Sanierungsertrag (Steuerrecht)

Ein Sanierungsertrag ist im deutschen Steuerrecht eine betriebliche Vermögensmehrung oder Betriebseinnahme, die ausnahmsweise steuerfrei bleibt, wenn sie zum Zwecke der Sanierung eines Unternehmens erfolgt. Die Steuerfreiheit ist in § 3a EStG geregelt.

Hintergrund und Funktionsweise

Bei einem bilanzierenden Unternehmen führt ein Schuldenerlass stets zu einer Verringerung der Passiva, damit zu einem höheren Gewinn und somit auch zu einer höheren Steuerlast.[1]

Beispiel: Ein Unternehmen erwirtschaftet einen Bilanzverlust. Um das Unternehmen zu sanieren, erlassen die Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen. Die Passiva werden dadurch verringert. Infolge dieses Schuldenerlasses erwirtschaftet das Unternehmen nunmehr einen Bilanzgewinn, auf welchen es grundsätzlich Steuern zahlen muss.

Diese Steuerlast wird teilweise als unbillig empfunden, da das Unternehmen seine Liquidität durch den Schuldenerlass nicht steigert und zudem in einer Krisensituation einer Steuerforderung ausgesetzt wird, die nur deswegen entsteht, weil die Gläubiger auf ihre Forderungen verzichten.[1][2] Das deutsche Steuerrecht stellt derartige Sanierungsgewinne in § 3a EStG deswegen steuerfrei, wenn eine unternehmensbezogene Sanierung vorliegt oder der Sanierungsgewinn durch eine Restschuldbefreiung oder einen Schuldenberenigungsplan im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgt (unternehmerbezogene Sanierung).[1]

Geschichte

Der nationalsozialistische Gesetzgeber stellte im Jahr 1934 Sanierungserträge durch die Schaffung des mittlerweile aufgehobenen § 11 Nr. 4 KStG (alte Fassung) erstmalig, aber zunächst nur für Körperschaften, steuerfrei.[3] Die Rechtsprechung wendete § 11 Nr. 4 KStG (alte Fassung) aber auch außerhalb des Körperschaftsteuerrechts analog an.[4] Der Gesetzgeber bestätigte diese Praxis, indem er 1976 mit § 3 Nr. 66 EStG (alte Fassung) die Steuerfreiheit von Sanierungserträgen auch außerhalb des Körperschaftsteuerrechts ausdrücklich regelte.[5] Er schaffte die Steuerfreiheit allerdings im Jahr 1997 wieder ab, um eine Doppelbegünstigung durch die Steuerfreiheit von Sanierträgen und die gleichzeitigte Berücksichtigung von Verlustvorträgen zu vermeiden.[6][7] In der Folgezeit behandelte die Finanzverwaltung Sanierungserträge auf Basis eines Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen jedoch weiterhin als steuerfrei.[8] Der Bundesfinanzhof stoppte diese Praxis jedoch 2016, da eine derartige Steuerfreiheit nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz eine gesetzliche Regelung und nicht nur eine Verwaltungsvorschrift voraussetze.[9] Der Gesetzgeber führte daraufhin im Jahr 2017 die Regelung des § 3a EStG in ihrer heutigen Form ein.[10]

Voraussetzungen der Steuerfreiheit und Rechtsfolgen

Das Gesetz unterscheidet hinsichtlich der Voraussetzungen der Steuerfreiheit danach, ob sich die Sanierung auf das Unternehmen oder den Unternehmer bezieht.[11][12] In jedem Fall kommt ein steuerfreier Sanierungsertrag nur dann in Betracht, wenn eine Betriebsvermögensmehrung oder eine Betriebseinnahme aus einem Schuldenerlass erfolgt.[13] Der Sanierungsertrag darf auch nicht bereits aus anderen Gründen steuerfrei sein.[14]

Unternehmensbezogene Sanierung

Bei einer unternehmensbezogenen Sanierung ist der Sanierungsertrag steuerfrei, wenn der Steuerpflichtige die in § 3a Absatz 2 EStG geregelten Voraussetzungen der Steuerfreiheit nachweist. Er trägt demnach die objektive und subjektive Beweislast.[15] Eine besondere Art des Nachweises ist nicht vorgeschrieben.[16] Typischerweise reichen Sanierungs- und Restrukturierungspläne für den Nachweis aus.[16][17]

Sanierungsbedürftigkeit

Zu diesen Voraussetzungen gehört zunächst die Sanierungsbedürftigkeit. Ein Unternehmen ist sanierungsbedürftig, wenn es ohne die Sanierung nicht fortgeführt werden kann.[18] Hierzu ist das Verhältnis der liquiden Mittel zur Höhe der Schuldenlast und die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens zu ermitteln.[18] Das Vorliegen eines Insolvenzgrundes indiziert hierbei grundsätzlich die Sanierungsbedürftigkeit.[19] Zur Ermittlung der Sanierungsbedürftigkeit ist bei einem Einzelunternehmen oder einem unbegrenzt haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft auch deren Privatvermögen zu berücksichtigen.[20][21] Wie der persönliche Arbeitseinsatz eines Einzelunternehmers oder eines Gesellschafters einer Personengesellschaft zu berücksichtigen ist, ist noch nicht gerichtlich geklärt.[22]

Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und Sanierungseignung des Schuldenerlasses

Zudem muss das Unternehmen sanierungsfähig und der Schuldenerlass zur Sanierung geeignet sein.[23] Letzteres ist der Fall, wenn gerade der Schuldenerlass - gegebenenfalls neben anderen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen - die Ertragsfähigkeit des Unternehmens wiederherstellt.[24] Die Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit indiziert die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens.[23]

Sanierungsabsicht

Außerdem müssen die Gläubiger, die sich am Schuldenerlass beteiligen, in der Absicht gehandelt haben, das Unternehmen zu sanieren.[25] Zusätzliche eigennützige Motive, wie etwa der Erhalt eines Teils der ansonsten erlassenen Forderung, schließen eine Sanierungsabsicht dabei nicht aus.[25] In der Praxis werden keine hohen Anforderungen an die Sanierungsabsicht gestellt.[25] Insbesondere wird die Sanierungsabsicht vermutet, wenn sich mehrere Gläubiger am Schuldenerlass beteiligen (sogenannter Gläubigerakkord).[26] Die Sanierungsabsicht wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur gelegentlich als unzweckmäßige und verfassungsrechtlich problematische Anforderung kritisiert.[27][28] Die Steuerfreiheit hinge von den Vorstellungen einer Privatperson ab.[27] Dies sei willkürlich und gleichheitswidrig, da es aus betriebswirtschaftlicher Sicht keinen Unterschied mache, aus welchen Gründen der Gläubiger der Sanierung zustimme.[27] Überwiegend wird sie aber zumindest für eine verfassungsrechtlich unproblematische Anwendungsvoraussetzung von § 3a EStG gehalten.[29][30]

Unternehmerbezogene Sanierung

Der Sanierungsertrag ist hierneben nach Maßgabe von § 3a Absatz 5 EStG steuerfrei, wenn der Sanierungsgewinn durch eine Restschuldbefreiung oder einen Schuldenberenigungsplan im Rahmen eines Insolvenzverfahrens entsteht. Diese Vorschrift kann analog auch auf vergleichbare formelle Entschuldungsmechanismen angewendet werden.[31]

Rechtsfolgen

Liegen die Voraussetzungen eines steuerfreien Sanierungsertrages vor, wird der Gewinn in Höhe des Sanierungsertrages außerbilanziell reduziert, bleibt also steuerfrei.[32] Hierneben muss der Steuerpflichtige stille Lasten aufdecken und verliert seine Verlustverrechnungspotentiale.[33]

Europa- und verfassungsrechtliche Fragestellungen

Die Steuerfreheit von Sanierungserträgen führt dazu, dass von der Rechtsnorm erfasste steuerpflichtige Gewinne unversteuert bleiben, während andere Steuerpflichtige sämtliche Gewinne zu versteuern haben.[34] Dies muss im Hinblick auf Art. 3 GG (Gleichheit vor dem Gesetz) verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.[34] Überwiegend wird § 3a EStG aber für verfassungskonform gehalten, da der Gesetzgeber so Härten ausgleicht, die andernfalls Unternehmen in der Krise treffen würden.[34]

Die Regelung des § 3a EStG steht zudem im Verdacht, eine unionsrechtswidrige Beihilfe zu sein.[35] Dies ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten.[36] Die Europäische Kommission hat bisher auf eine Überprüfung verzichtet und stattdessen einen sogenannten comfort-letter als die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, in welchem sie die Auffassung eingenommen hat, dass § 3a EStG ohnehin als "Altbeihilfe" Bestandsschutz genieße.[36]

Einzelnachweise

  1. a b c Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 1.
  2. Seer in Kirchof/Seer, Einkommsnteuergesetz, 24. Auflage 2025, § 3a EStG, Rn. 2.
  3. Reichtsgesetzblatt 1934, Seite 1033.
  4. BFH v. 27.09.1968 - VI R 41/66, BStBl. II 1969, 102.
  5. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 2.
  6. Janssen, Steuerlass in Sanierungsfällen - faktisches Wiederaufleben des § 3 Nr. 66 EStG a.F.?!, Betriebs-Berater 2005, 1026, 1027.
  7. Klein/von Mach, Steuerfreie Sanierungserträge nach § 3a EStG, Deutsches Steuerrecht 2024, 1961, 1963.
  8. Sogenannter "Sanierungserlass, BMF v. 27.3.2003 – IV A 6 - 2140 - 08/03.
  9. BFH v. 28.11.2016 - GrS 1/15.
  10. BGBl. I, 2017, 2076.
  11. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 22a.
  12. Seer in Kirchhof/Seer; Einkommensteuergesetz, 24. Auflage 2025, § 3a EStG, Rn. 3.
  13. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 20.
  14. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 30.
  15. Klein/von Mach, Steuerfreie Sanierungserträge nach § 3a Abs. 2 EStG, Deutsches Steuerrecht 2024, 1961, 1966.
  16. a b Seer in Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 24. Auflage 2025, § 3a EStG, Rn. 28.
  17. Klein/von Mach, Steuerfreie Sanierungserträge nach § 3a Abs. 2 EStG, Deutsches Steuerrecht 2024, 1961, 1967 f.
  18. a b Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 24.
  19. Finanzgericht Münster v. 07.02.2022 - 9 V 2784/21 F.
  20. Seer in Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 24. Aulage 2025, § 3a EStG, Rn. 19.
  21. Streit/Hoheisel, StuB - Unternehmensteuern und Bilanzen (Zeitschrift) 2021 , 797, 799 f.
  22. Zu diesem Problem Klein/von Mach, Steuerfreie Sanierungserträge nach § 3a Abs. 2 EStG, Deutsches Steuerrecht 2024, 1961, 1965 f.
  23. a b Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 25.
  24. BFH v. 17.11.2004 - I R 11/04.
  25. a b c Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 26.
  26. BFH v. 14.03.1990 - I R 64/85.
  27. a b c Klein/von Mach, Steuerfreie Sanierungserträge nach § 3a Abs. 2 EStG, Deutsches Steuerrecht 2024, 1961, 1962 ff.
  28. Zustimmend Seer in Kichhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 24. Auflage 2025, § 3a EStG, Rn. 27.
  29. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 177. Ergänzungslieferung 2025, § 3a EStG, Rn. 25a.
  30. Witfeld, Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht 2024, 961, 963.
  31. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 29a f.
  32. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 32.
  33. Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 174. Ergänzungslieferung, § 3a EStG, Rn. 30.
  34. a b c Krumm in Brandis/heuermann, Ertragsteuerrecht, 177. Ergänzungslieferung 2025, § 3a EStG, Rn. 9.
  35. Ausführlich Haselwander, § 3a EStG als unzulässige staatliche Beihilfe? Das Merkmal des selektiven wirtschaftlichen Vorteils als Stoplerstein, Deutsches Steuerrecht 2025, 680 ff.
  36. a b Krumm in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 177. Ergänzungslieferung 2025, § 3a EStG, Rn. 10.