Thusnerdeutsch

Thusnerdeutsch (mundartl. Tusnertütsch) ist ein deutschsprachiger Bündner Dialekt, der in Thusis gesprochen wird beziehungsweise wurde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird Thusnerdeutsch nur noch von älteren Leuten in der herkömmlichen Form gesprochen; im Übrigen wird der Ortsdialekt heute grundsätzlich zum churerrheintalischen Sprachraum gezählt.[1]

Herkunft und Merkmale des Dialektes

Die Herkunft dieses eigenartigen Dialektes ist bis heute ungeklärt. Noch bis ins 19. und 20. Jahrhundert wurde im Umland von Thusis, d. h. im Domleschg, am unteren Heinzenberg, im Albulatal und im Schams, ausschliesslich Rätoromanisch gesprochen, ausser in Thusis, wo – offenbar bereits seit Beginn des 13. Jahrhunderts, nachdem dort eine Gruppe von Zuzügern aus dem deutschen Sprachraum, die in einem Brückenrodel aus dieser Zeit (der Jura de Ponte Renasca) urkundlich erwähnte „Colonia Alamannorum ze Tusens“, ansiedelte – Deutsch gesprochen wurde.

Vom romanischsprachigen Umland fast vollständig eingeschlossen, übernahmen diese kleine deutsche Kolonie und ihre Nachfahren in der Folge Elemente des romanischen Lautsystems sowie zahlreiche romanische Ausdrücke in ihren deutschen Dialekt: Ein langes helles a (wie in deutsch Staat), ein ebenfalls langes ä, das näher dem a als dem e steht, und vor allem das erhaltene auslautende n etwa in Wörtern und Wortformen wie aanfanga ‘anfangen’, aanlegga ‚Kleider anziehen‘, siin, gsin ‘sein, gewesen’. iin ‘hinein’ und durin ‘einwärts’. Auffällig sind auch das unverdumpfte lange aa in gaan ‘gehen’, staan ‘stehen’, laan ‘lassen’, wofür die Ostschweiz sonst meist ein offenes òò kennt.

Sprachbeispiele

gaan und staan und bliiba laan, wer das nit kann, darf nit ga Thusis gaan
schwätz ungschiniert aaaa, säg müglichst breit äääää, dass jeda merkt, der kunnt vo Thusis här
äpa (ungefähr, etwa)
jucca (hüpfen)
pucca (bücken)
Puccaraia (Maikäfer)
Furca (Heugabel)
Tschiifara (auf dem Rücken getragener grosser Korb)
Faschiina (Brennholzbündel mit dürren Ästen oder Holzscheitern, zusammengebunden mit Hanfschnüren, später mit Draht oder Blechbändern)
Pälca (Fensterläden)
Gälla (laute, meist jugendliche oder weibliche Stimme)
Pitta (brotförmiges Süssgebäck)
Faschöla (Bohnen)
Paloga (Pflaume)
Koga (z. B. schlechter oder gerissener Kerl)
gschenta (schielen)
arwenta (zurückgeben)
Tätsch (Schläge für ungezogene Kinder)
Schnarz (Schimpfe)
Pomaranza (Orangen)
Schcarnutz (Papiertüte)
Schpusa (Braut)
Gschtelaschi (Unordnung)
paschga (balgen)
curaschi (Mut)
Spiina (Wasserhahn)
Spälla (Haarnadel)
fähla (fehlen)
strähla (kämmen)
Clutscha (Henne mit Jungen)
Botsch (Mutschkopf)
Totsch (Tollpatsch)
Zicca (Geiss)
Micca (Brötchen)
Brütschi (Brotscheibe mit Butter und Konfitüre)
Puschcatin (Weggli)
Fazzalet (Halstuch)
Schtrucha (Schnupfen)
Schnuddargälla (Schnudernase)
Roscha Puttla (Schar Kinder)
Schluanza (Schlampe)
Nocc (störischer Mann)
Nocca (störische Frau)
nossa (einverstanden)
Kinetta (Strassengraben)
Caretta (Schubkarre)
Schtuba (Wohnzimmer)
Bäsma (Besen)
Schwättara (Ohrfeige)
kräppla (klettern)
Wäsch henca (Wäsche aufhängen)
klenca (langen)
Schpensa (Vorratsraum)
mora Morgat (morgen am Vormittag)
Fugaschipitta (Schmalzgebäck)
Guatali (Guezli, Plätzchen)

Die vorstehenden Sprachbeispiele stammen bis auf wenige Ausnahmen aus einem Mundartgedicht der verstorbenen thusner Mundartdichterin Alma Marguth – Gyger (1908–1999).

Literatur

  • Kurt Danuser: Thusnerdeutsch. Selbstverlag, Thusis 1982.
  • Rudolf Hotzenköcherle und andere: Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bände I–VIII. Francke, Bern bzw. Basel 1962–1997 (wo Thusis ein Ortspunkt ist).
  • Ludwig Martin (1870–1942): Wörtersammlung in der Bibliothek des Schweizerischen Idiotikons.[2]
  • Schweizer Mundarten. Im Auftrag der leitenden Kommission des Phonogramm-Archivs der Universität Zürich bearbeitet von Otto Gröger. Wien 1914 (mit Aufnahme aus Thusis).

Einzelnachweise

  1. Oscar Eckhardt: Alemannisch im Churer Rheintal: Von der lokalen Variante zum Regionaldialekt. Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-11265-9.
  2. Schweizerisches Idiotikon – Verzeichnis der Quellensiglen. In: idiotikon.ch. Abgerufen am 1. September 2025.