Palikari

Palikari (griechisch παλικάρι) oder Pallikari (παλληκάρι) ist eine aus dem Altgriechischen stammende neugriechische Bezeichnung. Ein „Palikari“ oder „Palikar“ bezeichnet historisch einen jungen griechischen Soldaten, der während der Griechischen Revolution gegen die Osmanen (Türken) kämpfte.[1]
Darüber hinaus stand der Begriff Palikari für einen mutigen, wagemutigen Kämpfer, der furchtlos jeder Bedrohung entgegentrat. Heute wird das Wort in Griechenland häufig als liebevoller Ausdruck verwendet.[1] Ein Palikar ist ein sogenannter "Helden-Bursche".[2]
Die Palikaren in ihrer Nationaltracht bildeten später den Kern der griechischen Armee.[3][4]
Etymologie
Die Wörter „pallikarion“ (παλληκάριον) und „pallikarin“ (παλληκάριν) tauchen in mittelgriechischen Texten des byzantinischen Reiches aus dem 7. Jahrhundert auf.[4][5] Im Englischen findet sich die früheste Erwähnung von „pallikar“ laut dem Oxford English Dictionary in Schriften von Lord Byron aus dem Jahr 1812.[6]
Der Begriff Palikari leitet sich vom altgriechischen Wort pallax/pallex[7] bzw. pallix[8][9] (πάλλαξ/πάλληξ) ab, das „junger Mann“ oder „junger Bursche“ bedeutet. Im modernen Griechisch bezeichnet Palikari – alternativ auch Pallikari[10] – einen jungen Mann in seiner Blütezeit oder jemanden, der eine besondere Leistung vollbracht hat.[8]
Laut dem Babiniotis-Wörterbuch und dem Wörterbuch von Kriaras ist die korrekte Schreibweise ‚pallikari‘ mit -ll-, nicht ‚palikari‘. Das Triantafyllidis-Wörterbuch erlaubt jedoch auch die vereinfachte Schreibweise mit nur einem -l-.[9]
Der Begriff wurde teilweise synonym für Klephten oder Armatolen verwendet und bezeichnete insbesondere junge Krieger.[11][12]
In einem weiteren Sinne wurde Palikari auch für Jungen oder Jugendliche verwendet, die kurz vor der Pubertät standen und unverheiratet waren.[1]
Geschichte
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In der mittelalterlichen Epoche bezog sich „pallikarion“ und „pallikarin“ auf einen zu Fuß gehenden Gehilfen eines berittenen Soldaten, also eine Art Infanterist der griechischen Armee. Der „Palikari“ wurde vor allem in Grenzeinheiten eingesetzt, die verschiedenen Bedrohungen ausgesetzt waren, darunter Bulgaren, Araber und Türken, weshalb ihm Mut und Geschick nachgesagt wurde.[4]
In der Neuzeit war ein Palikar oft ein irregulärer Fußsoldat, bewaffnet mit einer langen Flinte, zwei Pistolen und einem Handschar.[13]
Der Begriff Palikari bezeichnete ursprünglich junge griechische Krieger, die während der osmanischen Herrschaft in Griechenland als Teil der Armatolen und Klephten kämpften.[1][14] Während der Griechischen Revolution von 1821 spielte diese Bezeichnung eine zentrale Rolle für die Guerillakämpfer, die gegen die Osmanen kämpften.[1]
Sie plünderten die Besitztümer der türkischen Elite und beanspruchten bestimmte Gebiete für sich. Obgleich ihre Taten in der griechischen Folklore häufig romantisiert dargestellt werden, waren sie tatsächlich die einzige anhaltende Bedrohung für die osmanische Herrschaft in Griechenland.[15] In Bulgarien übernahmen die Tschetniks eine ähnliche Rolle.[16]
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Die Armatolen waren christlich-griechische Soldaten, die von den Osmanen zur Kontrolle bestimmter Gebiete (sogenannte Armatolikia) für den Sultan eingesetzt wurden. Diese wurden von einem Kapetanios (Hauptmann) geführt und hatten untergebene Kämpfer, die als Palikaren bekannt waren. Sie wurden für ihre Fähigkeiten im Guerillakampf geschätzt, insbesondere im Anlegen von Hinterhalten und im Überleben unter extremen Bedingungen. Viele dieser Kämpfer nutzten Kariofili-Gewehre, die für ihre Präzision bekannt waren. Mit dem Ausbruch der Griechischen Revolution schlossen sich viele Armatolen den Aufständischen an und wurden zu einem wichtigen Bestandteil der griechischen Streitkräfte. Zu den bekanntesten ehemaligen Armatolen, die als Palikaren in der Revolution kämpften, zählen Odysseas Androutsos, Athanasios Diakos, Markos Botsaris und Georgios Karaiskakis.[1]

Nach der Unabhängigkeit Griechenlands fiel es vielen Palikaren schwer, sich an die neue staatliche Ordnung anzupassen. Unter König Otto leisteten einige von ihnen Widerstand gegen die neue Regierung, verwandelten sich in Räuberbanden und belasteten die Landbevölkerung schwer. Um dem entgegenzuwirken, gründete König Otto[15] 1833 unter der Leitung des französischen Philhellenen Greillard ein Gendarmeriekorps mit 1200 Mann. Viele der Offiziere rekrutierten sich aus den Reihen der Pallikaren, die einst im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatten. Die hohe Bezahlung und die Erlaubnis, die traditionelle Kleidung zu tragen, zogen viele ehemalige Klephten an, und das Korps trug wesentlich zur Stabilität des jungen griechischen Staates bei.[2]
Kulturelle Bedeutung

Während der osmanischen Besetzung suchten viele Pallikaren auf den von England kontrollierten Ionischen Inseln Schutz vor den Türken oder den harten Wintern der Gebirge. Sie brachten ihre Volkslieder mit, die sich in der Region verbreiteten. Einige boten den Engländern, die die Inseln besetzt hielten, ihre militärischen Dienste an und trugen so zur Vermischung kontinentaler und insularer Traditionen bei.[17]
Der Philhellenismus erhob die Figur des Palikari zu einem Helden des modernen Griechenlands. Maler, Schriftsteller und Dichter schufen zahlreiche Darstellungen dieser tapferen Kämpfer, darunter Werke von Eduard Magnus, Eugène Delacroix, Theodoros Vryzakis, Théodore Leblanc und Louis Dupré.[4]
Der griechische Schriftsteller und Revolutionär Rigas Velestinlis erwähnt in seinem bekannten Werk Thourios die Pallikaren folgendermaßen: [18]
„Wie lang, ihr Pallikaren, wollt ihr in Knechtschaft leben, wie Löwen einsam, nur von Wildnis rings umgeben, in Höhlen nur als Wohnung, nur Wälder um euch seh’n, die Menschen meiden, um der Knechtschaft zu entgeh’n? Mehr wert ist es, wir leben nur eine Stunde frei, als vierzig Jahr’ geknechtet in finstrer Sklaverei!“
Heute wird der Begriff „Pallikari“ in Griechenland vor allem im übertragenen Sinne verwendet. Er kann sich auf einen jungen, mutigen Mann beziehen, der sich für andere einsetzt, oder allgemein auf einen respektvollen und hilfsbereiten jungen Mann. Die Bezeichnung wird oft von älteren Menschen als Kompliment oder von Müttern für ihre Söhne verwendet, wenn der Pallikari eine schwierige oder ehrenvolle Aufgabe gemeistert hat.[1]
Pallikarismus
In der englischsprachigen Forschung wird der Begriff pallikarism (griechisch παλληκαρισμός, dt. „Pallikarismus“) verwendet. Nach John Koliopoulos bezeichnet er ein Muster populistischer Politik, das auf die Tradition der Pallikaren verweist und ihre Nähe zur Romantisierung des Räubertums sowie zum Einsatz irregulärer Kämpfer betont. Typisch ist eine oppositionelle Haltung gegenüber staatlichen Zielvorgaben, verbunden mit dem Fehlen konkreter und umsetzbarer Prioritäten.[19] Nach ihm zeichnete sich der Pallikarismus durch „heroische Selbstdarstellung, außenpolitische Fehlentscheidungen, deren Zuschreibung an äußere Mächte sowie eine nur oberflächliche Übernahme westlich-liberaler Prinzipien“ aus.[16] Der Pallikarismus wird weiterhin sowohl mit dem griechischen Wert Philotimo (φιλότιμο) und unternehmerischem Ehrgeiz als auch mit Eitelkeit und Überheblichkeit in Verbindung gebracht.[20][21] Zur Zeit der Griechischen Revolution stand der Pallikarismus für Konformität mit einem gesellschaftlich anerkannten Ideal des selbstbewussten Auftretens von Guerillakämpfern.[22]
Nachdem der Pallikarismus 1896 im Zusammenhang mit dem Sieg von Spyridon Louis im Marathonlauf der Olympischen Spiele und in den Worten des Dichters Kostis Palamas für einen Moment seine eigentliche Bedeutung gefunden hatte,[20] trug er nach John Koliopoulos zum verlustreichen Türkisch-Griechischen Krieg von 1897 bei.[23]
Dieses lokale Pendant zum Populismus war nicht nur in Griechenland verbreitet, sondern trat auch in benachbarten Staaten wie Bulgarien auf. Dort wurde beispielsweise die Unterdrückung des Makedonischen Komitees unter Stefan Stambolov und Stojan Danev als Ausdruck solcher pallikaristischen Strömungen gesehen. Selbst in der offiziellen Politik auf dem Balkan im langen 19. Jahrhundert kam es immer wieder zu Elementen dieses maximalistischen Auftretens. Ein Beispiel dafür in der griechischen Politik war die erneute Kooperation von Staat und privaten irredentistischen Gesellschaften nach dem Sturz der Regierung Rallis (1909) und dem Amtsantritt von Eleftherios Venizelos (1910).[19]
Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Begriff παλληκαρισμός (Pallikarismus) in der Jugendzeitschrift Νεολαία verwendet, um eine Kontinuität griechischen Heroismus von der Antike bis zu den Balkankriegen zu betonen und damit die Verteidigung von Vaterland und Freiheit sowie die Mobilisierung zu legitimieren.[24]
Das Erbe der Pallikaren wird mit einer antiautoritären Haltung assoziiert, die sich in Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen äußert. Anhand der Finanzkrise der 2010er Jahre lässt sich diskutieren, inwieweit diese Einstellung zur wirtschaftlichen Instabilität beigetragen haben könnte. Der Pallikarismus steht gegenwärtig sowohl für das Streben nach Freiheit als auch für eine kritische Haltung gegenüber Autoritäten.[15] Auch heute lässt sich Pallikarismus im Kontext des Räubertums beobachten, etwa im Fall des berüchtigten Vassilis Paleokostas, der als „Robin Hood“ bezeichnet wird.[25][26]
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g Palikari - Greek Military Youth Who Fought Against the Ottomans. In: greeker than the greeks. 3. November 2016, abgerufen am 27. Januar 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b Georg Stadtmüller: Der Partisanenkrieg in Südgriechenland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 6. Februar 1957, S. 82 (bpb.de [PDF]).
- ↑ Pierer's Universal-Lexikon. Band 12. Altenburg 1861, S. 574 (zeno.org).
- ↑ a b c d Andreas N: Les palikares en peinture … [Die Palikaren in der Malerei ...] 10. März 2024, abgerufen am 1. Februar 2025 (französisch).
- ↑ Modernes Enzyklopädisches Wörterbuch „Iliou“. IE, Athen, S. 373 (griechisch).
- ↑ pallikar. In: Oxford English Dictionary. Abgerufen am 1. Februar 2025 (englisch).
- ↑ Palikari. Abgerufen am 11. März 2025 (französisch).
- ↑ a b India Doyle: Beautiful Greek Words And Phrases You Cant Translate Into English. In: The Culture Trip. 24. November 2024, abgerufen am 27. Januar 2025 (englisch).
- ↑ a b Παλληκάρι, Παλικάρι ή Παληκάρι;. [Pallikari, Palikari oder Palikar?] In: Philologist-ina. 21. September 2022, abgerufen am 4. Februar 2025 (griechisch).
- ↑ Aris Ioannidis: Παλληκάρι, παλικάρι ή παληκάρι: πώς είναι το σωστό;. [Pallikari, palikari oder palikari: Was ist das Richtige?] In: Schooltime. 23. November 2018, abgerufen am 1. Februar 2025 (griechisch).
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon. Band 15. Leipzig 1908, S. 331 (zeno.org).
- ↑ Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage. Band 2. Leipzig 1911, S. 342 (zeno.org).
- ↑ Herders Conversations-Lexikon. Band 4. Freiburg im Breisgau 1856, S. 444 (zeno.org).
- ↑ Untranslatable Greek Words with No English Equivalent. In: GreekPod101. 27. Juni 2019, abgerufen am 27. Januar 2025 (englisch).
- ↑ a b c Melanie Gounardes: Mentality of Palikaria Still Prevalent in Greece Today. In: Greek Reporter. 28. November 2024, abgerufen am 1. Februar 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b Roumen Daskalov, Tchavdar Marinov: Entangled Histories of the Balkans. Volume One: National Ideologies and Language Policies. Bulgarian-Greek dis/entanglements. Band 1. Brill, Leiden & Boston 2013, S. 237 f. (englisch, cas.bg [PDF]).
- ↑ Stam. C. Caratzas: Die Entstehung der neugriechischen Literatursprache. Band 36. Hamburg 1958, S. 198.
- ↑ Richard Clogg: Eine kurze Geschichte Griechenlands. [Übersetzung aus dem Englischen von Karin E. Seifert und Diana Siebert]. 2020, ISBN 978-3-946142-62-1, S. 41 f. (fu-berlin.de [PDF]).
- ↑ a b Spyros Ploumidis: Nuances of Irredentism: The Epirote Society of Athens (1906-1912). In: The Historical Review/La Revue Historique. Band 8, 6. Juli 2012, ISSN 1791-7603, S. 175, doi:10.12681/hr.280 (englisch, ekt.gr [abgerufen am 25. August 2025]).
- ↑ a b James P. Verinis: Spiridon Loues, the Modern Foustanéla, and the Symbolic Power of Pallikariá at the 1896 Olympic Games. In: Journal of Modern Greek Studies. Band 23, 2005, S. 154–166 (englisch, cloudfront.net [PDF]).
- ↑ Irini Kaberidou: ΤΟ "ΕΠΙΚΙΝΔΥΝΟ ΕΛΛΗΝΙΚΟ ΣΤΟΙΧΕΙΟ" ΣΤΗΝ ΚΥΠΡΟ. [Das ‚gefährliche griechische Element‘ auf Zypern.] In: Φιλοσοφία και Παιδεία. Band 24. Έκδοση της Ένωσης Καθηγητών για την Προαγωγή της Φιλοσοφίας στην Εκπαίδευση (Ε.Κ.Δ.Ε.Φ.), 2018, S. 7 f. (griechisch, uoa.gr [PDF]).
- ↑ Michael Herzfeld: Ours Once More: Folklore, Ideology and the Making of Modern Greece. Berghahn, New York 2020, ISBN 978-1-78920-722-4, S. 57 (englisch, ebin.pub).
- ↑ CHAPTER 4. Salonika to 1912. In: De Gruyter Brill. 15. März 2010, doi:10.1515/9781400834013.51/html (englisch, degruyterbrill.com [abgerufen am 25. August 2025]).
- ↑ Christophe Chalas: L'instrumentalisation du passé en Grèce dans la mobilisation de la jeunesse par le régime du 4 août : octobre 1940-avril 1941. [Die Instrumentalisierung der Vergangenheit in Griechenland bei der Mobilisierung der Jugend durch das Regime des 4. August: Oktober 1940-April 1941]. In: Cahiers balkaniques. Nr. 41, 22. April 2013, ISSN 0290-7402, S. 3, doi:10.4000/ceb.3984 (französisch, openedition.org [abgerufen am 25. August 2025]).
- ↑ James P. Verinis: THE BLACK SWANS OF GREECE'S GLOBAL COUNTRYSIDES: POST-SOCIALIST IMMIGRANT FARMERS, SMALL GREEK FARMS, INTEGRATION, AND [UNDER]DEVELOPMENT. 9. Juli 2016, S. 142 (englisch, academia.edu [abgerufen am 27. August 2025]).
- ↑ Jeff Maysh: The Uncatchable. In: BBC News. 25. September 2014, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).