Reinhold von Lüdinghausen

Herrenhaus in Lautitz. 2015.

Friedrich Bernd Reinhold Freiherr von Lüdinghausen genannt Wolff (auch: Reinhold von Lüdinghausen-Wolff) (* 10. Februar 1900 in Gumbinnen; † 14. Februar 1988) war ein deutscher Bankmanager und Mitarbeiter der Dresdner Bank. Er war neben Walter Pohle (Deutsche Bank) und Karl Rasche (Dresdner Bank) einer der Hauptakteure der Arisierungen ab März 1939 im besetzten Sudetenland in der Zeit des Nationalsozialismus.

Leben

Lüdinghausens Eltern waren der Jurist und vormalige Polizeipräsident Freiherr Bernd von Lüdinghausen genannt Wolff (* 1864 ; † 1930) und die Gutserbin zu Glossen Martha Hoffmann, Tochter des Politikers Reinhold Hoffmann, aus Neugersdorf in Sachsen. Der Vater war auch kgl. preuß. Kammerherr, Hauptmann d. R. a. D. Die Mutter erbte vor 1922 das Gut in Glossen bei Löbau. Der Großvater Ferdinand von Lüdinghausen genannt Wolff erhielt 1858 zu Schloß Babelsberg die Genehmigung des Freiherrentitels für Preußen. Reinhold von Lüdinghausen[1] selbst diente im Ersten Weltkrieg noch 1918 als Leutnant im 1. Garde-Regiment zu Fuß, dem Ersten Regiment der Christenheit der preußischen Armee.[2]

Rittergut in Lautitz. 2016.

Schon 1925 war Lüdinghausen selbst Rittergutsbesitzer in Lautitz, was er aber an den Generalbevollmächtigten des Gutes seiner Mutter, Ökonomie-Rat Richter, verpachtete.[3] Ebenfalls 1925 wurde er Prokurist in einem Amsterdamer Bankhaus. Danach verwaltete er zwischenzeitlich das landwirtschaftliche Gut zu Schloss Glossen der Familie in der sächsischen Oberlausitz.[4]

Familie

Freiherr Reinholf von Lüdinghausen heiratete 1938 in Obersdorf Marita Seidel, gebürtig in Aachen. Sie hatten 1940 zwei Kinder, Jörg 1939 in Dresden geboren, und Ingrid, 1940 in Prag geboren, wo die Familie auch Anfang der 1940er Jahre lebte. Lüdinghausen hatte noch mehrere Geschwister. Die Schwester Dora lebte in Ende der 1930er Jahre in den Niederlanden und war mit Johan Gisbert van Houten verheiratet. Die Schwester Ingeborg heiratete 1931 den späteren SA-Obergruppenführer Wilhelm Freiherr von Schorlemer. Sein jüngerer Bruder Berndt-Wolf von Lüdinghausen war Mitglied von NSDAP und SS. Zusammen betreuten sie im Wechsel den ererbten väterlichen Besitz und waren zugleich Mitglieder der Deutschen Adelsgenossenschaft, hier der Landesabteilung Sachsen.[5] Der jüngste Bruder Freiherr Ferdinand von Lüdinghausen-Wolff war ebenfalls SS-Mitglied und mit Editha Freiin von Schröder verheiratet, Tochter des bekanntgewordenen Kurt Freiherr von Schröder.

Zeit des Nationalsozialismus

Um Ende 1931 wurde er Mitglied der NSDAP[4] und führte als Ortsgruppenleiter den Reichstagswahlkampf für die NSDAP in der Oberlausitz. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde er als Filialleiter für die Nürnberger Niederlassung der Dresdner Bank eingestellt, weil der Bankvorstand in der „Stadt der Reichsparteitage“ die jüdischen leitenden Angestellten entlassen wollte. 1934 wurde er Vorsitzender des Aufsichtsrates der Victoria-Werke AG Nürnberg. In dieser Funktion drängte er den jüdischen Direktor und Mitglied des Vorstandes Franz Ottenstein, Sohn des Firmengründers Max Ottenstein, aus seinen Ämtern.

Danach war er ab 1935 Leiter von Filialen der Dresdner Bank in Düsseldorf und Essen, dann Dresden und ab 1938 in Reichenberg im besetzten Sudetenland, dort 1939 Gebietsdirektor. Nach dem Ende September 1938 geschlossenen Münchner Abkommen, mit dem die Tschechoslowakei das Sudetenland abtreten musste, strebte das Reichswirtschaftsministerium die sogenannte „Arisierung“ des dortigen Bankwesens an. Die deutschen Staatsfinanzen waren infolge der von der Hitler-Regierung betriebenen maßlosen Rüstungspolitik notorisch klamm. Daher wurde nach jeder gewaltsamen Besetzung eines dem Deutsche Reich benachbarten Landes, mit großer Eile das betreffende Land wirtschaftlich ausgeschlachtet (Beschlagnahmung der Goldreserven der jeweiligen Staatsbanken, Übernahme bedeutender Wirtschaftsbetriebe etc.), um die deutsche Staatskasse zu sanieren bzw. zu entlasten und den nahenden Finanzkollaps hinauszuzögern.

Von Lüdinghausen organisierte 1938 die Übernahme der Filialen in den sudetendeutschen Gebieten durch die Dresdner Bank, unter deren maßgeblichem Einfluss die „Böhmischen Escompte-Bank und Credit-Anstalt (kurz BEBCA)“ ab März 1939 in eine deutsche Bank umgewandelt wurde. Die Bank war in der Folgezeit ein Instrument der deutschen Wirtschaftsinteressen im Protektorat vor allem bei „Arisierungsvorgängen“ und bei der Förderung deutscher Industrieunternehmen.[6]

1939 wurde er sogleich Vorstandsmitglied der Böhmischen Escompte-Bank.[7] in der besetzten Tschechoslowakei. Im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren wurde er auch stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates von Škoda in Pilsen. In Ungarn wurde er Präsident der „Ungarische Blechemballagenwerke AG“ in Győr. 1940 hatte er den Dienstrang Hauptmann d. R.

Unklar bleibt seine, oder die seiner Brüder Berndt-Wolf von Lüdinghausen respektive Ferdinand von Lüdinghausen, Mitgliedschaft im Freundeskreis Reichsführer SS. Eine nähere Auskunft gibt auch nicht der Dienstkalender Himmlers von 1941, der dazu sogar einen Termin mit Heydrich hatte, zur Verwendung[8] des Frh. von Lüdinghausen.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus

Nach 1945 entging er einer strafrechtlichen Verfolgung oder Entnazifizierung durch Flucht. Die (wohl) genutzte so genannten Rattenlinien führte über Italien (meist von Südtirol nach Genua) oder über Spanien (das unter Herrschaft des mit Hitler verbündeten Diktators Francisco Franco stand) nach Südamerika und dort hauptsächlich nach Argentinien, wo der Sympathisant faschistischer Bewegungen Juan Perón 1946 die Präsidentschaftswahlen gewann. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus arbeitete er zunächst für Banken in Argentinien und Paraguay, später wurde er Filialleiter in Hannover. 1953 wurde er wieder Filialleiter der Hamburger Kreditbank AG in Hamburg und 1956 der Dresdner Bank AG in Hannover. Er wurde Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Sichel-Werke AG“ und hielt weitere Ämter inne.[9]

Reinhold von Lüdinghausen war Ehrensenator der Technischen Hochschule Hannover. Er starb kurz nach seinem 88. Geburtstag.

Schriften

  • Rückblick auf meinen Lebensweg in 80 Jahren unseres 20. Jahrhunderts. La Tour-de-Peilz 1980.
  • Die sächsische Oberlausitz Bauten und Landschaft. Wasmuth AG, Berlin 1922. f. Veränd. Neuausgabe, Verlag Weidlich, Frankfurt/Main 1981, ISBN 3-8035-1118-6.

Literatur

  • Ralf Ahrens: Die Dresdner Bank 1945–1957: Konsequenzen und Kontinuitäten nach dem Ende des NS-Regimes. Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-58303-8.
  • Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Die Dresdner Bank im Dritten Reich. (Vier Bände), Oldenbourg, München 2006, ISBN 3-486-57780-8.
  • Walter von Hueck, u. a.: Genealogisches Handbuch der Freiherrlichen Häuser. A (Uradel). 1979. Band XI, Band 69 der Gesamtreihe GHdA, Hrsg. Deutsches Adelsarchiv, C. A. Starke, Limburg/Lahn 1979.
  • Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser. Zugleich Adelsmatrikel der Deutschen Adelsgenossenschaft. Teil A (Uradel). 1942. Jg. 92, Justus Perthes, Gotha 1941, S. 282.

Einzelnachweise

  1. Deutscher Offizier-Bund (Hrsg.): Ehren-Rangliste des ehemaligen Deutschen Heeres auf Grund der Ranglisten von 1914 mit den inzwischen eingetretenen Veränderungen. Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Berlin 1926, S. 109.
  2. Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. 3. Auflage, Akademie Verlag / Verlag Walter de Gruyter (Online-Ressource), Berlin 2003, ISBN 3-05-004070-X, u. a. S. 277. Auszug, In: Google Books.
  3. Ernst Ullrich, Ernst Seyfert (Hrsg.): Landwirtschaftliches Adreßbuch der Güter und Wirtschaften im Freistaat Sachsen. [1925]. Verzeichnis sämtlicher Rittergüter und Güter bis zur Größe von ungefähr 20 ha. Nach amtlichen Quellen und auf Grund direkter Angaben bearbeitet. In: Niekammer’s Landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher. Band IX, 3. Auflage, Amtshauptmannschaft Löbau, (Letzte Ausgabe-Paul Niekammer-Reihe), Reichenbach`sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1925, S. 48, S. 53.
  4. a b Dieter Ziegler, Maren Janetzko: Die Dresdner Bank im Dritten Reich. Band 2: Die Dresdner Bank und die deutschen Juden. Hrsg. Klaus-Dietmar Henke, Verlag Oldenbourg, München 2006, ISBN 3-486-57781-6, S. 35.
  5. Vgl. Jahrbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft. 1938. Landesabteilung Sachsen. Abteilung 1, Schlieffen-Verlag, Berlin 1938, S. 259.
  6. Im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde sind Unterlagen über Arisierungen einzelner Unternehmen im Protektorat, zur Geschäftsübernahme der sudetendeutschen Filialen durch die Dresdner Bank sowie zur Gewährung von Krediten an das Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft (ff. SS-Wirtschaftsverwaltung-Hauptamt) des Reichsführer SS Heinrich Himmler vorhanden, Stand 25. November 2021.
  7. Biografischer Anhang, In: Johannes Bähr, Ralf Ahrens: Die Dresdner Bank im Dritten Reich. Band 1: Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs. 1. Auflage, Hrsg. Klaus-Dietmar Henke, Verlag Oldenbourg, München 2006, ISBN 3-486-57759-X, S. 607.
  8. Peter Witte, Uwe Lohalm, Wolfgang Scheffler: Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. In: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte / Quellen. Band 3; Hrsg. Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Verlag Christians, Hamburg 1999, ISBN 3-7672-1329-X, S. 329. Anm. 88.
  9. Vgl. Braunbuch der DDR. 3. Auflage, Hrsg. Nationale Front, Staatsverlag, [Ost-]Berlin 1968.