Recuperatores

Recuperatores (sing.: recuperator; „Wiederhersteller“; steht auch für: Rekuperatorenverfahren) ist im antiken römischen Recht die Bezeichnung für das Richtergremium, das – zur Vermeidung von Pattsituationen – normalerweise aus drei oder fünf Geschworenen bestand (Kollegialgericht). Dieses Richtergremium entschied Rechtsfälle an Stelle des Einzelrichters (iudex unus), wenn eine erhöhte Bedeutung oder Schwere des Falles vorlag. Insbesondere wurden zivilrechtliche Streitfälle vor die Richterbank (apud recuperatores) gebracht, sofern nicht Spezialzuständigkeiten die Gerichtsbarkeit der centumviri (Erbrecht) oder des arbiter (Schiedsverfahren) begründeten.

Geschichtlicher Kontext

Richterliche Tätigkeiten von recuperatores sind vornehmlich aus dem Formularprozess bekannt. Bezeugt sind sie aber schon seit den spätrepublikanischen Legisaktionenverfahren. Im Zusammenhang mit der von Caesar angewiesenen Gründung der spanischen Kolonie Urso (heute Osuna), die nach Bestätigung durch Senat und Volksversammlung auch Stadtrecht erhielt, regelte eine lex Ursonensis alsbald die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften für Rechtsstreitigkeiten.[1]

Verfahren, Zusammensetzung, Fälle

Die historischen Quellen liefern keinen zuverlässigen Nachweis darüber, ab welchem Bedeutungs- oder Dringlichkeitsgrad eine Prozessmaterie dem Rekuperatorenverfahren zugeführt wurde. Eine Abgrenzung gegenüber der Zuständigkeit des Einzelrichters ist daher schwierig. Da sich funktionale Kompetenzunterschiede auch nicht über systematische oder methodische Erwägungen zu den (gemeinsamen) Prozessmerkmalen ermittelt lassen, weil Verfahren vor der Richterbank sich gleichermaßen in verschiedenen Rechtsordnungen und damit zu verschiedenen Materien wiederfinden, kann lediglich pauschal festgehalten werden, dass sie dann in Gang gesetzt wurden, wenn Rechtsverstöße das besondere öffentliche Interessen tangierten oder eine besondere Dringlichkeit für zügiges richterliches Einschreiten bestand. Aufgrund der strafferen Organisation der Richterbänke im Vergleich zum Einzelrichter, ließen Rekuperatorenverfahren eine deutliche Verfahrensbeschleunigung erwarten.[2] Von Vorteil war, dass Richterbänke auch an Tagen verhandeln durften, an denen Gerichtsverhandlungen grundsätzlich eigentlich untersagt waren.

Vorgeschaltet war dem Hauptsacheverfahren ein prozessuales Vorverfahren vor dem Gerichtsmagistraten (in iure). Im zweigeteilten Prozesswesen wirkte dieser als Organ und Repräsentant der römischen Jurisdiktionsgewalt. Regelmäßig handelte es sich um den zuständigen Prätor, der die Voraussetzungen für ein sachgerechtes Klageverfahren fixierte und die Prozessformel festlegte. Ihm oblag es, die Streitsache justiziabel zu machen.

Es wird davon ausgegangen, dass das Rekuperatorenverfahren ursprünglich zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Römern und Peregrinen sowie Peregrinen untereinander eingesetzt wurde, denn für Peregrine galten die leges und damit die Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung (Legisaktionen) nicht. Stattdessen war für die Richterbestellung das Imperium des Gerichtsmagistraten entscheidend, der aufgrund völkerrechtlicher Verträge zur Gewährung von Rechtshilfe auf Gesuch hin, tätig wurde. Später erst erfuhren die Kollegialgerichte Erweiterungen in der Zuständigkeit, indem sie in Ausnahmefällen auch bei Bürgerstreitigkeiten zusammentraten, was daraus resultieren mag, dass die Obrigkeit traditionell erheblichen Einfluss auf sie nahm. Wie der Einzelrichter auch, wurde die Richterbank im Einvernehmen der Parteien bestimmt und bei wechselseitiger Ablehnung (reiectio) durch Auswahl aus einer Richterliste festgelegt.[3] Von der italienischen Forschung immer wieder kritisch hinterfragt,[4] sind bei Otto Lenel zahlreiche ediktale Fälle der Zuweisung von Rechtsmaterien an das Richtergremium beschrieben.[5] Welche weiteren Kompetenzen die Richterbank hatte, ist in einigen Details unklar.[6] Rekuperatorenverfahren werden aber recht zuverlässig in Verbindung gebracht mit Strafklagen zu Freiheitsfragen (causae liberales) und Ladungsverstößen (in ius vocatio).[7] Auch Multprozesse, die die Verhängung von Bußgeldern im Rahmen sittenrichterlicher Sanktionen (nota censoria) vorsahen,[8] sowie Publikanen-[9] und Deliktsprozesse zur Sanktionierung gemeingefährlicher Straftaten,[10] gehörten zum Kompetenzbereich. Fallweise wurden ihnen auch Prozesse wegen Persönlichkeitsverletzungen (iniuria)[11] und zum heiligen Grabesschutz (actio de sepulchro violato)[12] anvertraut.

Besonderheiten

Sofern gewichtige persönliche Gründe den Iudex davon abhielten, seinen Prozess wahrzunehmen, war ein Richtertausch (mutatio iudicis) statthaft. Für die ordnungsgemäße Handhabung war allerdings ein prätorisches Edikt erforderlich.[13] Bezeugt ist zudem, dass Richterbänke teilweise, aber auch ganz ausgetauscht wurden, sofern das Klagerecht noch nicht verbraucht war.[14] Im Rekuperatorenverfahren bestand, vor allem galt das für Multverfahren, bei Kenntnissen um Tatsachen Bezeugungspflicht (potestas denuntiandi). Vor dem Einzelrichter war der Zeuge regelmäßig testis voluntarius, entschied also selbst, ob er aussagen wollte oder nicht.[15]

Literatur

Anmerkungen

  1. Joseph Georg Wolf: Zuständigkeit in Urso In: Andrew Burrows, David Johnston, Reinhard Zimmermann (Hrsg.): Judge and Jurist. Essays in memory of Lord Rodger of Earlsferry. S. 307–323.
  2. Georg Klingenberg: Formularprozess: Verhandlung „apud iudicem“. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 413–475, hier S 416 (Rn. 5).
  3. Johannes Platschek: Formularprozess: Verhandlung „in iure“. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 372–412, hier S 380 (Rn. 16).
  4. Giovanni Pugliese: Il processo civile romano II.1. Il processo formulare. Giuffrè, 1963, S. 209–215.; ders.: Scritti giuridici scelti I. Diritto romano. Jovene, 1985, S. 413–419.; aber auch Lorenzo Gagliardi: Il giudice privato nel processo civile romano. Omaggio ad Alberto Burdese I–III, 2012–2015. Band II, S. 381.
  5. Großteils verarbeitet in den Lenel’schen Titeln XXXI–XXXV; in Otto Lenel: Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, mit dem für die Savigny-Stiftung ausgeschriebenen Preise gekrönt, Leipzig 1927; zuerst 1883 (Digitalisat; PDF; 54,6 MB). S. 377–403.
  6. Einen Kurzüberblick verschafft Georg Klingenberg: Formularprozess: Verhandlung „apud iudicem“. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 413–475, hier S 416 (Rn. 5).
  7. Gaius, Institutiones 4,46.; Ulpian 5 Ad edictum libri LXXXIII, in Digesten 2,4,24.; 2,7,1,3,5. (beschrieben werden beispielsweise unrechtmäßige Vorladungen beim Prätor); vgl. auch Otto Lenel: Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, mit dem für die Savigny-Stiftung ausgeschriebenen Preise gekrönt, Leipzig 1927; zuerst 1883 (Digitalisat; PDF; 54,6 MB). S. 69.
  8. Lex Ursonensis (Fontes Iuris Romani Antejustiniani (FIRA I 21; Cap. 125 f.; 128–132).; vgl. hierzu Jörg Domisch: Margherita Scognamiglio, Lex Fabia. Le origini del plagio (= Diritto senza tempo 4). In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 141, Heft 1, 2024, S. 618–628.
  9. Vgl. [28] Cicero, Veres II, 2,3, 35 und 68–70; Bruno Schmidlin: Si uter volet, recuperatores dabo: Cicero, in Verrem II III 35. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 81, Heft 1, 1964, S. 191–211.
  10. Vgl. Ulpian 56 Ad edictum libri LXXXIII, Digesten 47,8,2pr.; Cicero, Pro M. Tullio 7.
  11. Alessandro Hirata: Klage wegen Persönlichkeitsverletzung („actio iniuriarum“). In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 2 §§ 59–112. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 2637–2646, hier S 2645 (Rn. 26, FN 86); ausführlich dazu Philipp Grzimek: Studien zur Taxatio. (= Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und Antiken Rechtsgeschichte Band 88). Beck, München 2001, aufgegriffen in der Literatur von Inge Hanewinkel: Philipp Grzimek, Studien zur Taxatio. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 121, Heft 1, 2004. S. 628–632.
  12. Ulpian 25 Ad edictum libri LXXXIII, in Digesten 47,12,3,8.; vgl. auch Enrique Lozano Corbi, in Estudios en homenaje al profesor Juan Iglesias. Con motivo de sus bodas de oro con la enseñanza (1936–1986). Band III, 1988. S. 1487–1496.
  13. Paulus 14 Ad (Masurium) Sabinum libri XVI, Digesten 5,1,60 (Tod des Iudex); Ulpian 23 Ad edictum libri LXXXIII, in Digesten 5,1,18pr. (Krankheit, Gefahr für die Familie).
  14. Paulus 14 Ad (Masurium) Sabinum libri XVI, Digesten 5,1,60; Publius Alfenus Varus 6 Digestorum libri XL, in Digesten 5,1,76.
  15. Vgl. Georg Klingenberg: Formularprozess: Verhandlung „apud iudicem“. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Band 1 §§ 1–58. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5, S. 413–475, hier S. 439 (Rn. 44).