Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft
Die Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft m.b.H. (WÖK) wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg als Hilfsorganisation zur öffentlichen Ausspeisung Armer und Bedürftiger als Vienna Public Feeding Gesellschaft m.b.H. gegründet. Zuletzt als WIGAST Gesellschaft m.b.H. firmierend, wurde das Jahrzehnte bestehende Unternehmen im Jahr 2001 in das Österreichische Verkehrsbüro verschmolzen.
Geschichte
Schon im Jahr 1914 hatte Walter Schiff öffentliche Ausspeisungen für die Armen initiiert.[1] In den Hungerjahren nach dem Ersten Weltkrieg übernahm die öffentliche Hand diese Aufgabe.
Das Unternehmen wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 8. November 1919, eingetragen im Handelsregister unter der Registernummer C 34/231 am 19. Dezember 1919, als Vienna Public Feeding Gesellschaft m.b.H. gegründet. Das Stammkapital in Höhe von 20 Millionen Kronen war je zur Hälfte vom Österreichischen Staatsschatz und der Gemeinde Wien aufgebracht worden.[2] Der Auftrag des Unternehmens bestand in der Volksausspeisung, besonders für Klein- und Schulkinder, aber auch für bedürftige Erwachsene und Pensionisten. Bis Ende 1919 übernahm das neue Unternehmen 19 Kriegsküchen. Die Speisen mussten generell abgeholt werden. Nur in den Küchen in der Karolinengasse im 4. Wiener Gemeindebezirk Wieden gab es die Möglichkeit die Mahlzeiten dort einzunehmen.
Mit Eintragung vom 14. September 1920 im Handelsregister wurde das Unternehmen in Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft m.b.H. (WÖK) umfirmiert.[2] Der Betrieb expandierte auf 39 Küchen, die Belegschaft wurde auf 766 Personen aufgestockt. Im April 1921 wurde in der Herrengasse 16 der erste restaurantartige Betrieb eröffnet. 1923 wurden von der WÖK etwa 5 Millionen Essensportionen ausgegeben, 1930 waren es 9 Millionen – der Höchststand vor dem Zweiten Weltkrieg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Unternehmen einen gewaltigen Aufschwung. 1947 wurden mehr als 41 Millionen Essensportionen ausgegeben. Ab 1955 belieferte die WÖK auch Tagesheimstätten für alte Menschen mit Mindesteinkommen (später „Pensionistenklubs“). 1958 nahm die WÖK als erster Restaurationsbetrieb in ihrer Filiale in der Mariahilfer Straße 85 im 6. Bezirk Mariahilf einen Elektroherd in Gebrauch. 1969 startete die Aktion „Essen auf Rädern“, zunächst mit 25 Kunden, 1979 wurden bereits 5.500 Menschen mit „Essen auf Rädern“ beliefert.
Ab 1978 kam es zu Umstrukturierungen, es entstanden Produktionsbetriebe für Salate und Halbfabrikate sowie eine mit moderner Technologie ausgestattete Großküche. 1981 wurde die ehemalige WÖK-Zentralküche im 5. Bezirk Margareten, situiert im Häuserblock Margaretengürtel 18 / Kliebergasse / Gassergasse 19 / Laurenzgasse 1 (heute Neubau Hanns-Gasser-Hof), dem „Verein zur Schaffung, Förderung und Unterstützung von selbstverwalteten Kultur- und Kommunikationszentren“ zur Verfügung gestellt, es entstand dort das Kulturzentrum Gassergasse (GaGa), bestehend bis zum Abbruch des Gebäudes im Juni 1983.[3]
Zu einem aus dem Firmenbuch-Auszug mit den historischen Daten nicht hervorgehenden Zeitpunkt kam es zur Umfirmierung der WÖK GmbH zur Wigast Gaststättenbetriebsgesellschaft mbH.[4]
Die Wigast, nunmehr als Holdinggesellschaft, wurde zur größten Gastronomiekette Österreichs, der auch bekannte Gastronomiebetriebe wie der Rathauskeller im Wiener Rathaus und das Café Schwarzenberg ebenso angehörten, wie der Donauturm und das von der Wigast revitalisierte das Schloss Wilhelminenberg.
Nachdem der Wigast bereits die österreichische Wienerwald-Kette angehörte, wurde im Mai 1991 auch noch Wienerwald Deutschland übernommen, womit für das Jahr 1991 ein Umsatz der Unternehmensgruppe von fast drei Milliarden Schilling mit mehr als 4.000 Mitarbeitern erwartet wurde.[5]
Mit Generalversammlungsbeschluss vom 16. Juli 1991 wurde die GmbH in die WIGAST Aktiengesellschaft umgewandelt. Mit Gesellschaftsvertrag vom 26. Juni 1996 wurde die Gesellschaft neuerlich zu einer GmbH, nunmehr bis zur Löschung als WIGAST Gesellschaft m.b.H. firmierend.[4] 1999 bis 2001 wurde die Wigast schrittweise mit dem Österreichischen Verkehrsbüro fusioniert. Mit Generalversammlungsbeschluss und Verschmelzungsvertrag vom 10. Juni 2001 wurde die Wigast in die Österreichisches Verkehrsbüro Aktiengesellschaft verschmolzen,[4] womit nach rund 80 Jahren ihres Bestehens die WÖK bzw. die Wigast aufgehört hat zu existieren. 2008 verkaufte das Verkehrsbüro seine Kulinariksparte, um sich auf das touristische Kerngeschäft zu konzentrieren.
Wissenswertes
- Nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings sendete der Österreichische Rundfunk (ORF) Nachrichten in tschechischer Sprache, gerichtet an die nach der Flucht Österreich in Österreich gebliebenen rund 10.000 Tschechoslowaken. In der Ausgabe vom 25. August 1968 hieß es dazu unter anderem:
„Nun einige wichtige Informationen für alle tschechoslowakischen Staatsbürger, die sich in Wien befinden. […] Zweite Mitteilung: In Zusammenarbeit mit der Organisation ‚Pomoc uprchlíkům‘ / ‚Flüchtlingshilfe‘ gibt die ‚Wiener Öffentliche Küche‘ (WÖK) in allen ihren Filialen für Tschechoslowaken, die in Österreich geblieben sind, kostenlose Mahlzeiten aus. Sie können sich bei der Organisation ‚Pomoc uprchlíkům‘ melden, wo sie Kupons für ein tägliches Essen erhalten. Für Kinder wird besonders gesorgt. Das Küchenpersonal hat die Anweisung, für die Kinder leichte Speisen zu kochen.“
- Thomas Bernhard lässt in seiner Erzählung Die Billigesser die titelgebenden vier Protagonisten von Montag bis Freitag in einer bestimmten WÖK immer die preisgünstigste der dort angebotenen Speisen zu sich nehmen. Einer von ihnen geht dann allerdings ins Café Zögernitz, „weil das Zeitungsangebot dort besser war als in der WÖK“.[7]
Literatur
- Edith Hörandner: WÖK. Eine Wiener Institution. 1919–1994. Mit einem Vorwort von Bürgermeister Michael Häupl. Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft m.b.h., Wien 1994, ISBN 3224107324.
- Susanne Breuss: Fleischhunger und Sodawasserlaune. Konkurrierende Esskulturen des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Ulrike Spring, Wolfgang Kos, Wolfgang Freitag (Hrsg.): Im Wirtshaus. Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit. Ausstellungskatalog Wien Museum. Wien 2007, S. 170–179.
- Susanne Breuss: 100 Jahre WÖK. Bei den Billigessern. In: Wien Museum Magazin. 25. April 2021.
- Lilli Bauer, Werner T. Bauer: „Von der Volksküche zur Küche des Volkes“. In: der rote blog. Verein Sammlung Rotes Wien, 23. März 2024.
Weblinks
- WÖK im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
- Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft (WÖK). In: dasrotewien.at – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie. SPÖ Wien (Hrsg.)
Einzelnachweise
- ↑ Nachlass Walter Schiff. Mit Biographie. In: Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich (AGSO), abgerufen am 29. August 2025.
- ↑ a b Handelsgericht, B78/34: Handelsregister C 34/231: Vienna Publik (sic!) Feeding Gesellschaft m.b.H.; Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft m.b.H. (Digitalisate der Doppelseiten, 231 und 232.) In: WAIS – Wiener Archivinformationssystem. Wiener Stadt- und Landesarchiv, abgerufen am 29. August 2025.
- ↑ Ohne Maulkorb: Standpunkte. Gassergasse. A, 1983. „Ohne Maulkorb“ Reportage mit Peter Resetarits. In: film.at, ohne Datum, abgerufen am 29. August 2025: „Am 26. Juni 1983 räumte die Polizei das Jugendzentrum Gassergasse - GAGA genannt - im 5. Bezirk in Wien mit Gewalt. Unmittelbar danach berichtet OHNE MAULKORB: Peter Resetarits moderiert vor Ort, hinter ihm sind bereits die Bagger mit dem Abbruch zugange.“
- ↑ a b c Wigast zuletzt als WIGAST Gesellschaft m.b.H., Firmenbuchnummer FN 79004h, vormals Handelsregisternummer HRB 31461a am Handelsgericht Wien. Firmenbuchauszug mit historischen Daten vom 29. August 2025.
- ↑ Wiener Holding hat den deutschen „Wienerwald“ erworben. In: Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 24. Mai 1991, abgerufen am 29. August 2025: „Die Wiener Holding hat die deutsche Wienerwald-Kette erworben. Der entsprechende Vertrag zwischen der WIGAST, einer Holding-Tochter, und der britischen Metropolitan wurde am Donnerstag unterschrieben. Das gab Holding Generaldirektor Dkfm. Klaus STADLER am Donnerstag abend in einem Pressegespräch bekannt. Damit sind alle Wienerwald-Gaststätten wieder in österreichischem Besitz. Durch den Kauf von Wienerwald Deutschland wird die Unternehmensgruppe WIGAST heuer voraussichtlich mit mehr als 4.000 Mitarbeitern einen Umsatz von fast drei Milliarden Schilling erwirtschaften.“
- ↑ Der Österreichische Rundfunk sendet Nachrichten in tschechischer Sprache. In: Radio Prag International. 28. August 2008, abgerufen am 29. August 2025 (hier: „Ein weiterer wichtiger Bestandteil der tschechischsprachigen Sendungen waren Hinweise für die nach Österreich geflüchteten Bürger der Tschechoslowakei.“).
- ↑ Thomas Bernhard: Werke. Band 13. Kommentar. Suhrkamp, 2008, S. 330.