Wambolter Hof (Mainz)
.jpg)
Der Wambolter Hof war ein 1702 von dem Mainzer Kammersekretär Johann Georg Nitschke erbauter Barockbau mit umfangreichen Nebengebäuden, der bis 1953 an der Stelle der heutigen Römerpassage/Emmeranstraße in Mainz stand. Vorher befand sich an gleicher Stelle der spätmittelalterliche Hof zum Gensfleisch. 1743 wurde der Wambolter Hof von den Wambolt von Umstadt erworben, von denen der bis dahin als „Hof Zum neuen Roseneck“ bezeichnete Gebäude seinen bis heute gebräuchlichen Namen erhielt. 1806 wurde er von Christian Lauteren, einem der bürgerlichen Notabeln des französischen Mayence, erworben und führte seitdem zusätzlich den Namen „Lauteren’sches Haus“. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Hof zwar bei Fliegerangriffen beschädigt, war aber trotzdem noch in Teilen intakt. Trotz großer Proteste seitens der Denkmalpflege unter Fritz Arens wurden die Reste des Wambolter Hofes 1953 endgültig abgerissen.
Der Vorgängerbau: Hof zum Gensfleisch
Vor dem Bau des nachmaligen Wambolter Hofs stand an der gleichen Stelle der spätmittelalterliche Hof zum Gensfleisch (auch: Gänsfleisch). Wann der Hof erbaut wurde, ist nicht bekannt. Erstmals wird er unter diesem Namen 1306 in einem Zinsbuch der Abtei Altmünster erwähnt.[1] In der Stadtaufnahme von 1568 und 1594 findet er sich ebenso wie in dem 1575 erstellten Maskopp’schen Plan sowie späteren Dokumenten.[2]
Friele Rafit, ein Mainzer Patrizier und Ratsherr, erwarb um 1330 den Hof zum Gensfleisch und nannte sich seitdem, wie damals üblich, nach dem neuen Besitz Friele zum Gensfleisch. Der Hof befand sich ungefähr 100 Jahre im Besitz der Familie Gensfleisch. 1433 wird ein Rudolf zum Gensfleisch als Besitzer genannt. Der „alte“ Henne von Gensfleisch wird allerdings noch 1457 in Urkunden bezeugt, ob als Mieter oder (Teil)Besitzer ist unklar. Im spätmittelalterlichen Mainz kam es durchaus vor, dass große Höfe in mehrere Teilbesitztümer unterschiedlicher, oft auch miteinander verwandten, Patrizierfamilien aufgeteilt waren.
Zu Zeiten von Johannes Gutenbergs Aufenthalt in Mainz im Jahr 1443 scheint der Hof schon nicht mehr im Familienbesitz der Gensfleisch/Gutenberg gewesen zu sein.[3] Gutenberg mietete von Ort zum Jungen dessen Familienhof Zum Jungen in der Altenauergasse als Wohnsitz für drei Jahre.[4] Der Hof zum Gensfleisch war zu dieser Zeit in den Besitz der Margarethe zum Fürstenberg (aus dem Familienverband der Löwenhäupter) übergegangen die ihn an Henne von Sorgenloch vermietet hatte. 1499 wird der Magister Dr. Calpis als Besitzer des Hofes genannt. 1569 wurde der Erzbischof von Mainz Besitzer des Hofes zum Gensfleisch. Er wies ihn dem Vizedom der Stadt als Wohnsitz zu. Noch 1657 wird in der die Stadtaufnahme der Vizedom Freiherr Heinrich Brömser von Rüdesheim als Bewohner des Hofes genannt.
Die bildhafte Darstellung auf dem Maskopp’schen Plan zeigt ein zweiflügeliges Gebäude mit Quergebäude, Hof und anschließendem Garten. Ein Flügel wies zur damaligen Straße „An/Auf der Rose“ (heute Pfandhausstraße). Auf der anderen Seite grenzte der Hof an das Haus Zum Herbold, welches wiederum von dem Töngesplatz (auch: Aiuf der Schweinsmiste, heute Klarastraße). Etwas nach hinten versetzte war das Quergebäude mit Front zur Marktstraße (heute Emmeransstraße).[5] Über Bauweise und weitere Anbauten an den Hof ist nichts bekannt. Es wird vermutet, dass er, ebenso wie andere Stammsitze der Mainzer Patrizierfamilien im 14. und 15. Jahrhundert befestigt war und damit in Krisenzeiten verteidigt werden konnte.
Der Neubau: Zum neuen Roseneck – ein barocker Hof
Mit Beginn des Jahres 1701 war der Hof zum Gensfleisch baufällig und wurde zur Freimachung des Baufeldes abgerissen. In einem 1703 nachträglich ausgestellten Dokument, welches der Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn eigenhändig unterzeichnete, wird der Erwerb des „gänzlich ruinierten Vizedomamtes, früher Gänsfleischisches Haus samt Hof und Garten“ für 3300 Gulden offiziell bewilligt.[6]
An der gleichen Stelle entstand nun ein barockes Wohnhaus, welches der zweiflügeligen Bauweise des Vorgängerbaus folgte. Das Gebäude entsprach, obwohl sein Bauherr zu diesem Zeitpunkt noch nicht adlig war, von der Größe und dem Aussehen her ganz den Typus eines der im 18. Jahrhundert zahlreich entstandenen Adelspalais der kurfürstlichen Hofgesellschaft.[7] Nitschke gab dem Bau nach dem benachbarten „Haus zur Rose“ und der danach benannten Rosengasse den Namen „Zum neuen Roseneck“. Wer der Baumeister oder die ausführenden Handwerker waren, ist nicht bekannt.[7]
Der Bauherr
Bauherr des nicht näher bezeichneten Hofes war der Kurmainzische Kabinettssekretär und Kammerdiener Johann Georg Nitschke. Er war offensichtlich ein geschätzter Bediensteter des Kurfürsten, der ihn möglicherweise in Wien kennengelernt und in seine Dienste genommen hat. In den Kirchenchroniken von St. Emmeran ist am 15. August 1695 seine Heirat mit Maria Margaretha, Tochter des Kurmainzischen Hofkammerrates Eckhardt, dokumentiert. Das Paar hatte zahlreiche Kinder, deren Paten hochgestellte Persönlichkeiten wie unter anderem der Kurfürst Lothar Franz von Schönborn selbst, Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn-Buchheim oder Franz Anton von Buchheim, Bischof von Wiener Neustadt waren. Es ist bekannt, dass sich Nitschke bereits früher, unter den Habsburger Kaisern Leopold I und Joseph I, Verdienste bei der Verproviantierung der kaiserlichen Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg gegen die Franzosen erworben hatte. Dies und seine guten Beziehungen zu Lothar Franz von Schönborn führten am 17. März 1715 durch ein kaiserliches Privileg zu einer Aufnahme in den Adelsstand und möglicherweise auch zur Verleihung des Titels eines Kaiserlichen Hofkammerrates. Schönborn betraute ihn auch, zusammen mit seinem Baumeister Maximilian von Welsch, mit Überprüfungen seiner Baupläne. Nitschke starb zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem Verkauf des Hofes durch seine Frau im Jahr 1743. Seine Frau selbst verstarb am 27. August 1745.
Baubeginn
Bei Fundamentarbeiten zum Nachkriegsneubau 1954 fand man den Grundstein dieses Hofes. Unter einer aus roten Sandstein gefertigten Abdeckplatte befand sich eine Höhlung, die ein Dokument aus Pergament sowie zwei auf Papier gedruckte Gebetstexte enthielt. Das pergamentene Dokument enthielt einen längeren Text über die Verhandlungen zum Erwerb des Grundstücks durch den „Chur Mayntz Cabinet Secretarius und Cammerdiener“ Johann Georg Nitschke samt seiner „Eheliebsten Maria Magaretha“ und nennt den 8. Februar 1701 als Tag der Grundsteinlegung. Eine zweite Zeitangabe, das Jahr 1702, findet sich als Chronogramm auf dem Architrav des Haustores am Haupteingang an der Emmeransstraße. Das dürfte der Fertigstellung des Rohbaus entsprechen.[8]
Bauweise
Der neue Barockbau übernahm die grundlegende Form des Vorgängergebäudes. An ein relativ kleines Quergebäude zur Emmeransstraße mit Portal und Einfahrt schlossen sich eine lange Frontzeile zur Pfandhausstraße und eine kürzere Frontzeile zur heutigen Klarastraße an. Der Hof wies damit einen unregelmäßig hufeisenförmigen Grundriss auf. Er wurde im hinteren Bereich beidseitig durch Wirtschaftsgebäude wie Ställe, Schuppen und Lagerräume oder Remisen begrenzt. Im hintersten Teil des Hofes schloss sich ein Garten an.
Das Querhaus
Das circa 30 m lange, nach Osten und zur Emmeransstraße orientierte, Querhaus war der Hauptwohnbereich der Familie. Er war symmetrisch gestaltet und dreigeschossig. Im Erdgeschoss befanden sich zu beiden Seiten je fünf vergitterte Fenster, im ersten und zweiten Stock wiesen die durchgehenden Fensterreihen jeweils 12 Fenster auf. Mittig befand sich das 4,6 m breite und 5,83 m hohe Hauptportal mit einer lichten Breite/Höhe der Tordurchfahrt von 3,82 m und 3,24 m. Es wurde beidseitig von toskanischen Pilastern geschmückt. Die Toreinfahrt schmückte ein Fries mit einem Chronogramm, welches die Jahreszahl 1702 ergab. Der Keilstein des Torbogens war künstlerisch hochwertig als groteske Maske gestaltet.
| Text des Chronogramms |
|---|
| PaX HVIC DoMVI --- Maske --- HabItantItus |
| SaLVs VIVentIbVs et --- Maske --- In ea |
Der einzige weitere Gebäudeschmuck des Querbaus waren die beiden Eckpilaster aus rotem Sandstein an den beiden Ecken. Die waagrechte Gliederung des Gebäudeteils wurde durch die Sockel, die Stockgurte und das Dachgesims vorgegeben. Das Quergebäude schloss mit einem mächtigen, damals noch selten gebautes[9], Mansarddach ab. Der Dachstuhl war unbewohnt und diente zur Lagerung von Gegenständen. Nach außen hin waren drei Reihen von kleinen Mansardfenster sichtbar. Rechts des Portalbogens und im hofseitigen Gebäudebereich war der Zugang zu einem mächtigen, ganz aus Stein errichten, Treppenhaus. Es wurde beim Neubau des Hofes 1701/1702 mitgeplant und errichtet. Das massive steinerne Treppenhaus, das Arens anfangs noch intakt vorfand, bezeichnete er als „besonderes Schmuckstück des Hauses“.[10]> An der Innenwand des Treppenhauses, die zum Innenhof zeigte, befanden sich jeweils zwei Fenster, welche das Treppenhaus erhellten. Um einen lichten Zentralbereich von 5,75 m × 5,09 m standen vier Steinsäulen aus großen Sandsteinquadern, die die Bogen und Gewölbe des Treppenhauses trugen. Die Steinsäulen waren mit toskanischen Kämpfern geschmückt. Der innere Bereich, um den die Treppenfluchten liefen, blieb vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss durchgehend frei. Auf jeder Etage zweigten an der Fensterwand beidseits Gänge zu dem Quer- und zu dem Süd- und Nordflügel ab.
Der Südflügel
Der Südflügel des Gebäudes grenzte an die heutige Pfandhausstraße. Er war ebenfalls 12 Achsen lang. An der Ecke Pfandhaus- zur Emmeranstraße begann die Fassade mit einem Pilaster. Die folgenden zwei der zwölf Fensterachsen, die ebenfalls noch von der Emmeranstraße aus zu sehen waren, wurden in der gleichen Form wie die Fassade gestaltet, das heißt mit gekröpften und profilierten Rahmen versehen. Wahrscheinlich aus Gründen der Sparsamkeit wurde der Rest der Südfassade einfacher als die Frontfassade gestaltet. Ein abschließender Pilaster am Ende fehlte. Den hinteren Teil des Süd- wie auch des Nordflügels – nahmen Wirtschaftsgebäude wie Remisen oder Ställe ein. Das Ende des Südflügels mit einem Stallgebäude grenzte direkt an die „Häuser zur Rose“, die Nitschke teilweise bereits 1701, in Gänze dann 1712 zur Abrundung seines Grundstücks erwerben konnte.[6]
Die Zimmer im vorderen Bereich des Südflügels hatten eine Breite von 4 bis 6 m und auf den Hof hinausgehende Fenster. Im Erdgeschoss und im ersten Stock gab es zwei große repräsentative Säle, die jeweils 4,38 × 13,11 m maßen. An die beiden Säle schloss sich wiederum ein zweistöckiger großer Raum an. Dieser wies im Erdgeschoß einzelne abgeteilte Kammern mit gewölbter Decke auf (Seitenlänge 2,60–2,90 m) sowie ein großer hallenartiger flachgedeckter Raum mit drei Öffnungen zum Hof hin. Westlich davon befand sich ein weiterer großer dreischiffiger Raum mit je 4 Jochen und damit 12 flachen Kreuzgewölben auf Pfeilern ruhend. Je nach Bauweise und Größe kann die Funktion der einzelnen Räume als Aufbewahrungsräume für Wertsachen, Archivalien oder als Stall und als Remise gedeutet werden. Im ersten Obergeschoss gruppierten sich die Zimmer entlang eines Mittelgangs. Im zweiten Obergeschoss befanden sich, ebenso wie im Querflügel, zahlreiche kleinere, ebenfalls an einem Mittelgang orientierte, Zimmer. Gemäß der barocken Wohntradition waren diese sehr wahrscheinlich von der Dienerschaft bewohnt oder dienten anderen Verwendungszwecken.[11]
Zwischen 1838 und 1855 wurden die Fenster – ebenso wie bei der Frontseite – nach unten verlängert. War bislang die Toreinfahrt an der Frontseite der Haupteingang zum Gebäude, wurden 1900 und 1903 zwei Türen in den Südflügel gebrochen, eine mittig und eine an der Ecke der Fassade.
Der Nordflügel
Der nördlich liegende Gebäudeflügel wies mit seiner Fassade in Richtung der heutigen Klarastraße. Aus einem Vertrag Nitschkes von 1724 mit den benachbarten Armen Klarissen des Klosters „Armklara“ weiß man, dass Nitschkes Schreibkabinett im Nordflügel lag und auf den Klostergarten hinausging. Vertraglich wurde Nitschke von den Nonnen erlaubt, in seinem Arbeitsraum ein Fenster einzurichten, welches aber vergittert sein musste und einen Sichtschutz hatte, damit die Klausur der Nonnen nicht gestört wurde.[6]
Der Nordflügel unterschied sich deutlich von dem Quer- und Südflügel. Er war von Anfang an nur zweigeschossig geplant und der ursprüngliche Grundriss scheint durch spätere größere und kleinere bauliche Maßnahmen verändert worden zu sein.[11] Auch hier befanden sich im Erd- und erstem Obergeschoss größere repräsentative Räume mit 8,32 × 8,73 m und 6,0 × 11,80 m. Im Erdgeschoss befanden sich in einem Zimmer neben dem großen Saal noch Reste von gemalten Tapeten aus der Entstehungszeit des Hauses, die ebenfalls den repräsentativen Charakter der Räume dort vermuten lassen. In Freskotechnik waren Rankenornamente in hellen Farbtönen und in kräftigen Rottönen zu sehen, die erst nach zerstörungsbedingten Abfallen von später angebrachten Putzauflagen wieder an das Tageslicht kamen. Die Freskomalereien entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gehörten damit wahrscheinlich zur Grundausstattung des Neubaus. Das westlich orientierte Ende des Flügels mit 8,50 m Länge wurde erst 1874 hinzugefügt.
Hof und Garten

Der Hof wurde im hinteren Bereich beidseitig durch Remisen, einem Stall sowie weiteren Funktionsgebäuden begrenzt. Eine zweite Tordurchfahrt neben dem Stall von der Pfandhausstraße her sorgte für ein einfaches Erreichen des Stalles und Remisen. Eingegrenzt wurde der Garten mit einer dekorativen Gartenmauer, die 1703 gebaut wurde. Sie zeigte jeweils in Abfolge zwei Ochsenaugen und ein rundbogiges Blindfenster und war in Resten noch bis 1953 sichtbar. Aus der Inventarliste beim Verkauf des Hauses 1743 an Franz Philip Caspar von Wambolt ist bekannt, dass auf der hinteren Gartenmauer große Urnen zu Schmuckzwecken standen. Über die Ausgestaltung des Gartens ist nur sehr wenig bekannt, er dürfte aber in kleinerem Maßstab den typischen Barockgarten mit Teppichbeeten, Buchseingrenzungen und dekorativen Elementen widergespiegelt haben. Der Garten wich im 19. Jahrhundert einer großräumigen Remise mit breiter Tordurchfahrt.
Innenausstattung
Bei dem Verkauf des Hofes 1743 wurde eine Inventarliste der zum Haus gehörenden Innenausstattung von dem Sohn des Erbauers, Heinrich Joseph von Nitschke, erstellt. Die umfangreiche und detaillierte Liste, nach Stockwerken sortiert, gibt einen genauen Einblick in die Hausausstattung eines herrschaftlichen Gebäudes. Genannt werden unter anderem immer wieder Spiegel, Spiegelscheiben und sie umgebende Malereien, teils gerahmt. Mobiliar unterschiedlicher Größe, Nutzungsart und Materialien wie verschiedene, unterschiedlich große, Eichenholzschränke, ein Tannenholzschrank sowie mehrere runde und rechteckige Marmortische aus dem Gartenbereich sind ebenfalls im Kauf eingeschlossen gewesen. Für ein Eckzimmer wird eine Moiré-Tapete samt guter Vergoldung und Holzwerk aufgelistet. Verschiedene dekorative Aufsätze für Geschirr aus Porzellan oder Vasen sind ebenso verzeichnet wie zwei große Lüster im großen Saal oder ein Kabinett mit Vergoldung nebst Spiegeln in vergoldeten Rahmen. Viele der genannten Stücke waren vergoldet.[12]
Vom Hof Zum neuen Roseneck zum Wambolter Hof
Johann Georg Nitschke starb – zu einem unbekannten Zeitpunkt – einige Zeit vor dem Verkauf des Hofes 1743. Seine Frau Margaretha musste nach seinem Tod beträchtliche Schulden aufnehmen und konnte das Haus schließlich nicht mehr halten. Eine auf den 29. Oktober 1743 datierte vierseitige großformatige Pergamenturkunde[13] regelte den Verkauf des Hofes „Zum neuen Roseneck“ an den Freiherrn Franz Philipp Caspar von Wambolt. Dieser hatte im Reich und Kurmainz zahlreiche Ämter inne: Er war kaiserlicher und Kurmainzischer Generalfeldmarschall-Lieutenant, Oberst über ein Regiment zu Fuß und Kommandant der Festung Mainz, Geheimrat in Kurmainz und Kurtrier, Oberamtmann und Burggraf zu Starkenburg und letztendlich noch weltlicher Statthalter in Worms. Wambolt kaufte Margaretha von Nitschke den Hof, die Nebengebäude und den Garten für 15.000 Gulden und 100 Spezies Dukaten (hochwertige Goldmünze) ab. Zusätzlich erhielt sie das Frank’sche Eckhaus in der Mittleren Bleiche als Wohnsitz übereignet sowie nochmals 850 Gulden für die oben genannten inventarisierte Innenausstattung. Margaretha von Nitschke erhielt nach Begleichung ihrer Schulden jedoch lediglich die 100 Speziesdukaten, die 850 Gulden für das verkaufte Inventar und einen Restbetrag der Kaufsumme von 90 Gulden und 38 Kronen. Sie verstarb bereits 1745 in Mainz.
Der Hof wurde schon bald nach seinem neuen Besitzer als „Wamboldischer Hof“ oder „Wambolter Hof“ bezeichnet. Franz Philipp Caspar von Wambolt erwarb 1745 das benachbarte Haus (Emmeranstraße 25–33) für seine Dienerschaft, unterließ aber eine architektonische Angliederung des neuen Gebäudes an den Wanbolter Hof. Generell wurden bis 1792 keine größeren architektonischen oder stilistischen Änderungen vorgenommen. Lediglich um 1750 musste eines der Nebengebäude aufgrund von Bauschäden neu errichtet werden.
Vom Wambolter Hof zum Lautreren’schen Haus
In Folge der Französischen Revolution wurde Mainz im Oktober 1792 durch französische Revolutionstruppen unter General Adam-Philippe de Custine eingenommen. Der kurmainzische Adel wurde vertrieben beziehungsweise floh schon vorher aus der Stadt. Nach einem kurzen kurmainzischen Intermezzo 1793 bis 1797 wurde Mainz als Mayence wieder Teil von Frankreich. Die Familie Wambolt von Umstadt scheint weiterhin Eigentümer des Hofes gewesen zu sein, konnte ihn aber nicht mehr bewohnen. Vor 1801 scheint der Hof aber weiterverkauft (oder enteignet) worden zu sein. 1801 wird in einem französischen Adressbuch[14] der Wambolter Hof samt Bewohner und deren Funktion genannt. Der Wambolter Hof war zu diesem Zeitpunkt ein Comptoir der französischen Postkutschelinien nach Paris, Metz, Lyon und Straßburg. Das „Au café de Datis“ wurde von dem caffetier Joseph Peter Datis betrieben. Der Hof wurde von zahlreichen weiteren Einwohnern genutzt wie beispielsweise David Hügel, Direktor der Postwagenlinien, Kriegskommissar Gauthier, der hier samt seiner Dienerschaft einquartiert wurde oder von einem gewissen E. Vormwald. Dieser scheint ein Angestellter der ursprünglichen Eigentümer gewesen zu sein und achtete auf das im Haus zurückgebliebene Mobiliar und die Einrichtungsgegenstände (Geschirr, Porzellan, Wäsche), die von den Bewohnern weitergenutzt wurden. Es ist bekannt, dass das Mobiliar 1801 nach Heidelberg verschifft wurde. Wambolt von Umstadt’schen Familienarchiv zu Birkenau[15]
1805 scheint der Cafébesitzer – und offenbar auch der Besitzer des Gebäudes – Datis verstorben zu sein und der Hof wurde nun von zahlreichen Menschen der ärmeren Schichten bewohnt. Die Witwe des Verstorbenen konnte den Hof nicht halten und verkaufte ihn 1806 an den Mainzer Weinhändler Christian Lauteren. Dieser war ein im französischen Mayence zu Wohlstand und Ansehen gekommener Geschäftsmann und einer der größten Steuerzahler der Stadt. Er hatte zahlreiche Ämter inne und war einer der Citoyens notables, also der bürgerlichen Elite, die unter Napoleon Bonaparte stark gefördert wurde. Der Wambolter Hof, der nun als „Lauteren’sches Haus“ bezeichnet wurde, wurde für die nächsten 122 Jahre zum Stammsitz der Handelsgeschäfte der Familie Lauteren. Baulich wurde an den Gebäuden nur wenig verändert.
Lauteren’sche Haus

Das Lauteren’sche Haus wurde bald von Christian Lauteren, der im großen Stil als Weinhändler tätig war, zum repräsentativen Firmensitz seiner geschäftlichen Unternehmungen im Mainzer Stadtzentrum, vor allem der Weinhandlung „C. Lauteren Sohn“. Lauteren war sich der historischen Geschichte des Hauses und vor allem seines Vorgängerbaus bewusst. Er ließ in dem Garten des Hauses die erste Gutenberg-Statue in Mainz errichten. Neben dem Einfahrtstor wurde 1825 eine Gedenktafel an Johannes Gutenberg und seinen (nach Lauterens Meinung) Geburtsort, den Hof zum Gensfleisch, angebracht.
Bereits 1909, als sich der Hof noch in Besitz der Nachfahren von Christian Lauteren befand, gab es Pläne für eine städtebauliche Umgestaltung des Bereichs um das Lauteren’sche Haus herum. Man wünschte sich eine geradlinige breite Verbindung zwischen der Lotharstraße und der Stadthausstraße bei gleichzeitiger Entlastung der baulich sehr beengten Pfandhausstraße. Das Lauteren’sche Haus stand mittlerweile unter Denkmalschutz und sollte deshalb erhalten, aber umgebaut werden. Der Mainzer Bürgermeister und Stadtbaurat Ferdinand Kuhn schlug vor, das Anwesen in einen Industriepalast für die Mainzer Handwerkerschaft umzubauen, die dort, genossenschaftlich organisiert, gemeinsam ausstellen und verkaufen sollte. Eine Gutenbergpassage sollte durch das Gebäude führen.[6][16] Die Pläne wurden allerdings nicht realisiert.
Ankauf durch die Stadt und Zerstörung
Nachdem sich das Lauteren’sche Haus 122 Jahre im Besitz der Familie Lauteren befand, versuchte die Familie im Jahr 1900, das Haus an die Stadt zu verkaufen. Der verkauf scheiterte damals an den zu hohen Forderungen der Familie Lauteren. Letztendlich kaufte es die Stadt Mainz 1928 den Erben des Geheimen Kommerzienrates Clemens Lauteren ab. In der Stadthausstraße 18 – und damit in unmittelbarer Nähe – befand sich zu dieser Zeit das Stadthaus (Rathaus) der Stadt Mainz und in das Lauteren’schen Haus wurden verschiedene städtische Dienststellen ausgelagert.[17]
In der Nächten vom 12. und 13. August 1942 kam es im Rahmen des Zweiten Weltkriegs zum ersten großen Luftangriff auf Mainz durch die Royal Air Force. 380 Tonnen Bomben, auch die besonders gefährlichen Phosphorbomben, wurden überwiegend über der Mainzer Altstadt abgeworfen. Auch das Lauteren’sche Haus sowie das benachbarte Armklarenkloster wurden getroffen und brannten aus. Die gesamten Außenmauern, das massive steinerne Treppenhaus sowie der zur Pfandhausstraße liegende hintere Stall- und Remisentrakt blieben erhalten. Durch das Entfernen der tragenden Holzbalken durch Holzsammler nach Kriegsende brach das Treppenhaus später ein. Aufgrund der Aufräumarbeiten nach Kriegsende fuhr ab 1947 eine Schutteisenbahn durch das geöffnete Eingangsportal quer durch den Hof Richtung Lotharstraße. Laut Fritz Arens hatte die Mainzer Baupolizei keine Bedenken wegen der Statik der noch stehenden Gebäudeteile und man ging von einem Wiederaufbau aus.
Am 15. Juli 1949 beschloss allerdings der Mainzer Stadtrat eine Erweiterung der Nordseite der Emmeranstraße, die zu Lasten des Lauteren’schen Hauses gehen musste. 1950/51 wurde die Stadtverwaltung bei dem Wiederaufbauministerium, dem Landeskonservator und der Bauabteilung des Regierungspräsidenten für Rheinhessen zwecks einer Abbruchgenehmigung vorstellig und bekam diese von allen Seiten genehmigt. Die städtische Denkmalpflege (in Person von Fritz Arens) wurde zu keiner Zeit informiert oder hinzugezogen. Im Frühjahr 1953 wurden die baulichen Reste des Lauteren’schen Hofes sowie des benachbarten Armklarenkloster abgebrochen. Der Torbogen zur Emmeranstraße wurde dabei aufgehoben und sollte später anderweitig eingebaut werden, verschwand aber kurz darauf spurlos aus dem Magazin. An gleicher Stelle entstand in typisch einfacher Nachkriegsbauweise die Lotharpassage. Eingang sowie die durchführende Passage lagen genau über der ehemaligen Flucht des Vorgängerbaus. Seit 2001 steht als Nachfolge dort die Römerpassage.
Zerstörung historischer Gebäude und Bausubstanz in der Nachkriegszeit
Bis in die Mitte der 1960er Jahre ging die Stadt Mainz mit ihren kriegsbeschädigten, manchmal auch altersbedingt baufälligen historischen Gebäuden sehr rigide um. Der Denkmalpfleger Fritz Arens warnte bereits 1955, zwei Jahre nach dem Abriss des Wambolter Hofes, in einem vielbeachteten Vortrag vor dem Mainzer Altertumsverein vor dem denkmalfeindlichen Umgang mit dem geschichtlichen Erbe von Mainz in der Nachkriegszeit.[18]
Der Wambolter Hof war damals nur eines von vielen Beispielen, die noch folgen sollten. Der bekannteste Verlust in Mainz war das Bischöfliche Palais, das ebenfalls beschädigt die Luftangriffe von August 1942 überstand, aber trotz gegenteiliger Planung nach 20 Jahren 1962 als Ruine abgerissen wurde. Das gleiche Schicksal des Wambolter Hofes und des Bischöflichen Palais teilten der Greiffenklauer Hof, der Ingelheimer Hof, das Kurfürstliches Jagdschlösschen auf der Ingelheimer Aue, das spätgotische Haus Zum jungen Aben, das Löhrsche Haus, der Kronberger Hof und viele andere mehr oder weniger stark beschädigte erhaltenswürdige Gebäude. Teilweise gab es bereits Wiederaufbau- und Restaurierungspläne, die aber von der Stadtverwaltung und den weiteren zuständigen Behörden ignoriert oder nicht umgesetzt wurden. In einigen Fällen (Bischöfliches Palais, Kronberger Hof, Ingelheimer Hof...) wurden Gebäudeteile mit Zierwert erhalten und an anderer Stelle verwendet, so beispielsweise der prachtvolle Renaissance-Erker, der in das neugebaute Naturhistorische Museum integriert wurde.
Durch die Intervention der französischen Behörden der damaligen französischen Besatzungszone in Mainz sind hingegen einige bedeutende Bauten vor der endgültigen Zerstörung bewahrt worden wie beispielsweise der Osteiner Hof, der Bassenheimer Hof, der Schönborner Hof oder der gotische Kreuzgang von St. Stephan, der erst viel später von 1968 bis 1971 wieder hergestellt werden konnte.
Dokumentation
1934 wurden Grundrisszeichnungen der drei Geschosse von dem Architekten Emil Dyrauf angefertigt und als Blaupause im Stadtarchiv Mainz hinterlegt. 1947 wurde auf Initiative von Peter Arens das steinerne Treppenhaus, das kurz danach zusammenstürzte, durch den Architekten Scharhag vermessen und dokumentiert. Der Regierungsbaurat Ernst Stephan nahm 1949 die noch stehenden Bauteile des seit 1942 teilweise zerstörten Hofes auf (Unterlagen im damaligen Altertumsmuseum, heute Landesmuseum Mainz und im Stadtarchiv Mainz). Fotografien des Hofes wurden kurz nach 1900, möglicherweise von Ernst Neeb, angefertigt. Weitere Fotografien zeigen den Hof in der Mitte der 1920er Jahre (ebenfalls im Stadtarchiv Mainz, Bild- und Plansammlung) sowie das teilweise zerstörte Gebäude direkt nach der Bombardierung 1942. Peter Arens fotografierte die noch erhaltene Bausubstanz des Wambolter Hofes/Lauteren’schen Hauses ausführlich kurz vor dem Abriss im Frühjahr 1953.
Literatur
- Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). In: Mainzer Zeitschrift, 50, S. 39–55. Mainz 1955.
- Georg Peter Karn: Vergebliches Ringen um die Erhaltung – Lauteren’sches Haus und Armklarenkloster. In: Wolfgang Dobras (Hrsg.): Eine Zeitreise in 175 Geschichten. Der Mainzer Altertumsverein 1844–2019. S. 250f. Nünnerich-Asmus, Oppenheim 2019. ISBN 978-3-96176-070-1
- Ernst Stephan: Das Bürgerhaus in Mainz. S. 84–87. Aus der Reihe: Das deutsche Bürgerhaus. Band XVIII. Wasmuth, Tübingen 1977, ISBN 3 803000203
Einzelnachweise
- ↑ Karl Anton Schaab: Die Geschichte der Erfindung in der Buchdruckerkunst durch Johann Gensfleisch, genannt Gutenberg zu Mainz, pragmatisch aus den Quellen bearbeitet. Band 2, Mainz 1830. S. 82
- ↑ Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 40.
- ↑ Gustav Schenk zu Schweinsberg sieht spätestens ab 1370 keine Eigentümerschaft der ursprünglichen Gensfleisch mehr an dem Hof, siehe: Gustav Schenk zu Schweinsberg: Genealogie des Mainzer Geschlechtes Gänsfleisch.In: Otto Hartwig: Festschrift zum fünfhundertjährigen Geburtstage von Johann Gutenberg. Otto Harrassowitz, Leipzig 1900, S. 80–162 (= XXIII. Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen.), S. 106
- ↑ Karl Anton Schaab: Die Geschichte der Erfindung in der Buchdruckerkunst durch Johann Gensfleisch, genannt Gutenberg zu Mainz, pragmatisch aus den Quellen bearbeitet. Band 2, Mainz 1830. S. 240.
- ↑ Alle zeitgenössischen Straßennamen aus Ludwig Falck: Mainz vom frühen Mittelalter bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. Stadtplan bei Lagis Hessen
- ↑ a b c d Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 42
- ↑ a b Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 48
- ↑ Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 41
- ↑ Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 47
- ↑ Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 51
- ↑ a b Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 45
- ↑ Die Kaufunterlagen von 1743 sowie verschiedene Inventarlisten sind erhalten geblieben und finden sich heute im Freiherrlich Wambolt von Umstadt’schen Familienarchiv zu Birkenau. Die Angaben hier sind nach Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz. von 1955.
- ↑ Archiviert im Freiherrlich Wambolt von Umstadt’schen Familienarchiv zu Birkenau
- ↑ Pfeiffer: Le guide de la ville de Mayence contenant la dénomination de ses six sections, rues, maisons et de leurs numéros, ainsi que des habitans avec leurs qualités, états, professions ou métiers Mainz, An IX=[1800], Digitalisat in Dilibri Rheinland-Pfalz
- ↑ Fritz Arens: Der Wambolter Hof in Mainz (nachmaliges Lauterensches Haus, Emmeranstraße 23). S. 44
- ↑ Carl Bömper-Lothary: Mainzer Gewerbe-, Kunst- und Handelshaus "Zum Wambolder Hof" und Gutenbergpassage., 1918
- ↑ Bekanntmachung im Mainzer Anzeiger, Ausgabe 23, 1928
- ↑ Peter Arens: Rettet die Mainzer Baudenkmäler. Vortrag vor dem Mainzer Altertumsverein am 19. April 1955. Veröffentlicht als Fritz Arens: Rettet die Mainzer Baudenkmäler. Beiheft zum Mitteilungsblatt zur rheinhessischen Landeskunde1. Wörrstadt 1953. Nachgedruckt im Mai 2006 von der Stadt Mainz und dem Amt für Denkmalpflege.