Totalvision

Der Mann hinter Totalvision: Wolf Dannberg (1918–1984)

Totalvision wurde in der DDR als eigenes anamorphotisches Verfahren für Breitbildformat-Kinofilme entwickelt.[1]

Entwicklungsgeschichte

Unmittelbar nachdem in westlichen Ländern zur Jahreswende 1953/54 die ersten abendfüllenden Breitwandfilme nach dem CinemaScope-Verfahren in die Kinos gelangt waren, wurden im VEB Carl Zeiss Jena Entwicklungsarbeiten zu einer technisch kompatiblen Wiedergabe- und Aufnahmetechnik aufgenommen, um die DDR von den lizenzpflichtigen Gerätschaften der 20th Century Fox unabhängig zu machen.

Besonders dringlich war die Schaffung einer Entzerrungsoptik – einmal um westliche Breitwand-Filmproduktionen in den DDR-Kinos zeigen zu können, aber vor allem auch deshalb, um die im VEB Zeiss Ikon hergestellten Theatermaschinen international marktfähig zu halten. Um etwaigen Patent- bzw. Lizenzschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, wurde der Entzerrungsvorsatz nicht auf Basis der üblichen Zylinderlinsen, sondern mit gegeneinandergestellten Prismen entwickelt. Die Konstruktionsidee stammte vom Zeiss-Optikrechner Wolf Dannberg, der auch die Koordination zwischen den beiden beteiligten Entwicklungsabteilungen Photo und Proki leitete.[2] Die optische Rechnung dieses Prismen-Anamorphoten nach Sachnummer 55 68 01A konnte bereits zum 15. Oktober 1954 abgeschlossen werden.[3] Der als „Prokimaskop“ auf den Markt gebrachte Vorsatz zeigte im Vergleich zu Konkurrenzprodukten mit Zylinderlinsen eine sehr gute optische Leistung[2], war aber durch seine voluminöse Baugröße und der prinzipbedingten Notwendigkeit zur Verwendung von Hilfslinsen zur Fokussierung[2] nur für den stationären Einsatz geeignet. Daher wurde später im VEB Rathenower Optische Werke ein üblicher Zylinderlinsen-Anamorphot namens „Rectimascop“ entwickelt, der zur Leipziger Frühjahrsmesse 1959 herausgebracht wurde[4] und der kompakt genug war, um auch an den Koffer-Projektoren vom Typ TK35 angebracht werden zu können.

Zeiss Jena „Amorphotischer Aufnahmevorsatz Γ' = 0,5“ aus Zylinderlinsen. Blick auf den mit Brechkraft behafteten Schnitt.

Um der staatlichen Filmgesellschaft der DDR DEFA zu ermöglichen, selbst Breitwandfilme nach dem CinemaScope-Verfahren herstellen zu können, wurden ebenfalls im Jahre 1954 Entwicklungsarbeiten für einen anamorphotischen Aufnahmevorsatz für Filmkameras aufgenommen. Die Schwierigkeit lag dabei darin, dass der Vorsatz mit den im Studio bereits vorhandenen Kameras und vor allem Objektiven nutzbar sein musste; namentlich mit dem Biotar 2/30 mm, dem Sonnar 1,5/50 mm und dem neuen Biometar 2,8/80 mm. Da dazu in der horizontalen Richtung Bildwinkel bis etwa 70 Grad abgedeckt werden mussten, der Ort der Blende aber unveränderlich festlag, mussten besondere Maßnahmen ergriffen werden, um die Verzeichnung des Gesamtsystems gering zu halten. Bereits zum 2. März 1955[3] wurde unter der Versuchsnummer V198 die Rechnung für einen entsprechenden Amorphotischen Aufnahmevorsatz[5] fertiggestellt. Ein weiterer Versuch V203 vom 12. August 1955[3] zeigte befriedende Resultate und konnte daher in Produktion gehen – auch wenn ein Einsatz bislang nicht belegbar ist.[6] Auch dieser sechslinsige afokale Vorsatz wurde von Wolf Dannberg gerechnet. Das von ihm entwickelte Verfahren zur Behebung der Verzeichnung im Vorsatzsystem ließ er sich im DDR-Patent Nr. 23.457 vom 22. Juni 1955 schützen. Diese Arbeiten mündeten im Jahr darauf auch in einem ersten Prototyp des späteren Flektogons 4/25 mm, einem Retrofokus-Weitwinkel für Kleinbild-Reflexkameras mit 80 Grad Bildwinkel.[7]

Die DEFA nannte dieses (zumindest wiedergabeseitig) auf einer eigenständigen Gerätebasis arbeitende Breitwand-Verfahren Totalvision. Parallel zur laufenden Schulung der Kameraleute und Umrüstung der Lichtspielhäuser kam es bereits ab 1956 zum praktischen Einsatz. Am 2. Mai 1957 bei der Wiedereröffnung des Berliner Lichtspieltheaters Colosseum mit dem DEFA-Spielfilm Mazurka der Liebe wurde das Totalvision-Verfahren erstmals dem DDR-Publikum präsentiert.[8]

In Totalvision gedrehte DEFA-Filme

Farbfilme

Schwarzweißfilme

  • Ultrascope (Memento vom 17. Dezember 2023 im Internet Archive) auf cinematographers.nl (englisch)

Einzelnachweise

  1. Filmlexikon. Universität Kiel, abgerufen am 20. Mai 2014.
  2. a b c Tiedeken, Robert: Das Prokimaskop. In: Bild & Ton. Nr. 3, März 1956, S. 61 ff.
  3. a b c Zeiss Jena: Optik-Datenblätter. In: Versuchsordner 701-817. Sammlung Benedix.
  4. Brauer, Egon: Leipziger Frühjahrsmesse 1959. In: Bild & Ton. Nr. 3, März 1959, S. 68.
  5. Angabe auf dem Optikdatenblatt
  6. Nach Jockenhövel habe die DEFA dann in der Praxis mit Aufnahmevorsätzen aus französischer Produktion (also offenbar Angénieux) gearbeitet, was auch mit Archivmaterial belegt wird. Seine Aussage, dass es "auch nicht als ratsam angesehen [wurde], eine Neuentwicklung zu beginnen", ist jedoch angesichts der eindeutig nachweisbaren, seit 1954 mit großer Ernsthaftigkeit vorangetriebenen Konstruktionsarbeiten bei Zeiss Jena mehr als widersprüchlich. Vgl. Jockenhövel, Jesko: „So breit wie drüben?“ – Totalvision: Das ostdeutsche CinemaScope. In: Filmblatt. Filmblatt 67/68, Jg. 23 (2019), Nr. 2, S. 70–85. doi:10.25969/mediarep/21611.
  7. Kröger, Marco: Flektogon 4/25. In: Zeissikonveb.de. Abgerufen am 3. September 2025.
  8. DEFA-Chronik für das Jahr 1957. In: DEFA. Abgerufen am 22. Dezember 2024.