Soziologischer Neoinstitutionalismus

Der Soziologische Neoinstitutionalismus ist ein theoretischer Ansatz der Soziologischen Organisationstheorie, dessen Grundlagen die amerikanischen Soziologen John W. Meyer und Brian Rowan ab den späten 1970er Jahren entwickelt haben.[1]

Basiskonzepte

Der Theorieansatz erklärt Strukturen und Operationsweisen von Organisationen durch den Bezug auf Normen, Erwartungen und Leitbilder ihrer institutionellen Umwelt. Durch Prozesse der Isomorphie gleichen sich Organisationen ihrer institutionellen Umwelt an, um als vorbildlich, rational und effektiv zu gelten. Der Ansatz erklärt die Ausgestaltung von Organisationen somit nicht über technisch-ökonomische Effizienz, sondern über die Notwendigkeit, von der Umwelt Legitimität zugesprochen zu bekommen. In der Folge tendieren Organisationen dazu, Rationalitätsmythen zu erzeugen und Legitimitätsfassaden zu errichten.

Ein weiteres Konzept dieses Ansatzes ist der Begriff des organisationalen Feldes, den Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell eingeführt haben,[2] um die Strukturangleichung von Organisationen und Homogenität von Managementpraktiken für eine bestimmte Klasse von Organisationen zu erklären. Damit konkretisieren die Autoren den von Meyer und Rowan eingeführten Gedanken der Isomorphie. Demnach findet Angleichung nicht nur mit Blick auf die abstrakte institutionelle Umwelt, sondern auch zwischen Organisationen in einem Feld statt. Sie formulierten als Hypothese, dass je stärker eine Organisation von einer anderen abhängig ist, „desto stärker wird sie sich hinsichtlich ihrer Strukturen, ihrer Kultur und ihres Verhaltens jener Organisation angleichen“.[3] Dabei lässt sich zwischen drei verschiedenen Isomorphie-Mechanismen unterscheiden: Isomorphie durch Zwang, Isomorphie durch mimetische Prozesse und Isomorphie durch normativen Druck.

Kritik

Kritisch eingewandt wurde gegen diesen Theorieansatz, dass er das Modell des rational und autonom handelnden Akteurs ablehnt und an seine Stelle den unreflektiert und routinemäßig handelnden Akteur setzt. Auch seien mit diesem Ansatz weder sozialer Wandel noch Innovationen erklärbar. Meyer und Rowan haben mit der Entkopplungsthese[4] diese Kritik teilweise relativiert. Sie besagt: Die Organisation hält in ihren formalen Strukturen die von der Umwelt geforderte Fassade aufrecht, kommt aber mit den davon entkoppelten Aktivitäten im technischen Kernbereich deren Anforderungen mit rationalen Entscheidungen nicht nach. Diese Zusatzhypothese ist selbst unter Vertretern dieses Theorieansatzes umstritten,[5] da sie die theoretischen Ausgangsannahmen unterminiere.[6]

Siehe auch

Literatur

Primärliteratur
  • Paul J. DiMaggio, Walter W. Powell: The Iron Cage Revisited. Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. In: American Sociological Review. Band 48, Nr. 2, April 1983, S. 147–160, doi:10.2307/2095101.
  • John W. Meyer, Brian Rowan: Institutionalized Organizations. Formal Structure as Myth and Ceremony. In: American Journal of Sociology. Band 83, Nr. 2, September 1977, S. 340–363, doi:10.1086/226550.
  • Walter W. Powell, Paul J. DiMaggio (Hrsg.): The New Institutionalism in Organizational Analysis. University of Chicago Press, Chicago 1991, ISBN 978-0-226-67709-5.
  • W. Richard Scott: Institutions and Organizations. Sage, Thousand Oaks, 1995, ISBN 978-0-8039-5653-7.
  • Lynne G. Zucker: The Role of Institutionalization in Cultural Persistence. In: American Sociological Review. Band 42, Nr. 5, Oktober 1977, S. 726–743, doi:10.2307/2094862.
Sekundärliteratur
  • Royston Greenwood, Christine Oliver, Thomas B. Lawrence, Renate E. Meyer (Hrsg.): The SAGE Handbook of Organizational Institutionalism. 2. Auflage. Sage, London 2017, ISBN 978-1-4129-6196-7.
  • Raimund Hasse, Georg Krücken: Neo-Institutionalismus. 2. Auflage. Transcript, Bielefeld 2005, ISBN 978-3-933127-28-0.
  • Raimund Hasse, Anne K. Krüger (Hrsg.): Neo-Institutionalismus. Kritik und Weiterentwicklung eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms. Transcript, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-8376-4302-2.
  • Andrea Maurer, Michael Schmid (Hrsg.): Neuer Institutionalismus. Zur soziologischen Erklärung von Organisation, Moral und Vertrauen. 2. Auflage. Campus, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-593-37082-8.
  • Michael Schmidt, Andrea Maurer (Hrsg.): Ökonomischer und soziologischer Institutionalismus. Metropolis, Marburg 2003, ISBN 978-3-89518-415-4.
  • Konstanze Senge: Das Neue am Neo-Institutionalismus. Der Neo-Institutionalismus im Kontext der Organisationswissenschaft. VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-16605-6.
  • Konstanze Senge, Kai-Uwe Hellmann (Hrsg.): Einführung in den Neo-Institutionalismus. VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-531-15070-3.
  • Peter Walgenbach, Renate E. Meyer: Neoinstitutionalistische Organisationstheorie. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-019088-7.

Einzelnachweise

  1. John W. Meyer, Brian Rowan: Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony. In: American Journal of Sociology. Vol. 83, 1977, S. 340–363.
  2. Paul J. DiMaggio, Walter W. Powell: The Iron Cage Revisited: Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields. In: American Sociological Review. Vol 48, 1983, S. 147–160.
  3. Peter Walgenbach, Renate Meyer: Neoinstitutionalistische Organisationstheorie. Kohlhammer, Stuttgart 2008, S. 36.
  4. John W. Meyer, Brian Rowan: Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony. In: American Journal of Sociology. Vol. 83, 1977, S. 357.
  5. Peter Walgenbach, Renate Meyer: Neoinstitutionalistische Organisationstheorie. Kohlhammer, Stuttgart 2008, S. 52f.
  6. Walther Müller-Jentsch: Akteure, Interessen, Institutionen. In: Michael Schmidt, Andrea Maurer (Hrsg.): Ökonomischer und soziologischer Institutionalismus. Metropolis, Marburg 2003, S. 250.