Wilhelm Ohr
Wilhelm Ludwig Ohr (* 23. September 1877 in Wien; † 23. Juli 1916 an der Somme) war ein deutscher Historiker.
Leben
Wilhelm Ohr studierte Geschichte an den Universitäten Halle, Berlin und Leipzig, wo er 1902 promovierte. Nach einem Forschungsaufenthalt in Rom habilitierte er sich 1904 an der Eberhard Karls Universität Tübingen und wirkte hier als Privatdozent für Geschichte. 1907 gehörte Ohr zu den Mitbegründern des Nationalvereins für das liberale Deutschland, war zunächst dessen Generalsekretär und später Direktor, sowie Ausschussmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kaufmanns-Erholungsheime. 1913 wechselte er als Privatdozent für Mittlere und Neuere Geschichte an die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main. Unmittelbar bei Kriegsausbruch eingezogen, fiel Ohr im Ersten Weltkrieg bei Pozières in der Schlacht an der Somme.
Wilhelim Ohr und Leonard Nelson
In seiner 1994 fertiggestellten Dissertation geht Rainer Loska[1] mehrfach auf die Bedeutung ein, die Wilhelm Ohr für Leonard Nelson hatte. Nelson lernte Ohr 1908 kennen, nachdem er dem liberalen Freisinnigenverein beigetreten war. In der Folge bestritten Ohr und Nelson gemeinsam zahlreiche politische Veranstaltungen für die Liberalen und waren auch 1910 Co-Autoren der Schrift Was ist liberal?.
„Die Kooperation mit Wilhelm Ohr war für Nelson von großer Bedeutung. Hier wurden die Grundlagen für das spätere, nach dem 1. Weltkrieg verfolgte und dann verwirklichte politisch-pädagogische Konzept einer Parteischule gelegt.“
Das 1924 von Nelson zusammen mit Minna Specht gegründete Landerziehungsheim Walkemühle verfolgte laut Loska bei der politischen Arbeit mit Erwachsenen der von Wilhelm Ohr vertretenen Konzeption der streng geschlossenen Lerngemeinschaften.[2]:S. 126 f Die von Nelson entwickelte Methode des Sokratischen Gesprächs beruht laut Loska nach Nelsons eigenen Angaben auch auf Anregungen, die er durch die Praxis von Wilhelm Ohr erhalten hatte. Nelson habe dies am 14. Januar 1917 in seiner Gedenkrede auf den im Ersten Weltkrieg gefallenen Ohr ausdrücklich gewürdigt.[2]:S. 131
Familie
Wilhelm Ohr war seit dem 7. September 1907 mit der aus der Schweiz stammenden Susanne Julie Bindschedler (1881–1960) verheiratet. Das Paar hatte drei Söhne, von denen zwei – wie ihr Vater im Ersten – im Zweiten Weltkrieg fielen.
Schriften (Auswahl)
- Der karolingische Gottesstaat in Theorie und Praxis. Dissertation Universität Leipzig 1902.
- Die Kaiserkrönung Karls des Großen. Eine kritische Studie. Tübingen 1904 (= Habilitationsschrift Universität Tübingen).
- Zur Erneuerung des deutschen Studententums. München 1908, OCLC 838876792.
- (gemeinsam mit Wilhelm Bousset, Ernst Cahn und Leonard Nelson): Was ist liberal?, München 1910, S. 7–20.
- Die Jesuiten. Buchhandl. National-Verein, München 1911.
- (Bearb., mit Erich Kober): Württembergische Landtagsakten. Reihe 1. Bd. 1: 1498-1515. Kohlhammer, Stuttgart 1913.
- Die Entstehung des Bauernaufstands vom armen Konrad 1514. Kohlhammer, Stuttgart 1913.
- Vom Kampf der Jugend. Akademische Betrachtungen. 4. Aufl. Buchhandl. National-Verein, München 1914.
- Aus einem Jahr Feldlogenarbeit. München 1916.
- Der französische Geist und die Freimaurerei. Leipzig 1916, OCLC 953179739.
Literatur
- Julie Ohr: Aus den letzten Lebenswochen von Wilhelm Ohr. Frankfurt am Main 1917, OCLC 315405935.
- Leonard Nelson: Wilhelm Ohr als politischer Erzieher. Rede gehalten in der Ohr-Gedenkfeier des Nationalvereins in München am 14. Januar 1917. München 1917, OCLC 72298803.
- Wilhelm Ohr. Zum Gedächtnis. Mit einem Bildnis Wilhelm Ohrs. Gotha 1918, OCLC 257638524.
- Anton Erkelenz: Demokratie und Parteiorganisation. Dem Andenken an Friedrich Naumann und Wilhelm Ohr. Berlin 1922.
- Rainer Loska: Lehren ohne Belehrung. Leonard Nelsons neosokratische Methode der Gesprächsführung, Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1995 (Dissertastion an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1994). Das Kapitel 4, in dem Loska das Verhältnis von Nelson zu Ohr thematisiert, ist Online einsehbar.
Weblinks
- Nachlass BArch N 2219
- UAT 126/490: Wilhelm Ohr (1877–1916). Personalakte des Akademischen Rektoramts
Einzelnachweise
- ↑ Zu Loska siehe die Kurzbiografie auf der Seite „Die Mitglieder der Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren“: Rainer Loska.
- ↑ a b c Rainer Loska:. Lehren ohne Belehrung (Online)