Walstrandungen an der Nordseeküste 2016

Von Januar bis März 2016 kam es zu einem massiven Anstranden von Pottwalen in der südlichen Nordsee. Rund dreißig Tiere starben, 13 davon an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste.[1]

Hintergrund

Zu Strandung von Walen kommt es an der Nordseeküste immer wieder. Seit 1990 sind 80 Potwale an den Nordseeküsten Dänemarks, Deutschlands und Hollands gestrandet. Meist handelte es sich um ein bis vier Tiere pro Jahr. Jedoch kam es auch zu massiveren Anstrandungen: 1996 und 1997 strandeten jeweils um die 15 Wale am Strand der dänischen Insel Rømø.

Pottwale leben weltweit in allen Meeren. Die 2016 gestrandeten Wale gehörten zu dem Bestand von Pottwalen um die Azoren in mitten des Atlantiks. Bei der Azoren-Population halten sich die Weibchen, auch die weiblichen Jungtiere, das ganze Jahr in den Gewässern vor den Azoren Inseln auf. Die Männchen wandern in den Nordatlantik und begeben sich dort auf Futtersuche. Zwischen November und März eines jeden Jahres schwimmen sie von Norwegen zurück zu den Azoren. Diese Reise wird meist in Gruppen zurückgelegt, die überwiegend aus jungen Pottwalen bestehen. Deshalb strandeten ausschließlich Jungbullen. Mehrere Tausend Tiere sind in den Wandermonaten unterwegs. In diesen Monaten kommt es zu den meisten Strandungen.

In dem flachen und teilweie schlickigen Gewässern wie im Wattenmeer können sich Wale nur noch schlecht orientieren, da ihr Sonarsystem versagt: Das Echo auf die eigenen Rufe ist undeutlich. Der Tidenhub kann für die Wale ungünstig verlaufen und dafür sorgen, dass die Tiere trocken fallen.

Die Schutzstation Wattenmeer wies darauf hin, dass die Strandungen der Pottwale mit verschiedenen weiteren außergewöhnlichen Beobachtungen von Meeressäugern zusammen fiel. Ende Januar 2016 wurden vor der belgischen Küste zwei Buckelwale beobachtet. Am 8. Februar 2016 strandete ein junger Orca auf Sylt. Auf Ameland (Niederlande) und im Kattegat starben in dem Zeitraum jeweils zwei sonst in der Nordsee extrem seltene Streifendelfine. Ein weiteres am Amrumer Strand gelandeter Delfin konnte von den Seenotrettern wieder in die offene See geleitet werden. Ende Ende Februar 2016 strandete an der dänischen Westküste ein Finnwal. „Insgesamt eine Häufung, die wenig zufällig wirkt.“ bemerkte die Schutzstation Wattenmeer.

Strandungen

Mehrere Pottwale gerieten im Januar und Februar ins Flachwasser des Schleswig-Holsteinischen- und Niedersächsischen Wattenmeers. Sechs Tiere wurden auf der holländischen Insel Texel gefunden, zwei starben vor Wangerooge, ein Tier vor Bremerhaven, zwei bei Helgoland und zwei Wale in der Nähe von Büsum.[2]

Bei ablaufendem Wasser blieben die Tiere auf dem Grund liegen. Das Gewicht ihres Körpers drückte die Blutgefäße, die Lunge und andere Organe zusammen, sodass die Tiere an akutem Herz-Kreislaufversagen starben.

Gestrandete Wale 2016

Tier Datum Fundort Anmerkungen
2 Jungbullen 8. Januar Wangerooge
Jungbulle 9. Januar Knechtsand Drei Wochen später nach Cuxhaven geschleppt, geborgen und entsorgt.
2 Jungbullen 12. Januar Helgoland Die toten Tiere trieben an Helgoland vorbei und wurden als Gefahr für die Schifffahrt zum Holmer Siel bei Nordstrand (SH) geschleppt. Am 14.Januar 2016 wurden sie dort untersucht und zerlegt.
5 Jungbullen 12. Januar Vor Texel (NL) Die lebende Wale strandeten auf der Insel und verendeten in der Nacht.
1 Jungbulle 13. Januar Eversand in der Wesermündung Das vermutlich bereits tote Tier wurde auf die Sandbank gespült.
1 Jungbulle 13. Januar Sandbank D-Steertwestlich von Büsum Das vermutlich bereits tote Tier wurde auf die Sandbank gespült.
Jungbulle 14. Januar Auf Texel (NL) Auf der Insel Texel strandete ein weiterer Pottwal. Das Tier war vermutlich bereits tot.
8 Jungbullen 31. Januar Hohen Watt am Kaiser-Wilhelm-Koog bei Friedrichskoog Die Tiere strandeten am 31. Januar und verendeten am Vormittag des nächsten Tages. Erst am 1. Februar kann der Küstenschutz bei Niedrigwasser mit einem Raupenfahrzeug zu den Walen fahren. Ein Tier lag noch im sterben. In den darauffolgenden Tagen wurden die Tiere in einer aufwendigen Bergungsaktion mit Planierraupen, Baggern, Kränen und Tiefladern geborgen.
Jungbulle 2. Februar Vor Hemmes de Marck bei Calais (F) Im Watten vor Hemmes de Amck veerendete ein Tier.
2 Jungbullen 2. Februar Blauortsand vor Büsum Die Tiere wurden bereits tot gefunden.
1 Jungbulle 4. Februar Vor Hunstanton (GB) Der Wal strandete und starb bei Hunstanton, nahe dem Ort, an dem schon am 22. Januar ein Tier angespült wurde.
Jungbulle 9. Februar Nahe Mundesley (GB) In der Nähe von Mundesley, etwa 80 Kilometer von Hunstanton entfernt wurde in der Nähe der Küste ein weiterer gestrandeter Wal gesehen.

Reaktionen

Viele Menschen an den Küsten verfolgten die Anladungen aufmerksam und waren teilweise betroffen von den in ihrer Nähe gestorbenen riesigen Meeressäugern.

"Das war, glaube ich, der traurigste Tag meiner Amtszeit. Und wenn man die großen Kolosse da liegen sieht in ihrer ganzen Hilflosigkeit, ich würde sagen Erbärmlichkeit, dann … also berührt ist falsch gesagt. Das verändert einen fast. … Eigentlich muss man Lieder singen oder so etwas", sagte der damalige Umweltminister Schleswig-Holsteins Robert Habeck bei der Bergung der acht Wale vom Hohenwatt. "Wale sind Sinnbild des Naturschutzes, damit begann quasi das Erwachen, das Besinnen, dass wir uns um unsere Umwelt kümmern müssen – und jetzt liegen diese großen Säuger massenweise verendet vor unserer Küste."

„Wenn man sich den toten Tieren nähert, ist das ein beklemmendes Gefühl“, sagt LKN-Direktor Johannes Oelerich nach den acht angestrandeten Tieren bei Friedrichskoog. „Zum Teil sind sie noch lebendig hergekommen, sind hier gestorben - das geht ans Herz.“

In England hatten Menschen auf die Finne eines toten Wals geschrieben: "Mans fault".

Untersuchung der Tiere und mögliche Ursache

27 der 30 Wale wurden vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersucht.[3]

Verschiedene Theorien gehen davon aus, dass die Lärmentwicklung durch Offshore-Industrieanlagen, wie Ölplattformen oder Windkraftanlagen, die Orientierung der Tiere stören kann. Laute Geräusche können die Kommunikation untereinander stören oder die Tiere in Panik versetzen. Die Untersuchung an den gestrandeten Tieren ergab, dass alle in einem guten Gesundheits- und Ernährungszustand waren. Das zur Orientierung wichtige Gehör der Tiere zeigte keine Anzeichen für ein schweres akustisches Trauma.

Verschiedene Organe waren mit Parasiten befallen, was aber als altersentsprechend normal eingestuft wurde.

Vier der 13 Wale hatten teils große Mengen Plastikmüll in ihren Mägen. Dies kann als Grund für die Strandung und den Tod der Tiere ausgeschlossen werden, jedoch spiegelt es die Situation auf dem offenen Meer wider. Tierärzte und Biologen vermuten, dass die besonders von Müll betroffenen Tiere große gesundheitliche Probleme durch die Reste des Mülls bekommen hätten.

Wissenschaftler des IFM Geomar in Kiel untersuchten ebenfalls die Mageninhalte von 13 Tieren. Bei der Analyse fanden sie 110.490 Tintenfisch-Schnäbel, also die unverdaulichen Ober- und Unterkiefer von Kalmaren. Die Tintenfische gehören zur Hauptnahrung von Walen der größeren Arten. Darauf aufbauend stellten die Kieler die Hypothese auf, dass heftige Stürme im Nordostatlantik die Wale im Januar in die Nordsee verleitet haben könnten. Uwe Piatkowski sagte: „Die Stürme haben Wassermassen nach Süden getrieben und damit unter Umständen auch die Beute der Wale – die Kalmare.“ Denen schwammen die Wale nach dieser Theorie hinterher.[4]

Die Daten aus einer neueren Untersuchung deuten darauf hin, dass die Pottwale aus mindestens zwei verschiedenen Gruppen stammten. Demnach kam eine Gruppe aus der Region der Kanarischen Inseln und die andere aus dem Nordatlantik. Alle Pottwale waren junge Männchen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren und hatten eine durchschnittliche Körperlänge von 11,7 Metern (9,6 – 14,7 Meter).[5][6]

Entsorgung

Die Kosten für die aufwendige Bergung und Entsorgung der Wale wurden zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern aufgeteilt. Der Bürgermeister von Cuxhaven, Ulrich Getsch, kündigte noch am Tag der Bergung eines Wales im NDR an, die Kosten der städtischen Feuerwehr, der Freiwilligen von DLRG und DGzRS und Logistik vom Land Niedersachsen zurückzufordern.[7]

Literatur

  • Giovanni Bearziet al.: Overview of sperm whale Physeter macrocephalus mortality events in the Adriatic Sea, 1555–2009. In: Mammal Review, Jg. 41 (2011), S. 276–293. doi:10.1111/j.1365-2907.2010.00171.x.
  • Klaus Heinrich Vanselow, Klaus Ricklefs: Are solar activity and sperm whale Physeter macrocephalus strandings around the North Sea related? In: Journal of Sea Research, Band 53, Heft 4 (April 2005), Seiten 319–327.

Einzelnachweise

  1. Chronologie: Das große Pottwalsterben, NDR, abgerufen am 5. August 2016.
  2. Lara Malberger: Pottwale: Tödlicher Irrweg in die Nordsee. In: Die Zeit. ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 7. April 2016]).
  3. Untersuchung der Pottwalstrandungen 2016 abgeschlossen, Pressemitteilung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, 7. August 2018. Abgerufen am 22. Juni 2021.
  4. Theorie zur Strandung: Pottwale schwammen Tintenfischen hinterher. In: Spiegel Online. Abgerufen am 7. April 2016.
  5. Joseph G. Schnitzler, Marianna Pinzone, Marijke Autenrieth, Abbo van Neer, Lonneke L. IJsseldijk, Jonathan L. Barber, Rob Deaville, Paul Jepson, Andrew Brownlow, Tobias Schaffeld, Jean-Pierre Thomé, Ralph Tiedemann, Krishna Das, Ursula Siebert: Inter-individual differences in contamination profiles as tracer of social group association in stranded sperm whales. In: Scientific Reports. 8, 2018, doi:10.1038/s41598-018-29186-z.
  6. Nadja Podbregar: Pottwale: Nordsee-Strandung untersucht In: wissenschaft.de, 20. Juli 2018, abgerufen am 1. Oktober 2018.
  7. NDR: Toter Wal geborgen – und wer bezahlt? In: www.ndr.de. Abgerufen am 7. April 2016.