Quadratische Ergänzung

Die quadratische Ergänzung ist ein Verfahren zum Umformen von Termen, in denen eine Variable quadratisch vorkommt, so dass ein quadriertes Binom („vollständiges Quadrat“) entsteht und die erste oder zweite binomische Formel „rückwärts“ angewendet werden kann. Dieses Verfahren kann zum Beispiel zur Lösung von quadratischen Gleichungen oder zur Bestimmung der Scheitelpunktform (und damit auch des Scheitelpunkts, also des Extremwerts) von quadratischen Funktionen verwendet werden.

In der analytischen Geometrie gehört dieses Verfahren zu den Methoden, mit denen Gleichungen von Quadriken auf eine Normalform gebracht werden können. Dabei werden quadratische Terme in mehreren Variablen (quadratische Formen) umgeformt.

Beispiele

Bestimmung der Scheitelpunktform einer quadratischen Funktion

Eine quadratische Funktion, die in der allgemeinen Form

vorliegt, soll in die Scheitelpunktform

umgewandelt werden, wobei die Koordinaten des Scheitelpunkts sind. Zunächst wird der Leitkoeffizient ausgeklammert:

Der eingeklammerte Term wird jetzt durch das Einfügen der „nahrhaften Null“ (auch „Nullergänzung“ genannt) so umgeformt, dass die erste binomische Formel angewendet werden kann.

Quadratische Ergänzung:
Binomische Formel:
Ausmultiplizieren:
Scheitelpunktform:
Ablesen des Scheitelpunkts:

Beispiel

Gegebene quadratische Funktion:
Ausklammern des Leitkoeffizienten:

Wegen wird die „nahrhafte Null“ eingefügt:

Quadratische Ergänzung:
Binomische Formel:
Ausmultiplizieren:
Scheitelpunktform der Funktion:
Ablesen des Scheitelpunkts:

Lösung einer quadratischen Gleichung

(Es sind die allgemeinen Regeln zum Lösen von Gleichungen zu beachten.)

Gegebene quadratische Gleichung:
Normierung:

Die linke Seite der Gleichung wird jetzt in die Form gebracht, so dass die zweite binomische Formel angewendet werden kann. wird auch auf der rechten Seite der Gleichung addiert:

Quadratische Ergänzung:
Bildung des Quadrats:
Wurzelziehen:
Auflösen der Betragsfunktion: oder
Lösungsmenge:

Bestimmung einer Stammfunktion

Das unbestimmte Integral

soll berechnet werden. Die quadratische Ergänzung im Nenner liefert

Für das Integral bedeutet dies:

Beim letzten Umformungsschritt oben wurde das folgende bekannte Integral eingesetzt, welches man einer Tabelle von Stammfunktionen entnehmen kann:

Normalform einer Quadrik

Die Quadrik

mit

soll auf affine Normalform gebracht werden. Quadratische Ergänzung in der Variablen (d. h. wird als Parameter angesehen) und anschließende quadratische Ergänzung in ergibt

Mit der Substitution , wird also die Gleichung der Quadrik auf die Kreisgleichung transformiert.

Geschichte

Die quadratische Ergänzung samt ihrer geometrischen Veranschaulichung geht zurück auf das Rechenlehrbuch al-Kitāb al-muḫtaṣar fī ḥisāb al-ǧabr wa-ʾl-muqābala (Das kurz gefasste Buch über die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen, entstanden um 825 n. Chr.) des persischen Mathematikers und Universalgelehrten al-Chwarizmi, der im 9. Jahrhundert in Bagdad wirkte. Auf dieses Buch geht auch der Begriff „Algebra“ zurück. 1145 entstand die erste lateinische Übersetzung von Robert von Chester, Liber algebrae et almucabola.[1], die einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Mathematik in der Renaissance hatte. So verweist Cardano in seinem Werk Ars magna explizit auf al-Chwarizmi als den Erfinder der beschriebenen „Kunst“.

Mit „Ergänzen und Ausgleichen“ ist die Addition und gleichzeitige Subtraktion des Terms gemeint, wie in obiger grafischer Animation dargestellt. Dieser Kniff lässt das vollständige Quadrat mit den Seitenlängen entstehen, dessen Flächeninhalt betragen muss, wenn das (reelle) die Gleichung löst. So erhält man die Lösung(en) für .

Literatur

  • Friedrich Adolf Willers, Klaus-Georg Krapf: Elementar-Mathematik: Ein Vorkurs zur Höheren Mathematik. 14. Auflage. Springer, 2013, ISBN 978-3-642-86564-0, S. 84–86
  • Thomas de Padova: Alles wird Zahl. Wie sich die Mathematik in der Renaissance neu erfand. Carl Hanser Verlag, 2021, ISBN 978-3-446-26932-3.
  • Hieronymus Cardanus: [Hieronymi Cardani …] Artis magnae, sive de regulis algebraicis, liber unus : qui & totius operis de arithmetica, quod opus perfectum inscripsit, est in ordine decimus. Nürnberg [Petreius] 1545, doi:10.3931/e-rara-9159 (ETH-Bibliothek Zürich, Shelf Mark: Rar 5506 / Public Domain Mark [PDF; 52,2 MB; abgerufen am 1. November 2024]).
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Einzelnachweise

  1. Louis Charles Karpinski: Robert of Chester’s Latin Translation of the Algebra of Al-Khowarizmi. With an Introduction, Critical Notes and an English Version. The Macmillan Company, London 1915 (englisch, archive.org).