Vera Kohn

Vera Kohn, geborene Schiller (* 24. März 1912 in Prag, Österreich-Ungarn; † 29. Juni 2012 in Quito, Ecuador) war eine österreichisch-ecuadorianische Theaterschauspielerin und Psychologin. Sie war die Ehefrau des Architekten Karl Kohn, mit dem sie während der Zeit des Nationalsozialismus nach Ecuador emigrierte.

Leben und Wirken

Kindheit und Name

Viele Informationen über Vera Kohns Leben scheinen auf ihrem Buch zu basieren. Ihr Vater war Anwalt,[1] ihr Großvater väterlicherseits war Landwirt in Třebívlice.[2] Ihr Großvater mütterlicherseits war Bankier; laut Aussage Kohns war er Direktor mehrerer Unternehmen wie zum Beispiel Schokoladenfabriken oder Teppichmanufakturen.[3] Laut eigener Aussage[4] zählten zum Freundeskreis der Familie Franz Kafka, Max Brod und Franz Werfel. Deutsch bezeichnete sie als ihre Muttersprache, hatte aber auch Tschechisch gelernt. Sie hatte eine Schwester und einen Bruder.[1]

Kohn besuchte in Prag die „Deutsche Schule für Frauen“,[5] erhielt privaten Französischunterricht, und hatte eine Vorliebe für Gedichte und das Theaterspielen. Als Kind spielte sie im Familien- und Freundeskreis Theater.

Vera Kohn nutzte später mehrere Namensvarianten, darunter Kohn-Kagan[6] oder Schiller de Kohn,[1] in einigen spanischsprachigen Texten taucht auch die Namensvariante Khon auf.

Studium, Heirat und Emigration

Vera Kohn begann ein Psychologie-Studium an der Prager Karls-Universität[7] und studierte später französische Literatur an der Sorbonne in Paris. In Paris war sie mit dem Architekten Karl Kohn liiert,[6] den sie 1934 heiratete,[7] die Hochzeitsreise führte nach Urk in Holland.[8] 1935 wurde Tochter Tanya geboren,[7] eine später bekannte Künstlerin.[9] Die Familie wohnte in Prag in der 1936 errichteten „Villa Kohn in Prag - Smíchov“.[6] Nach der Annexion Tschechiens durch die deutsche Wehrmacht im Oktober 1938 begannen Drangsalierungen durch die Deutschen, es gestaltete sich schwierig, das Land zu verlassen. Ihre Eltern und ihr Bruder lebten in England und ihr Bruder stellte das Geld für die Reichsfluchtsteuer zur Verfügung, die Juden vor ihrer Ausreise entrichten mussten.[10] Im Juni 1939 verließ Kohn mit ihrer Familie Prag.

Ursprünglich war das Emigrationsziel der Familie Argentinien, Karl Kohn entschied sich jedoch später für Ecuador.[6][7] Über England folgte die Schiffsreise mit der Ausbootung auf dem offenen Meer vor Salinas. Die Familie lebte kurz in Guayaquil und zog dann nach Quito weiter, wo Karl Kohn Arbeit an der Kunsthochschule fand.[11] 1942 wurde die zweite Tochter Katya Kohn[12] geboren.[7]

Schauspielkarriere

Kohns Laufbahn am Theater begann bei Karl Löwenberg an den Kammerspielen Quito,[13] einem deutschsprachigen Emigrantentheater. Erwähnt wird Kohn erstmals im Zusammenhang mit der zweiten Spielzeit der Kammerspiele (Ende 1944 oder Anfang 1945). Sie spielte die Rolle der Christine in Arthur Schnitzlers Liebelei. Unter dem Namen Vera Kohn-Kagan übernahm sie tragende Rollen, zum Beispiel die Titelrolle in Antigone[14] von Jean Anouilh, und erzielte später auch vor ecuadorianischem Publikum in spanischer Sprache Erfolge. Huberta Reuscher-Heiman, Vera Kohn-Kagan, Gerti Goldmann und Inge Friedberg qualifizierte der Theaterkritiker Wenzel Goldbaum als ›ein Quartett weiblicher Spielkräfte‹, um das manche große Bühne das Ensemble beneiden könne. In ihrer Rolle als Eliza Doolittle in Bernard Shaws Komödie ›Pygmalion‹,[14] mit der die zweite Spielzeit endete, verglich Goldbaum Vera Kohn-Kagan mit den ›großen Menschendarstellerinnen‹ der Aufführungen von Otto Brahm und Max Reinhardt.[15]

1947 fand eine Aufführung von Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim am Teatro Nacional Sucre unter Mitwirkung von ecuadorianischen Schauspielern statt[13] mit Gerti Goldmann in der Titelrolle.[16] Als dann 1951 „die Kammerspiele als deutschsprachiges Theater praktisch aufgehört [hatten] zu existieren“,[17] blieb von deren Schauspielerstamm nur Vera Kohn-Kagan übrig, die die spanische Sprache erlernte und Sprach und Gesangsunterricht nahm. „Die Aufführungen fanden das Interesse der Presse, und Löwenberg erschien hier als die Person, die dem Theater in Quito überhaupt erst zum Durchbruch verholfen hatte und Vera Kohn-Kagan als »Gestalt im Vordergrund der ecuadorianischen Theater Welt«, die über alle Mittel des modernen Theaters verfügte.“[18] In einem Artikel anlässlich Kohns hundertstem Geburtstag wurde auf eine zehnjährige Theaterarbeit in Quito verwiesen. Die intensive Arbeit habe Vera Kohn dazu veranlasst, im New Yorker Actors Studio in New York ‘ernsthaft’ Theater zu studieren.[19]

Aufenthalt in Europa

1957 reiste Kohn nach Wien, wo ihre Schwester lebte, und gestaltete zusammen mit einem Schauspieler des Burgtheaters Lesungen und Radiosendungen. Gegenstand waren ecuadorianische Gedichte, die sie ins Deutsche übertragen hatte. Sie unterzog sich einer therapeutischen Behandlung im Therapiezentrum von Karlfried Graf Dürckheim und erlernte dort seine Initiatische Therapie. Nach drei Jahren kehrte sie nach Ecuador zurück.[20]

Doktor der Psychologie in Ecuador

In Quito begann sie an der Universidad Central del Ecuador erneut ein Psychologiestudium, das sie 1969 mit dem Doktor in klinischer Psychologie abschloss.[7] Sie war eine der ersten weiblichen Psychologen in Ecuador.[7] Parallel zum Studium arbeitete freiwillig in einer psychiatrischen Klinik (Hospital Psiquiátrico San Lázaro in Quito),[7] auf die aber die von ihr gewählte Bezeichnung Irrenanstalt besser zutraf: es war eine Verwahranstalt für psychisch kranke Menschen, aber keine Einrichtung, die den verwahrten Menschen Hilfsangebote unterbreiten konnte.[21] Sie besuchte eine Einrichtung für Kinder mit Gehirnschäden in Seattle und arbeitete ehrenamtlich in einem psychiatrischen Krankenhaus in Mexiko.[7][22] Zwischen 1970 und 1980 war sie auch an der Päpstlichen Katholischen Universität von Ecuador im Bereich der Psychohygiene tätig.[7]

1975 gründete Kohn mit dem befreundeten Jesuiten und Anthropologen Pater Marco Vinio Rueda das Centro de Desarrollo Integral (CDI), wo Menschen mit geringen wirtschaftlichen Ressourcen psychologische Behandlung und Unterstützung ermöglicht wurde.[7] Dort wurde auch die Initiatische Therapie angewandt. Kohn hielt Vorträge in vielen Ländern.[7]

Literatur

  • Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. Hin zum heiligen Kern. Nordländer, Rütte 2012, ISBN 978-3-937845-32-6.
  • Maria-Luise Kreuter: Wo liegt Ecuador? Exil in einem unbekannten Land 1938 bis zum Ende der fünfziger Jahre. Metropol, Berlin 1975, ISBN 3-926893-27-3.
    Unter dem Titel Donde queda el Ecuador? Exilio en un país desconocido desde 1938 hasta fines de los años cincuentas ist das Buch 1997 in Quito auf Spanisch erschienen.
  • Frithjof Trapp (Hrsg.): Biographisches Lexikon der Theaterkünstler. Teil 1: A – K. (= Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945. Band 2/1). Saur, München 1999, ISBN 3-598-11375-7.

Dokumentarfilme

Einzelnachweise

  1. a b c Claudio López-Calle: Schiller de Kohn, Vera. In: The Palgrave Biographical Encyclopedia of Psychology in Latin America. Palgrave Macmillan, Cham, 2022, ISBN 978-3-03038726-6, S. 1–2, doi:10.1007/978-3-030-38726-6_154-1 (springer.com [abgerufen am 28. August 2025]).
  2. Vera de Kohn: La espiritualidad a los 100 años (siehe Weblinks)
  3. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 17.
  4. Bernhard Hetzenauer: Und in der Mitte der Erde war Feuer (siehe unter Dokumentarfilme)
  5. Damit könnte das Deutsche Mädchen Reform Real Gymnasium gemeint sein.
  6. a b c d Zuzana Güllendi-Cimprichová: Modernetransfer Tschechoslowakei - Ecuador
  7. a b c d e f g h i j k l Schiller de Kohn, Vera. In: Ana Maria Jacó-Vilela, Hugo Klappenbach, Rubén Ardila (Hrsg.): The Palgrave Biographical Encyclopedia of Psychology in Latin America. Springer Nature, 2023, ISBN 978-3-03056781-1, S. 1180 (englisch, google.de [abgerufen am 31. August 2025]).
  8. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 26.
  9. Tanya Kohn & Enlace Judío - Entrevista exclusiva a Tanya Kohn, 9. April 2014.
  10. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 26.
  11. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 34.
  12. Pontificia Universidad Católica del Ecuador: Katya Kohn. Katya Kohn, verheiratete Bernasconi, ist eine bekannte Designerin und Illustratorin, die unter anderem einen Gedichtband von Pablo Neruda illustriert hat.
  13. a b Teatro Nacional Sucre in Gonzalez Suarez, Quito, Ecuador. In: Tripomatic. Abgerufen am 29. August 2025.
  14. a b Kohn-Kagan, Vera. In: Frithjof Trapp (Hrsg.): Biographisches Lexikon der Theaterkünstler. Teil 1: A – K. (= Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945. Band 2/1). Saur, München 1999, ISBN 3-598-11375-7.
  15. Maria-Luise Kreuter: Wo liegt Ecuador? 1975, S. 253.
  16. Maria-Luise Kreuter: Wo liegt Ecuador? 1975, S. 255–256.
  17. Maria-Luise Kreuter: Wo liegt Ecuador? 1975, S. 258.
  18. Maria-Luise Kreuter: Wo liegt Ecuador? 1975, S. 261–262.
  19. 100 anos de Vera Schiller de Kohn (siehe Weblinks)
  20. Und in der Mitte der Erde war Feuer – Filmdetails. In: Nordische Filmtage Lübeck. Abgerufen am 31. August 2025.
  21. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 49 ff.
  22. Vera Schiller de Kohn: Initiatische Therapie. 2012, S. 51.
  23. Und in der Mitte der Erde war Feuer bei IMDb
  24. Elisabeth Steiger: Interview mit Bernhard Hetzenauer: Erinnerung ist immer Konstruktion. In: European Archival Blog. 3. Mai 2017, abgerufen am 30. August 2025.