Sidney J. Kaplan

Sidney Joseph Kaplan (16. Februar 190919. Juni 1962) war ein amerikanischer Jurist, der vor allem für seine Rolle als Ankläger in den Nürnberger Prozessen bekannt ist.

Leben

Frühes Leben und Ausbildung

Kaplan wurde in Minneapolis, Minnesota, als Sohn von Max Julius Kaplan, einem jüdischen Einwanderer aus Viduklė, Litauen, und dessen Ehefrau Hattie Wolfson Kaplan geboren.[1] Er wuchs im Stadtteil Near North in Minneapolis auf, in dem damaligen Viertel Homewood.[2] Ab 1940 zog die Familie dauerhaft in ihr Sommerhaus am Lake Minnetonka – eines von zwei identischen Häusern, die Max Kaplan und sein Geschäftspartner Benjamin Weisberg gemeinsam erbaut hatten.[1] Die beiden waren Mitbegründer von Fairfax Produce, einem Unternehmen, das im gesamten Land Geflügel und Eier von Farmen in Minnesota verkaufte.[3]

Kaplans Großvater, Abraham Kaplan, der 1891[4] nach Amerika auswanderte, war einer der Gründer der Kenesseth Israel Synagoge[5][6][7] und diente bis zu seinem Tod im Jahr 1933 als erster Vorsitzender der Minneapolis Jewish Cemetery Association.[8] Max Kaplan übernahm 1941 denselben Vorsitz.[8]

Kaplan machte 1925 an der Minneapolis North High School seinen Abschluss[9] und erwarb 1928 an der University of Minnesota einen A.B.-Abschluss cum laude.[10][11] Er wurde in die akademische Ehrengesellschaft Phi Beta Kappa aufgenommen[9] und war aktives Mitglied des Menorah Clubs, wo aktuelle Themen wie den Einfluss eines jüdischen Staates in Palästina auf die Diaspora diskutiert wurden.[12] Anschließend folgte ein Jurastudium an der Harvard Law School, das er 1931 mit einem magna cum laude abschloss. Zudem wurde er Mitglied des Herausgebergremiums der Harvard Law Review und erhielt.[13] 1929, als einer von vier Jurastudenten, für seine akademische Leistung den Sears Prize.[14]

Gemeinsam mit seinem Kommilitonen, George Rosier, verfasste er eine Abschlussarbeit mit dem Titel „Operative Theory in Judicial Interpretations of the Diversity Jurisdiction“, unter dem Professor Felix Frankfurter, der später Richter am Obersten Gerichtshof der USA wurde.[15]

Juristische Laufbahn

Nach seinem Jurastudium trat Kaplan der New Yorker Kanzlei Rumsey & Morgan bei,[16] die 1934 in Morgan & Lockwood umbenannt wurde.[17] Nationale Aufmerksamkeit erlangte er 1935, als er Professor Lienhard Bergel von der Rutgers University vertrat, der wegen seines Widerstands gegen nationalsozialistische Propaganda entlassen worden war.[9] Der Fall war eine der ersten juristischen Auseinandersetzungen mit faschistischer Ideologie auf amerikanischem Boden.

Kaplans juristische Laufbahn führte ihn bald in den Staatsdienst. In den frühen 1940er Jahren arbeitete er im US-Justizministerium als Leiter der Schadensabteilung und als Sonderassistent des US-Generalstaatsanwalts.[18][11] Außerdem war er juristischer Berater im Senatsunterausschuss für Eisenbahnfinanzierung der Interstate Commerce Commission, wo er mit späteren Anklägern der Nürnberger Prozesse wie Telford Taylor und Max Lowenthal zusammenarbeitete.[19] Die Kommission führte damals Senator Harry S. Truman.[19]

Zweiter Weltkrieg und Nürnberger Prozesse

Kaplans bedeutendster Beitrag erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg. 1945 wurde er als Mitglied des US-Anklageteams zu den Nürnberger Prozessen berufen.[11] Als Lieutenant Commander (später Commander) der US-Küstenwache arbeitete Kaplan unter dem amerikanischen Chefankläger Robert H. Jackson.[11] In London arbeitete er mit französischen, britischen, russischen und weiteren amerikanischen Anklägern an den Prozessrichtlinien sowie der Erstellung der Anklageschrift.[20] Am 18. Oktober 1945 war er in Berlin bei der offiziellen Einreichung der Anklage und reiste anschließend nach Nürnberg zur Eröffnung des Prozesses.[21][22][23]

Kaplan spielte eine zentrale Rolle bei der Organisation der Beweismittel und bei der Ausarbeitung der Anklagepunkte, die hochrangige Nazi-Funktionäre mit der aggressiven Kriegsplanung in Verbindung brachten.[24] Zu seinen Kollegen in Nürnberg zählten unter anderem der Oberste Richter Robert H. Jackson, Telford Taylor, Benjamin Kaplan (nicht verwandt), Sidney Alderman und Thomas Dodd, der spätere Senator aus Connecticut.[25][26] Kaplans Arbeit hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Völkerrechts nach dem Krieg, er war eine Schlüsselfigur bei der Vorbereitung der Prozessunterlagen[23] und bekannt für seine akribische Arbeitsweise und seine Fähigkeit, die komplexe Beweis- und Verfahrensfragen zu koordinieren.[27][21]

Nachkriegszeit

Nach den Prozessen kehrte Kaplan nach Minneapolis zurück und gründete gemeinsam mit seinem Bruder Sheldon und Hyman Edelman die Kanzlei Kaplan, Edelman & Kaplan[28] – zu einer Zeit, in der jüdische Anwälte in vielen Kanzleien der Stadt kaum eingestellt wurden.[29] 1956 erweiterten sie die Kanzlei zu Maslon, Kaplan, Edelman, Joseph & Borman.[30] Seit März 2025 ist die heute als Maslon LLP bekannte Kanzlei die neuntgrößte Anwaltskanzlei in Minnesota.[31]

In den späten 1940er- und 1950er-Jahren entwickelte sich Kaplans Praxis besonders im Bereich der Unternehmens- und Prozessführung.[32] Er war für seine strategische Prozessführung bekannt und galt als einer der fähigsten Anwälte vor Gericht.[28] 1961 wurde er zum Gastprofessor für Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät der University of Minnesota berufen.[10]

Persönliches Leben

Kaplan war mit Leonore Yaeger[11] aus Minneapolis verheiratet und verbrachte die Sommer zusammen mit seiner Familien in ihrem Haus am See in Tonka Bay, Minnesota.[33] Er verstarb unerwartet am 19. Juni 1962 im Alter von 53 Jahren an einem Herzinfarkt, den er am See erlitt.[34]

Vermächtnis

Kaplans Vermächtnis als Jurist und Ankläger von Nürnberg lebt fort in seinen Beiträgen zur Entwicklung des internationalen Strafrechts und zur juristischen Aufarbeitung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein zu seinem Gedenken eingerichteter Stipendienfonds an der University of Minnesota unterstützt bis heute Jurastudierende.[13][35] Seine sorgfältige, prinzipientreue Herangehensweise machte ihn zu einer angesehenen Persönlichkeit in der Rechtswissenschaft und zu einer wichtigen historischen Referenzfigur im Kontext der Nürnberger Prozesse und der Entwicklung des Völkerrechts.[13]

Einzelnachweise

  1. a b Harris, A. I.: „Colorful Personalities“. The American Jewish World, 10. Oktober 1924. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  2. Bryan, Erin Elliott: „Restoring the North Side — One House at a Time“. Twin Cities Daily Planet, 13. Februar 2014.
  3. Curtiss-Wedge, Franklyn; Renville County Pioneer Association: The History of Renville County, Minnesota. Chicago: H.C. Cooper, Jr. & Co., 1916, S. 868.
  4. 1900 U.S. Census, Hennepin County, Minnesota, Population Schedule. United States Census, National Archives and Records Administration (NARA), Minneapolis, Ward 3, Sheet 22, ED 29, Dwelling 424, Line 46, Abraham Kaplan. Abgerufen am 6. Juni 2025 von familysearch.org.
  5. „Abraham Kaplan.“ The American Jewish World, 4. August 1933. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  6. „Kenesseth Israel Building Committee of 1913.“ The American Jewish World, 25. März 1938. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  7. „Rites are Conducted for Abraham Kaplan.“ The Minneapolis Journal, 2. August 1933. Abgerufen über Newspapers.com.
  8. a b Minneapolis Jewish Cemetery Association: „Minneapolis Jewish Cemetery Association. Records, 1905–1963,“ S. 3. Abgerufen am 23. März 2025 von mnhs.org (PDF).
  9. a b c „Minneapolitan Counsel in Rutgers Ouster Case.“ The American Jewish World, 5. Juli 1935. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  10. a b „Jurisprudence.“ University of Minnesota: Law School News, Band 1, Nr. 3, April 1961.
  11. a b c d e „He’ll Help Try Nazi War Criminals.“ The American Jewish World, 29. Juni 1945. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  12. „Menorah Socities [sic] Debate Tonight.“ The Minneapolis Star, 28. April 1928. Abgerufen von proquest.com.
  13. a b c „Sidney J. Kaplan Law Scholarship Established at ‘U.’“ University of Minnesota News Service, 19. Oktober 1962.
  14. „Official Register of Harvard University: The Law School 1928-9.“ Band XXV, Nr. 11, 23. März 1928. Abgerufen über die Harvard Law School Library: nrs.lib.harvard.edu.
  15. Kaplan, Sidney J. und George Rosier: „Operative Theory in Judicial Interpretations of the Diversity Jurisdiction.“ 1931. Abgerufen über die Harvard Law School Library: hollis.harvard.edu.
  16. „Social and Personal.“ The American Jewish World, 18. September 1931. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.
  17. „Rumsey Donovan Law Partner.“ The New York Times, 4. Januar 1934. Abgerufen von nytimes.com.
  18. Diamond, Norman: A Practice Almost Perfect: The Early Days at Arnold, Fortas & Porter. Lanham: University Press of America, Inc., 1997, S. 157.
  19. a b Hess, Jerry N.: „Oral History Interview with Max Lowenthal.“ Harry S. Truman Library, 20. September 1967. Abgerufen von trumanlibrary.gov.
  20. Taylor, Telford: The Anatomy of the Nuremberg Trials. New York: Knopf, 1992, S. 143.
  21. a b Taylor, Telford: The Anatomy of the Nuremberg Trials. New York: Knopf, 1992, S. 127.
  22. British Pathé: „Nuremberg Trials 1940–1949.“ 13. April 2014. Abgerufen von YouTube.
  23. a b Robert H. Jackson Center: Nuremberg Trial Day 16 (1945) Sidney Alderman Thanks Kaplan and Staff, 10. November 2020. Abgerufen am 20. März 2025 von YouTube.
  24. Taylor, Telford: The Anatomy of the Nuremberg Trials. New York: Knopf, 1992, S. 57, 126, 176, 244.
  25. Barrett, John Q.: „Raphael Lemkin and ‘Genocide’ at Nuremberg, 1945–1946.“ In: The Genocide Convention Sixty Years After Its Adoption. Hrsg. von Christoph Safferling und Eckart Conze, S. 39. Abgerufen von stjohns.edu (PDF; 0,3 MB).
  26. UConn Archives: „25 for 25: Thomas J. Dodd and the International Military Tribunal at Nuremberg,“ 9. November 2021. Abgerufen von YouTube.
  27. Diamond, Norman: A Practice Almost Perfect: The Early Days at Arnold, Fortas & Porter. Lanham: University Press of America, Inc., 1997, S. 157–8.
  28. a b „Peter Edelman Oral History.“ UVA Miller Center, 24.–25. Mai 2004. Abgerufen von millercenter.org.
  29. Saeks, Allen I.: „When Law Firms Wouldn’t Hire Jewish Lawyers.“ The American Jewish World, 23. Mai 2020. Abgerufen von ajwnews.com.
  30. „Our History.“ Maslon LLP. Abgerufen am 22. März 2025 von maslon.com.
  31. „Minnesota’s Largest Law Firms: 2024 Largest Law Firms.“ Minnesota Lawyer, zuletzt aktualisiert am 31. Dezember 2025. Abgerufen von minnlawyer.com.
  32. Philips, Felix: „Interview with Felix Phillips, Judges and Lawyers Oral History Project, Minneapolis, Minnesota.“ 25. August 2008. University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives. Abgerufen am 22. März 2025 von umedia.lib.umn.edu.
  33. Kaplan, Alice: French Lessons: A Memoir. Chicago: The University of Chicago Press, 1993, S. 15–16.
  34. Kaplan, Alice: French Lessons: A Memoir. Chicago: The University of Chicago Press, 1993, S. 20.
  35. „Kaplan Scholarship Fund Set Up at ‘U’.“ The American Jewish World, 26. Oktober 1962. Abgerufen über die University of Minnesota Libraries, Nathan and Theresa Berman Upper Midwest Jewish Archives: umedia.lib.umn.edu.