Staugaard-Rochade

Staugaard-Rochade ist die Bezeichnung für einen an sich nicht erlaubten Zug im Schach, der in verschiedenen Scherzaufgaben vorkommt. Es handelt sich dabei um eine „vertikale“ Rochade zwischen dem König und einem auf dem gegenüberliegenden Feld des Brettes umgewandelten Turm. Ein solcher Zug entspricht nicht den Spielregeln, aber einige historische und auch gängige heutige Formulierungen der Rochaderegeln lassen diesen Zug als denkmöglich und als legal interpretierbar erscheinen. Die offiziellen FIDE-Regeln haben diesen Zug jedoch seit ihrer ersten gültigen Formulierung im Jahr 1930 ausgeschlossen, da sie die Rochade als einen Zug auf derselben (horizontalen) Reihe festlegten.

Der Zug wurde erstmals im Jahr 1907 durch den Dänen Conrad Staugaard in einem Zweizüger publiziert, also vor Codifizierung der FIDE-Regeln, und nach gängigen damaligen Regelformulierungen legal. Staugaard machte also auf eine echte Regellücke aufmerksam. Der Zweizüger geriet in Vergessenheit, bis er 2013 durch Die Schwalbe wiederentdeckt und neu veröffentlicht wurde. Die Schwalbe benannte den Zug in Folge nach Staugaard. Zwischenzeitlich wurde der Zug ab den 1960er Jahren mehrfach wiederentdeckt. Tim Krabbé veröffentlichte dazu 1972 einen Dreizüger, nachdem ihm zufolge sein Freund Max Pam den Zug entdeckt hatte. Krabbé popularisierte diese Rochade nachfolgend als Pam-Krabbé-Rochade.

Erläuterung

Nach gängigen Erläuterungen darf die Rochade dann ausgeführt werden, wenn

  1. weder König noch beteiligter Turm gezogen hatte,
  2. zwischen König und beteiligtem Turm keine Figur steht,
  3. der König vor Ausführung der Rochade nicht im Schach steht,
  4. keine gegnerische Figur das Feld kontrolliert, über das der König zieht (und auch nicht das Zielfeld).

Dies schließt soweit nicht aus, dass sich ein Bauer auf e8 (bzw. e1) in einen Turm unterverwandelt und sodann der entsprechende König mit diesem vertikal rochiert, wobei der König auf e3 (bzw. e6) und der Turm auf e2 (bzw. e7) zu stehen kommt. In der Notation wurde diese Form der Rochade in Anlehnung an die gängigen Symbole mit 0–0–0–0 gekennzeichnet – oder länger mit 0–0–0–0–0 oder 0–0–0–0–0–0.

  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Weiß zieht e7–e8T
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Weiß zieht 0–0–0–0
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Schlussstellung

Geschichte des Zuges

Der Zug wurde in der Schachgeschichte mehrfach entdeckt und verarbeitet. Bereits im frühen 20. Jahrhundert hatte der Däne Conrad Staugaard (1852–1922) diese Idee. Im November 1907 publizierte er in für das Skakspøg-Turnering („Schachscherz-Turnier“) der dänischen Zeitschrift Skakbladet eine Miniatur für Matt in zwei Zügen. Die Aufgabe lautete:

„Hvid, der endnu kan rokere, begynder og gør Mat i 2 Træk“

„Weiß, der noch rochieren kann, beginnt und setzt in 2 Zügen matt.“

Hinzu fügte Staugaard ein Motto für die Aufgabe:

„Hvorfor skal man ikke, naar man kan?“

„Warum soll man es nicht tun, wenn man kann?“

Josef Cumpe, ein katholischer Priester und Schachkomponist der Böhmischen Schule, verarbeitete Staugaards Idee 1915 zu einem etwas anspruchsvolleren Zweizüger mit Nebenvarianten. Danach scheint diese Rochade gemäß vorliegenden Quellen für mehr als ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit geraten zu sein, wobei die FIDE-Regeln sie ja auch mittlerweile direkt ausschlossen.

Die erste bekannte Wiederentdeckung erfolgte durch den amerikanischen Meister Edward Formanek im Jahr 1968. Laut einem Artikel des späteren Großmeisters Andrew Soltis in Chess Life vom Mai 1972 zeigte Formanek ihm eine Scherzaufgabe bei der Studentenolympiade 1968 in Ybbs.[1] Einen weiteren Zweizüger mit der Rochade publizierte der französische Meister Jean-Luc Seret im Jahr 1971. Diese Aufgabe war als Aprilscherz deklariert.

Am bekanntesten wurde die Wiederentdeckung des Zuges durch den Niederländer Max Pam und ein dadurch motivierter Dreizüger von seinem Freund Tim Krabbé im Jahr 1972, der alle drei Rochaden vereinte. Nach Darstellung von Krabbé stieß dies eine Diskussion um die Legalität dieser Rochade an und führte zu einer Änderung der Rochaderegeln der FIDE, nach der König und Turm nunmehr auf derselben Reihe stehen müssten – was jedoch schon seit Einführung der FIDE-Regeln 1930 der Fall war.

Formanek/Soltis verwendeten für den Zug die Notation 0–0–0–0–0, Seret 0–0–0–0–0–0 und Pam/Krabbé 0–0–0–0.

Conrad Staugaard
Skakbladet, 11/1907
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Matt in 2 Zügen

1. e7–e8T! Kd3xc2 2. 0–0–0–0#
Josef Cumpe
Deutsche Schachzeitung, 12/1915
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Matt in 2 Zügen

1. e7–e8T! Kd3xc2 2. 0–0–0–0#
Oder 1. … bxc2/Kd4 2. Dd5/De4#
Edward Formanek
1968; veröffentlicht in Chess Life, 1972
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Matt in 2 Zügen

1. e7–e8T! bel. 2. 0–0–0–0–0#
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Matt in 2 Zügen

1. e7–e8T! Kh1xg1 2. 0–0–0–0–0-0#
Tim Krabbé
Schaakbulletin, 1972
  a b c d e f g h  
8 8
7 7
6 6
5 5
4 4
3 3
2 2
1 1
  a b c d e f g h  
Matt in 3 Zügen

1. e6–e7 Ke3xf3 2. e7–e8T! Kf3–g2 3. 0–0–0–0# (weitere Varianten siehe hier)

Literatur

  • Tim Krabbé: Schaakkuriosa (1974) (dt. Schach-Besonderheiten: kuriose, intelligente und amüsante Kombinationen, ECON, Düsseldorf 1988, ISBN 3-612-20336-3).

Einzelnachweise

  1. Chess Life Mai 1972, S. 307