The Voice of Hind Rajab

The Voice of Hind Rajab (Arabisch: صوت هند رجب) ist ein Hybridfilm von Kaouther Ben Hania aus dem Jahr 2025. Das zwischen Spiel- und Dokumentarfilm-Drama angesiedelte Werk thematisiert das Schicksal der 5-jährigen Palästinenserin Hind Rajab, die Anfang 2024 während einer Militäraktion von der israelischen Armee im Gazastreifen getötet wurde. In ihrer Not telefonierte das Mädchen mit Mitarbeitern der Hilfsorganisation Palästinensischer Roter Halbmond (PRCS), die versuchten, das Kind zu beruhigen und dessen Rettung zu organisieren. Rajabs letzte Worte, die aufgezeichnet wurden, fanden weltweit mediale Beachtung.

Regisseurin Ben Hania entwickelte ihren Film unter Verwendung von Rajabs Originalstimme aus einem aufgenommenen 70-minütigen Telefonat. Die fiktionalen Szenen spielen fast ausschließlich an einem einzigen Ort, der nachgebauten PRCS-Einsatzzentrale, und es wird auf explizite Gewaltdarstellungen verzichtet. Gewalt wird ausschließlich über die Originaltonspur zu den von Schauspielern dargestellten Organisationsmitarbeitern vermittelt. Die Hauptrollen übernahmen Saja Kilani, Motaz Malhees, Clara Khoury und Amer Hlehel.

Es handelt sich um den bis dahin am schnellsten realisierten Film von Regisseurin Ben Hania. Die Uraufführung der tunesisch-französischen Produktion fand Anfang September 2025 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig statt. Dort wurde The Voice of Hind Rajab positiv von der internationalen Filmkritik besprochen und gewann eine Reihe von Preisen, darunter den Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals. Einige Rezensenten stellten jedoch das dramaturgische Konzept des Werks in Frage. Zuvor war The Voice of Hind Rajab als tunesischer Vorschlag für die Kategorie Bester Internationaler Film der Oscarverleihung 2026 ausgewählt worden. International bekannte Filmschaffende wie Brad Pitt, Joaquin Phoenix, Alfonso Cuarón und Jonathan Glazer unterstützen als Executive Producers das Filmprojekt.

Am 29. Januar 2024 flüchtete Hind Rajab mit ihrem Onkel, ihrer Tante und deren Kindern in einem Auto aus Gaza-Stadt. Der Wagen wurde von der israelischen Armee angegriffen und nur das 5-jährige Mädchen überlebte. Über Stunden saß Hind in dem liegengebliebenen Fahrzeug fest und hielt telefonisch Kontakt zu Mitarbeitern der Hilfsorganisation Palästinensischer Roter Halbmond, die versuchten, das ängstliche Kind zu beruhigen. Daraufhin machen sich Sanitäter auf den Weg, Rajab zu retten. Nachdem sich die israelische Armee zurückgezogen hatte, wurden am 10. Februar 2024 die Leichen von unter anderem Rajab und den Sanitätern entdeckt. Der Vorfall fand weltweit mediale Beachtung und führte zu Protesten gegen das Vorgehen Israels im Gazakrieg.^[1]

Regisseurin Kaouther Ben Hania rekonstruierte den Vorfall eigenen Angaben zufolge anhand der gespeicherten Original-Telefonaufnahmen zwischen Hind Rajab, den palästinensischen Hilfsorganisationsmitarbeitern^[2] in Ramallah (Westjordanland)^[3], Hinds in Deutschland lebendem Onkel und ihrer Mutter, die in der Nähe des Angriffsorts war.^[2] Die Handlung findet fast ausschließlich in der Einsatzzentrale der Organisation statt. Gewalt wird ausschließlich über die Originaltonspur von Rajabs Stimme vermittelt. Die Mitarbeiter Omar und seine Kollegin Rana sprechen abwechselnd mit ihr am Telefon. Sie versuchen an Informationen zu gelangen und das Kind zu beruhigen. Ihr Vorgesetzter Mahdi versucht währenddessen eine Rettung Rajabs zu koordinieren. Alle Organisationsmitarbeiter werden von professionellen Schauspielern dargestellt.^[4]

Als eine der letzten Filmaufnahmen werden die Überreste des Autos gezeigt, in dem Rajab starb. Das Fahrzeug soll laut The Voice of Hind Rajab von 355 Kugeln getroffen worden sein.^[3]

The Voice of Hind Rajab ist der siebte Langfilm von Kaouther Ben Hania. Er ist als Hybridfilm, zwischen Spiel- und Dokumentarfilm-Drama angesiedelt.^[5][6] Die tunesische Regisseurin befand sich auf einer Pressetour in Los Angeles für ihren Oscar-nominierten Experimentalfilm Olfas Töchter (2023), als sie durch Medienberichte vom Schicksal Hind Rajabs erfuhr. Sie hörte sich die öffentlich verfügbaren Tondokumente an, in denen das verängstigte Mädchen gegenüber Helfern um ihr Leben flehte. Ben Hania war erschüttert und konnte ihre Reise nicht mehr fortsetzen. Sie kontaktierte die Hilfsorganisation Palästinensischer Roter Halbmond, die ihr eine 70-minütige Aufnahme des Telefonats zur Verfügung stellte. Daraufhin entschloss sich Ben Hania das Ereignis filmisch aufzuarbeiten, obwohl sie kurz vor Beginn der Vorproduktion eines mehrjährig vorbereiten, anderen Filmprojekts stand.^[7]

In Vorbereitung auf The Voice of Hind Rajab führte Ben Hania lange Gespräche mit Rajabs Mutter sowie Personen, mit denen das Mädchen kurz vor ihrem Tod telefonisch Kontakt gehalten hatte und die versucht hatten, ihr zu helfen. Die Arbeit am Drehbuch habe die Filmemacherin sehr mitgenommen. Sie entwickelte ein Skript, das auf die erhaltenen Zeugenaussagen und unter Verwendung von Rajabs Originalstimme aus den aufgenommenen Telefonaten aufbaute, die das Kind vor ihrem Tod geführt hatte. Der Film spiele ausschließlich an einem einzigen Ort und verzichte darauf, explizite Gewaltdarstellungen zu zeigen. Die Gewalt sei für den Zuschauer nur über die Tonspur vernehmbar. Dies sei eine bewusste Entscheidung Ben Hanias gewesen, da die Menschen täglich mit einer Vielzahl von gewalttätigen Bildern konfrontiert seien. „Ich wollte mich auf das Unsichtbare konzentrieren: das Warten, die Angst, das unerträgliche Geräusch der Stille, wenn keine Hilfe kommt. Manchmal ist das, was man nicht sieht, verheerender als das, was man sieht“, so die Filmemacherin. Ben Hania habe eigenen Angaben zufolge keine Welt akzeptieren können, „in der ein Kind um Hilfe ruft und niemand kommt“. Der Schmerz und das Versagen um dieses Ereignis gehöre „zu uns allen“. Es gehe nicht nur um Gaza, das Schicksal Hind Rajabs spreche „einen universellen Kummer an“, so Ben Hania. Die Fiktion sei („vor allem, wenn sie sich auf verifizierte, schmerzhafte, reale Ereignisse“ stütze) ihrer Meinung nach „das mächtigste Werkzeug des Kinos“. „Es ist mächtiger als der Lärm der Nachrichten oder die Vergesslichkeit des Scrollens. Das Kino kann eine Erinnerung bewahren. Das Kino kann der Amnesie widerstehen,“ so Ben Hania.^[7]

Für die Hauptrollen wurden Amer Hlehel, Clara Khoury, Motaz Malhees und Saja Kilani verpflichtet.^[2] Die Dreharbeiten fanden im Geheimen in Tunesien statt. Als Kameramann fungierte der Portugiese Juan Sarmiento G.^[8] Dreharbeiten an Originalschauplätzen in Gaza waren aufgrund des andauernden Kriegs nicht möglich.^[5]

Produziert wurde der Film von Nadim Cheikhrouha für die Unternehmen Mime Films und Tanit Films, Odessa Rae für die New Yorker RaeFilm Studios und James Wilson für die in London ansässige Jw Films Production.^[9] Unterstützt wurde The Voice of Hind Rajab vom britischen Unternehmen Film4 Productions.^[1] Regisseurin Ben Hania hob hervor, dass das Filmprojekt etwas „elektrisierendes“, „unmittelbares“, „lebendiges“ umgeben habe. Es sei innerhalb von nur 12 Monaten zustande gekommen und damit ihr bis dahin schnellster realisierter Film gewesen.^[7]

Noch vor der Uraufführung des Films unterstützten namhafte Hollywood-Stars The Voice of Hind Rajab als Executive Producers. Dazu zählten neben Brad Pitt sowie seinen Geschäftspartnern Dede Gardner und Jeremy Kleiner von der Produktionsfirma Plan B Entertainment auch Joaquin Phoenix, Alfonso Cuarón, Rooney Mara und Jonathan Glazer.^[10] Dadurch könnte The Voice of Hind Rajab insbesondere in den USA ein größeres Publikum erreichen.^[5] Glazer und Koproduzent James Wilson hatten zuvor an dem Oscar-prämierten Spielfilm The Zone of Interest (2023) zusammengearbeitet.

Die Weltpremiere von The Voice of Hind Rajab erfolgte am 3. September 2025 im Rahmen des 82. Internationalen Filmfestivals von Venedig.^[11] Der Beitrag wurde in den Hauptwettbewerb aufgenommen.^[2] Während der Premierengala trugen Regisseurin Ben Hania, ihr palästinensisches Schauspielensemble und die anwesenden Executive Producers Joaquin Phoenix und Rooney Mara schwarze Abendkleidung. Sie führten ein gerahmtes Foto der getöteten Hind Rajab mit sich. Anstelle pompöser Festivalmusik wurde eine düstere Ambient-Partitur beim Eintreffen des Filmteams ins Sala-Grande-Kino von Venedig gespielt.^[5] Das Premierenpublikum soll Ben Hanias Regiearbeit einen rekordträchtigen Applaus von fast 24 Minuten gespendet haben. Außerdem sollen „free Palestine“-Gesänge zu hören gewesen sein.^[9] Auch in den zuvor angesetzten, nicht öffentlichen Pressevorführungen habe es „minutenlange stehende Ovationen“ für den Film gegeben, daneben seien aber auch vereinzelte Buhrufe zu hören gewesen.^[4][3] In der Pressekonferenz hatte Hauptdarstellerin Saja Kilani eine vorbereitete Erklärung im Namen des gesamten Filmteams verlesen, in dem es sich gegen das Massentöten, Hunger, „Entmenschlichung, Zerstörung“ und die „anhaltenden Besetzung“ positionierte. Rajabs Stimme sei „eine von Zehntausenden von Kindern, die allein in den letzten zwei Jahren in Gaza getötet“ worden seien, so Kilani.^[5]

In den folgenden Wochen wurde der Film unter anderem in die Programme der Festivals von Busan, London, San Sebastián, Toronto (Nordamerika-Premiere^[12]) und Zürich aufgenommen.^[13]

Der internationale Vertrieb von The Voice of Hind Rajab wird durch das Unternehmen Party Film Sales organisiert. Die Rechte für den US-amerikanischen Markt kontrolliert die Firma CAA Media Finance.^[14]

Auf der Website Metacritic erhielt The Voice of Hind Rajab eine Bewertung von 84 von 100 möglichen Punkten, basierend auf fast einem Dutzend ausgewerteten englischsprachigen Kritiken. Das Echo der Rezensenten wurde mit „einhelligem Beifall“ („universal acclaim“) bewertet.^[15] Von den über ein Dutzend englischsprachigen Kritiken, die auf der Website Rotten Tomatoes nach der Premiere aufgeführt werden, erhielten alle eine positive Bewertung („fresh“).^[16] Top-Bewertungen verzeichnete The Voice of Hind Rajab unter anderem von Kevin Maher (The Times, 5 von 5 Punkten) und Sophie Monks Kaufman (IndieWire, Note: „A-“, vergleichbar mit einer „1-“ im deutschen Schulsystem). Laut Maher handle es „sich um bewusst erschütterndes Material, das durch eine kompromisslose, mitreißende Filmkunst vermittelt“ werde. Er empfahl ausdrücklich Politikern und Entscheidungsträgern den Film weiter.^[17] Peter Bradshaw erklärte in The Guardian, das Konzept des Films sei potenziell fragwürdig, sah aber auch eine „tollkühne, gnadenlose Art provokativer Brillanz“ in der Umsetzung des Films und verlieh 4 von 5 Sternen.^[18]

Weitere Kritiker von bekannten englischsprachigen Branchendiensten wie Deadline,^[19] The Hollywood Reporter^[20] und Screen Daily^[21] rezensierten den Film positiv. Zu einer ambivalenteren Haltung kam dagegen Guy Lodge von Variety. Die Originalaufnahmen von Rajabs Stimme würden das Herzstück des Hybridfilms darstellen. Es sei „unmöglich, sich nicht von der realen Audioaufnahme bewegen zu lassen [...], aber die Ethik und Ausführung des Konzepts“ seien „fragwürdig“. Das leidende Kind sei nur über Archivbilder zu sehen; die von den Nothelfern aufgrund ihrer Distanz empfundene „Frustration“, die der Film vermittle, werde da sicherlich vom Publikum geteilt. Mit der Konstruktion einer dramatischen Handlung rund um die Originaltonspur Rajabs laufe The Voice of Hind Rajab zudem „Gefahr, seinen dokumentarischen Kern zu trivialisieren, anstatt ihn besser zur Geltung zu bringen“. Lodge fühlte sich bei der Verwendung der melodramatischen und Thriller-Elemente in Ben Hanias Drehbuch an den dänischen Spielfilm The Guilty (2018) erinnert.^[6] Hinsichtlich des „Single-Location-Thrillers“ zog auch Sheri Linden (The Hollywood Reporter) einen Vergleich zum dänischen Film sowie dessen US-amerikanischem Remake,^[20] während Wendy Ide (Screen Daily) zusätzlich auf Caroline Bartlees 6-minütigen Kurzfilm Operator (2015) verwies,^[21] der den BAFTA Award gewann. Ben Hanias filmische Entscheidungen, vom rasanten Schnittrhythmus bis hin zur eindringlichen Musik, fand Lodge „selten zurückhaltend“, während die Darsteller eine spontane emotionale Intensität, aber wenig Modulation oder Finesse an den Tag legen würden. Wenn der Film auch nur ein verschlossenes Auge oder Ohr für die Gräueltaten in Gaza öffne, habe er seine Aufgabe erfüllt, aber er sei „ein stumpfes und beunruhigendes Instrument“.^[6]

Ähnliches bemerkte der deutsche Rezensent Wolfgang Höbel und untertitelte seine Kritik für den Spiegel mit „Herzzerreißend, propagandistisch und der große Aufreger beim Filmfestival in Venedig“. The Voice of Hind Rajab sei „natürlich [...] auch ein propagandistisches Werk“, indem es „schreckliches Leid auf einer Seite eines Kriegs“ zeige. Dennoch prognostizierte Höbel dem Film in Venedig „einen oder mehrere der Preise [...] mit großer Sicherheit“ zu gewinnen. Die echten Telefon- und Familienvideo-Mitschnitte würden „dem Drama ungeheure Gefühlswucht und Überzeugungskraft verleihen“. Ben Hanias Entscheidung, auf „den konkreten politischen Kontext“ zu verzichten, müsse ihr aber den „Vorwurf der Einseitigkeit“ einbringen. Der Film zeige keine israelische Soldaten, von denen stets nur als „der Armee“ berichtet werde. The Voice of Hind Rajab werde von Empörung – „nicht politischer, sondern menschlicher, ethischer Natur“ – angetrieben.^[3]

Nach Daniel Hinz vom Nachrichtenportal Stern.de liefere der Film „eine reale Leidensgeschichte, die den Horror und Wahnsinn der Gräueltaten israelischer Soldaten gegenüber Zivilisten und Hilfsorganisationen“ zeige. Kino habe „die Kraft, das Publikum zu emphatischem Einfühlen zu bewegen – und das“ tue The Voice of Hind Rajab „wie vielleicht wie kein anderer zeitgenössischer Film. Palästinenser werden nicht aufhören, von ihrem Leid zu berichten“, so Hinz.^[22]

Der OutNow.ch-Filmkritiker Simon Eberhard wertete The Voice of Hind Rajab als „zutiefst unangenehmen, aber leider brennend aktuellen Film“.^[23] Filmstarts.de-Rezensent Christoph Petersen beschrieb ihn als: „Ein einziger Schlag in die Magengrube, der einem die ganze Hilflosigkeit der Menschheit in schmerzhaften 89 Minuten vor Augen führt.“^[24]

Kaouther Ben Hania wurde mit The Voice of Hind Rajab in den Wettbewerb um den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig eingeladen. Dort wurde dem Film mehr als ein halbes Dutzend Preise zuerkannt, darunter der Silberne Löwe – Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals. Weitere erhaltene Ehrungen in Venedig waren die Filmpreise des Italienischen Roten Kreuzes, der Menschenrechtsorganisation UNICEF sowie der Union des universités de la Méditerranée (UNIMED).^[25]

Ende August 2025 setzte sich der Beitrag als tunesischer Vorschlag für die Kategorie Bester Internationaler Film der Oscarverleihung 2026 durch.^[26] Regisseurin Ben Hania hatte bereits zuvor mit ihrem Spielfilm Der Mann, der seine Haut verkaufte (2021) und dem Experimentalfilm Olfas Töchter (2024) um den Oscar konkurriert.

• The Voice of Hind Rajab bei IMDb
• The Voice of Hind Rajab im Festivalprogramm von Venedig (englisch)