Riesen-Gorilla des Museum Umlauff

Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff (zeitgenössische Bezeichnung laut der Ausstellungsbroschüre[1]) war eine Dermoplastik eines im April 1900 in der deutschen Kolonie Kamerun erlegten Gorillas, dessen Skelett, Häute und Felle nach Hamburg gebracht und dort von der Firma J. F. G. Umlauff präpariert wurden. Der „Riesen-Gorilla“ wurde zuerst Ende Januar 1901 in Umlauff's Weltmuseum und anschließend in weiteren Städten des Deutschen Reichs ausgestellt. Dem voraus gingen die ersten nach Europa gelieferten Gorilla-Lebendexemplare Jenny (1855, England) und M’Pungu (1875, Deutschland).
Entstehungsgeschichte der Dermoplastik
Firma und Museum J. F. G. Umlauff
Sowohl der Ankauf des Skeletts und der Häute des Gorillas als auch seine Präparation und Ausstellung lagen in Händen der Firma J. F. G. Umlauff (auch J. F. G. Umlauff Naturalienhandlung und Museum) in Hamburg. Johann Friedrich Gustav Umlauff (1833–1889) hatte die Firma 1868 auf der Reeperbahn gegründet. Sein Unternehmen entwickelte sich rasch zu einem der führenden Handelsunternehmen von „Naturalien und Kuriositäten aus Übersee“[2] wie beispielsweise Muscheln, Tierpräparaten oder -skeletten, aber auch ethnografischen Alltagsgegenständen oder Menschenfiguren. Umlauff heiratete 1863 in zweiter Ehe Caroline Hagenbeck, die Schwester von Carl Hagenbeck, mit dem er in engem geschäftlichen Kontakt stand.[2] 1884 eröffnete er am Spielbudenplatz ein Museum, das sein Sohn Heinrich Umlauff im Jahr 1889 in Umlauffs Weltmuseum umbenannte und in dem neben seinem Warensortiment auch Völkerschauen gezeigt wurden.[3] Seine Brüder Johannes und Wilhelm Umlauff spezialisierten sich als Tierpräparatoren und entwickelten ein dermoplastisches Verfahren, um die präparierten Tiere in einer möglichst lebensnahen oder dramatischen Situationen zu inszenieren.[2] Sie schufen auch den „Riesen-Gorilla“.
Herkunft des Gorillas
In der 16-seitigen Ausstellungsbroschüre[1] wird behauptet, der Gorilla sei am 15. April 1900 von Hans Paschen (einem Händler und Jäger aus Schwerin) „in Yaunde, im Hinterland von Kamerun“ erlegt worden. Laut der Broschüre waren Gorillas in dieser Gegend selten und eher am Kongo anzutreffen. Weiter wird behauptet, Paschen und „sein schwarzes ‚Jagdgefolge‘“[4] hätten den Gorilla zuerst eingekreist. Aus der Perspektive Paschens wird anschließend geschildert, der Gorilla sei auf einen Baum geklettert und „lugte […] durch eine Lücke in dem schützenden Laubdache. Dies war sein Verderben, denn im selben Augenblicke erhielt er auch schon meine Kugel. […] Vor mir lag ein gefällter Riese, auch noch im Tode furchtbar!“.[5] In diesen Schilderungen Paschens wird nicht erwähnt, dass bei der Jagd auf den Gorilla Menschen zu Schaden gekommen wären. Dem widerspricht jedoch ein vermeintlicher Zeuge am Ende der Broschüre, der versichert, dass der Gorilla während der Jagd „3 unvorsichtige Yaundeleute zu fassen bekam, und sie durch Eindrücken des Brustkorbs tötete“.[5]
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„Herr H. Paschen, Schwerin“ -
„Der Gorilla während des Rastens in Tsonu-town“ -
„Der erlegte Gorilla in sitzender Stellung“
Bei dem Gorilla soll es sich laut Ausstellungsbroschüre um „das grösste Exemplar, das je von einem Weissen erlegt wurde“, gehandelt haben. Nach Angaben Paschens habe der Gorilla „vom Scheitel bis zur mittelsten Zehe eine Länge von 2 Metern und 7 ctm“ und „von Mittelfinger zu Mittelfinger eine Spannbreite von 2,80 Metern“ gemessen und nach seiner Schätzung „500 Pfd.“ gewogen. Paschen ließ den Gorilla vor Ort „abbalgen und skelettieren“ und verkaufte Skelett und Haut des Gorillas nach seiner Rückkehr nach Hamburg an Johannes Umlauff.[6]
Präparation
Die Brüder Wilhelm und Johannes Umlauff arbeiteten vier Monate an der Dermoplastik des Gorillas. Wilhelm (Willy) Umlauff, der sich selbst als Künstler verstand, fertigte ein Modell an. Johannes Umlauff, der zuvor Knochen und Haut des Gorillas konservatorisch behandelt hatte, modellierte einen künstlichen Körper aus Gips, der mit der Haut des Gorillas überzogen wurde. An einigen Stellen musste mit künstlichen Haaren nachgebessert oder nachkoloriert werden.[7]
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„Herr Willy Umlauff am Modell arbeitend“ -
Johannes Umlauf modelliert eine Hohlfigur aus Gips[8] -
„Menschenskelet und Skelet des Gorilla“
Laut der Ausstellungsbroschüre habe Willy Umlauff den Gorilla in „seiner ganzen grossartigen Schönheit und Furchtbarkeit“ gestaltet. Es sei dem „Künstler“ gelungen, den „toten Riesen möglichst naturgetreu und lebensnah zu treffen“.[9] Gemäß des dermoplastischen Verfahrens als „Ikonographien des Emotionalen“[10] sollte der Gorilla in einer Kampfsituation inszeniert werden – auf seinen Hinterbeinen stehend und in einer aggressiven Drohgebärde, was durch das offene Maul und die gefletschten Zähne unterstützt wird. Nach Britta Lange sei die Körperhaltung kaum realistisch, denn Affen können sich nur kurze Zeit auf den Hinterbeinen halten. Indem sich der Gorilla mit dem rechten Arm auf einer Wurzel abstützt, lasse der „unnatürlich gerade Rücken […] ihn dabei so groß wie möglich erscheinen“.[6]
Ausstellung

Der „Riesen-Gorilla“ wurde erstmals am 25. Januar 1901 in Umlauff's Weltmuseum gezeigt[11] und habe „Bewunderung und Staunen“ erregt und eine „wahre Völkerwanderung“ ausgelöst.[9] Johannes Umlauff schrieb in seinen Erinnerungen:
„Nachdem nun alles fix und fertig war, arrangierte mein Bruder Heinrich einen Tag, wo alle Wissenschaftler aus Hamburg eingeladen wurden. Auch kam von Berlin Prof. Matschi und viele andere Professoren, aus Lübeck, Dresden, Leipzig, Wien, Bukarest Prof. Antipa, und noch viele mehr. Es war auf St. Pauli wirklich eine Menschenmenge versammelt, an dem einen Tag waren allein 3000 Personen, die sich den Gorilla ansahen und es wurde der Affe von allen Seiten mit grossem Interesse angestaunt. Die Herren Journalisten vieler Zeitungen waren für den Nachmittag geladen und wurde dann der Gorilla des abends ordentlich begossen. Es dauerte bis in die Nacht hinein.“[12]
Auf Wunsch von Kaiser Wilhelm II. wurde er im Februar auf der Berliner Jagd- und Geweihausstellung[4] und anschließend im dortigen Castans Panopticum ausgestellt.[13] In den folgenden Monaten war er unter anderem auch in Dresden und Königsberg[14] und anschließend nochmals in Berlin[15] und Hamburg[16] zu sehen. Auch in der britischen Presse wurde über den „Riesen-Gorilla“ berichtet.[17]
Forschungsstand und Deutung
Die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange geht in ihrer 2005 erschienenen Dissertation Echt. Unecht Lebensecht. Menschenbilder im Umlauf ausführlich auf den Riesen-Gorilla und dessen Deutung und Rezeption ein. Die Brüder Umlauff hätten mit der Inszenierung des Gorillas einerseits das „Stereotyp des Gorillas als Bestie“ bedient. In diesem Sinne entspräche die Dermoplastik dem zeitgenössisch typischen Muster der Trophäenpräparation eines aggressiven Tieres, das „seine Tötung geradezu herauszufordern“ scheint.[4] Zugleich wird durch den aufrechten Gang des Gorillas auch seine Menschenähnlichkeit betont, um beispielsweise auf dem Foto „Der erlegte Gorilla in sitzender Stellung“ (siehe oben) eine „Ähnlichkeit zwischen dem Gorilla und den Schwarzen“ zu suggerieren. In der damaligen wissenschaftlich-anthropologischen Debatten galt der Gorilla vielen Wissenschaftler als „missing-link“ zwischen Mensch und Tier, der beispielsweise nach Ernst Haeckel „am ehesten zwischen Primaten und ‚Primitiven‘, und das hieße: zwischen Gorillas und Schwarzafrikanern“ zu suchen sei.[12] Lange sieht in der heroischen Beschreibung der Gorillajagd zugleich auch ein politisches Motiv als Symbol der Überlegenheit und „der Unterwerfung der afrikanischen Kolonien durch die Deutschen“.[10]
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Bericht in der britischen Illustrierten The Sphere, 20. Juli 1901 -
Ernst Haeckel im Phyletischen Museum Jena, Foto 1909[18] -
Frauenraub – Dermoplastik von Johannes Umlauff von 1910
Der Gorilla von 1901 soll sich heute im Natural History Museum at Tring in London befinden.[19] Die Brüder Umlauff fertigten im Laufe der folgenden Jahre noch weitere Gorilla-Dermoplastiken an, die sich als gewinnbringendes Geschäft erwiesen.[7] Ein weiteres Exemplar findet sich im Phyletischen Museum in Jena. Museumsleiter und Zoologe Ernst Haeckel erhielt ihn 1909 von seiner Tochter geschenkt.[18] Aus dem Jahr 1910 ist eine Fotografie eines Gorillas überliefert, der eine Frau entführt, den Johannes Umlauf für eine Ausstellung in Buenos Aires anfertigte. Das Motiv ist angelehnt an frühere Skulpturen des französischen Bildhauers Emmanuel Frémiet und wurde später in King-Kong-Filmen aufgegriffen.[20]
Literatur
- Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Menschenbilder im Umlauf. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2006, ISBN 3-931659-81-X.
Ausstellungsbroschüre
- Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff Hamburg. Schilderung seiner Erlegung und wissenschaftliche Beschreibung. (Broschüre, ohne Autorangabe) Hamburg 1901.
Weblinks
- Bastienne Karg: Der Gorilla aus dem Phyletischen Museum Jena. Online unter: koloniales-erbe-thueringen.de, ohne Datum
- Britta Lange: Ein Riesengorilla auf Sankt Pauli. Online unter: thing-hamburg.de, 2. März 2007
Einzelnachweise
- ↑ a b c Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff Hamburg. Schilderung seiner Erlegung und wissenschaftliche Beschreibung. Hamburg 1901, Foto des Gorillas auf S. 11.
- ↑ a b c Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 7.
- ↑ Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 14.
- ↑ a b c Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 96 f.
- ↑ a b Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff Hamburg. Hamburg 1901, S. 4 ff.
- ↑ a b Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 88.
- ↑ a b Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 102–105.
- ↑ Foto aus dem Nachlass von gisela Bührmann, Museum für Völkerkunder Hamburg, in: Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 102.
- ↑ a b Der Riesen-Gorilla des Museum Umlauff Hamburg. Hamburg 1901, S. 8 f.
- ↑ a b Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 98 f.
- ↑ Das Museum Umlauff und der Riesengorilla. In: Hamburger Neueste Nachrichten, 25. Januar 1901.
- ↑ a b Zitiert nach: Britta Lange: Ein Riesengorilla auf Sankt Pauli. Online unter: thing-hamburg.de, 2. März 2007, abgerufen 15. September 2025
- ↑ Castans Panopticum. In: Berliner Börsenzeitung, 24. Februar 1901.
- ↑ Eine Ehrengabe in Form eines silbernen Pokals. In: Hamburgischer Correspondent, 19. April 1901.
- ↑ Gorilla-Ausstellung im Zoologischen Garten. In: Vorwärts, 25. August 1901.
- ↑ Eine hochinteressante Sonder-Ausstellung. In: Hamburger Echo, 10. September 1901.
- ↑ Percy Home: The Shooting of the hughest known Gorilla. In: The Sphere, 20. Juli 1901 (s. Abbildung unten)
- ↑ a b Bastienne Karg: Der Gorilla aus dem Phyletischen Museum Jena. Online unter: koloniales-erbe-thueringen.de, ohne Datum, abgerufen 13. September 2025
- ↑ Britta Lange: Ein Riesengorilla auf Sankt Pauli. Online unter: thing-hamburg.de, 2. März 2007, abgerufen 15. September 2025. In diesem Amateurvideo ist tatsächlich eine sehr ähnliche Dermoplastik zu sehen.
- ↑ Britta Lange: Echt. Unecht. Lebensecht. Berlin 2006, S. 122.