Olga Markowa Meerson

Olga Markowa Meerson (* 5. Dezember 1885 in Moskau; † 29. Juni 1930 in Berlin)[1][2] war eine russische Malerin der Moderne, Schülerin von Henri Matisse und erste Ehefrau von Heinz Pringsheim.
Leben
Über ihr Geburtsdatum gibt es unterschiedliche Erkenntnisse. Der Medizinhistoriker Robert Jütte – Autor ihrer 2025 im Neofelis Verlag erschienenen Biografie – kommt zu dem Ergebnis, dass sie am 5. Dezember 1882 geboren ist (und nicht 1885). Auch die u. a. Sonderausstellung im Schlossmuseum Murnau spricht von diesem Datum. Aber selbst der 23. November 1878 findet sich an anderer Stelle.[3][4]
Olga Markowa Meerson studierte zunächst in München, unter anderem zusammen mit Wassily Kandinsky, und ab 1908[5] in Frankreich bei Matisse. Sie stand in Kontakt mit Thomas Mann, dem Ehemann ihrer späteren Schwägerin Katia; im Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich ist ein Brief Olga Meersons vom 2. Juli 1911 an Thomas Mann erhalten, in dem die Herkunft des Namens „Tadzio“ thematisiert wird. Tadzio ist eine Hauptfigur in Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig.[6][7]


Meerson suchte auch noch die Nähe Matisses, nachdem dieser sich aus dem Lehrbetrieb zurückgezogen hatte. Sie besuchte ihn häufig in Issy und empfing seine Gegenbesuche am Boulevard des Invalides. 1911 porträtierten Matisse und Meerson einander; eines von Olga Markowa Meersons Matisse-Porträts zeigt den Maler lesend und auf einem Bett liegend. Dieses Gemälde hat insofern Seltenheitswert, als Matisse eine große Scheu davor hatte, sich zur Schau zu stellen, und offenbar ungewöhnlich entspannt agierte, als Olga Markowa Meerson ihn porträtierte. Hilary Spurling schrieb über Matisse und Meerson: „Matisse relaxed for her as he rarely did for the camera, or for the various interviewers, who tried over the next forty years to portray him in words. He was a wary and defensive sitter [...] With Meerson, in the summer of 1911, he lowered his guard.“[8]
Matisse seinerseits malte Meerson nicht nur, sondern nutzte sie auch als Modell für seine Plastik Sitzende Nackte, die ebenfalls 1911 geschaffen wurde. Wahrscheinlich hatten Meerson und Matisse eine Liaison miteinander, die die Eifersucht Amélies, der Ehegattin Matisses, erregte. Nachdem sich Matisse wohl von ihr getrennt hatte, zog Olga Markowa Meerson wieder nach München und heiratete 1912 Heinz Pringsheim.[9]


Nach dieser Eheschließung lebte sie mit Pringsheim in Berlin. 1913 wurde die Tochter Tamara geboren, die später den Mathematiker Theodor Estermann heiratete. Heinz Pringsheims Ehe war offenbar in seiner Familie nicht unumstritten. In einem Brief schrieb Elisabeth Castonier später an Mary Tucholsky: „Seine, Heinzi's, erste Frau war die russische Malerin Olga Merson [sic!] – mit der meine Mutter in Paris russisch schwätzen konnte. Es hieß damals, O. wäre »Anarchistin« und meine Mutter fürchtete immer, dass sie bei ihren allmonatlichen jour fixe's eine loslassen würde, um zu sehn, ob – aber sie tat es nicht. Statt dessen sprang Olga nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Adlon und Heinzi heiratete eine Sängerin, die nicht berühmt werden konnte [...]“[10]
Olga Pringsheim litt unter Depressionen. 1930 schied sie im Alter von 44 Jahren aus dem Leben; sie stürzte sich aus dem vierten Stock des Hotels Adlon in Berlin.[11]
Sie gehört zu denjenigen Frauen in der Kunst, die weitgehend in Vergessenheit geraten sind. 2025 versucht das Schlossmuseum Murnau vom 11. April bis 9. November 2025 mit einer Sonderausstellung, das Leben und Werk der Malerin einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren[4].
Literatur
- Hilary Spurling: Matisse the Master. A Life of Henri Matisse 1909–1954, Penguin Books 2005.
- dt.: Matisse – Leben und Werk, übersetzt von Jürgen Blasius, DuMont, Köln 2006, ISBN 3-8321-7704-3.
- Dagmar Frings und Jörg Kuhn: Die Borchardts. Auf den Spuren einer Berliner Familie, Berlin Hentrich & Hentrich 2011, S. 51 (Olga Meerson im Jahr 1909 als Gast bei dem Maler Felix Borchardt in dessen Haus in Paris, 21, Rue Octave Feuillet) und S. 135, ISBN 978-3-942271-17-2.
- Robert Jütte: Olga Meerson-Pringsheim. In: Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne. Band 36, 2025, ISBN 978-3-95808-455-1 (neofelis-verlag.de).
- Sandra Uhrig: Die Malerin Olga Meerson. Schülerin von Kandinsky – Muse von Matisse. Schloßmuseum Murnau; Ausstellung und Katalog, Langemann & Langemann, München 2025, ISBN 978-3-933602-38-1.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Sterbeurkunde Nr. 86 vom 1. Juli 1930, Standesamt Berlin II. In: ancestry.de. Abgerufen am 25. Juni 2024.
- ↑ Die Lebensdaten wurden von der Original-Sterbeurkunde übernommen. In den anfänglichen Artikel-Bearbeitungen wurde auf die unterschiedlichen Angaben in der Literatur verwiesen. Diese Hinweise werden im Folgenden zur Kenntnisnahme wiedergegeben: Ein Kommentar in Exil im Nebelland. Elisabeth Castoniers Briefe an Mary Tucholsky: Eine Chronik, hg. von Deborah Vietor-Engländer, Bern 2010, ISBN 978-3-03910-037-8, S. 518 gibt an, Olga Markusovna Meerson sei am 23. November 1878 geboren worden und habe 1929 Selbstmord begangen; dasselbe Todesjahr, aber das Geburtsjahr 1880 nennt der Kommentar zu Thomas Mann, Briefe II 1914–1923. Text und Kommentar in einem Band, hg. von Thomas Sprecher u. a., Frankfurt am Main 2004, ISBN 978-3-10-048371-3, S. 542. In Hedwig Pringsheims Tagebuch wird als Todesdatum der 1. Juli 1930 genannt (siehe google books) . Rizzoli, Collecting Matisse, Flammarion 1999, ISBN 978-2-08-013541-4, S. 12 behauptet, die Malerin sei 1878 geboren worden und habe sich erst 1934 oder später, jedenfalls nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, das Leben genommen. Zu den unterschiedlichen Geburtsangaben vgl. Sanda Uhrig (Hg.): Die Malerin Olga Meerson. Schülerin von Kandinsky – Muse von Matisse. Katalog der Ausstellung im Schlossmuseum Murnau (noch bis 9. November 2025). Langemann & Langemann, München 2025. ISBN 9783933602381, S. 13.
- ↑ Tragödie einer Vielgeliebten, Sabine Reithmaier, SZ vom 7. Mai 2025, abgerufen am 18. Mai 2025
- ↑ a b museen-in-bayern.de: Ausstellung im Schlossmuseum Murnau, 11.04.2025 - 09.11.2025, Die Malerin Olga Meerson (1882–1930). Schülerin von Kandinsky, Muse von Matisse. Abgerufen am 22. April 2025.
- ↑ Portrait of Henri Matisse – Olga Meerson auf desdeelotroladodelcuadro.blogspot.de
- ↑ Thomas-Mann-Archiv ( vom 24. Juli 2014 im Internet Archive)
- ↑ Der Brief wurde in T. J. Reed, Thomas Mann. »Der Tod in Venedig«. Text, Materialien, Kommentar, München 1983, S. 86 f. abgedruckt.
- ↑ Hilary Spurling: Matisse the master : a life of Henri Matisse, the conquest of colour, 1909-1954. Penguin Books, 2005, ISBN 0-14-190974-9 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Peter Schjeldahl, Art as Life. The Matisse we never knew, in: The New Yorker, 29. August 2005
- ↑ Exil im Nebelland. Elisabeth Castoniers Briefe an Mary Tucholsky. Eine Chronik, Bern (Peter Lang) 2010, ISBN 978-3-03910-037-8, S. 108
- ↑ Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921; hg. von Peter de Mendelssohn, Frankfurt am Main (S. Fischer Verlag) ²1979, ISBN 3-10-048192-5, S. 787
- ↑ Sandra Uhrig (Hrsg.): Die Malerin Olga Meerson. Schülerin von Kandinsky – Muse von Matisse. Katalog der Ausstellung im Schlossmuseum Murnau. Langemann & Langemann, München 2025, ISBN 978-3-933602-38-1.