Stürzende Imperien

Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens ist die deutschsprachige Ausgabe eines Buches von Peter Heather und John Rapley, die 2024 bei Klett-Cotta erschien.[1] Das englischsprachige Original Why Empires Fall. Rome, America, and the Future of the West kam 2023 bei der Yale University Press heraus.[2] Darin analysieren die Autoren Parallelen zwischen dem Untergang des Römischen Reiches und der aktuellen Krise des Westens.

Die Autoren

Rapley ist Senior Fellow am Johannesburg Institute for Advanced Study und zudem seit 2015 Fakultätsmitglied des St Edmund’s College der University of Cambridge,[3] seine Forschungsschwerpunkte sind Globalisierung und Migration der Gegenwart. Er hat sich laut Herfried Münkler vor allem mit den Peripherien imperialer Wohlstandszonen beschäftigt.[4] Heather ist Professor für mittelalterliche Geschichte am King’s College in London und hat mehrere Bücher zur römischen Spätantike geschrieben.

Inhalt

Forum Romanum, historisches Zentrum des römischen Imperiums
Kapitol in Washington, D.C., symbolisches Zentrum westlicher Macht.

Ausgangspunkt der Studie ist der angebliche Niedergang des Westens, dessen Welt- und Kolonialreiche sich nach dem Zweiten Weltkrieg auflösten, dessen erdumspannende ökonomische Dominanz inzwischen Vergangenheit und dessen Modell der liberalen Demokratie durch den Aufschwung des Autoritarismus nicht mehr konkurrenzlos sei.[5]

Die Autoren gehen den Gründen dieses Niedergangs nach und fragen, was er für die Zukunft der verbliebenen westlichen Demokratien bedeutet. Dabei nehmen sie besonders die Parallelen zwischen dem Ende westlicher Dominanz und dem Untergang des Römischen Reiches im Westen in den Blick. Damit stehen sie insbesondere in der Tradition Edward Gibbons, der zwischen 1776 und 1789 das Großwerk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (Verfall und Untergang des Römischen Imperiums) veröffentlichte. Darin wird das Ende des Römischen Reiches mit der wachsenden Dekadenz seiner Bürger begründet, die zum Verlust von Wirtschaftskraft und Wehrfähigkeit geführt habe. Deshalb sei man den Anstürmen von Hunnen und Barbaren in der Völkerwanderung nicht mehr gewachsen gewesen.

Gegen eine Übertragung der Gibbons-Argumentation auf aktuelle Probleme der Migration wenden Heather/Rapley ein, die neue Analyse römischer Geschichte halte „überraschend andersartige Lektionen für den modernen Westen“ bereit.[6] Überhaupt sei das spätantike römische Imperium nicht an der Folge von Dekadenz langsam dahin gesiecht. Darin habe Gibbon sich geirrt.[7] Neuere archäologische Funde belegten, dass das Römische Reich noch kurz vor seinem Ende in höchster wirtschaftlicher Blüte stand. Es sei zum Opfer des eigenen Erfolges geworden.

Über einen Zeitraum von Jahrhunderten habe die prosperierende Wirtschaft im Zentrum des Römischen Reiches auch dessen Peripherie gestärkt. Dort seien ernstzunehmende Konkurrenten entstanden, das Reich musste mehr Ressourcen für die Abwehr der Sassaniden und für den Schutz der europäischen Grenzen aufwenden. Der Aufstieg des rivalisierenden Sassanidenreichs habe eine problematische Teilung des Kaiserreichs erzwungen. Zusammen mit dem plötzlichen Auftauchen der Hunnen, die ihre ursprünglichen Gebiete in der heutigen Ukraine wegen anhaltender Dürren verlassen mussten, hätten sich dann die Machtverhältnisse zuungunsten des Imperiums verschoben.[8]

Heather/Rapley sehen darin Parallelen zum Aufstieg und Niedergang des Westens. Dessen wirtschaftlicher Erfolg seit dem späten 18. Jahrhundert beruhe wesentlich auf dem Kolonialismus und der Ausbeutung unterworfener Völker. In der Epoche der Dekolonialisierung seit 1945 habe man davon noch profitiert, als Produktionsstätten zunehmend an die Peripherie der Industrienationen verlagert wurden. Die Wirtschaftsentwicklung des Westens sei so weiter günstig gewesen.

In den 1990er-Jahren wären dann aber die Länder der ehemaligen Peripherie wirtschaftlich so mächtig geworden, dass sie schließlich gemeinsam die Hegemonie des Westens herausforderten und diesen so weit schwächten, dass er heute seinen Anspruch auf globale Alleinherrschaft gegen den neuen Konkurrenten China nicht mehr durchsetzen könne.

Der moderne Westen stehe jedoch gegenwärtig noch nicht an dem Punkt, an dem sich Westrom am Ende der 460er-Jahre befand. Die Nationen des zeitgenössischen Westens verfügten nach wie vor über erhebliche Einkünfte. Doch mache ein Vergleich mit Aufstieg und Fall des Römischen Reiches zwei Punkte deutlich: Erstens befinde sich das „westliche Imperium“ wie das alte Rom in einer selbstverschuldeten Krise. Seine eigenen Strukturen hätten den Aufstieg einer echten konkurrierenden Supermacht und selbstbewusster neuer Mächte in der ehemaligen imperialen Peripherie gefördert. Zweitens stehe der moderne Westen wie einst Westrom im fünften Jahrhundert vor finanziellen Problemen, die gravierend genug seien, den „fiskalischen Gesellschaftsvertrag“, die Grundlage der bestehenden Ordnung, ernsthaft zu gefährden.[9]

In positiver Weise auf das Ende dieser alten Ordnung zu reagieren, erfordere eine Reihe schwieriger Anpassungen. Angesichts einer weiter fortschreitenden Überalterung der westlichen Gesellschaften und niedriger Geburtenraten müsse es eine viel ehrlichere Debatte über die Notwendigkeit von Zuwanderung geben. Außenpolitisch sei es nötig, gegen China um die Sympathien der ehemals kolonisierten Völker zu konkurrieren.[10]

Diese Botschaften, so Heather und Rapley, ließen sich westlichen Wählern nicht so leicht verkaufen, wie etwa die Unterstellung „Einwanderer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ oder die nachweislich unrealistische Behauptung, einzelne westliche Nationen könnten im Alleingang bessere Handelsbedingungen mit China oder Indien aushandeln, indem sie sich Amerika, Großbritannien oder Polen „zuerst“ auf die Fahnen schreiben.[11]

Rezeption

Jens Balzer meint bei Deutschlandfunk Kultur zum Buch, es sei unbedingt lesenswert. Viele Parallelen seien unmittelbar einleuchtend. Interessant sei die Studie auch wegen der komprimierten, lebendigen Schilderung der Spätphase des Römischen Reichs. Am Ende machten Heather und Rapley ihren Lesern aber mehr Hoffnung, als sie zu begründen vermögen.[12]

Gustav Seibt lobt in der Süddeutschen Zeitung, Heather und Rapley schrieben mitten ins Herz der Gegenwart, ihr Buch lese sich wie ein Leitartikel im Guardian. Wenn Kulturpessimismus eine politische Gefahr sei, habe das Duo sie abgewendet. „Warten wir nicht auf die Barbaren, integrieren wir sie und geben wir ihnen Arbeitsverträge.“[13]

Herfried Münkler entdeckt in seiner Rezension für die Zeit eine besondere Pointe des Buches. Es seien tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen der gegenwärtigen Lage des Westens und dem späten Römischen Reich zu identifizieren, woraus einiges für die Bearbeitung heutiger Probleme zu lernen sei: „Freilich gerade nicht im Grundton der aufgeregten Klage über den inneren Verfall und die Bedrohung durch eine neue Völkerwanderung, gegen die man befestigte Abwehrlinien errichten müsse.“[4]

Uwe Walter urteilt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „historische Analyse, scharfe Gegenwartsdiagnose und (gemäßigter) Zukunftsoptimismus“ seien selten so trefflich vereint wie in diesem Buch.[14]

Andreas Kilb meint dagegen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung, Akademiker wie Peter Heather und John Rapley fühlten sich ermutigt, aus ihrem Wissen über die Antike ein Instrument zur Erstellung von Voraussagen über die Zukunft zu machen. Bei realistischer Einschätzung zeige sich, dass man mit dieser Methode nicht sehr weit komme.[15]

Einzelnachweise

  1. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7.
  2. Peter Heather und John Rapley: Why Empires Fall: Rome, America, and the Future of the West. Yale University Press, New Haven 2023, ISBN 978-0-300-27372-4.
  3. John Rapley – Curriculum Vitae, University of Cambridge, St Edmund's College, Faculty Member.
  4. a b Herfried Münkler: Dekadenz ist nicht so schlimm. In: Die Zeit, 13. Oktober 2024
  5. Angaben zum Inhalt des Buches beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Jens Balzer: Was der Untergang Roms über die Gegenwart lehren kann. In: Deutschlandfunk Kultur, 26. August 2024 (Online).
  6. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 19 f.
  7. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 32.
  8. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 149.
  9. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 248 f.
  10. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 249 f.
  11. Peter Heather und John Rapley: Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens. Übersetzt von Thomas Andresen. Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ISBN 978-3-608-98236-7, S. 249 f.
  12. Jens Balzer: Was der Untergang Roms über die Gegenwart lehren kann. In: Deutschlandfunk Kultur, 26. August 2024 (Online).
  13. Gustav Seibt: Steht der Westen vor dem Ende? In: Süddeutsche Zeitung, 2. September 2024.
  14. Uwe Walter: Spätrömische Folie zum Verständnis der Gegenwart. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 2024.
  15. Andreas Kilb: Droht dem Westen das Schicksal Roms? In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31. Oktober 2024.