISBN 3-205-05132-7.

Einzelnachweise

  1. Roman Sandgruber: Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ueberreuter, Wien 1995, ISBN 3-8000-3620-7, S. 9.
  2. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 9.
  3. Bergbau in Hallstatt. In: derstandard.at. 2015, abgerufen am 2. September 2025.
  4. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 16.
  5. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 22.
  6. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 26.
  7. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 50.
  8. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 68ff, zur Abholzung S. 82.
  9. Chronik. In: Terra-Mystica.at. Abgerufen am 2. September 2025.
  10. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 130.
  11. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 132.
  12. Faks.-Ausg. der 1684 ersch. Erstausg., Düsseldorf: Verl. Wirtschaft u. Finanzen, 1997
  13. Peter Eigner, Andrea Helige: Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Brandstätter, Wien 1999, ISBN 3-85447-693-0, S. 13.
  14. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 153.
  15. Eigner, Helige: Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1999, S. 15.
  16. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 222.
  17. Eigner, Helige: Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1999, S. 16.
  18. [ C. Rider Encyclopedia of the Age of the Industrial Revolution 1700–1920, S. 24–27]
  19. [ A.Milward und S.B.Saul Development of the Economies of Continental Europe, 1850-1914, S. 271–331]
  20. [ Headlam, James Wycliffe (1911) Encyclopædia Britannica, Vol. 3 (11th ed.). Cambridge University Press. Seiten 2–39]
  21. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 243.
  22. [1] Milei und die Libertären: eine (nicht ganz so) neue Bewegung in der argentinischen Politik
  23. [ Max-Stephan Schulze (1911) Engineering and Economic Growth: The Development of Austria–Hungary's Machine-Building Industry in the Late Nineteenth Century, Seite 295]
  24. P. Urbanitsch Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band I: Die wirtschaftliche Entwicklung
  25. A.F. Frank Oil Empire: Visions of Prosperity in Austrian Galicia
  26. [2] Black Gold In Galicia – Oil Boom & Bust In Austria-Hungary
  27. David F. Good The Economic Rise of the Habsburg Empire, 1750-1914
  28. S. Broadberry The Cambridge Economic History of Modern Europe, Volume 2: 1870 to the Present
  29. Eigner, Helige: Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1999, S. 13.
  30. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 316.
  31. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 332.
  32. Jürgen Nautz: Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1923. Böhlau Verlag, Wien 1994, ISBN 3-205-98118-9, S. 73ff.
  33. a b Angaben nach: Der Schilling. 1924–2001. Ausstellungskatalog. Hrsg. von der Österreichischen Nationalbank, überarbeitete Neuauflage 2011, keine ISBN, S. 5; Informationen der Dauerausstellung im Geldmuseum der Österreichischen Nationalbank.
  34. [3] In: Ludwig von Mises: »Ich habe einen hoffnungslosen Kampf geführt« Die Presse, abgerufen am 02. September 2025.
  35. [4] In: Wie Erdöl Hitler anlockte – und Österreich später die Freiheit brachte Neue Zürcher Zeitung vom 18. Oktober 2019, abgerufen am 03. September 2025.
  36. Karner, Stefan / Mikoletzky, Lorenz (Hg.) In: Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament, Innsbruck/Wien/Bozen 2008, S. 229–240
  37. Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft von 1938 - 1945, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1978
  38. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 460.
  39. [5] Homepage des Österreichischen Parlaments Abschnitt Wirtschaftlicher Wiederaufbau
  40. [6] Oberösterreichische Nachrichten Verstaatlichtenkrise - Verstehen Sie bitte, wir sind pleite!, 12. Februar 2011, abgerufen am 2. September 2025
  41. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 482f.
  42. Sandgruber: Ökonomie und Politik. 1995, S. 492.