Reptation (Chemie)
Reptation ist in der Chemie und der Polymerphysik eine Form thermischer Bewegung langer kettenförmiger Makromoleküle, die Verschlaufungen aufweisen.[1][2] Bildet ein kettenförmiges Makromolekül mit umgebenden anderen kettenförmigen Makromolekülen in einer Polymerschmelze oder einer konzentrierten Polymerlösung Verschlaufungen aus, stellen diese topologische Restriktionen der molekularen Bewegung des betrachteten Makromoleküls dar.[3] Das Reptationsmodell beschreibt den Einfluss der intermolekularen Verschlaufungen auf Dynamik und Rheologie von Polymeren. Reptation gilt als der dem viskosen Fließen verschlaufter amorpher Polymere zugrundeliegende Mechanismus. Das Reptationsmodell beruht auf Arbeiten von Pierre-Gilles de Gennes[4][5] sowie von Samuel Edwards und Masao Doi.[6] De Gennes erhielt unter anderem für seine Beiträge zur Entwicklung des Reptationsmodells 1991 den Nobelpreis für Physik.[7] Ähnliche Phänomene wurden bei Proteinen beobachtet.[8] Eng verwandt mit Reptation ist das Repton-Konzept.[9][10]
Bedingungen für das Auftreten von Reptation
Reptation tritt nur bei verschlauften kettenförmigen Makromolekülen auf. Dazu muss die mittlere molare Masse der kettenförmigen Makromoleküle größer als die kritische Schwelle der molaren Masse für das Auftreten von Verschlaufungen sein. Die Dynamik kurzer Ketten, deren molare Masse kleiner als ist, wird durch das Rouse-Modell beschrieben. Verschlaufte Polymere besitzen als effektive interne Längenskala die mittlere Kettenlänge zwischen zwei Verschlaufungen. Kettensegmente mit der mittleren Kettenlänge zwischen zwei Verschlaufungen besitzen eine molare Masse . ist typischerweise 1,4 bis 3,5 mal so groß wie .[11] Verschlaufungen mit anderen Polymerketten limitieren die Mobilität einer betrachteten Polymerkette.[12] Da die Zahl der Verschlaufungen pro Kette mit zunehmendem Molekulargewicht stark ansteigt und die Kettenmobilität entsprechend stark abnimmt, hat das Molekulargewicht hat einen erheblichen Einfluss auf die Relaxationszeit und die Viskosität verschlaufter Polymere. Der resultierende Anstieg der Relaxationszeit kann sogar zu viskoelastischem Verhalten führen, das oft in Polymerschmelzen auftritt. Dies ist ein signifikanter Unterschied zu nicht verschlauften Polymeren mit Rouse-Dynamik, für die die Relaxationszeiten und die Viskosität proportional zum Molekulargewicht sind.[13]
Theorie und Mechanismus

Das Reptationsmodell beschreibt den Einfluss der Verschlaufungen zwischen kettenförmigen Makromolekülen auf den Zusammenhang zwischen deren mittlerer molarer Masse und deren Relaxationszeiten. In Gegenwart von Verschlaufungen ist die Relaxationszeit proportional zur dritten Potenz der molaren Masse der kettenförrmgen Makromoleküle: . Diese Vorhersage lässt sich mit simplen Argumenten begründen. Zunächst nimmt man an, dass ein betrachtetes kettenförmiges Makromolekül ein röhrenartiges, in der Regel mehrfach gekrümmtes Volumen mit der Röhrenlänge einnimmt. Durch diese Röhre kann das betrachtete kettenförmige Makromolekül mittels einer Reptation genannten schlangenartigen Bewegung diffundieren. Dabei bewegt sich das kettenförmige Makromolekül aus einem Teil des röhrenförmigen Volumens heraus, während sich am anderen, sich vorwärts bewegenden Ende des kettenförmigen Makromoleküls neue Röhrensegmente bilden. Auf einer mit vergleichbaren Zeitskala findet eine globale Gesamtbewegung des kettenförmigen Makromoleküls aus dem ursprünglichen röhrenartigen Volumen in ein komplett neugebildetes röhrenartiges Volumen statt. Die Mobilität des röhrenartigen Volumens kann dann wie folgt definiert werden:
Hierbei ist die Geschwindigkeit des kettenförmigen Makromoleküls, auf welches eine ziehende Kraft wirkt. Des Weiteren ist invers proportional zum Polymerisationsgrad des kettenförmigen Makromoleküls und folglich auch zu dessen Molekulargewicht.
Die Diffusivität des kettenförmigen Makromoleküls durch das röhrenartige Volumen ist:
Hierbei ist die Boltzmann-Konstante und die absolute Temperatur. Im eindimensionalen Fall ist die mittlere quadratische Verschiebung aufgrund der Brownschen Molekularbewegung gegeben durch:
Einsetzen des obigen Ausdrucks für ergibt:
Die Zeit , die ein kettenförmiges Makromolekül benötigt, um ein ursprüngliches röhrenförmiges Volumen komplett zu räumen und in ein neues röhrenförmiges Volumen zu diffundieren, wird dann:
Nimmt man an, dass mit der Relaxationszeit vergleichbar ist, wird . Da proportional und umgekehrt proportional zu ist, folgt und somit . Tritt Reptation auf, sind der Selbstdiffusionskoeffizient und die konformationelle Relaxationszeit kettenförmiger Makromoleküle proportional zu and .[14][15]
Blob-Modell

Im Blob-Modell[16] besteht die betrachtete Polymerkette aus Kuhn-Segmenten mit der Kuhn-Länge . Die Kette bildet zwischen den Verschlaufungen knäuelartige "Blobs", die Kuhn-Segmente enthalten. Aus der Betrachtung von Zufallsbewegungen lässt sich schließen, dass der durchschnittliche Ende-zu-Ende-Abstand eines Abschnittes einer Polymerkette aus Kuhn-Segmenten gleich ist. Weiterhin wird mit als Gesamtzahl der Blobs einer bestimmten Polymerkette:
Der totale End-zu-End-Abstand einer Mobilitätsrestriktionen durch Verschlaufungen unterworfenen Polymerkette ist dann:
ist die mittlere Länge, über die ein kettenförmiges Makromolekül diffundieren muss, um ein spezifisches röhrenartiges Volumen komplett zu räumen. Die charakteristische Zeit hierfür kann dann mittels Diffusionsgleichungen berechnet werden. Eine klassische Herleitung ergibt die Reptationszeit :
Hiebei ist der Reibungskoeffizient der betrachteten Polymerkette.
Einzelnachweise
- ↑ Gert R. Strobl: The physics of polymers: concepts for understanding their structures and behavior. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-68411-4, 8.3.1 The Reptation Model, S. 338 ff.
- ↑ Vladimir N. Pokrovskii: The Mesoscopic Theory of Polymer Dynamics (= Springer Series in Chemical Physics. Band 95). Springer Netherlands, Dordrecht 2010, ISBN 978-90-481-2230-1, 3.5 Reptation-Tube Model, S. 56 ff., doi:10.1007/978-90-481-2231-8 (springer.com [abgerufen am 8. März 2025]).
- ↑ T. C. B. McLeish: Tube theory of entangled polymer dynamics. In: Advances in Physics. Band 51, Nr. 6, September 2002, ISSN 0001-8732, S. 1379–1527, doi:10.1080/00018730210153216 (tandfonline.com [abgerufen am 8. März 2025]).
- ↑ P. G. de Gennes: Reptation of a Polymer Chain in the Presence of Fixed Obstacles. In: The Journal of Chemical Physics. Band 55, Nr. 2, 15. Juli 1971, ISSN 0021-9606, S. 572–579, doi:10.1063/1.1675789 (aip.org [abgerufen am 8. März 2025]).
- ↑ Pierre-Gilles de Gennes: Entangled polymers. In: Physics Today. Band 36, Nr. 6, 1. Juni 1983, ISSN 0031-9228, S. 33–39, doi:10.1063/1.2915700 (aip.org [abgerufen am 8. März 2025]).
- ↑ Masao Doi, S. F. Edwards: Dynamics of concentrated polymer systems. Part 1.—Brownian motion in the equilibrium state. In: J. Chem. Soc., Faraday Trans. 2. Band 74, 1978, ISSN 0300-9238, S. 1789–1801, doi:10.1039/F29787401789 (rsc.org [abgerufen am 8. März 2025]).
- ↑ Nobel Prize in Physics 1991. The Royal Swedish Academy of Sciences, 16. Oktober 1991, abgerufen am 11. März 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Z. Bu, J. Cook, D. J. Callaway: Dynamic regimes and correlated structural dynamics in native and denatured alpha-lactalbumin. In: Journal of Molecular Biology. 312. Jahrgang, Nr. 4, 2001, S. 865–73, doi:10.1006/jmbi.2001.5006, PMID 11575938.
- ↑ G. T. Barkema, D. Panja, J. M. J. Van Leeuwen: Structural modes of a polymer in the repton model. In: The Journal of Chemical Physics. 134. Jahrgang, Nr. 15, 2011, S. 154901, doi:10.1063/1.3580287, PMID 21513412, arxiv:1102.1394, bibcode:2011JChPh.134o4901B.
- ↑ M. Rubinstein: Discretized model of entangled-polymer dynamics. In: Physical Review Letters. 59. Jahrgang, Nr. 17, 1987, S. 1946–1949, doi:10.1103/PhysRevLett.59.1946, PMID 10035375, bibcode:1987PhRvL..59.1946R.
- ↑ L. J. Fetters, D. J. Lohse, R. H. Colby: Chain Dimensions and Entanglement Spacings. In: J. E. Mark (Hrsg.): Physical Properties of Polymers Handbook. 2. Auflage. Springer, New York 2007, ISBN 978-0-387-69002-5, 25.3, S. 448.
- ↑ S. F. Edwards: The statistical mechanics of polymerized material. In: Proceedings of the Physical Society. 92. Jahrgang, Nr. 1, 1967, S. 9–16, doi:10.1088/0370-1328/92/1/303, bibcode:1967PPS....92....9E.
- ↑ Gert R. Strobl: The physics of polymers: concepts for understanding their structures and behavior. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-68411-4, 6.3.2 Glass–Rubber Transition and Melt Flow, S. 253.
- ↑ V. N. Pokrovskii: A justification of the reptation-tube dynamics of a linear macromolecule in the mesoscopic approach. In: Physica A: Statistical Mechanics and Its Applications. 366. Jahrgang, 2006, S. 88–106, doi:10.1016/j.physa.2005.10.028, bibcode:2006PhyA..366...88P.
- ↑ V. N. Pokrovskii: Reptation and diffusive modes of motion of linear macromolecules. In: Journal of Experimental and Theoretical Physics. 106. Jahrgang, Nr. 3, 2008, S. 604–607, doi:10.1134/S1063776108030205, bibcode:2008JETP..106..604P.
- ↑ J. Duhamel, A. Yekta, M. A. Winnik, T. C. Jao, M. K. Mishra, I. D. Rubin: A blob model to study polymer chain dynamics in solution. In: The Journal of Physical Chemistry. 97. Jahrgang, Nr. 51, 1993, S. 13708, doi:10.1021/j100153a046.