Deutsches Staatswörterbuch

Das Deutsche Staats-Wörterbuch bzw. kurz Staatswörterbuch ist ein mehrbändiges staatswissenschaftliches Nachschlagewerk, das von Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) und Karl Brater (1819–1869) „in Verbindung mit deutschen Gelehrten“ herausgegeben wurde und zu dessen Autoren die damalige wissenschaftliche Prominenz zählte, Juristen, Nationalökonomen und Historiker.[1] Johann Caspar Bluntschli selbst war einer der bedeutendsten Schweizer Juristen des 19. Jahrhunderts, er war Professor in Zürich, München und Heidelberg sowie, im Jahre 1873, Mitbegründer des Institut de Droit International.[2] Er war Mitglied des Deutschen Zollparlaments, der Badischen Ständeversammlung, Präsident des Deutschen Juristentages (1869) sowie Präsident des Deutschen Protestantenvereins.[3]

Einführung

Johann Caspar Bluntschli in späteren Jahren

Die erste Ausgabe des liberal-konservativen Staatswörterbuchs erschien 1857 bis 1870 in 11 Bänden und behandelt umfassend staatswissenschaftliche Begriffe und Themen. Zahlreiche Politiklehrer wie Robert von Mohl, Wilhelm Roscher, Albert Schäffle, Wilhelm Stahl, Heinrich von Sybel und Heinrich von Treitschke haben zu dem Werk beigetragen.[4] Es erschien seit 1857 in Stuttgart und Leipzig bei der „Expedition des Staats-Wörterbuchs“.

Der erste Band beginnt mit einer systematischen Übersicht in 21 Kapiteln, überschrieben u. a. mit Staatsmänner und Feldherrn, Staatswissenschaftler, Religionsstifter und Fürsten, Dynastien, Völkerfamilien und Völker, Individuen und Stände, Staaten, Staatsformen, Gericht, Wirtschaft, Freiheitsrechte, Völkerrecht. Im weiteren Verlauf ist das Werk alphabetisch gegliedert, mit Register im Anhang des jeweiligen Bandes.

Das Werk ersetzte[5] den bisherigen Klassiker Rotteck-Welckersches Staatslexikon, und erschien in gewisser Weise parallel zu dessen dritter Auflage.[6]

Eine dreibändige, teils neu bearbeitete Ausgabe des Staatswörterbuchs erschien zwischen 1869 und 1872, Nachträge dazu 1875. Sie wurde auf Grundlage der elfbändigen Erstversion von Bluntschli und Brater erstellt, in Verbindung mit andern Gelehrten bearbeitet und herausgegeben von dem deutschen Rechtswissenschaftler Richard Loening (1848–1913).

In seinem auf den 1. März 1875 aus Heidelberg datierten Nachwort schreibt Bluntschli, dass diese Neubearbeitung u. a. wegen des Deutsch-Französischen Kriegs erst 1875 fertig gestellt werden konnte:[7]

„Alle diese Schwierigkeiten mußten zum Theil ertragen und konnten nur langsam überwunden werden. Es ist das endlich gelungen. Wenn man das Werk mit dem umfangreichen Deutschen Staatswörterbuch in elf Bänden vergleicht, so wird man wohl zugestehen, daß die wesentlichen Vorzüge des größeren Werkes in dem kleineren Werke wieder zu finden sind, und daß auch viele Artikel neu und zeitgemäß umgearbeitet worden.“

J. C. Bluntschli

Das Werk wurde als „wissenschaftlicher als Rotteck und Welcker“ (Zischka) - d. h. als das Rotteck-Welckersche Staatslexikon - eingestuft,[8] mit dem es auch in weltanschaulicher Hinsicht in Konkurrenz stand. Im Katalog der Bibliothek des Reichstages (Berlin 1890) werden beide Ausgaben neben dem Rotteck-Welckerschen Staatslexikon und anderen im Abschnitt „Wörterbücher“ (zu den Staatswissenschaften) gelistet.[9]

Die Haltung gegenüber dem Ultramontanismus kommt beispielsweise im Artikel zu Joseph de Maistre zum Ausdruck, in dem der Verfasser Julius Weizsäcker der Monarchie das Recht zuspricht, „bei einem Fehltritt nicht von wilden Pöbelhaufen, sondern von einem geistlichen Herrscher kontrolliert zu werden... Die Inquisition ist unter Umständen ein recht zweckmäßiges und lobenswertes Institut.“[10] Im ab 1889 erscheinenden Staatslexikon der Görres-Gesellschaft wurden später christlich-katholische Positionen gegenüber den beiden zuvor erschienen bürgerlich-liberalen Staatslexika von Rotteck/Welcker und Bluntschli etabliert. Der Kölner Zentrumsabgeordnete und Rechtsanwalt Julius Bachem beispielsweise – der im Rahmen der Görres-Gesellschaft zwischen 1886 und 1912 Herausgeber des Staatslexikon der Görres-Gesellschaft war – führte nach J. Morley die Haltung der letztgenannten beiden „tonangebenden liberalen Staatslexika“ auf den überzogenen Staatsbegriff der idealistischen Philosophie (Idealismus) besonders Hegels zurück.[11] Das Werk lieferte verschiedene Aufschlüsse zur Liberalismusgeschichte zwischen der 1848er Revolution und der deutschen Reichsgründung.[12] Der Eintrag Deutsches Reich verweist auf Römisches Reich deutscher Nation, da die deutsche Reichsgründung erst 1873 erfolgte.[13]

Rassistische Elemente aus dem Staatswörterbuch wurden verstärkt in jüngerer Zeit untersucht.[14]

Ein Beispiel aus Arische Völker und arische Rechte:

„Unter den verschiedenen Völkern, welche sich den Besitz der Erde geteilt haben, nimmt die arische Völkerfamilie den ersten Rang ein [...]. Es gibt in der Weltgeschichte nur noch eine Völkerfamilie, welche mit der arischen einigermaßen den Vergleich aushält, die semitische. Alle anderen stehen tief unter ihr [...]. Der arische Geist, von der Schöpfung her am reichsten ausgestattet [...] hat die Bestimmung, die Menschheit mit seinen Rechts- und Staatsideen zu erleuchten und die Herrschaft der Welt [...] zu übernehmen und durchzuführen, indem er die ganze übrige Menschheit zur Zivilisation erzieht.“

J. C. Bluntschli[15]

Der Abschnitt „Juden – Rechtliche Stellung“ gibt Bluntschlis Einstellung zum Judentum wieder. Er behandelt darin die Frage der Emanzipation der Juden aus dem Blickwinkel ihrer Religion, ihrer Nationalität sowie vom Standpunkte der Wirtschafts- und Kulturinteressen aus. Er spricht den Juden ab, heute noch „ein besonderes Volk mit einer eigenen Verfassung und eigenem Recht zu sein.“[16] Gleichzeitig waren mehrere Mitarbeiter des Staatswörterbuchs, darunter Wilhelm Stahl und Loening, jüdischer Herkunft. – Ausführungen über den Islam finden sich hauptsächlich im Artikel Mohammed, Mohammedanische Staatsidee.[17]

Gegen Fr. J. Stahl (1802–1861) gerichtet, dem Mitbegründer und -organisator sowie Programmgeber der Konservativen Partei Preußens und Bruder von Wilhelm Stahl, in Bluntschlis Worten „der nach Hegel […] bedeutendste Vertreter der philosophischen Statslehre in Berlin“,[18] schrieb Bluntschli 1862, dass bei diesem ein „jüdischer Zug der Theokratie wie ein rother Faden durch sein ganzes System hindurch gehe, der dasselbe für die europäisch-arische Welt unsres Zeitalters zum Theil unbrauchbar mache.“[19]

Das 11-bändige Staatswörterbuch wurde bis in die jüngere Zeit hinein verschiedentlich nachgedruckt.

Gliederung

11-bändige Ausgabe

  • I Abgeordnete – Belagerungszustand und Standrecht. 1857
  • II Belgien – Deutscher König. 1857
  • III Deutscher Bund – Friedrich der Große. 1858
  • IV Friesen – Hamburg. 1859
  • V Haus, Hausfriede, Haussuchung – Konsumption. 1860
  • VI Konsumtionssteuer – Montgelas. 1861
  • VII Morus – Patronat, Präsentationsrecht. 1862
  • VIII Peel – Rußland und die Russen. 1864
  • IX Rußland (Die deutschen Ostseeprovinzen) – Staatsrat. 1865
  • X Staatsschulden – Verordnung. 1867
  • XI Versicherungsanstalten – Zwingli. Nachtrag zu Band 1–11. 1870

3-bändige Ausgabe

  • I Abgaben – Genossenschaftswesen.
  • II Gentz – Oesterreich.
  • III Okkupation – Zwingli.

Ausgaben

11-bändige Ausgabe

3-bändige Ausgabe

  • Bluntschli, (Johann Caspar): Staatswörterbuch in drei Bänden. Auf Grundlage des deutschen Staatswörterbuchs von Bluntschli und (Karl Ludwig Theodor) Brater in elf Bänden, in Verbindung mit andern Gelehrten bearbeitet und herausgegeben von (Richard) Löning. Friedrich Schulthess, Zürich 1869-1875. Digitalisate: 1 (1869) 3.1 (1871) 3 (1872), Nachträge (1875)
Gliederung:[20]
  • Abgaben - Genossenschaftswesen. Zürich 1872 (zuerst 1869, 2. Ausgabe 1875)
  • Gentz-Oesterreich. 2. Ausg. Leipzig & Stuttgart 1876
  • Okkupation - Zwingli. 2. Ausg. Leipzig & Stuttgart 1876. Nachträge Leipzig & Stuttgart 1875

Literatur

  • Monika Faßbender: Liberalismus, Wissenschaft, Realpolitik: Untersuchung des "Deutschen Staats-Wörterbuchs" von Johann Caspar Bluntschli und Karl Brater als Beitrag zur Liberalismusgeschichte zwischen 48er Revolution und Reichsgründung. 1981
  • Marcel Senn: „Rassistische und antisemitische Elemente im Rechtsdenken von Johann Caspar Bluntschli“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 110 (1993), 372–405 - Online-Teilansicht
  • Carolin Metzner: Johann Caspar Bluntschli. Leben, Zeitgeschehen und Kirchenpolitik 1808–1881. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2009, ISBN 978-3-631-59679-1.
  • Daniel-Erasmus Khan und Lando Kirchmair ,,All's Well That Ends Well?" Zum Verbot der Rassendiskriminierung im Völkerrecht, in: Schraut/Paul (Hrsg.) Rassismus in Geschichte und Gegenwart. Eine interdsizipliäre Analyse. Festschrift für Walter Demel. Peter Lang (Frankfurt 2018) - unibw.de
  • Susan Arndt: Rassismus begreifen: Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen. C. H. Beck, Band 6420, 1. Auflage 2021 (Inhaltsübersicht)
  • Hermann Gruber: Einigungs-Bestrebungen und innere Kämpfe in der deutschen Freimaurerei seit 1866: unter besonderer Berücksichtigung des neuesten durch Prof. Dr. Herm. Settegast entfachten Monstre-Logen-Zwistes. 1898 (Online-Teilansicht)
  • Johann Caspar Bluntschli: Denkwürdiges aus meinem Leben. Auf Veranlassung der Familie durchgesehen und veröffentlicht von Dr. Rudolf Seyerlen. 3 Bände. Beck, Nördlingen 1884. Band 1: Zürich. Die schweizerische Periode 1808–1848. Band 2: München. Die deutsche Periode – erste Hälfte: München 1848–1861. Band 3: Heidelberg. Die deutsche Periode – zweite Hälfte: Heidelberg 1861–1881.
  • DNB 560369948 Deutsches Staats-Wörterbuch bei der Deutschen Nationalbibliothek

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. vgl. Stefan Rebenich: "9. Politik, Geschichte, Recht: Johann Caspar Bluntschli." In C. H. Beck 1763–2013. C. H. Beck, 2013. Online (hier S. 165)
  2. Daniel-Erasmus Khan und Lando Kirchmair „All's Well That Ends Well?“ Zum Verbot der Rassendiskriminierung im Völkerrecht, in: Schraut/Paul (Hrsg.): Rassismus in Geschichte und Gegenwart. Eine interdsizipliäre Analyse. Festschrift für Walter Demel. Peter Lang (Frankfurt 2018) - unibw.de
  3. Peter Longerich: Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte: Von der Aufklärung bis heute. 2021 (Online-Teilansicht)
  4. vgl. Wilhelm Bleek: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland. 2001, S. 145
  5. Stefan Rebenich: „9. Politik, Geschichte, Recht: Johann Caspar Bluntschli.“ In C. H. Beck 1763–2013. C. H. Beck, 2013. Online (hier S. 164)
  6. 3. Auflage: Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschafen für alle Stände, Leipzig 1856–1866, 14 Bände.
  7. Bluntschli; Loening: Nachträge zu Bluntschli's Staatswörterbuch in drei Bänden: auf Grundlage des deutschen Staatswörterbuchs von Bluntschli und Brater in elf Bänden, in Verbindung mit anderen Gelehrten. 1875, Nachwort (Digitalisat)
  8. Gert A. Zischka, zitiert nach: Antiquariat Haufe & Lutz, Karlsruhe, BW, Germany (abgerufen am 26. 7. 2025)
  9. Katalog der Bibliothek des Reichstages: Bd. I. Allgemeine Handbücher. II. Staatswissenschaften, etc. Berlin 1890, S. 85 (Abschnitt: 6. Wörterbücher)
  10. J. Weizsäcker: Art. Maistre, in: Johann Caspar Bluntschli / Karl Ludwig Theodor Brater (Hrsg.): Konsumtionssteuer – Montgelas (Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 6), Stuttgart und Leipzig 1861, S. 528 -532
  11. R. Morsey: Staatslexikon, II. Fünfte bis siebte Auflage, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Staatslexikon (abgerufen: 26.07.2025) („Der ‚moderne Staat‘ erscheine hier als Selbstzweck, allkompetenter Organisator menschlicher Kultur auf nationaler oder Welt-Ebene, als abstrakte und kollektive Persönlichkeit, die sich die gesellschaftlichen Kräfte unterordne und dienstbar mache.“)
  12. Vgl. Monika Hildegard Fassbender-Ilge (1981).
  13. Bd. II, S. 765
  14. vgl. Marcel Senn: „Rassistische und antisemitische Elemente im Rechtsdenken von Johann Caspar Bluntschli“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 110 (1993), 372-405 - Online-Teilansicht
  15. Johann Caspar Bluntschli: Arische Völker und arische Rechte. In: Deutsches Staats-Wörterbuch, Stuttgart u. Leipzig Bd. I 1857, S. 319 und S. 331, zitiert nach Daniel-Erasmus Khan und Lando Kirchmair ,,All's Well That Ends Well?" Zum Verbot der Rassendiskriminierung im Völkerrecht, in: Schraut/Paul (Hrsg.): Rassismus in Geschichte und Gegenwart. Eine interdisziplinäre Analyse. Festschrift für Walter Demel. Peter Lang (Frankfurt 2018) - unibw.de
  16. J. C. Bluntschli: «Juden – Rechtliche Stellung.» In: Bluntschli, J. C. & Brater, Karl (Hrsg.). Staats-Wörterbuch. Fünfter Band. Stuttgart/Leipzig 1860, S. 444
  17. Bd. VI, S. 683–691
  18. Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 79
  19. J. C. Bluntschli: Die Neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen. 2. Aufl. Zürich 1862 (zuerst Zürich 1839), S. 70. - Vgl. dazu Samuel Mayer: Die Rechte der Israeliten, Athener und Römer, mit Rücksicht auf die neuen Gesetzgebungen, für Juristen, Staatsmänner, Theologen, Philologen, Philosophen und Geschichtsforscher in parallelen Dargestellt: Ein Beitrag zu einem Systeme und zu einer Geschichte des Universalrechts. 2 Bände, 1862 und 1864, Band 2, Vorrede, VIII, wo darauf hingewiesen wird, dass sich in Stahls System jedoch "sehr viele Widersprüche gegen wesentliche Grundsätze der mosaischen Theokratie" vorfänden.
  20. vgl. Katalog der Bibliothek des Reichstages: Bd. I. Allgemeine Handbücher. II. Staatswissenschaften, etc. Berlin 1890, S. 85 (Abschnitt: 6. Wörterbücher)