Satz von Bolzano-Weierstraß
Der Satz von Bolzano-Weierstraß (nach Bernard Bolzano und Karl Weierstraß) ist ein Satz der Analysis über die Existenz konvergenter Teilfolgen bzw. von Häufungspunkten. Er ist ein wichtiger Baustein für den modernen, streng deduktiven Aufbau der Analysis.
Aussage für reelle und komplexe Zahlen
In der Literatur haben sich zwei (äquivalente) Formulierungen für den Satz von Bolzano-Weierstraß etabliert:
- Jede beschränkte Folge reeller Zahlen enthält (mindestens) eine konvergente Teilfolge.[1][2]
- Jede beschränkte Folge reeller Zahlen hat (mindestens) einen Häufungspunkt.[3][4]
Eine weitere Variante des Satzes bezieht sich auf Mengen:
- Jede beschränkte unendliche Menge von reellen Zahlen besitzt wenigstens einen Häufungspunkt.[5] (Ein solcher Häufungspunkt muss allerdings nicht zur gegebenen Menge gehören.)
Analoge Aussagen gelten auch für Folgen bzw. Mengen komplexer Zahlen.[6]
Beweis
Beim folgenden Beweis wird gezeigt, dass eine beschränkte Folge reeller Zahlen einen Häufungspunkt besitzt. Dabei wird der Häufungspunkt nach dem Intervallschachtelungsprinzip mittels des sogenannten Weierstraßschen Halbierungsverfahren wirklich konstruiert.[7]
Wegen der Beschränktheit besitzt die Folge eine untere Schranke und eine obere Schranke . Also liegen alle Folgenglieder im Intervall , welches das erste Intervall der Intervallschachtelung ist und die Länge hat. Nun wird durch Halbieren in zwei gleich große Intervalle der Länge unterteilt. Mindestens ein Teilintervall, genannt, enthält dann wieder unendlich viele Zahlen der Folge; denn sonst könnten beide zusammen nicht unendlich viele Zahlen enthalten. Als Nächstes wird auch halbiert, und wiederum enthält eines der beiden Teilintervalle, genannt (Länge ), unendlich viele Zahlen. Durch Wiederholen dieses Halbierungsverfahrens erhält man eine Intervallschachtelung. Nach dem Intervallschachtelungsprinzip zieht sich diese Intervallfolge auf genau einen Punkt zusammen, der in allen Intervallen enthalten ist.
Dieser Punkt ist aber ein Häufungspunkt der Folge ; denn weil man durch Steigern von die Größe kleiner machen kann als jedes , liegen die Intervalle , von diesem angefangen, alle in der -Umgebung von . Diese -Umgebung enthält also stets unendlich viele Glieder der Folge, und somit ist ein Häufungspunkt der Folge.
Beispiele
- Die durch definierte beschränkte Folge besitzt genau einen Häufungspunkt, nämlich .
- Die durch definierte beschränkte Folge hat zwei Häufungspunkte, nämlich und .
Anwendungen
Mithilfe des Satzes von Bolzano-Weierstraß lassen sich einige grundlegende Sätze der Analysis beweisen:[A 1]
- Jede monotone und beschränkte Folge reeller Zahlen konvergiert (Monotoniekriterium).[8]
- Eine stetige Funktion auf einem abgeschlossenen und beschränkten Intervall nimmt ihr Maximum und Minimum an (Satz vom Minimum und Maximum).[9]
- Jede reelle oder komplexe Cauchy-Folge konvergiert (Rückrichtung des Cauchy-Kriteriums).
Verallgemeinerungen
Euklidischer Vektorraum
Die Aussage des Satzes von Bolzano-Weierstraß lässt sich auf den euklidischen verallgemeinern:
- Jede beschränkte Folge im besitzt eine konvergente Teilfolge.[10]
Eine völlig analoge Aussage gilt für den .[11]
Beweisskizze
Ist mit eine beschränkte Folge im , so ist jede der reellen Komponentenfolgen beschränkt. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß für reellen Zahlen lässt sich für die erste Komponentenfolge eine konvergente Teilfolge wählen. Von dieser wählt man wieder eine Teilfolge, die auch in der zweiten Komponente konvergiert. Die Konvergenz in der ersten Komponente bleibt erhalten, da Teilfolgen konvergenter Folgen wieder konvergent mit demselben Grenzwert sind. Und so weiter, bis die -te Teilfolge auch in der letzten Komponente konvergiert. Dies zeigt die Gültigkeit der Aussage für den . Die Aussage für den erhält man sofort durch die Identifikation von mit .
Unendlichdimensionale Vektorräume
In unendlichdimensionalen normierten Vektorräumen über oder hat nicht jede beschränkte Folge eine konvergente Teilfolge. So ist z. B. die Folge der Einheitsvektoren (0,0,...,0,1,0,...,0,...) im Folgenraum versehen mit der -Norm beschränkt, hat aber keinen Häufungspunkt, da alle Folgenglieder einen Abstand von voneinander haben. Dieses Gegenbeispiel lässt sich auf beliebige unendlichdimensionale normierte Räume verallgemeinern, man kann darin immer eine unendliche Folge von Vektoren der Länge 1 konstruieren, die untereinander paarweise einen Abstand von wenigstens 1/2 besitzen.
Für beschränkte Folgen in reflexiven Räumen existiert folgende Aussage, die aus dem Satz von Eberlein–Šmulian folgt:
- Jede beschränkte Folge eines reflexiven Raumes besitzt eine schwach konvergente Teilfolge.
Zusammen mit den sobolevschen Einbettungssätzen liefert die Existenz von schwach konvergenten Teilfolgen beschränkter Folgen häufig Lösungen von Variationsproblemen und damit partiellen Differentialgleichungen.
Metrische Räume
Der Satz von Bolzano-Weierstraß lässt sich auf metrische Räume verallgemeinern, wenn man seine Voraussetzungen anpasst und verlangt, dass die Folgenglieder in einer kompakten Menge liegen:
- Ist eine kompakte Teilmenge eines metrischen Raumes und eine Folge von Punkten in , so gibt es eine Teilfolge , die gegen einen Punkt konvergiert.[12]
Topologische Räume
Der Satz von Bolzano-Weierstraß ist eng verwandt mit dem Satz von Heine-Borel. Eine Verallgemeinerung beider Sätze auf topologische Räume besagt: Ein topologischer Raum ist genau dann ein kompakter Raum, wenn jedes Netz ein konvergentes Teilnetz hat.
Anmerkungen
- ↑ Einige dieser Sätze lassen sich auch ohne den Satz von Bolzano-Weierstraß beweisen; ob der Satz hilfreich oder nötig ist, hängt auch vom Axiomensystem ab, das man für die reellen Zahlen zugrunde legt.
Literatur
- Konrad Königsberger: Analysis 1. 6. Auflage. Springer, Berlin 2004, ISBN 3-540-41282-4, S. 50–51.
- Konrad Königsberger: Analysis 2. 3. Auflage. Springer, Berlin / Heidelberg, 2000, ISBN 3-540-43580-8, S. 1–2.
- Otto Forster, Florian Lindemann: Analysis 1. 13. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2023, ISBN 978-3-658-40129-0, S. 79–80.
- Sandip K. Maiti: Bolzano-Weierstrass Theorem: A brief history. In: PANCHAKOTesSAYS. Band 10, Nr. 2, 2019, S. 43–45 (journal.panchakotmv.ac.in).
- Reinhard Bölling: Karl Weierstrass and some basic notions of the calculus. Braniewo 2010 (mat.ug.edu.pl).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Forster, Lindemann: Analysis 1. 2023, S. 79.
- ↑ Ehrhard Behrends: Analysis Band 1. 6. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07122-6, S. 199.
- ↑ Forster, Lindemann: Analysis 1. 2023, S. 80.
- ↑ Vladimir A. Zorich: Analysis I. Springer, Berlin / Heidelberg 2006, ISBN 3-540-33277-4, S. 76.
- ↑ Friedhelm Erwe: Differential- und Integralrechnung. Band 1, 1972, S. 101.
- ↑ Königsberger: Analysis 1. 2004, S. 50, 51.
- ↑ Karl Strubecker: Einführung in die Höhere Mathematik. Band I: Grundlagen. 2. Auflage. Oldenbourg, München / Wien 1966, S. 471.
- ↑ Forster, Lindemann: Analysis 1. 2023, S. 82.
- ↑ Forster, Lindemann: Analysis 1. 2023, S. 167.
- ↑ Königsberger: Analysis 2. 2000, S. 2.
- ↑ Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. 1. 3. Auflage. Birkhäuser, Basel / Berlin 2010, ISBN 978-3-7643-7755-7, S. 184.
- ↑ Otto Forster, Florian Lindemann: Analysis 2. 12. Auflage. Springer Spektrum, Wiesbaden 2025, ISBN 978-3-658-45811-9, S. 62 f.