Slawenoserbisch
Slawenoserbisch war eine archaisierende russisch-serbische Schriftsprache, die im 18. Jh. von österreichisch-ungarischen Serben um Wien, Budapest und Novi Sad geschrieben wurde. Sie ist ein Vorgänger der modernen serbischen Sprache und währte ungefähr von der Schriftreform Peters des Großen Anfang des 18. Jh. bis zu jener Vuk Karadžićs Anfang des 19. Jahrhunderts. Slawenoserbisch war russisch beeinflusst und unterschied sich deutlich von der serbischen Volkssprache, in der damals nur wenige Autoren wie Dositej Obradović schrieben.
Geschichte
Die Sprachsituation in der Slavia Orthodoxa war bis ins 18. Jahrhundert eine klassische Diglossiesituation, wie etwa auch beim Lateinischen und Italienischen. Die traditionelle Hochsprache war Kirchenslawisch, das zuletzt durch Konstantin den Philosophen reformiert worden war und in lokalen Redaktionen (serbisch, kroatisch, bulgarisch, wallachisch, russisch) geschrieben wurde. Ihr standen Dialekte der serbokroatischen (illyrischen) Volkssprache gegenüber, die Sprachpuristen als unrein (voller Turzismen) und nicht literaturwürdig ansahen, obwohl es seit der Aufklärung auch in anderen Sprachen einen Gegentrend zur Volkssprache gab.
Diese Situation galt auch für die Serben im Habsburgerreich (Österreich, Ungarn, Slawonien): Hier wurde jedoch als Hochsprache nicht das ursprüngliche Serbisch-Kirchenslawische verwendet, sondern das am stärksten normierte und seit Peter dem Großen prestigeträchtigste Russisch-Kirchenslawische. Die kyrillische Schrift war im Habsburgerreich zeitweise verboten, und viele Druckereien konnten schon aus technischen Gründen keine Texte in kyrillischer Schrift drucken. Aus diesem Grund wandte man sich 1721 an das Russische Reich, welches der Bitte nach Unterstützung nachkam. Die russische Synode entsandte Maxim Suworow als Lehrer nach Sremski Karlovci, dem damaligen Sitz der serbischen Kirche. Eine Fraktion aus meist älteren Geistlichen und Mönchen widersetzte sich der Russifizierung des Kirchenslawischen. In serbischen Grundschulen wurden russische Fibeln verwendet (die "kleine Moskauer" und "große Kiewer" Fibel), die stark von der Volkssprache abwichen. Bei der Theresianischen Unterrichtsreform 1774 verwirklichte das Habsburgerreich staatliche serbische (illyrische) und rumänische (wallachische) Trivialschulen im Temesvarer Banat, für die Zacharias Orphelin Fibeln nach dem bürgerlichen Alphabet entwarf.
Das Slawenoserbische war allerdings nur bedingt geeignet, in bestimmten nichtreligiösen Domänen des gesellschaftlichen Lebens wie Presse oder Belletristik eingesetzt zu werden. Es war eine Mischsprache aus Kirchenslawisch, Serbokroatisch und Russisch.
Der Romantiker Vuk Karadžić lehnte das Slawenoserbische als künstlich und schwer verständlich ab und bevorzugte stattdessen die (serbo-kroatische) Volkssprache, so dass er im 19. Jahrhundert die moderne serbische Schriftsprache getreu Adelungs Motto „Schreibe, wie du sprichst“ auf einem rein phonetischen Alphabet aufbaute, wodurch das Kirchenslawische und Slawenoserbische rasch untergingen.
Literatur
Die slawenoserbische Literatur stand nur formell in der Tradition der mittelalterlichen serbischen Literatur. Sie diente zunächst vorrangig kirchlichen Zwecken, es überwogen Schriften zur Bildung des Klerus und zur Verteidigung der im Habsburgerreich unterdrückten Orthodoxie. Die Begründer dieser Literatur waren Mönche (Kiprijan Račanin, Jerotej Račanin, Gavrilo Stefanović Venclović u. a.), mit Đorđe Branković als einzigem weltlichen Vertreter. Unter Kaiser Joseph II. besserte sich die Lage der serbischen Orthodoxie, was sich positiv auf den Umfang und die Themenbreite der Literatur auswirkte. Es entstanden historiographische Werke, Reiseberichte, Biografien, Romane, Dramen, Übersetzungen und Poesie. Bedeutende Schriftsteller waren Zaharija Orfelin, Hristifor Žefarović, Pavle Đulinac, Jovan Rajić, Jovan Muškatirović, Manojlo Janković, Gligorije Trlajić, Atanasije Stojković, Pavle Solari u. a.
Mit Hilfe Russlands wurden in Slawonien serbische Schulen gegründet und die Zahl der Intellektuellen wuchs. 1768 veröffentlichte Jovan Rajić eine Geschichte der Serben, die auch Kroaten und Bulgaren behandelt. Die erste serbische Zeitschrift Slavenoserbskij magazin Zacharias Orfelins (Venedig 1768) wurde in der russischen bürgerlichen Schrift gedruckt. Die erste serbische Zeitung (Serbskija novini, Wien 1791–92) war noch in altkirchenslawischem Kyrillisch gedruckt worden, die zweite bereits in bürgerlicher Schrift (Slaveno-serbskija vjedomosti, Wien 1792–94). zur selben Zeit entwickelte sich in Kroatien um Zagreb die kajkavische Literatur.
Quellen
- Anna Kretschmer: Zur Methodik der Untersuchung älterer slavischer schriftsprachlicher Texte (am Beispiel des slavenoserbischen Schrifttums). Sagner, München 1989, ISBN 3-87690-425-0, (Slavistische Beiträge 241), (Zugleich: Bochum, Univ., Diss., 1988).
- Anna Kretschmer: Slawenoserbisch. In: Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt u. a. 2002, ISBN 3-85129-510-2, (Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens 10), S. 473–476, online (PDF-Datei; 163 kB).
- Nikita I. Tolstoj: Literaturnyj jazyk serbov v konce XVIII – načale XIX v. In: Nikita I. Tolstoj: (Hrsg.): Izbrannye trudy. T. 2. Jazyki Russkoj Kul'tury, Moskva 1998, ISBN 5-7859-0017-3, S. 239–344.