Robert Raphael Geis

Robert Raphael Geis (geboren am 4. Juli 1906 in Frankfurt am Main; gestorben am 18. Mai 1972 in Baden-Baden) war ein deutscher Judaist und Rabbiner.

Leben

Robert Raphael Geis wuchs als Sohn des Moritz Geis und seiner Frau Sittah geborene Stern in einer wohlhabenden, assimilierten Familie auf. Ab 1916 besuchte er das Gymnasium in Frankfurt. Von 1925 bis 1932 studierte er an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin und zwischenzeitlich auch am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau. Daneben studierte er Geschichte, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Berlin, Breslau und Köln. Er stand in engem Kontakt zu seinem Lehrer Leo Baeck sowie mit dem Kreis um Martin Buber und Franz Rosenzweig.

Neben seinem Judentum fühlte sich Robert Raphael Geis der deutschen Kultur verbunden und studierte intensiv die deutsche Geschichte, ursprünglich bei Friedrich Meinecke, dann in Breslau bei Johannes Ziekursch, dem er dann nach Köln folgte, um bei ihm über Der Sturz des Reichskanzlers Caprivi zu promovieren. 1930 erwarb er seinen Doktortitel.

1932 wurde er Jugend-Rabbiner in München. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten kam es mit seinem Gemeindevorstand zu einer harten Auseinandersetzung, als dieser von Geis verlangte, dass er die von den Nationalsozialisten ausgegrabenen Urnen von Kurt Eisner und Gustav Landauer heimlich und ohne die Gräber zu bezeichnen irgendwo an der Friedhofsmauer beisetzen solle. 1933 lud Kardinal Faulhaber anlässlich einer seiner Adventspredigten gegen den Antisemitismus Geis ein, mit ihm gemeinsam in die Kirche einzuziehen.

Geis wurde zweiter Stadtrabbiner in Mannheim, 1937 Landesrabbiner in Kassel und war formal bis 1939 Oberrabbiner von Hessen. Im November 1938 wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach Vorlage von Ausreisepapieren wurde er unter der Bedingung, dass er Deutschland verlässt und sein Eigentum „arisiert“ wird, am 7. Dezember 1938 entlassen. Am 5. Februar 1939 verließ er Deutschland und gelangte über Paris zum Besuch seiner Schwester Ilse am 20. Februar 1939 nach Haifa in Palästina.[1]

Nach dem Krieg war er Rabbiner in England, der Schweiz (Zürich, seit 1947) und in den Niederlanden (Amsterdam, seit 1949). Von 1952 bis 1956 war er Landesrabbiner für Baden in Karlsruhe, seit 1969 Honorarprofessor an der Pädagogischen Hochschule Duisburg, 1971 an die Universität Göttingen berufen.

Seine Humanität und sein in jeder Hinsicht vorbildliches Verhalten trugen ihm bald den Ehrennamen Aba Geis ein. Geis setzte sich als Landesrabbiner für eine Erneuerung des Glaubensgesprächs zwischen Juden und Christen ein. Er beteiligte sich an der der ständigen Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, die 1961 auf Initiative von Helmut Gollwitzer entstanden war. Nachdem Gollwitzer 1963 einem Vertreter der „Judenmission“, Wulf Thiel, dem Herausgeber der konservativ-lutherischen Berliner Kirchenbriefe, in einem Leserbrief zugestanden hatte, dass es eine bleibende „Verpflichtung“ der Christen „zum Evangeliumszeugnis gegenüber dem Judentum“ gebe, kam es zum sog. „Purim-Streit“.[2] Geis protestierte anlässlich der Woche der Brüderlichkeit in der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden“ heftig.[3] Gollwitzer reagierte darauf mit der Bitte, „... daß der andere seine Erkenntnis bezeugt und ich die meine, daß unser Dialog nicht ein harmonischer, sondern ein kritischer, gegenseitig kritischer ist, das gibt unserem Zusammensein die Spannung und damit die Fruchtbarkeit“.[4] Geis erwiderte: „Einmal hatte die Kirche die Chance des Christusbekenntnisses gegenüber uns Juden: im Dritten Reich. Diese Chance ist nicht wahrgenommen worden, sonst hätten Tausende und Abertausende von Christen für uns und mit uns in den Tod gehen müssen... Menschliche Scham sollte eine Benutzung des Ausdruckes vom Zeugnischarakter des Christentums gegenüber dem Judentum in dem von Ihnen gebrauchten Sinn verbieten.“[5] Es kam schließlich zur Versöhnung und Geis erhielt 1970 die Buber-Rosenzweig-Medaille.

Schriften

  • Der Begriff des Patriotentums bei Hermann Cohen, 1942
  • Männer des Glaubens im deutschen Widerstand, Frankfurt am Main 1959 (gemeinsam mit Oskar Hammelsbeck und Oskar Simmel)
  • Vom unbekannten Judentum, Freiburg im Breisgau 1961
  • Versuche des Verstehens. Dokumente jüdisch-christlicher Begegnung aus den Jahren 1918-1933. München 1966 (als Hrsg. gemeinsam mit Hans-Joachim Kraus).
  • Gottes Minorität. Beiträge zur jüdischen Theologie und zur Geschichte der Juden in Deutschland, München 1971
  • Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906-1972. Briefe, Reden, Aufsätze, hrsg. von D. Goldschmidt in Zusammenarbeit mit Ingrid Überschär, München 1984

Literatur

  • Desider Stern: Werke von Autoren jüdischer Herkunft in deutscher Sprache. Eine Bio-Bibliographie. 2. revidierte und bedeutend erweiterte Auflage. B’nai B’rith, München 1969.
  • Walter Tetzlaff: 2000 Kurzbiographien bedeutender deutscher Juden des 20. Jahrhunderts. Askania-Verlags-Gesellschaft, Lindhorst 1982, ISBN 3-921730-10-4.
  • Dietrich Goldschmidt, Ingrid Ueberschär (Hrsg.): Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906–1972. Briefe, Reden, Aufsätze. Kaiser, München 1984, ISBN 3-459-01568-3.
  • Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4.
  • Julius H. Schoeps (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums. Bertelsmann-Lexikon-Verlag, Gütersloh u. a. 1992, ISBN 3-570-09877-X.
  • Robert Jütte: Die Emigration der deutschsprachigen „Wissenschaft des Judentums“ : die Auswanderung jüdischer Historiker nach Palästina 1933 - 1945. Stuttgart : Steiner 1991, S. 193–195
  • Geis, Robert Raphael, in: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München: Saur, 1980, S. 215

Einzelnachweise

  1. Gedenkstätte Buchenwald: Robert Raphael Geis 4.7.1906 (Frankfurt a. M., Deutsches Reich) – 18.5.1972 (Baden-Baden, BRD)
  2. dargestellt in: Andreas Pangritz: Helmut Gollwitzers Theologie des christlich-jüdischen Verhältnisses, in: Evang. Theol. 56. Jg., Heft 4, S. 359–376
  3. R. R. Geis, Judenmission. Eine Purimbetrachtung zur „Woche der Brüderlichkeit“, in: Allgemeine Wochenzeitung der Juden vom 8.3.1964: „Die Judenmission wird jetzt mit einem Mal von diesem Systematiker der evangelischen Theologie nicht mehr so strikt abgelehnt, sie soll nur nicht ,νοη hohem Roß' erfolgen, Infanterie ist die Buße für das Schweigen der Kirche bei der Ermordung von Millionen Juden. Es könnte einem speiübel werden. Aber es ist ja Purim. Einen Kognak bitte!“ (zit. nach: Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906-1972. Briefe, Reden, Aufsätze, hrsg. von D. Goldschmidt in Zusammenarbeit mit Ingrid Überschär, München 1984, S. 244)
  4. H. Gollwitzer, Brief an R. R. Geis vom 14.3.1964, zit. nach: „Leiden“, S. 247 u. 249
  5. R. R. Geis, Brief an H. Gollwitzer vom 18.3.1964, zit. nach: Leiden, 253. - Vgl. auch den Brief von Geis an Gollwitzer vom 23.3.1964: „Ich möchte mich nicht noch einmal darüber auslassen, daß ich von dem Zeugnis im Wort weder von Juden noch von Christen viel halte und immer noch der Meinung bin, Zeugnis hätten wir beide allein durch unser Tun abzulegen.“ (zit. nach: Leiden, 259).