Virendranath Chattopadhyaya

Virendranath Chattopadhyaya (bengalisch বীরেন্দ্রনাথ চট্টোপাধ্যায় Bīrendranāth Caṭṭopādhyāẏ; * 31. Oktober 1880 in Hyderabad;[1] † 2. September 1937 in Moskau) war ein indischer Journalist, der die gewaltsame Beseitigung der kolonialen Herrschaft in Britisch-Indien unterstützte.
Leben
Seine Herkunft aus einer wohlhabenden indischen Familie ermöglichte „Chatto“, wie er von Freunden genannt wurde, ab 1902 das Studium der Jurisprudenz in London. Zwei Mal bewarb er sich vergeblich um die Aufnahme als Beamter in den indischen Öffentlichen Dienst.[2] Er schloss sich der Gruppe um Shyamji Krishnavarma im Londoner India House an und trat ab 1909 als aktiver Gegner des britischen Kolonialismus in Indien in Erscheinung. Er verteidigte in der Londoner Times die Ermordung des britischen Kolonialbeamten William Hutt Curzon Wyllie Anfang Juli 1909. Dem auf den Mord folgenden wachsenden polizeilichen Druck wich er, gleichzeitig mit anderen indischen Revolutionären, 1910 nach Paris aus.
Da anti-britisches Aufbegehren der Inder schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs vom Deutschen Kaiserreich unterstützt wurde, zog Chattopadhyaya, der in Paris zeitweise dem Anarchismus zuneigte, nach Berlin. Das dort nach Kriegsbeginn gegründete Indische Unabhängigkeitskomitee übernahm einen Teil der Tätigkeit des Ghadar Movements in Kalifornien. Zu seinen leitenden Mitgliedern gehörte neben Har Dayal auch Chattopadhyaya. Legationssekretär Otto Günther von Wesendonk vom Auswärtigen Amt half ihnen bei der auf ihre Heimat gerichteten umstürzlerischen Tätigkeit.[3] Des Weiteren erhielt das Komitee Unterstützung und Anleitung durch die Nachrichtenstelle für den Orient.[4]
Chattopadhyaya pflegte Kontakt zu Rudolf Rocker,[5] hatte Willi Münzenberg zum Freund, heiratete die amerikanische Schriftstellerin Agnes Smedley und arbeitete mehrere Jahre ehrenamtlich für die Liga gegen Imperialismus. Dort war er gemeinsam mit Bohumír Šmeral Betreuer der Berliner Liga zur Verteidigung der Negerrasse, mit der er sich aber wegen deren Finanzierung überwarf.[6] 1933 wechselte er als Sprachlehrer nach Leningrad. Er unterrichtete Personen, die im sowjetischen Dienst Spionagearbeit leisten sollten, in den gängigen indischen Dialekten der möglichen Einsatzgebiete. Chattopadhyaya litt selbst zunehmend unter Angst. Er hatte mittlerweile eine deutsche Frau, drei Kinder und war verunsichert durch die Massenverhaftungen der stalinschen Säuberungen, wie er 1937 bei einer Begegnung mit Margarete Buber-Neumann in Moskau offenbarte. Im Sommer 1937 wurde er in Moskau festgenommen; er stand auf einer von Stalin am 31. August 1937 unterschriebenen Todesliste[7] und wurde nach der Verkündung des Todesurteils am 2. September 1937 exekutiert. Als die indische Regierung nach 1947 über sein Ergehen Informationen wollte, erhielt ihre Botschafterin in Moskau nur die Auskunft, „Chatto“ sei an einer Lungenentzündung gestorben.
Zitat
- Helmuth von Glasenapp berichtet in seinen Lebenserinnerungen von seiner Arbeit bei der "Nachrichtenstelle für den Orient" des Auswärtigen Amts in Berlin um 1915: "Der wohl sympathischste und zuverlässigste von den Indern war Virendranâth Chattopadhyâya. Sein Vater hatte eine hohe Stellung in Haiderabâd (Dekkan) innegehabt, seine Schwester Sarojini Naidu war eine berühmte Dichterin. Er sprach Deutsch, Französisch und Englisch gleicherweise ohne Akzent und hatte in seiner Wesensart etwas ungemein Anziehendes. Was aus ihm nach dem Ersten Weltkrieg geworden ist, ist unbekannt, er soll in Rußland umgekommen sein". - Helmuth von Glasenapp: Meine Lebensreise. Wiesbaden: Brockhaus 1964. S. 76.
Literatur
- Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. In: Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Nr. 14/15, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1967, S. 197 f.
- Heike Liebau: "„Unternehmungen und Aufwiegelungen“: Das Berliner Indische Unabhängigkeitskomitee in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (1914–1920)." In: MIDA Archival Reflexicon (2019), ISSN 2628-5029, 1–11.
Einzelnachweise
- ↑ Nirode K. Barooah: Chatto: the life and times of an anti-imperialist in Europe. 1. publ Auflage. Oxford University Press, New Delhi 2004, ISBN 978-0-19-566547-5, S. 7.
- ↑ Nirode K. Barooah: Chatto: the Life and Times of an Indian Anti-Imperialist in Europe. Oxford University Press, New Delhi 2004, ISBN 978-0-19-566547-5, S. 10.
- ↑ Wipert von Blücher: Zeitenwende in Iran. Erlebnisse und Beobachtungen. Verlag Koehler und Voigtländer, Biberach an der Riss 1949, S. 90.
- ↑ Heike Liebau: „Unternehmungen und Aufwiegelungen“: Das Berliner Indische Unabhängigkeitskomitee in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (1914–1920). In: MIDA Archival Reflexicon. 2019, S. 1–11 (projekt-mida.de).
- ↑ daniel: Anarchie oder Chaos? In: graswurzelrevolution. 11. März 2024, abgerufen am 4. November 2024.
- ↑ Robbie Aitken: From Cameroon to Germany and Back via Moscow and Paris: The Political Career of Joseph Bilé (1892—1959), Performer, “Negerarbeiter” and Comintern Activist. In: Journal of Contemporary History. Band 43, Nr. 4, Oktober 2008, ISSN 0022-0094, S. 597–616, doi:10.1177/0022009408095417 (sagepub.com [abgerufen am 28. September 2023]).
- ↑ Listeneintrag auf stalin.memo.ru ( des vom 31. Januar 2018 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.