Reiner Kempkens
Reiner Kempkens (* 5. Mai 1873 in Köln-Nippes; † 26. Juli 1927 in Berlin-Spandau) war ein deutscher Journalist und sozialdemokratischer Chefredakteur.
Leben
Kempkens wurde im Kölner Stadtteil Nippes geboren und wuchs in Köln-Mülheim auf. Sein Vater war Friedrich Hermann Kempkens, seine Mutter Anna Maria Kempkens, geborene Giersberg.[1] Nach eigener Aussage war seine proletarische Handwerkerfamilie „erzkatholisch“. Er sei „streng kirchlich erzogen“ worden. Als er 16 Jahre alt war, begann er am christlichen Glauben zu zweifeln. Er beschrieb diese Phase als „Seelenkämpfe“, als langes Ringen, in dem er sich nur sehr langsam von der Kirche entfernte. Er setzte sich mit dem Theodizee-Problem auseinander, wandte sich Freidenkern zu, wurde schließlich Atheist und kam in Kontakt mit sozialistischen Ideen. Dabei spielte eine Rolle, dass er die katholische Kirche als indoktrinierend und intolerant wahrnahm. Ihm widerstrebten der Religionsunterricht in der staatlichen Schule, die Dominanz klerikaler Organisationen in der Jugendpflege sowie der politische Katholizismus. Ihm missfiel die scharfe Rhetorik der Zentrumspartei in seiner rheinischen Heimat gegen die aufstrebende Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung.[2] Diese Erfahrungen und Weltanschauungen sollten seine spätere politische Publizistik prägen.
Wirken
Kempkens absolvierte eine Lehre in einer großen Fabrik für Eisenbahnwagen. In dem Betrieb wandte er sich den Gewerkschaftern und Sozialdemokraten zu. Sie waren in der Belegschaft sehr präsent, organisierten sich aufgrund des bis 1890 geltenden Sozialistengesetzes jedoch heimlich. Als Jugendlicher las er sehr viel, sogar philosophische Klassiker wie Johann Gottlieb Fichte, Immanuel Kant oder Arthur Schopenhauer. Er trat einem Leseklub bei. Dort lernte er den Vertrauensmann der Mülheimer SPD kennen, der ihn in die noch verbotene Partei und befreundete Organisationen und Netzwerke einführte.[3]
Sein großes Interesse an Büchern, Bildungschancen und Kulturveranstaltungen führte ihn in die sozialistische Jugend-, Bildungs- und Kulturarbeit. Er engagierte sich als Mitglied des Ausschusses für Arbeiterbildung des Kölner Gewerkschaftskartells. Dann wandte er sich dem Journalismus zu. Er wurde 1897 Redakteur der sozialdemokratischen Rheinischen Zeitung in Köln.[4]
Am 4. Oktober 1902 heiratete Kempkens in Minden (Weser) die Haustochter Else Carolin Maria Ida Kühler (* 27. September 1880 in Minden), die evangelisch getaufte Tochter eines Mindener Buchbinders.[5] Drei Jahre später bekamen sie einen Sohn, Heinz Kempkens (* 22. August 1905).[6]
1913 wechselte der Redakteur nach Düsseldorf in das Sozialdemokratische Büro für Rheinland und Westfalen. Dies war eine Art gemeinsame Presseagentur der SPD-Zeitungen der Region, die lokale Nachrichten austauschte und versandte. Kempkens wurde die Leitung übertragen. Dem Büro spielte eine wichtige Rolle bei der Koordination der Pressearbeit und in Wahlkämpfen gegen den politischen Katholizismus, also die regional sehr starke Zentrumspartei und deren zahlreiche Zeitungen an Rhein und Ruhr.
Kempkens galt in seiner Partei als ausgewiesener, gefragter Kenner und Kritiker der Zentrumspartei und ihres Milieus – genau wie sein früherer Chefredakteur bei der Rheinischen Zeitung, Johannes Meerfeld. Ihnen war sehr klar, dass die Zentrumspartei nicht zuletzt durch die christlichen Gewerkschaften und katholischen Arbeitervereine großen Einfluss auf genau jene Zielgruppen hatte, die die SPD strategisch gewinnen wollte.[7] Andererseits begann das Zentrum nach 1900 im Reichstag zeit- und themenweise zum parlamentarischen Reformpartner der SPD zu werden, was 1919 in der „Weimarer Koalition“ münden sollten. In vorrevolutionären Preußen allerdings fand die SPD in der Zentrumspartei keinen bereitwilligen Verbündeten bei dem vordringlichen Ziel, das Dreiklassenwahlrecht zu beseitigen, denn dieses begünstigte das Zentrum in den katholischen Gebieten Preußens.[8] Kempkens attestierte dem Zentrum einen Geburtsfehler, dass sie zur Abwehr des Bismarck’schen Kulturkampfes gegründet worden sei und nie ein kongruentes eigenständiges Programm entwickelt habe, trotz der katholischen Soziallehre nicht einmal zur Sozialpolitik. Stattdessen habe die Partei das kluge Taktieren und Anpassen an Machtverhältnisse perfektioniert.[9][10] 1919, in der Anfangszeit der Weimarer Republik, warnte Kempkens seine Genossen, dass das Zentrum vor der Novemberrevolution „nicht nur bis zum letzten Augenblick ein Feind der Republik, sondern sogar ausgesprochen antidemokratisch war“.[11]
Bereits während des Kriegs hatte sich Kempens nach Berlin orientiert, als dort mit dem Ende der Burgfriedenspolitik die Pressearbeit neu aufgestellt wurde. Nach der Novemberrevolution zog er ganz nach Berlin. Am 1. Juli 1919 wurde er Gründungs-Chefredakteur der an diesem Datum gegründeten SPD-Tageszeitung Volksblatt für Spandau und das Havelland in Berlin-Spandau. Er trug die Verantwortung für die Ressorts Politik und Feuilleton. Er blieb in dieser Position bis zu seinem Tod 1927.[12]
Er gehörte zu den treibenden Kräften des Vereins Arbeiterpresse, dem Zusammenschluss sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Zeitungen. Er engagierte sich dort für den Ausbau und die Modernisierung der Parteipresse, für Professionalisierung und die Ausbildung der Volontäre. Er warb dafür, den politikschweren Zeitungen inhaltlich eine attraktivere Mischung als Familienblatt mit mehr Sport, Unterhaltung und beliebten Romanen zu geben, eine frischere Sprache zu verwenden und auf ein modernes illustriertes Design zu setzen.[13]
Er starb im Alter von 54 Jahren nach schwerer Krankheit am 26. Juli 1927 im städtischen Krankenhaus von Berlin-Spandau.[14][15] Er wurde drei Tage später auf dem städtischen Friedhof In den Kisseln, Radelandstraße, in Spandau beerdigt.[16]
Einzelnachweise
- ↑ Heiratsurkunde Nr. 121, 4. Oktober 1902, Kommunalarchiv Minden, von Ancestry.com abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Reiner Kempkens, „Im Kampf um die Weltanschauung. Jugenderinnerungen“, in: Arbeiter-Jugend, Organ für die geistigen und wirtschaftlichen Interessen der jungen Arbeiter und Arbeiterinnen [später Monatsschrift der Sozialistischen Arbeiterjugend]. 10. Jg., Nr. 10, 18. Mai 1918, S. 78–79, 106. Abgerufen von ScriptaPaedagogica (BBF / DIPF), https://scripta.bbf.dipf.de/viewer/fullscreen/027052486_0010/81/ am 25. August 2025
- ↑ Arbeiter-Jugend: Arbeiter-Jugend - 10.1918. 1918, abgerufen am 27. August 2025.
- ↑ Klaus Saul et al. (Hrsg.), Arbeiterfamilien im Kaiserreich: Materialien zur Sozialgeschichte in Deutschland 1871-1914. Athenäum: Königstein/Taunus 1982, S. 289.
- ↑ Heiratsurkunde Nr. 121, 4. Oktober 1902, Kommunalarchiv Minden, von Ancestry.com abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Geburtsurkunde Nr. 379, Minden, 29. August 1905, Kommunalarchiv Minden, von Ancestry.com abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Ilse Fischer / Rüdiger Zimmermann, „Unsere Sehnsucht in Worte kleiden“ : Eugen Prager (1876-1942) : Der Lebensweg eines sozialdemokratischen Journalisten. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2005, S. 37f., abgerufen von https://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/03263.pdf am 25. August 2025.
- ↑ Reiner Kempkens, „Das Zentrum und die preußische Wahlreform“, Die Neue Zeit 36., Jg., 2. Band, Nr. 23, 6. September 1918, S. 535–543, HathiTrust
- ↑ Reiner Kempkens, „Das ,Programm‘ der Zentrumspartei“, Die Neue Zeit 36. Jg., 2. Band, Nr. 15, 12. Juli 1918, S. 366–371, Hathi Trust
- ↑ Reiner Kempkens, „Neuordnung der Zentrumspartei?“, Die Neue Zeit 36. Jg., 2. Bd., Nr. 26, 27. September 1918, S. 615–619 HathiTrust
- ↑ „Die Zentrumpartei vor und nach der Revolution“, Die Neue Zeit 1919, 37. Jg., 1. Bd., Nr. 25, S. 593, HathiTrust abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, 1927, VAP Berlin 1927, S. 72, 557, abgerufen am 25. August 2025 von https://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/bestand/verein-arbeiterpresse/1927.pdf
- ↑ Reiner Kempkens, „Der Ausbau unserer Presse“, in: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse 26. Jg., Nr. 251, 1. März 1926, S. 1–2.
- ↑ Sterbeurkunde Nr. 663, 27. Juli 1927, Standesamt Spandau, Landesarchiv Berlin, von Ancestry.com abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Volksblatt : Organ der Sozialdemokratischen Partei - Deutsches Zeitungsportal. Abgerufen am 27. August 2025.
- ↑ Vorwärts - Deutsches Zeitungsportal. Abgerufen am 27. August 2025.