Wau Holland Stiftung

Die Wau Holland Stiftung (WHS) ist eine 2003 gegründete und 2004 als gemeinnützig anerkannte Stiftung mit Sitz in Hamburg,[1][2] die den Nachlass des 2001 verstorbenen Hackers und Journalisten Wau Holland verwalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen will.
Gründung
Planungen hierfür begannen schon Ende 2001.[3][4] Mitbegründer und Mitglied des Stiftungsvorstandes ist u. a. Andy Müller-Maguhn und Bernd Fix. Die Stiftung steht dem von Holland mitbegründeten Chaos Computer Club nahe und hat zum Ziel, sein Lebenswerk unter anderem auf den Gebieten der Technikfolgenabschätzung, der Technikgeschichte und der Informationsfreiheit fortzuführen. Konkret fördert sie den Einsatz elektronischer Medien zu Bildungszwecken sowie Veranstaltungen über die gesellschaftlichen Aspekte neuer Techniken.
Aktionen
Projekte der Stiftung, jeweils in Zusammenarbeit mit dem Chaos Computer Club, sind ein „Archiv für Neue Technikgeschichte (Hackerarchiv)“, welches die Geschichte der Szene dokumentieren soll,[5][6] sowie die Kampagne gegen Wahlcomputer.[7] Ab 2025 sind weitere Projektbereiche ‚Anonymisierungs-Netzwerke', ‚Dezentrale Kommunikations-Netzwerke', ‚Informationsfreiheit verteidigen', ‚Alpha-BIT-isierung' (Medien- und Technikbildung), ‚Informationelle Selbstbestimmung', ‚Zivilcourage‘ und ‚Freie Software'.[8]
Kampagne gegen Wahlcomputer
In Zusammenarbeit[9] mit dem Chaos Computer Club[10] initiierte die Stiftung eine Untersuchung und öffentliche Kampagne gegen den Einsatz elektronischer Wahlmaschinen als Reaktion auf die ES3B-Wahlcomputer der niederländischen Firma NEDAP bei den 16. Bundestagswahlen am 18. September 2005. Wie von Datenschutzforschern zusammengefasst wurde: Die NEDAP-Wahlgeräte wurden bei den Bundestagswahlen 2005 in fast 2.000 Wahlbezirken eingesetzt, was bedeutet, dass zwischen 2 und 2,5 Millionen Wähler die Geräte zur Stimmabgabe genutzt haben.[11]
Die Bedenken der Kampagne konzentrierten sich hauptsächlich auf die „Manipulierbarkeit von Wahlcomputern“. In einem Sicherheitsbericht von Rop Gonggrijp und Willem-Jan Hengeveld heißt es, dass dieser DRE (Direct Recording Electronic)-Wahlcomputer 'höchste Vertrauenswürdigkeit erfordert, da er ein offizielles Wahlergebnis liefert, das nicht unabhängig überprüft werden kann.' Darüber hinaus 'sind die von uns festgestellten Probleme auf die Designphilosophie selbst zurückzuführen, sodass wir keine schnellen Lösungen sehen, die dieses Gerät ausreichend sicher machen könnten.'[12]
Viele dieser Wahlmaschinen wurden anschließend ihre Zertifizierung entzogen[13], und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied, dass die Bundeswahlgeräteverordnung, die den Einsatz von Wahlcomputern regelte, verfassungswidrig sei, da sie nicht sicherstelle, dass die Öffentlichkeit „ohne nähere computertechnische Kenntnisse“ verstehen könne, wie solche Maschinen funktionieren. Die Maschinen entsprachen daher nicht dem „Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl“ und waren nicht der Möglichkeit „dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen“.[14] Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ließ jedoch weiterhin die Möglichkeit offen, dass Wahlcomputer bei künftigen Wahlen eingesetzt werden können, sofern "die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle gesichert ist".[15]
Kampagne zum Schutz genetischer Daten
Zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung hat die Stiftung die gemeinnützige Organisation Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) bei der Erstellung einer öffentlichen Beratungsbroschüre[16][17] zum Thema zum Thema polizeilicher Zugriff auf DNA-Daten[18] in den Jahren 2019 und 2020 unterstützt. GeN ist ein spendenfinanzierter Verein[19], "der Wissen zu Bio-, Gen- und Fortpflanzungstechnologien für die interessierte Öffentlichkeit aufbereitet. In Zusammenarbeit mit feministischen und ökologischen Bewegungen ermöglichen wir differenzierte Debatten, die die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologien ins Zentrum stellen." In ihrem Jahresbericht 2021: "Des Weiteren stand für das GeN 2021 die Ausweitung der Analysebefugnisse von DNA-Spuren durch die Polizei in der Schweiz im Fokus. Und wir nahmen den Umgang mit Minderheiten in forensischen DNA-Datenbanken in den Blick."[20] GeN unterstützt das Argument, dass: "die Verwendung von DNA durch staatliche Behörden.. [bedeutet] jedoch gravierende Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung von immer mehr Menschen."[21]
Medien- und Technikbildung
Um Kinder und Jugendliche auf die Auswirkungen der Technologie auf die Gesellschaft vorzubereiten, war Wau Holland Mitbegründer[22] der CCC-Jugendbildungsinitiative[23] Chaos Macht Schule, deren Aktivitäten von lokalen Ortsgruppen des Clubs organisiert werden können.[24][25] Themen sind Schulungen zu den Gefahren des Internets, sozialen Netzwerken, Urheberrecht, Datenschutz und mehr.
Die Stiftung finanziert diese verteilte Initiative weiterhin im Projektbereich „Alpha-BIT-isierung“[26], zusätzlich zu Lötworkshops und praktischen Elektronik-Hacking-Kursen für Kinder durch die Veranstaltung Datenspuren.[27]
Im Juli 2022 kündigte die intersektionale feministische Hackergruppe[28] Haecksen einen Python-Anfängerkurs für „Frauen, intesex, nonbinary, trans und agender Personen” an, der von der Stiftung gesponsert wurde.[29]
Freie Software
Die Stiftung hat verschiedene freie Softwareprojekte finanziell unterstützt und/oder sammelt Spenden für diese, darunter die Desktop-Umgebung GNOME[30], GnuPG[31], die p≡p-Stiftung[32] (auch bekannt als Sequoia-PGP), das Katzenpost-Mixnet-Protokoll[33][34] und Betreiber von Tor-Netzwerk-Relays/Servern.[35][36] Auch die Stiftung hat Veranstaltungen/Treffen für Entwickler freier Software gesponsert, bei denen diese sich treffen und zusammenarbeiten können, wie beispielsweise die Decentralized Internet Federation Fusion (DIFF).[37]
Informationsfreiheit und Transparenz
Als Teil ihres Engagements für Zivilcourage, Informationsfreiheit und Transparenz hat die Stiftung von „verfolgten Whistleblowern, Journalisten und (politischen) Hacktivisten zugeführt.“[38] Sie hat die Versuche der deutschen Regierung kritisiert[39], die Online-Plattform FragDenStaat der Open Knowledge Foundation zu zensieren.[40] In Bezug auf Whistleblower hat die Stiftung mit verschiedenen Unterstützungsfonds/-netzwerken in diesem Bereich zusammengearbeitet, insbesondere mit der Courage Foundation. Seit 2024 ist die Stiftung neben der Reva and David Logan Foundation und anderen auch Gründungsorganisation, Vorstandsmitglied und Hauptförderer des in Berlin gemeinnützigen Whistleblower Network (WBN), das für die Vergabe des Ellsberg Whistleblower Award verantwortlich ist.[41][42][43][44]
Verbindung zu WikiLeaks
Des Weiteren nimmt die Stiftung in Europa Spenden für die Unterstützung der Website WikiLeaks an.[45][46] Ab dem 3. Dezember 2010 wurde das PayPal-Konto der Wau Holland Stiftung wegen „illegaler Aktivitäten“ von PayPal gesperrt.[47][48] Die Stiftung hatte damit zeitweilig keinen Zugriff auf verbleibende rund 10.000 Euro und kündigte am 7. Dezember rechtliche Schritte gegen PayPal an. PayPal gewährte kurz danach wieder den Zugriff auf die verbliebenen Spenden und wurde später auch wieder als Spendenmöglichkeit auf der Webseite der Stiftung angeboten.[49][50] Für das Jahr 2010 wurden Spenden in Höhe von 1,33 Millionen Euro an Wikileaks weitergeleitet, im Jahr 2011 waren es 660.523 Euro.
Nach eigenen Angaben wendete die Stiftung insgesamt 16 Millionen Euro für Anwaltskosten und Kampagnen aus, die zur Freilassung Julian Assanges beitrugen. Auch war die Stiftung in die Organisation der Ausreise Assanges nach Australien involviert.[51]
Finanzierung
Das Finanzamt Kassel erkannte der Stiftung rückwirkend für das Jahr 2010 die Gemeinnützigkeit ab, da diese keine „ordnungsgemäße[n] Aufzeichnungen“ zum Nachweis der Überwachung der „weisungsgemäße[n] Verwendung der Mittel“ durch Wikileaks vorlegen konnte. Ein Einspruch gegen die Entscheidung wurde vom Finanzamt Hamburg-Nord als unbegründet zurückgewiesen.[52] Ab dem Jahr 2011 wurde die Gemeinnützigkeit der Stiftung durch die Hamburger Behörde wieder anerkannt. Im Februar 2024 hat das Finanzamt Hamburg-Nord der Stiftung die Gemeinnützigkeit für das Jahr 2020 entzogen,[53] nahm die Entscheidung jedoch im Juni 2024 abermals zurück.[54]
Das verzinsliche angelegte Stiftungskapital beträgt gegenwärtig rund 62.000 Euro (Stand Januar 2021); weiterer Vermögensbestand ist eine kleinere landwirtschaftliche Fläche, die verpachtet ist.[1]
Auch in Berlin unterhält die Stiftung ein Büro.[55]
Weblinks
- Wau Holland Stiftung
- Hackerarchiv: Auswahl dokumentarischer Presseberichte
Einzelnachweise
- ↑ a b Wau Holland Stiftung: Über die Wau Holland Stiftung Abgerufen am 2. Mai 2012.
- ↑ Wau Holland Stiftung: Stiftungs-Verfassung (PDF; 20 kB) Stand: September 2011, abgerufen am 2. Mai 2012.
- ↑ golem.de: Wau Holland Stiftung gegründet – Aufruf zu „Datenspenden“
- ↑ SPON: Hacker-Stiftung: Willkommen in Wauland von Thomas Barth
- ↑ heise.de: Wau-Holland-Stiftung und CCC planen „Archiv der Hackerbewegung“
- ↑ golem.de: CCC und Wau-Holland-Stiftung bauen Hackerarchiv auf
- ↑ gulli.com: CCC gegen Wahlcomputer: Spendenaufruf für die Wau Holland-Stiftung ( vom 25. Januar 2013 im Webarchiv archive.today)
- ↑ Projekte - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. Juli 2025.
- ↑ Kampagne gegen Wahlcomputer - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ CCC | Chaos Computer Club fordert Verbot von Wahlcomputern in Deutschland. Abgerufen am 15. September 2025 (englisch).
- ↑ Melanie Volkamer: Electronic Voting in Germany. In: Data Protection in a Profiled World. Springer Netherlands, Dordrecht 2010, ISBN 978-90-481-8865-9, S. 177–189, doi:10.1007/978-90-481-8865-9_10.
- ↑ Rop Gonggrijp, Willem-Jan Hengeveld: Studying the Nedap/Groenendaal ES3B voting computer: a computer security perspective. In: Proceedings of the USENIX Workshop on Accurate Electronic Voting Technology (= EVT'07). USENIX Association, USA 6. August 2007, S. 1, doi:10.5555/1323111.1323112.
- ↑ Electronic voting machines eliminated in the Netherlands. In: European Digital Rights (EDRi). Abgerufen am 15. September 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Pressemitteilung: Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig. Bundesverfassungsgericht, 3. März 2009, abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Alexander Goldberg: Nutzung von Wahlgeräten bei Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig. In: GoldbergUllrich. 3. März 2009, abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Neu: Kostenlose Rechtsberatungsbroschüre | Gen-ethisches Netzwerk e.V. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Update unserer kostenlosen Rechtsberatung | Gen-ethisches Netzwerk e.V. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Polizeiliche DNA-Analyse | Gen-ethisches Netzwerk e.V. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Das Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) | Gen-ethisches Netzwerk e.V. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Jahresbericht 2021. Abgerufen am 15. September 2025 (deutsch).
- ↑ Genetische Überwachung | Gen-ethisches Netzwerk e.V. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ André Igler: Chaos macht Schule: Was ist das, wer macht das und warum machen die das? In: Medienimpulse. Band 57, Nr. 1, 12. März 2019, ISSN 2307-3187, doi:10.21243/mi-01-19-09 (univie.ac.at [abgerufen am 15. September 2025]).
- ↑ Chaos macht Schule. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Chaos macht Schule. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Chaos Computer Club Wien (C3W): Chaos macht Schule :. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Alpha-BIT-isierung - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ #machtnix: Datenspuren 2018 in Dresden - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Selbstverständnis – Haecksen. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Veröffentlicht: hckn011: Der Python-Kurs für absolute Anfängerinnen*. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Donations within the EU are now handled through the Wau Holland Foundation. In: GNOME Foundation. 3. Juli 2015, abgerufen am 15. September 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Informationelle Selbstbestimmung - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Gemeinsame Pressemitteilung: Wau Holland Stiftung sammelt Spenden für die p≡p Stiftung im EU-Raum - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Förderung des Katzenpost-Projekts - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Katzenpost Funders. Abgerufen am 15. September 2025 (englisch).
- ↑ Moritz Bartl: [tor-relays] Reimbursement of Exit Operators. 17. September 2013, abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ On the way to more diversity. 3. April 2013, abgerufen am 15. September 2025 (englisch).
- ↑ Delta Chat: DIFF Invitation June 7-17th. Abgerufen am 15. September 2025 (englisch).
- ↑ Zivilcourage - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Unverschämter Zensurversuch des BMI gegen FragDenStaat.de - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Zensurheberrecht 2014. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Wie wir finanziert werden – Ellsberg Whistleblower Award. Abgerufen am 15. September 2025 (deutsch).
- ↑ The 2024 Ellsberg Whistleblower Award - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Ellsberg Whistleblower Award. The Reva & David Logan Foundation, 20. März 2025, abgerufen am 15. September 2025 (englisch).
- ↑ New Whistleblower Award: For the right to information. 17. Oktober 2024, abgerufen am 15. September 2025.
- ↑ Archivlink ( vom 7. Dezember 2010 im Internet Archive)
- ↑ welt.de: Deutsche Stiftung sichert Wikileaks-Finanzierung
- ↑ Kai Schmerer: Paypal schaltet Spendenkonto von Wikileaks ab. In: ZDNet. 4. Dezember 2010, archiviert vom am 29. Juni 2013; abgerufen am 19. September 2025.
- ↑ Tim Pritlove: LNP531 Datenschutzfaktor 30. 8. September 2025, abgerufen am 19. September 2025.
- ↑ golem.de: Wau-Holland-Stiftung wehrt sich gegen Paypal
- ↑ netzpolitik.org: Wau Holland Stiftung geht gegen Paypal vor
- ↑ On the release of Julian Assange. In: Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 26. Juni 2024.
- ↑ Wau Holland Stiftung: Einspruchsentscheidung des Finanzamts Hamburg-Nord (PDF; 216 kB)
- ↑ Gemeinnützigkeit für 2020 vom Finanzamt entzogen - Wau Holland Stiftung. Abgerufen am 27. Juni 2024.
- ↑ Gemeinnützigkeit für 2020 wiedererlangt. In: Wau Holland Stiftung. 29. Juni 2024, abgerufen am 1. Juli 2024.
- ↑ https://www.dasoertliche.de/Themen/Wau-Holland-Stifung-Berlin-Mitte-Marienstr