Okiek (Ethnie)
Als Okiek oder Ogiek (Einzahlform: Ogiot, Okiok) werden rund zwei Dutzend Gruppen in West-Zentral-Kenia sowie in Tansania bezeichnet, die sprachlich verwandt sind und ursprünglich und teils auch heute von der Jagd und vom Honigsammeln lebten. Ogiek gelten als die zahlenmäßig kleinste ethnische Gruppe in Kenia. Ihr Siedlungsgebiet ist umgeben von dem größeret Volksgruppen wie den Massai, den Kipsigis, Nandi und Kikuyu, meist leben sie jedoch in der Nähe anderer Ogiek-Gruppen. Manchmal werden sie auch Torobbo, Dorobo, Ndorobo oder Andorobo genannt, nach der abwertenden Bezeichnung Il Torobbo, die die Massai für arme Menschen ohne Viehbesitz verwenden, die meist als Jäger und Sammler leben.
Die Gruppen umfassen jeweils etwa 600 bis 900 Personen. Die meisten leben in bewaldeten Gebieten West-Zentral-Kenias (Mau-Wald, Tindiret und nördlich von Nakuru), es gibt aber auch Gruppen in den flachen Savannen im Gebiet der Massai. Die mit Abstand südlichste Gruppe, die Akie, lebt nahe der Massai-Steppe in Tansania.
Ihre ursprüngliche Sprache ist das Okiek, eine zu den Kalenjin-Sprachen gehörende südnilotische Sprache. Ein Teil von ihnen spricht jedoch heute das Maa, die Sprache der Massai, als Muttersprache. Andere sprechen die Sprachen ihrer jeweiligen Nachbarn zumindest als Zweitsprache.
Geschichte

Über die Geschichte der Ogiek vor 1900 ist wenig bekannt. Einige Ogiek, zum Beispiel die Kipchornwonek erzählten Mitte der 80er Jahre, dass sie Ende der 1800er Jahre kurze Strecken nach Süden migriert seien. Andere Gruppen, wie die Kaplelach erinnerten sich an keine anderen Siedlungsgebiete als die, auf denen sie lebten.[1] Laut Roderic Blackburn habe Dundas (1908) vermutet, sie entstammten einem Gebiet, in dem danach die Kikuyu lebten. Die damals in den Savannen gejagt hatten, seien als Agamba bezeichnet worden, und die im Wald gejagt hatten, als Okiek. Huntingford (1929) habe die folgenden drei Hypothesen vorgeschlagen, erstens: die heute als Ogiek bezeichnete Ethnie sei von den nach Süden migrierenden Massai und Nandi als autochthone Gruppe gefunden worden, und habe sich an die Kalendjin assimiliert, zweitens, sie seien ein Teil der Maasai/Nandi-Gruppe, oder drittens, sie seien eine Kalendjin-Gruppe, die sich früher von den anderen Gruppen getrennt hätten als die anderen Kalendjin-Gruppen. Allerdings habe Hantingford in der Sprache Okiek keine Kalendjin-Verwandtschaft gefunden. 1951 habe Huntingford dann den Schluss gezogen, dass die Ogiek mit keiner anderen heute lebenden Ethnie des ostafrikanischen Hochlandes verwandt seien, auch seien sie tradidionell an Wald gebunden und hätten zuvor mit Anbau und Viehhaltung nichts zu tun gehabt.[2]
Kolonialzeit
In der Kolonialzeit (in Kenia: 1885 bis 1963, in Tansania: 1884 bis 1961) verloren vor allem die weiter nördlich lebenden Ogiek-Gruppen Land an die Errichtung von Jagd- und Waldreservaten und an europäische Siedler, während südliche Gruppen ihr Land behalten konnten. Ab den 1930er Jahren diversifizierten sie ihre Wirtschaftsweise und begannen auch Ackerbau und/oder Viehzucht zu betreiben. Die Gruppe der Kipchornwonek begann etwa, Gärten mit Hirse anzulegen, die Kaplelach begannen später mit dem Anbau von Mais. Allmählich gewann die Landwirtschaft an Bedeutung, sodass die Gruppen zunehmend in der Nähe ihrer Felder sesshaft wurden, ihre wenigen Tiere an einem Ort hielten und von dort aus jagen und Honig sammeln gingen.
Nach der Unabhängigkeit Kenias

Nach der Unabhängigkeit Kenias (ab 1961) wurden die höchstgelegenen Wälder zu Schutzgebieten erklärt. Aufgrund von Landgesetzen wurden individuelle Landrechte anstelle des kollektiven Landbesitzes der Gruppen eingeführt, woraufhin viele Ogiek ihr Land verkauften, oft ohne um dessen tatsächlichen Wert zu wissen. Den Erlös aus solchen Verkäufen investierten viele Ogiek für den Bau neuer Häuser mit metallenen Dächern, in kleine Geschäfte und für den Haushaltsbedarf; auch Alkoholismus mahm stark zu. Auch siedelten sich zahlreiche Nicht-Ogiek in den einstigen Gebieten der Ogiek an, und die Waldflächen wurden durch Abholzung stark reduziert. Dies verursachte vor allem im Mau-Wald schwere Umweltprobleme.[3] Seit den 1990er Jahren haben Ogiek gegen Verletzungen ihrer Landrechte protestiert. Auf der kenianischen Seite des Mount Elgon kam es 2006 bis mindestens 2008 zu bewaffneten Auseinandersetzungen um Landrechte zwischen den Sabaot, die in den 1930er Jahren in diesem ursprünglich von Ogiek bewohnten Gebiet angesiedelt wurden, und der kenianischen Armee.[4]
Lebensweise und Kultur

Zu den Tieren, die die Ogiek traditionell jagten, gehörten Buschböcke, Büffel, Elefanten, Ducker, Schliefer, Bongo-Antilopen und Riesenwaldschweine. Gejagt wurde mit Hunden, Pfeil und Bogen, Speeren und Keulen und auch mithilfe von Fallen. Im Gegensatz zu anderen Jäger-Sammler-Gruppen sammeln die Ogiek kaum Wildpflanzen, auch weil es in der Region wenig Pflanzen mit größeren essbaren Bestandteilen (Knollen, Nüsse, Früchte) gibt. Honig wurde gegessen und zu Bier gebraut und auch verkauft oder getauscht, um im Gegenzug Getreide zu erwerben. Jagd und Honigsammeln zählten zu den Aufgaben der Männer, während Frauen für die Verarbeitung von Nahrung, den Bau traditioneller Behausungen, das Sammeln von Feuerholz, die Herstellung von Beuteln und Kleidung und die Kindererziehung zuständig waren.
Überall, wo Ogiek lebten, beteiligten sie sich an regionalen Handelsnetzwerken. So lieferten diejenigen am Mount Kenya Elfenbein über Zwischenhändler an frühe Händler. Einige Ogiek eröffneten Mitte der 80er Jahre kleine Handelsgeschäfte oder Kioske.[5]
Religion
Die Religion der Ogiek umfasst den Glauben an einen guten Gott Torooret oder Asiista und an Geister der Ahnen, die Unglück bringen können, wenn sie nicht verehrt werden oder wenn schlechte Taten begangen werden. Zudem gab es auch christliche Missionierung. Sie verstärkte sich nach 1980 mit dem Zuzug neuer Siedler, die Land kauften.[6]
Kunst
Die materielle Kunst der Ogiek umfasst Schmuck aus Glasperlen, der von den Frauen hergestellt und von Frauen wie Männern getragen wird, sowie dicht geflochtene Körbe, Keramik und von den Männern hergestellte Waffen und Werkzeuge. Zur immateriellen Kunst gehören Redekunst und Lieder. Bei zeremoniellen Anlässen bemalen und schmücken junge Ogiek Häuser in aufwendiger Weise.[7]
Schulen
Eine spärlich ausgestattete Primarschule wurde im Gebiet der Kipchornwonek 1978 eröffnet, Schulen im Gebiet der Kaplelach folgten Anfang der 1980er Jahre. Andere Gruppen wie die Maresionik hatten bereits früher Kontakt zu Schulbildung. Einige wenige Ogiek absolvierten auch Sekundarschulen oder noch höhere Bildungsstufen (Berufsschule oder Universität). Mit der Einrichtung von Schulen in Kipchornwonek und Kaplelach wurden auch kleinere Handelszentren und Straßen gebaut.[8]
Lokale Gruppen
Lokale Gruppen der Ogiek, die als Kenias zahlenmäßig kleinste ethnische Gruppe gelten, tragen spezielle Bezeichnungen wie Kaplelach, Kipsang’any’, Kapchepkendi, Kipchornwonek, Akie und weitere.[9] Soziale Organisationsformen variieren, ebenso gibt es sprachliche Unterschiede.[10]
Politische Organisation
Ogiek hatten ursprünglich keine politischen Ämter mit Rangordnung, bis einige wenige Personen Regierungsbeamte wurden. Ende der 1970er Jahre wurde erstmals ein Okiot-sprachiger „assistant chief“ bei den Kipchornwonek und den Kaplelach ernannt.[11]
Anerkennung als indigene Gemeinschaft
Der „Afrikanische Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte“ (AGMR; African Court on Human and Peoples' Rights) ordnete 2022 an, Kenia habe die vollständige Anerkennung der Ogiek als indigene Bevölkerung Kenias zu garantieren und alle Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht der Ogiek auf wirksame Konsultation in Bezug auf alle Entwicklungs-, Naturschutz- oder Investitionsprojekte auf ihrem Land zu schützen. Somit wurden die Ogiek letztendlich als indigene Gemeinschaft anerkannt, die Rechte am Mau-Wald hat und deren religiöse und kulturelle Besonderheiten geschützt werden müssen.[12] Den Ogiek müsse eine Entschädigung für die erlittenen Schäden gezahlt werden und es seien alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das angestammte Land der Ogiek zu identifizieren, abzugrenzenn, zu titeln und ihnen das kollektive Eigentumsrecht an diesem Land zu gewähren. Wo bereits Konzessionen oder Pachtverträge für Teile dieses Landes vergeben seien, haben die kenianischen Behörden Konsultationen zwischen den Ogiek und den anderen betroffenen Parteien aufzunehmen, um eine Einigung über die Rückgabe dieser Grundstücke oder die Fortsetzung ihrer Aktivitäten im Wege von Pachtverträgen oder Lizenzgebühren und Gewinnbeteiligung mit den Ogiek zu erzielen.[13]
Literatur
- Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya. In: Foraging Peoples: An Encyclopedia of Contemporary Hunter-Gatherers. Cambridge University Press, 1999 (ogiek.org PDF; 320 kB)
- Stefan Schomann: Dorobo. Die letzten Jäger der Savanne. In: Geo, Ausgabe Mai 2000. S. 108–126. Schomann beschreibt in seiner Reportage ausschließlich seinen Kontakt mit einer Gruppe Akié-Okiek in Nord-Tansania.
- Roderic Blackburn: The Okiek and Their history. In: Azania. Band 9, 1974 (researchgate.net).
Einzelnachweise
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([1])
- ↑ Roderic Blackburn: The Okiek and Their history. 1974, S. 150 (researchgate.net).
- ↑ James Morgan/BBC News, 2009: Kenya’s heart stops pumping
- ↑ Thilo Thielke/Spiegel Online, 3. Mai 2008: Der vergessene Krieg am Mount Elgon.
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([2])
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([3])
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([4])
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([5])
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([6]).
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([7])
- ↑ Corinne A. Kratz: The Okiek of Kenya, in: Richard B. Lee and Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers, Cambridge University Press 1999, Kapitel I.IV.9 ([8])
- ↑ Amnesty international, 25. Juni 2023: amnesty.org
- ↑ Amnesty international, 25. Juni 2023: amnesty.org