Rassemblement wallon

Die Rassemblement wallon RW (Wallonische Sammlung) ist eine der ältesten politischen Parteien in Wallonien, die vor den Wahlen von 1968 gegründet wurde. Sie ist eine mitte-links-orientierte Partei, deren politische Ideologie von Regionalismus und Rattachismus geprägt ist.
Geschichte

Um Belgien stärker zu befrieden, wurde schließlich in den Jahren 1962–1963 eine sogenannte Sprachgrenze zwischen Flandern (dem niederländischsprachigen Norden) und Wallonien (dem französischsprachigen Süden) festgelegt. Für Brüssel wurde eine zweisprachige Lösung gefunden. Während in der Region Brüssel-Hauptstadt die Partei Demokratische Front der Frankophonen FDF (Front démocratique des francophones) für die politischen Belange der französischsprachigen Brüsseler Bürger eintrat, entstand in Wallonien die Partei RW. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie François Perin, Jean Gol[1] oder später Paul-Henry Gendebien gehörten der Partei bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1985 an.
Bei der RW handelte es sich in erster Linie um eine föderalistische politische Partei, die schnell einen wichtigen Platz in der wallonischen politischen Landschaft einnahm und 1971 20 % der Stimmen in Wallonien erhielt. Nach einem leichten Rückgang im Juni 1974 trat die RW der Regierung bei.
Die Regierung Tindemans II zerbrach 1977, als der RW dem Etat des Wirtschaftsministeriums nicht zustimmte, weil dieses sich nicht genug um die Arbeitsplatzverluste in der wallonischen Stahlindustrie kümmerte. Außerdem stellte die RW der Regierung ein Ultimatum, um die Regionalisierung Belgiens gemäß dem Verfassungsartikel voranzutreiben. Daraufhin entließ König Baudouin[2] auf Vorschlag von Premierminister Léo Tindemans[3] am 4. März 1977 die Minister des RW, den Außenhandelsminister Etienne Knoops, Minister für Pensionen Robert Moreau und den Minister ohne Portefeuille beim Wirtschaftsminister Pierre Bertrand. Die folgende Regierung Tindemans III amtierte bis zur vorgezogenen Parlamentswahl am 17. April 1977.[4]
In dieser Zeit verursachte der Parteivorsitzende Paul-Henry Gendebien eine Spaltung zwischen den verschiedenen Tendenzen dieser bis dahin pluralistischen Partei, indem er eine „Linkswende“ durchsetzte, die sich frei an der Doktrin Pierre-Joseph Proudhons orientierte. Diese Spaltung sollte sich für diese einzigartige Erfahrung der Präsenz der Wallonischen Bewegung auf der politischen Bühne als fatal erweisen. Die Reformbewegung MR (Mouvement Réformateur) von André Damseaux[5] fusionierte 1976 mit dem gemäßigten Flügel des Rassemblement Wallon um Jean Gol, Philippe Monfils und François Perin zum Parti de la Liberté et du Progrès en Wallonie (PRLW). 1979 kam die französischsprachige Brüsseler liberale Partei hinzu, wodurch die Parti réformateur libéral (PRL). Aufgespalten in verschiedene Fraktionen verschwand die „Rest-RW “ unter André Libert hingegen praktisch von der politischen Bühne.
Sie wurde einige Jahre später 1999 als Rassemblement Wallonie-France (R.W.F.) wiedergegründet, konnte jedoch bei den Wahlen nicht allein antreten, solange die Brüsseler FDF das Akronym RW schützte (Listenakronyme waren auf sechs Zeichen begrenzt). Infolgedessen war sie Teil des separatistischen Kartells Union für Wallonien (Union pour la Wallonie), das eine Zeit lang W+ hieß, bevor es dem gesamten Kartell seinen Namen gab, das am 20. Juni 2010 zu einer Partei wurde.
Wahlergebnisse
Abgeordnetenkammer
Bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer erzielte die RW folgende Ergebnisse:[6]
| Jahr | Wahl | Stimmenanteil | Sitze |
|---|---|---|---|
| 1968 | 3,4 % | 7/212 | |
| 1971 | 6,7 % | 14/212 | |
| 1974 | 5,9 % | 13/212 | |
| 1977 | 2,4 % | 5/212 | |
| 1978 | 2,9 % | 4/212 | |
| 1981 | 1,7 % | 2/212 | |
| 1985 | 0,1 % | 0/212 | |
| 1987 | 0,2 % | 0/212 | |
| 2010 | 0,1 % | 0/150 | |
| 2014 | 0,02 % | 0/150 |
Senat
Bei den Wahlen zur Senat erzielte die RW folgende Ergebnisse:[7]
| Jahr | Wahl | Stimmenanteil | Sitze |
|---|---|---|---|
| 1968 | 5,7 % | 5/106 | |
| 1971 | 11,49 % | 6/106 | |
| 1974 | 11,37 % | 13/106 | |
| 1977 | 2,87 % | 2/106 | |
| 1978 | 4,87 % | 7/106 | |
| 1981 | 4,28 % | 4/106 | |
| 1985 | 0/106 | ||
| 1987 | 0,24 % | 0/106 |
Wallonisches Parlament
Bei den Wahlen zum Wallonischen Parlament erzielte die RW folgende Ergebnisse:
| Jahr | Wahl | Stimmenanteil | Sitze |
|---|---|---|---|
| 2014 | 0,16 % | 0/75 |
Europawahl 1979
Bei der Europawahl am 10. Juni 1979 gewann die RW in einem Wahlbündnis mit der Front démocratique des francophones (FDF) im französischsprachigen Wahlkollegium 414.603 Stimmen (19,75 Prozent) und konnte mit Paul-Henry Gendebien für die RW sowie Antoinette Spaak für die FDF zwei Mitglieder des Europäischen Parlaments stellen.[8]
Europawahl 1984
Bei der Europawahl am 17. Juni 1984 erhielt die Rest-RW im Wahlbündnis Présence Wallonne en Europe mit der Rassemblement Populaire Wallon (RPW) und der Front pour l’Indépendance de la Wallonie (FIW) im französischsprachigen Wahlkollegium 51.903 Stimmen (2,32 Prozent) und kein Mandat im Europäischen Parlament.[9]
Wallonischer Rat
Im Wallonischen Rat stellte die RW in der Legislaturperiode 1981–1985 zwei der 106 Abgeordneten.
Rat der Französischen Gemeinschaft
Im Rat der Französischen Gemeinschaft stellte die RW in der Legislaturperiode 1981–1985 zwei der 137 Abgeordneten.
Parteivorsitzende
Die Funktion der Parteivorsitzenden bekleideten von 1968 bis 1989:[10]
| Beginn der Amtszeit | Ende der Amtszeit | Parteivorsitzender | Anmerkungen |
|---|---|---|---|
| 6. Juni 1968 | 15. Juni 1974 | François Perin | Wahl am 6. Juni 1968, Wiederwahl am 26. März 1972 |
| 15. Juni 1974 | 20. Oktober 1974 | Robert Moreau | kommissarischer Parteivorsitzender |
| 20. Oktober 1974 | 24. Februar 1979 | Paul-Henry Gendebien | Wahl am 20. Oktober 1974, Wiederwahl am 5. März 1977 |
| 24. Februar 1979 | 8. Oktober 1983 | Henri Mordant | Wahl am 24. Februar 1979, Wiederwahl am 29. März 1981 |
| 8. Oktober 1983 | 22. März 1986 | Fernand Massart | Wahl am 8. Oktober 1983 |
| 22. März 1986 | 1989 | André Libert | Wahl am 22. März 1986 |
Weitere bekannte Politiker der RW waren:
- Augustin Bila, Mitglied der Abgeordnetenkammer (1971–1977)
- Maurice Bologne, Mitglied des Senats (1968–1974)
- Mathilde Boniface, Mitglied der Abgeordnetenkammer (1981–1985)
- Étienne Duvieusart, Mitglied der Abgeordnetenkammer (1974–1977), Mitglied des Senats (1977–1978)
- Jean Duvieusart, Vorsitzender des Wahlbündnisses FDFRW (1968–1972)[11]
- Georges Maes, Mitglied der Abgeordnetenkammer (1971–1977)
- Charly Talbot, Mitglied der Abgeordnetenkammer (1974–1977), Mitglied des Senats (1977–1979)
- Marcel Thiry, Mitglied des Senats (1968–1974)
Hintergrundliteratur
- Daniel Louis Seiler: Les partis politiques en Europe, 1978
- Partis et familles politiques, Presses universitaires de France, 1980
- Daniel Louis Seiler: Les partis autonomistes, PUF, 1982
- John Fitzmaurice: The politics of Belgium. Crisis and compromise in a plural society, C. Hurst, 1988
- John Fitzmaurice: Politics of Belgium. Unique federalism, C. Hurst, 1996
- Pascal Delwit, Jean-Michel de Waele und Paul Magnette: Gouverner la Belgique. Clivages et compromis dans une société complexe, Presses universitaires de France, 1999
- Didier Pavy: Les Belges, Grasset, 1999
- Le parti social chretien. Mutations et perspectives, Ed. de l’Universite de Bruxelles, 2001
- Pascal Delwit: Libéralismes et partis libéraux en Europe, Ed. de l’Universite de Bruxelles, 2002
- Jean-Pierre Stroobants: Belgique, laboratoire de la désunion européenne, Cygne, 2010
- Peter Starke, Alexandra Kaasch, Franca Van Hooren: The Welfare State as Crisis Manager: Explaining the Diversity of Policy Responses to Economic Crisis, Palgrave Macmillan, 2013, ISBN 978-1-137-31484-0.
Einzelnachweise
- ↑ Gol, Jean (John). rulers.org, abgerufen am 31. August 2025 (englisch).
- ↑ Baudouin I. rulers.org, abgerufen am 31. August 2025 (englisch).
- ↑ Tindemans, Léo(nard Clément). rulers.org, abgerufen am 31. August 2025 (englisch).
- ↑ Patrick Dumont, Lieven De Winter, Régis Dandoy: Démissions gouvernementales et performances électorales des majorités sortantes (1946–1999), in: Courrier hebdomadaire du CRISP, Band 17, Nr. 1722, 2001
- ↑ Damseaux, André (Raphael Jean-Marie Maurice Antoine). rulers.org, abgerufen am 31. August 2025 (englisch).
- ↑ Les Elections de la Chambre des Representants 1946–2019 ( vom 2. Dezember 2022 im Internet Archive)
- ↑ Bei der Senatswahl 1968 trat das Wahlbündnis FDFRW-PDLP an. Bei den Senatswahlen 1971, 1978 und 1981 trat das Wahlbündnis FDF-RW an. Bei der Senatswahl 1974 trat die RW wieder mit FDF und PDLP in einem Wahlbündnis an.
- ↑ Europawahl 1979: Französischsprachiges Wahlkollegium. Abgerufen am 31. August 2025.
- ↑ Europawahl 1984: Französischsprachiges Wahlkollegium. Abgerufen am 31. August 2025.
- ↑ Former parties of Belgium ( vom 2. Dezember 2022 im Internet Archive)
- ↑ Duvieusart, Jean (Pierre). rulers.org, abgerufen am 31. August 2025 (englisch).