Schizoide Persönlichkeitsstörung
| Klassifikation nach ICD-10 | |
|---|---|
| F60.1 | Schizoide Persönlichkeitsstörung |
| ICD-10 online (WHO-Version 2019) | |
Die schizoide Persönlichkeitsstörung (SPS) zeichnet sich durch einen Rückzug von gefühlsbetonten und zwischenmenschlichen Kontakten aus. Dies äußert sich in übermäßiger Inanspruchnahme durch Fantasien und Selbstbeobachtung, Einzelgängertum und einer in sich gekehrten Zurückhaltung. Die Betroffenen verfügen nur über ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu zeigen.
Psychodynamische Ansätze sehen den Wunsch nach Nähe und Intimität bei gleichzeitiger Angst vor Überwältigung und Fremdbestimmung als zentrales Dilemma schizoider Persönlichkeiten.[1][2] Hierfür wurde auch die Bezeichnung schizoides Dilemma geprägt.[3][4] Betroffene Menschen neigen deshalb dazu, Beziehungen überwiegend in ihrer Fantasie zu führen, während diese in der Realität vermieden werden und eine Betonung der Autonomie und Autarkie erfolgt. Als Folge davon entsteht eine charakteristische Gegenläufigkeit zwischen innerer Welt und äußerem Verhalten.[5]
Geschichte des Konzepts
Der Ausdruck schizoid wurde 1908 von Eugen Bleuler geprägt und bedeutet wörtlich „spaltungsähnlich“ (altgriechisch σχίζειν schízein „spalten“ und -oid „ähnlich“). Bleuler lehnte sich hierbei an die Schizophrenie an, da er vermutete, es handle sich um eine nahestehende Erkrankung. Damals bezog sich der Begriff schizoid allerdings auf einen weitaus größeren Formenkreis von Persönlichkeitsmerkmalen. Ernst Kretschmer entwickelte daraus dann ein eigenes Konzept: Zentral darin war bereits das Auseinanderfallen von innerem Erleben und äußerem Verhalten und ein daraus entstehendes inneres Spannungsverhältnis.[6]
Beschreibung
Außensicht
Eine tiefgehende Kontaktstörung prägt die Betroffenen. Emotionaler Bezug und Zuwendung zur Umwelt sind vermindert, die spontane Erlebnisfähigkeit und das unmittelbare Ansprechen der Gefühle gehemmt. Ihre Beziehung zu Menschen und Dingen erscheint ungewöhnlich locker und unverbindlich. Auffallend sind eine fehlende „emotionale Authentizität“, die Abflachung der Gemütserregungen (Affekte) sowie geringe emotionale Reaktionen auf die Gefühle von Mitmenschen. Tiefsitzendes Misstrauen mit einer Tendenz, sich kaum zu öffnen oder intim zu offenbaren, hält die Betroffenen anderen Menschen gegenüber auf Distanz.[7][8]
Einige dieser betroffenen Menschen treten starr und hölzern auf, andere wiederum überaus freundlich und vertrauenswürdig. Unter Druck gesetzt (z. B. durch zu enges Zusammenleben), reagieren sie oft abrupt und befremdlich. Sie ziehen sich dann für Außenstehende unerwartet zurück, schotten sich ab und meiden für einige Zeit Kontakte. Sowohl perfekte Selbstkontrolle als auch plötzliches Ausbrechen sind meist Seiten dieser Persönlichkeiten.
In von außen angestoßenen Veränderungen und neuen Dingen wird meist eine Gefahr gesehen, vor der es sich zu schützen gilt – vorzugsweise durch Rückzug oder Kontrolle. Menschen mit einer schizoiden Störung bilden kompensatorisch daher oft ein hohes Maß intuitiver Fähigkeiten aus, mit denen sie sich schützen und zugleich Überlegenheit und Kontrolle gewinnen wollen. Diese antrainierten Fähigkeiten helfen dem schizoiden Menschen bei der Alltagsbewältigung, belasten engere soziale Kontakte jedoch schnell.
Nach außen hin zeigen viele Betroffene meist eine „glatte“ Oberfläche ohne sichtbares emotionales Mitschwingen. Gesten oder Gesichtsausdrücke (z. B. ein Lächeln oder Nicken) werden selten erwidert und eigene Gefühle nicht nach außen getragen. Selbst bei direkter Provokation fällt es ihnen ungemein schwer, innerer Aggression oder Feindseligkeit Ausdruck zu verleihen. Schizoide Persönlichkeiten können daher in solchen Situationen passiv und gefühlsarm wirken – auch wenn das häufig gar nicht ihrem wirklichen Gefühlszustand entspricht. Deshalb haben sie oft Probleme, angemessen auf wichtige oder unangenehme Lebensereignisse zu reagieren.[9]
Außenstehenden erscheint es, als würden schizoide Menschen richtungslos vor sich hin leben und sich bezüglich ihrer Ziele „treiben lassen“. Die betreffenden Personen können auch selbstversunken und losgelöst von ihrer Umgebung wirken – in exzessives Tagträumen vertieft oder wie „im Nebel“. Im zwischenmenschlichen Umgang beachten einige Schizoide zudem feine, unterschwellige Details zu wenig. So übersehen sie auch soziale Hinweisreize und verstoßen dann ungewollt gegen übliche gesellschaftliche Regeln. Dadurch können andere ihr Verhalten als unpassend, sozial unbeholfen oder oberflächlich empfinden.[10][9]
Der Psychoanalytiker Ralph Klein hat aufgrund seiner klinischen Erfahrungen mit Betroffenen den Begriff des „geheimen Schizoiden“ (engl. secret schizoid) geprägt. Er bezeichnet damit Personen, die nicht dem von den Diagnosesystemen geprägten Bild schizoider Menschen entsprechen, sondern nach außen hin freundlich, gesellig und leistungsfähig auftreten. Ihre innere Erlebniswelt sei jedoch ebenfalls durch Rückzug, Introversion, intensive Fantasietätigkeit und eine ausgeprägte Angst vor echter Nähe gekennzeichnet ist. Entstehende Spannungen werden laut ihm nicht selten als „Angst vor Verantwortung“ oder „Bindungsscheu“ rationalisiert.[4]
Innensicht
Typisch für schizoide Menschen ist der Rückzug in eine reiche innere Fantasiewelt. Diese dient nicht nur als Ersatz für fehlende reale soziale Beziehungen, sondern ist oft auch eine Quelle ausgeprägter Kreativität.[2][5] Künstlerisches Schaffen, Schreiben, Musik oder wissenschaftliche Arbeit können für schizoide Menschen Wege sein, innere Erfahrungen auszudrücken und zu verarbeiten. Anders als etwa Menschen mit starken narzisstischen Zügen suchen schizoide Personen jedoch selten öffentliche Anerkennung (siehe auch Abgrenzung), weshalb daraus entstehende Werke oft geheim gehalten oder nur mit wenigen ausgewählten Menschen geteilt werden.[11] Als beispielhafte Menschen mit deutlichen schizoiden Zügen gelten etwa Franz Kafka, Ernst Gundolf und Henry Darger.[5] Für den Zusammenhang zwischen schizoider Persönlichkeit und Kreativität gibt es vereinzelt auch empirische Belege. So zeigten in einer ersten Studie Personen mit schizoider Tendenz eine bessere Fähigkeit zu divergentem Denken.[12]
Entgegengesetzt zur Außensicht besteht bei schizoiden Menschen oft ein starkes inneres Bedürfnis nach Bindung.[13] Der Verlust einer der oft nur wenigen wichtigen Bezugspersonen kann deshalb besonders schmerzhaft sein und Gefühle von Leere, Traurigkeit und Wut hervorrufen. Das ist nicht selten eine Motivation für den Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung.[11][2] Trotz dieses inneren Bindungswunsches, empfinden schizoide Menschen soziale Kontakte tendenziell als einengend, bedrängend, teils sogar beängstigend.[5] Harry Guntrip prägte die oft zitierte Formulierung, dass schizoide Menschen befürchten, von anderen „verschlungen“ (engl. engulfed) zu werden.[14] Andere Personen werden von schizoiden Menschen tendenziell als aufdringlich oder kontrollierend empfunden und es kann teils zu starken Ängsten vor dem Verlust der eigenen Autonomie kommen.[2][3][11]
Typisch ist oft auch ein Gefühl innerer Leere oder Fremdheit, das mit Rückzug, Antriebslosigkeit und Passivität verbunden sein kann.[11] Auch starke Dissoziationen werden oft beschrieben, wobei hierfür empirische Untersuchungen fehlen.[3][11][14]
Schizoide Menschen erleben sich oft als unbeteiligte Beobachter der Welt um sie herum – aber nicht als Teilnehmer. Der Gedanke, ein unzulänglicher Sonderling zu sein, kann bei Schizoiden dann ausgelöst werden, wenn deutlich wird, wie sehr sie sich von anderen unterscheiden. Vielen wird das besonders bewusst, wenn sie andere direkt beobachten, Filme sehen oder Bücher lesen, die von Beziehungen handeln.[15]
Einige beschreiben in ihrer Behandlung das Gefühl, „innerhalb einer Schale“ oder „unter einer Glasglocke“ zu leben und den Anschluss verpasst zu haben. Sie klagen darüber, dass „das Leben an ihnen vorüberzieht“ und sie den anderen von einer Distanz aus zuschauen müssen. In solchen Situationen können Menschen mit schizoider PS schmerzliche Gefühle darüber einräumen, dass sie Eigenbrötler sind, die nicht in die Gesellschaft passen.[15][16]
Schule und Beruf
Soweit die Voraussetzungen bestehen, entwickeln schizoide Persönlichkeiten nicht selten ein hohes Maß an intellektueller Differenziertheit. Viele Schizoide sind „Kopfmenschen“ und neigen zu einer ausgeprägten Betonung des Verstandes (Intellektualisierung) mit einem Rückzug ins Denken („Flucht in den Intellekt“). Obwohl sie dadurch eher für geistige Reize statt für sinnliche Genüsse empfänglich sind, besitzen manche dennoch einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik und Schönes.[17][18] Als Stärke wird neben dem zum Abstrakten neigenden Denken, das oft neue Sichtweisen ermöglicht, auch Selbstironie als häufige Ressource erwähnt.[18][19]
Beruflich neigen schizoide Menschen verstärkt zu theoretischen Arbeitsfeldern sowie Tätigkeiten, die allein oder in konstanten Kleingruppen durchgeführt werden. Dazu zählen auch Dienstleistungsberufe, in denen die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Kunden und Anbieter begrenzt und durch soziale Normen zu einem erhöhten Grade formalisiert sind. Wo die berufliche Tätigkeit alleine und sozial isoliert möglich ist, können gelegentlich äußerst gute Leistungen erreicht werden.[10]
In der Schule liefern sie mitunter schlechte Leistungen, die ihren intellektuellen Fähigkeiten nicht entsprechen. Allerdings gibt es auch Betroffene mit hohen kompensatorischen Fähigkeiten, die – laut einigen Autoren – sogar Berufe wählen, bei denen wenig formalisierte soziale Beziehungen eine große Rolle spielen. Dabei wird aber auch hier von Seiten der Autoren eine gewisse „emotionale Unechtheit“ wahrgenommen.[8]
Diagnose
Krankheitswert
Die beschriebenen Verhaltensweisen gelten nur dann als Persönlichkeitsstörung (PS), wenn sie chronisch, unflexibel und extrem ausgeprägt sind. Bei milderen Formen spricht man dagegen von einer „schizoiden Persönlichkeit“. Einzelgänger können zwar schizoide Verhaltenszüge zeigen, doch krankhaft werden diese Züge erst, wenn sie starr und unangemessen sind und zu Leiden oder Beeinträchtigungen führen.[9]
Als negative Folgen einer schizoiden PS wurden bisher beobachtet:
- deutlich geringere Lebensqualität,[20]
- ein ungünstiger Einfluss auf das psychische Funktionsniveau über 15 Jahre hinweg (niedrigere GAF-Werte[21])
- und eine der geringsten Stufen an „Lebenserfolg“ von allen Persönlichkeitsstörungen (definiert als sozialer Status, Wohlstand und erfolgreiche intime Beziehungen).[22]
Bestimmte schizoide Merkmale (wie emotionale Distanziertheit) stellen einen Risikofaktor für Suizidversuche dar.[23]
Nach ICD
Die ICD-10 führt die SPS unter F60.1 auf. Mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen:[24]
- wenn überhaupt, dann bereiten nur wenige Tätigkeiten Freude (Anhedonie);
- emotionale Kühle, Distanziertheit oder abgeflachte Affektivität;
- reduzierte Fähigkeit, warme, zärtliche Gefühle oder auch Ärger anderen gegenüber auszudrücken;
- erscheint gleichgültig gegenüber Lob oder Kritik von anderen;
- wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen (unter Berücksichtigung des Alters);
- fast immer Bevorzugung von Aktivitäten, die allein durchzuführen sind;
- übermäßige Inanspruchnahme durch Fantasien und Introspektion;
- hat keine oder wünscht keine engen Freunde oder vertrauensvollen Beziehungen (oder höchstens eine);
- deutlich mangelndes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen. Wenn sie nicht befolgt werden, geschieht das unabsichtlich.
Die ICD-11 enthält die Merkmalsausprägung 6D11.1 Distanziertheit für die Diagnose Persönlichkeitsstörung. Eine Studie, die den Zusammenhang zwischen den kategorialen Diagnosen in der ICD-10 mit den Merkmalsausprägungen in der ICD-11 untersucht, stellte fest, dass das Merkmal 6D11.1 Distanziertheit vor allem mit der schizoiden PS zusammenhängt. Auch entspricht die Beschreibung dieser Merkmalsausprägung weitgehend der schizoiden Persönlichkeitsstörung aus der ICD-10.[25]
Nach DSM
Laut DSM-5 handelt es sich um ein tiefgreifendes Muster, das durch Distanziertheit in sozialen Beziehungen und eine eingeschränkte Bandbreite des Gefühlsausdrucks im zwischenmenschlichen Bereich gekennzeichnet ist. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:[9]
- Hat weder den Wunsch nach engen Beziehungen noch Freude daran, auch nicht, Teil einer Familie zu sein.
- Wählt fast immer einzelgängerische Unternehmungen.
- Hat, wenn überhaupt, wenig Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen.
- Wenn überhaupt, dann bereiten nur wenige Tätigkeiten Freude (Anhedonie).
- Hat keine engen Freunde oder Vertraute, außer Verwandten ersten Grades.
- Erscheint gleichgültig gegenüber Lob und Kritik von Seiten anderer.
- Zeigt emotionale Kälte, Distanziertheit oder eingeschränkte Affektivität.
Die Symptome dürfen nicht durch eine andere Störung besser erklärt werden können (z. B. Schizophrenie, bipolare Störung oder depressive Störung mit psychotischen Merkmalen, eine andere psychotische Störung oder eine Autismus-Spektrum-Störung).[9]
Abgrenzung
Ein großes Problem bei der Diagnostik ist die Überlappung mit anderen Persönlichkeitsstörungen oder Erkrankungen und das häufige Auftreten von Komorbiditäten.[26][5][9]
Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Bei der schizoiden PS können Überlegenheitsgefühle bzw. Allmachtsfantasien, eine hohe Selbstgewissheit und schroffes Verhalten auftreten. Der wichtigste Unterschied zur narzisstischen PS besteht darin, dass der Selbstwert von Menschen mit reiner schizoider PS weitgehend unabhängig von anderen ist. Schizoide Menschen sind in einem erheblich geringeren Maß auf Akzeptanz und Wertschätzung anderer angewiesen als narzisstische Menschen. Damit einhergehend fehlt die für die narzisstische PS typische narzisstische Wut und die Entwertung anderer zur Steigerung des Selbstwertgefühls. Des Weiteren treten keine überdurchschnittlich starken Neid- und Schamgefühle auf. Besonders typisch ist auch, dass schizoide Personen wenig mit Lob anfangen können, während narzisstische Personen geradezu darauf angewiesen sind.[2][5]
Das Beziehungsverhalten von Menschen mit leichteren schizoiden Zügen, die Beziehungen noch nicht vollständig vermeiden, kann teilweise ebenfalls mit dem Beziehungsverhalten narzisstischer Menschen verwechselt werden. Zu beachten ist hier, dass bei beiden Störungsbildern ein grundlegend anderes Motiv vorherrscht: Narzisstischen Menschen geht es grundsätzlich um die Aufrechterhaltung eines instabilen und von anderen abhängigen Selbstwertgefühls, weswegen sie gegebenenfalls (emotionale) Abhängigkeit von anderen vermeiden oder Beziehungen verlassen, wenn nicht genügend Bestätigung und Bewunderung erfolgt. Schizoiden Menschen geht es hingegen um die Aufrechterhaltung eines grundlegenden Sicherheitsgefühls und die Vermeidung äußerer Kontrolle durch andere, ohne dass das mit ihrem Selbstwertgefühl zusammenhängt.[27][2]
Wenn Übertragungen beachtet werden bzw. das Beziehungsverhalten konkret analysiert wird (z. B. in einer Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, Schematherapie oder systemischen Therapie), lässt sich der Unterschied besonders gut an diesen erkennen, da bei schizoiden Menschen ohne ausgeprägten komorbiden Narzissmus nicht die typischen narzisstischen Übertragungen auftreten (siehe Übertragungsformen in der Selbstpsychologie).[3]
Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
Personen mit stark ausgeprägter zwanghafter PS, die ebenfalls oft zum Verzicht auf soziale Beziehungen neigen oder emotional hölzern und unerreichbar wirken, können fälschlicherweise für schizoide Personen gehalten werden. Umgekehrt können schizoide Personen zwanghaft wirkende Verhaltensweisen entwickeln. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Persönlichkeitsstörungen besteht darin, dass überwiegend schizoide Menschen sich durch intellektuelle Unabhängigkeit und nicht selten eine hohe Kreativität auszeichnen und sie mindestens in ihrem Innenleben bzw. ihrer Fantasie „zwanglos“ sind. Überwiegend zwanghafte Menschen zeichnen sich hingegen durch geistige Unbeweglichkeit (Rigidität) als Kernmerkmal ihrer Persönlichkeit aus. Zwanghafte Menschen legen im Gegensatz zu schizoiden Menschen typischerweise auch besonders viel Wert auf die Einhaltung sozialer Konventionen und ihr Ansehen innerhalb ihrer sozialen Bezugsgruppe.[2][5]
Ängstlich-Vermeidende Persönlichkeitsstörung
Anders als bei der schizoiden PS ist es bei der ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung (ÄVPS) vor allem die Angst vor Beschämung und dem ablehnenden Werturteil der anderen, die den Betroffenen den Kontakt erschwert.[28] Auch tritt bei Menschen mit ÄVPS häufiger internalisierte Scham, ein geringer Selbstwert und ein stärkeres Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit auf.[5] Es gibt jedoch auch deutliche Ähnlichkeiten. Deshalb wird teils auch argumentiert, dass die schizoide PS und die ÄVPS unterschiedliche Varianten derselben Störung seien.[28][2]
Schizotype Störung
Menschen mit schizotyper Störung zeigen in Verhalten, Sprache und Wahrnehmung deutlich stärkere Auffälligkeiten als Schizoide. Dazu gehört etwa magisches und esoterisches Denken, sprachliche Besonderheiten und eine stärkere sichtbare Ambivalenz in der Kontaktaufnahme.[5]
Autismus
Die Unterscheidung einer schizoiden PS von Autismus kann schwierig sein, da Auffälligkeiten in der wechselseitigen sozialen Interaktion ähnlich wirken können.[29][30] In einer Studie erfüllten beispielsweise bis zu 26 % aller Personen mit Asperger-Syndrom auch die formalen Kriterien für eine schizoide PS.[31] Wesentliches Unterscheidungsmerkmal in der Diagnostik sind die beschränkten, repetitiven Verhaltensweisen und Interessen, welche bei Autismus ab der frühen Kindheit auftreten, nicht jedoch bei einer schizoiden PS. Auch zeigen schizoide Personen keine Schwierigkeiten mit pragmatischen Aspekten der Sprache oder dem grundlegenden Verständnis sozialer Interaktionen.[29][30][5] Damit einhergehend wird für die Abgrenzung teils argumentiert, dass Autisten funktional nicht in der Lage seien, sich mit anderen einzulassen, während es bei schizoiden Menschen eine bewusste Wahl sei, die vor Vereinnahmung und Verletzung schützen soll.[11]
Als Grundsatz gilt, dass es sich bei Autismus um eine neurologische Entwicklungsstörung handelt, deren Symptome bereits im frühen Kindesalter beginnen. Autismus beruht rein auf genetischen und neurobiologischen Faktoren und ist nicht heilbar. Persönlichkeitsstörungen - und damit auch die schizoide PS - entstehen hingegen aus einer Wechselwirkung zwischen angeborenem Temperament (siehe auch Big Five) und biographischen Erfahrungen, insbesondere wenn Lebensumstände eine altersgerechte Persönlichkeitsentwicklung nicht ausreichend unterstützen.[32] Für schizoide Personen sind oft widrige Umstände in der Kindheit typisch und die Störung ist als eine ursprünglich sinnvolle Anpassung an diese zu verstehen, die in späteren Jahren aber zu Beeinträchtigungen und Leid führt.[33][3]
Da Autismus ein Spektrum ohne klare Begrenzung zum neurotypischen Bereich ist und eine besondere Sensitivität[33] und Überstimulierbarkeit[2] oft als angeborene Faktoren für die Ausbildung schizoider Persönlichkeitszüge genannt werden, ist eine genaue Unterscheidung nicht in jedem Einzelfall möglich oder sinnvoll (siehe Ursachen).[34] Die Psychoanalytikerin Nancy McWilliams meint dazu:
„Unsere taxonomischen Kategorien sind nach wie vor willkürlich und überschneiden sich, und so zu tun, als gäbe es diskrete Unterschiede zwischen den Bezeichnungen, ist in der Regel klinisch nicht sinnvoll, wenn man versucht, ein Gefühl für die individuelle Einzigartigkeit eines Patienten zu bekommen.“
Alexithymie
Alexithymie (Gefühlsblindheit) ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das bei vielen psychischen Störungen oder anderen Erkrankungen und auch bei gesunden Menschen auftreten kann. Die Merkmale der Alexithymie sollten nicht pauschal als Teil der schizoiden Persönlichkeitsstörung betrachtet werden, auch wenn schizoide Personen alexithym sein können. Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Konzepten besteht darin, dass alexithyme Menschen sich in Beziehungen prinzipiell wohlfühlen und eine starke Anpassungsbereitschaft an andere zeigen. Schizoide Menschen zeichnen sich außerdem oft durch eine starke Fantasietätigkeit und auf das eigene Innenleben bezogenes Denken aus, während für Alexithymie gerade ein Mangel an Fantasie und ein rationaler, nach außen gerichteter Denkstil typisch ist.[35] Schizoide Menschen sind oft in der Lage, ihre Emotionen innerlich zu identifizieren, vermeiden allerdings ihren Ausdruck (Affektisolierung) und betonen stattdessen ihren Intellekt bzw. das kognitive Denken.[2][5]
Kritik an der deskriptiven Diagnose
Das Konzept der schizoiden Persönlichkeitsstörung in ICD und DSM wird allgemein als Fortschritt gesehen. Dennoch kritisieren manche, dass es zu inhaltsarm, realitätsfern und zu unabhängig vom sozialen Kontext sei.[36][6]
Ursprünglich beschrieb Ernst Kretschmer in seiner Konstitutionslehre (1921) einen fließenden Übergang von Gesundheit zu Krankheit: Von den Schizothymen (gesund) – über die Schizoiden (Grenzfall) – bis zu den Schizophrenen (krankhaft). Typisch für den schizoiden Charakter waren laut ihm das „In-sich-hinein-Leben“ und Kontaktschwäche. Anders als heute betonte er aber vor allem das Pendeln zwischen zwei gegensätzlichen Eigenschaftspolen: Einerseits seien Schizoide zwar überempfindlich (hyperästhetisch), d. h. leicht verletzbar und reizbar, empfindsam, launisch, nervös, exzentrisch. Paradoxerweise wären sie aber gleichzeitig auch unempfindlich (anästhetisch), also unterkühlt, Kontakte schroff ablehnend, farblos und gleichgültig. Dabei verstecke sich hinter einer stumpfen, schwer durchdringbaren Verhaltensmaske eine tiefe gemütsmäßige Ansprechbarkeit.[19]
Ab 1980 jedoch wurde die Definition der schizoiden Persönlichkeitsstörung streng auf die unempfindlichen Eigenschaften begrenzt – die überempfindlichen Merkmale dagegen ordnete man der schizotypischen und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung zu. Dadurch wurde der schizoide Charakter in drei getrennte Persönlichkeitsstörungen unterteilt. Experten bemängeln daran, dass mit dieser künstlichen Trennung gerade das Herzstück der Schizoidie entfernt wurde – die Ambivalenz (innere Zerrissenheit durch sich widersprechende Bestrebungen).[24][37]
Salman Akhtar und Otto Kernberg zweifeln z. B. am DSM-Kriterium „hat keinen Wunsch nach engen Beziehungen“. Sie werten dies als bloße Oberflächenerscheinung, weil sich dahinter eine hohe emotionale Sensibilität für die Reaktionen anderer verberge. Akhtar fordert daher eine Rückbesinnung auf Kretschmers ganzheitliches Konzept und kritisiert das DSM, weil es die Bedeutung verkenne, die soziale Beziehungen für schizoide Menschen haben. Aber auch die aktuellen Diagnosekriterien bleiben eindimensional und beschränken sich auf eine gleichgültige und desinteressierte Fassade. Nicht berücksichtigt werden darin z. B. zwiespältiges und wechselhaftes Verhalten, die Psychodynamik der daraus entstehenden inneren Konflikte sowie starke Überempfindlichkeit gegenüber Ablehnung und Zuneigung gleichermaßen.[38]
Da in der ICD-11 Persönlichkeitsstörungen nicht mehr nach ihrem spezifischen Störungsbild klassifiziert werden, taucht die schizoide Persönlichkeitsstörung als separate Kategorie mit konkreten deskriptiven Merkmalen nicht mehr auf.
Akhtars Modell
Salman Akhtar (Psychiater und Psychoanalytiker) war mit den bisherigen Diagnosekriterien und der Konzeption der schizoiden Persönlichkeitsstörung unzufrieden. Daher erarbeitete er als Alternative ein eigenes umfassendes phänomenologisches Profil, das klassische psychoanalytische und aktuelle deskriptive Beobachtungen berücksichtigt.[36]
Sein Modell ist in untenstehender Tabelle zusammengefasst. Die erste Spalte beschreibt sechs psychologische Funktionsbereiche. Jeder Bereich enthält bestimmte Charakterzüge und Verhaltensweisen, die weiter in zwei Gruppen unterteilt sind – in direkt sichtbare und in verborgene Merkmale. Beide Gruppen stellen jedoch keine Subtypen dar und die Bezeichnungen beziehen sich auch nicht auf bewusste oder unbewusste Vorgänge. Stattdessen stehen sie Akhtar zufolge für mehr oder weniger leicht erkennbare, widersprüchlich erscheinende Aspekte, die gleichzeitig innerhalb von einer Person vorhanden sind. Zudem betone „diese Art der Symptomeinteilung die zentrale Bedeutung der Spaltung und Identitätsverwirrung für das Verständnis der schizoiden Persönlichkeit“.
Über Akhtars Profil wird kontrovers diskutiert, da es bisher nicht in systematischen empirischen Studien überprüft wurde. Da es sich um ein allgemeines Modell handelt, trifft naturgemäß nicht jedes Merkmal auf jeden Einzelfall zu.[36]
| Bereich | Sichtbare Merkmale (overt) | Verdeckte Merkmale (covert) |
|---|---|---|
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Selbstkonzept |
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Beziehungen |
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Soziale Anpassung |
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Liebe und Sex |
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Werte und Ideale |
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Art des Denkens |
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Häufigkeit
Die schizoide Persönlichkeitsstörung wird in Bevölkerungsstudien vergleichsweise selten gefunden. Die Schätzungen variieren deutlich je nach Messmethode. In großen, repräsentativen Erhebungen, die klinisch bedeutsame Beeinträchtigung für jedes erfüllte Kriterium verlangen, liegen die Punktprävalenzen meist unter 1 %. In den USA ergab die reanalysierte NESARC-Stichprobe ~0,6 %, in einer britischen Haushaltsstichprobe ~0,8 %.[39] Eine norwegische Community-Studie mit klinischen Interviews berichtete ~1,7 %.[40]
Übersichtsarbeiten nennen entsprechend eine weite Breite zwischen 0 % und 5 % und betonen die methodische Unsicherheit.[41]
Für die ICD-11-Abbildung mit Schweregrad für die Diagnose 6D10 Persönlichkeitsstörung + dem Merkmal 6D11.1 Distanziertheit, die auch leichtere Fälle besser erfassen kann, liegen bislang keine empirischen Studien oder Prävalenzeinschätzungen vor.
Theodore Millons Subtypen
Auf Theodore Millon geht die Trennung von ängstlich-vermeidender PS und schizoider PS zurück (siehe Abgrenzung). Er beschrieb vier Prototypen der schizoiden PS, die jedoch laut ihm in der Realität selten pur vorkommen:[42]
| Träger Subtyp (mit depressiven Zügen) | Phlegmatisches, lethargisches Temperament; zu geringes Aktivierungsniveau; antriebslos, müde, bleiern, matt und schlapp. Kaum vital oder energetisch, verlangsamt; emotional aber nicht leer. Hat oft wenig Interessen; bevorzugt einfache, repetitive und abhängige Lebensweise. |
| Entrückter Subtyp (mit vermeidend-schizotypischen Zügen) | Distanziert und entfernt; unerreichbar, einsam, abgeschieden, obdachlos, abgeschnitten, treibt ziellos umher am sozialen Rand, oft beschäftigt in Jobs mit geringem Einkommen und Status. In schweren Fällen schizotypische Merkmale, beobachtbar unter chronisch institutionalisierten Patienten und in Resozialisierungszentren. |
| Entpersönlichter Subtyp (mit schizotypen Zügen) | Losgelöst von sich und den anderen; das Selbst wird zum körperlosen oder fernen Objekt; Körper und Geist sind voneinander entkoppelt, getrennt. Betrachtet sich selbst von außen. Zerstreut, oft ins Leere starrend, unaufmerksam. |
| Affektloser Subtyp (mit zwanghaften Zügen) | Leidenschaftslos, unempfänglich, reaktionslos, teilnahmslos, kühl, gleichgültig, ungerührt, temperamentlos, glanzlos, unerregbar, gelassen, kühl; alle Gefühle vermindert. Kombiniert schizoide Apathie mit der emotionalen Eingeengtheit der zwanghaften PS. |
Millon kritisierte am DSM, dass die Diagnose der schizoiden PS rein negativ definiert sei, d. h., es wird dort nur angegeben, welche Merkmale fehlen – aber nicht, welche vorhanden sind. Das lasse die schizoide PS wie eine „Persönlichkeitsstörung ohne Persönlichkeit“ bzw. als „Defizit-Syndrom“ oder „Vakuum“ erscheinen und erschwere ihre Erforschung sehr. Seiner Meinung nach sind die schizoide und die histrionische Persönlichkeitsstörung in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil voneinander.[42]
Ursachen
Da die schizoide Persönlichkeitsstörung zu den am schlechtesten erforschten psychischen Störungen zählt[43], sind Angaben zu den Ursachen mit starker Unsicherheit behaftet. Eine Dissertation aus dem Jahr 2013, die nahezu die gesamte bis dahin vorhandene Literatur zur schizoiden PS gesichtet hat, hat auch Angaben zur Ätiologie herausgearbeitet und beschreibt diese im Rahmen eines Vulnerabilitäts-Stress-Modells:
Auf konstitutioneller Ebene wird eine besondere Reizoffenheit angenommen (in der Arbeit als „Hyperpermeabilität“ bezeichnet; siehe auch das Konzept der Hochsensibilität), die mit einer hohen Sensitivität und einem zurückhaltenden, schwer anpassungsfähigen Temperament verbunden ist. Hinzu kommt die ausgeprägte Introversion, die bei schizoiden Persönlichkeiten häufig zu beobachten ist. Diese wird nicht als krankhaft an sich verstanden, sondern als organisierender Persönlichkeitsfaktor, der unter ungünstigen Bedingungen zum Rückzug in die Innenwelt, der Abwertung äußerer Beziehungen und zu einer erhöhten Angst vor Nähe führen kann.
Als zentrale Umweltfaktoren werden frühe Beziehungserfahrungen hervorgehoben, die weniger durch einzelne traumatische Ereignisse als durch eine „kumulative Traumatisierung“ geprägt sind: wiederkehrende Muster wie Überstimulation, intrusives Eindringen oder emotionale Vernachlässigung schwächen über längere Zeit die Entwicklung eines stabilen Selbstgefühls. Typisch ist dabei eine besondere Fixierung des Kindes auf die Bedürfnisse der Mutter, die häufig als kalt, unreif oder uneinfühlsam beschrieben wird, während die eigenen Bedürfnisse zurückgestellt werden.[11]
Die auf die Behandlung schizoider Menschen spezialisierte Gestalttherapeutin Elinor Greenberg berichtet aus ihrer Erfahrung, dass bei ihren Patienten mit schizoider Persönlichkeitsstörung häufig ein sensitives Temperament und eine Kombination aus Missbrauch, mangelndem Einfühlungsvermögen, Vernachlässigung und extremer Aufdringlichkeit durch Bezugspersonen in der Kindheit zu beobachten seien. Häufig seien sie wie eine „Sache“ behandelt worden. Aufgrund dessen fehle es ihren schizoiden Patienten an grundlegendem Vertrauen in die Motive anderer Menschen, es entstehe ein grundlegendes Gefühl der Unsicherheit in der Anwesenheit anderer und eine Überempfindlichkeit gegenüber dominierendem und aufdringlichem Verhalten.[33]
Die auf Autismus spezialisierte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Helene Haker Rössler argumentiert, dass bei Betroffenen auf konstitutioneller Ebene eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegen könne.[34]
Teils werden auch Zusammenhänge zwischen dem unsicher-vermeidenden Bindungstyp bzw. der distanziert-beziehungsabweisenden Bindungseinstellung der Bindungstheorie und schizoiden Persönlichkeitszügen hergestellt. In dem Fall könnten sich die Ursachen überschneiden.[2][44] Empirische Untersuchungen sind zwar rar, allerdings existieren auch einige Befunde, die einen Zusammenhang der schizoiden Persönlichkeitsstörung zu diesen Bindungseinstellungen und zu emotionalem Missbrauch, Vernachlässigung und Heimunterbringung sehen.[45]
Verlauf
Nach vorherrschender Auffassung nimmt diese Persönlichkeitsstörung in der frühen Kindheit oder Jugend ihren Ausgang. Erste Anzeichen dafür können einzelgängerisches, einsames Verhalten und geringe Schulleistungen trotz gutem Potenzial sein. Dieses Anderssein kann zu Hänseleien und schlechten Beziehungen zu Gleichaltrigen beitragen. Aufgrund mangelnder sozialer Fertigkeiten und dem fehlenden Wunsch nach sexuellen Erfahrungen haben Menschen mit schizoider PS manchmal nur wenige Freundschaften und heiraten selten. Schizoide Patienten sind daher oft kinderlos und leben eher allein oder noch bei den Eltern.[9][46]
Allgemein lässt sich sagen, dass bei Persönlichkeitsstörungen nicht erwartet wird, dass sich diese ohne Behandlung im Laufe der Zeit verbessern, weil es sich bei ihnen um überdauernde, lange vorhandene Verhaltensmuster handelt. Unter günstigen Bedingungen jedoch, etwa wenn im Rahmen einer Therapie Vertrauen gefasst werden kann, können sich die schizoiden Züge unter Umständen mildern, sodass Plastizität und damit eine gewisse Veränderung eintritt.
Psychotherapie
Die Behandlung erfolgt durch Psychotherapie, wobei es Personen mit schizoider Persönlichkeitsstörung zu Beginn häufig schwerfällt, eine engere Beziehung zu dem Therapeuten einzugehen. Rainer Sachse rät daher zu Geduld und warnt davor, den schizoiden Patienten in der Therapie „emotionalisieren“ zu wollen. Es kommen sowohl verhaltenstherapeutische Veränderungsstrategien als auch psychodynamische Verfahren zum Einsatz.[47]
Psychodynamische Verfahren
Schizoide Menschen eignen sich oft besonders gut für das psychoanalytische Setting, da sie von Natur aus introspektiv und zu tiefer Einsicht besonders befähigt sind und sie oft eine nicht-intrusive Therapie als hilfreich empfinden. Auch sind Übertragungsbildungen prinzipiell gut möglich.[5][48] Harry Guntrip wird sogar der scherzhafte Ausspruch zugeschrieben, die Psychoanalyse sei von Schizoiden für Schizoide („Psychoanalysis is a profession by schizoids for schizoids“).[48] Von ihm[14] und vielen anderen Psychoanalytikern wie z. B. Jeffrey Seinfeld[49], Ralph Klein[4], Nancy McWilliams[2][48], Zachary Wheeler[11] und Otto Kernberg[1] wurden umfassende Beschreibungen des Störungsbilds und bedeutende Grundsätze für die Behandlung Betroffener ausgearbeitet. Dazu Gerhard Dammann:
„Aufgabe des Therapeuten ist es, ein stabiles und respektvolles (Markowitz 1968) Gegenüber zu sein, das einerseits ausreichend die »freundlichen Weiten« (Balint) zulassen und selbst innerlich positiv und geübt genug im »doing nothing« (Gabbard 1989) sein kann, um »distant enough« sein zu können. (Nicht wenige Psychoanalytiker haben selbst leicht schizoide Züge, was ihnen diese Haltung erleichtert; dazu Wheelis 1956).“
Insbesondere am Anfang einer Therapie wird empfohlen, sparsam mit Deutungen umzugehen, da schizoide Patienten sich schnell aufdringlich behandelt fühlen.[2] Sie können auch sehr misstrauisch gegenüber dem Therapeuten und seinem Interesse sein und den Therapeuten ebenfalls als sich zurückziehend empfinden.[1] Auch lange Schweigephasen und starke äußere Distanziertheit mit damit einhergehenden starken Gegenübertragungsgefühlen sind möglich, mit denen reflektiert umgegangen werden sollte. Es sollte im Hinterkopf behalten werden, dass bei schizoiden Menschen inneres Erleben und äußerer Eindruck nicht übereinstimmen.[48][11]
Otto Kernberg empfiehlt, dass bei Patienten mit schizoider Persönlichkeitsstörung insbesondere das schizoide Dilemma - die Suche nach Nähe bei gleichzeitiger Angst vor Überwältigung, Invasion, äußerer Beeinflussung oder Kontrolle - bedacht und in der Übertragung exploriert werden sollte. Er empfiehlt hierbei vor allem die besondere Beachtung der Gegenübertragung, um die dahinterstehenden individuellen Ursachen in der Biographie zu erkennen. Für besonders schwere Fälle kann es hilfreich sein, das Setting in Richtung der übertragungsfokussierten Psychotherapie anzupassen.[1]
Als Risikofaktoren für einen Therapieabbruch bei schizoiden Patienten wurden vor allem ein als intrusiv erlebtes Setting, zu frühe oder konfrontative Deutungen, die Nicht-Anerkennung der Belastung durch den therapeutischen Prozess sowie mangelnde Hilfe beim Umgang mit negativer Übertragung beschrieben. Präventiv wirken ein klarer, aber dennoch flexibler Rahmen (z. B. freie Wahl bezüglich Liegen oder Sitzen), authentisch und nicht zu kühl wirkende Therapeuten, die respektvolle Anerkennung von Autonomie und eventuellen Rückzugstendenzen, behutsame Affektarbeit, vorsichtiger Allianzaufbau sowie eine bewusste Reflexion der Gegenübertragungsreaktionen auf Therapeutenseite.[11]
Siehe auch
Literatur
- Gerhard Dammann, Otto F. Kernberg: Schizoidie und schizoide Persönlichkeitsstörung: Psychodynamik – Diagnostik – Psychotherapie. Kohlhammer, 2018, ISBN 978-3-17-033467-0.
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- Rainer Sachse: Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden und paranoiden Persönlichkeitsstörung. Hogrefe, 2017, ISBN 978-3-8017-2844-1.
- Jeffrey Seinfeld: The Empty Core: An Object Relations Approach to Psychotherapy of the Schizoid Personality. Jason Aronson, 1991, ISBN 0-87668-611-0.
Weblinks
- Volker Faust über die schizoide Persönlichkeitsstörung
- Geist und Gegenwart: Schizoid – die Angst vor dem Ich-Verlust und Die schizoide Persönlichkeitsstörung
- Schizoide-Persönlichkeitsstörung.de
- Schizoid Processes: Working with the Defenses of the Withdrawn Child Ego State
Einzelnachweise
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- ↑ a b c d e f g h i j k l m n Nancy McWilliams: Psychoanalytische Diagnostik. 1. Auflage. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 2025, ISBN 978-3-17-045813-0, S. 219–236.
- ↑ a b c d e Elinor Greenberg: Borderline und Narzissmus: Wie Menschen nach Liebe und Bewunderung streben - Ein Praxisbuch. 2. Auflage. Kösel-Verlag, München 2021, ISBN 978-3-466-34764-3 (Originaltitel: Borderline, Narcissistic, and Schizoid Adaptations: The Pursuit of Love, Admiration, and Safety.).
- ↑ a b c Ralph Klein: The Self-in-Exile: A Developmental, Self, and Object Relations Approach to the Schizoid Disorder of the Self. In: James F. Masterson, Ralph Klein (Hrsg.): Disorders of the Self: New Therapeutic Horizons: The Masterson Approach. Routledge, 1995, ISBN 978-0-87630-786-1 (archive.org).
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Gerhard Dammann: Die schizoide Persönlichkeitsstörung - eine psychodynamische Perspektive. In: Gerhard Dammann, Otto F. Kernberg (Hrsg.): Schizoidie und schizoide Persönlichkeitsstörung – Psychodynamik - Diagnostik - Psychotherapie. 1. Auflage. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-033467-0, S. 45–94.
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- ↑ Peter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. 6. Auflage. Beltz, 2007, ISBN 978-3-621-27622-1, S. 137: „Die jetzige Diagnose „schizoide PS“ nimmt also – wenn man so will – der bei Kretschmer beschriebenen Schizoidie ihre Zwiespältigkeit: Die zweite Charakterseite, die er der vermeintlichen Schizoidie zuschrieb (nämlich empfindsam, leicht verletzbar, launisch und sprunghaft), gilt seither als Anteil der schizotypen PS.“
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