Oberhessische Eisenbahnen

Karte mit Bahnstrecken der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft von 1875 (schwarz und fett makiert: Die beiden eigenen Strecken, Schwarz: Bahnen auf denen gemeinsamer Verkehr stattfand, gestrichelt: Die geplanten Erweiterungen)

Als Oberhessische Eisenbahnen (OHB) wurden die Bahnstrecken von Gießen nach Fulda (Vogelsbergbahn) und Gießen nach Gelnhausen in der Zeit von 1868 bis 1897 bezeichnet. Später kamen noch die Nebenstrecken Hungen – Laubach, Stockheim – Gedern und Nidda – Schotten hinzu. Die Hauptstrecken wurden von der Oberhessischen Eisenbahn-Gesellschaft gebaut und betrieben. 1876 wurde der Betrieb verstaatlicht und in Großherzoglich Oberhessische Staatseisenbahnen umbenannt. 1897 erfolgte die Einbringung in die Preußisch-Hessische Eisenbahngemeinschaft. Danach waren die Strecken Teil der Königlich Preußischen und Großherzoglich Hessische Staatseisenbahnen (K.P.u.G.H.St.E.).

Geschichte

Ausgangslage

Während die Main-Weser-Bahn die im Westen der Provinz Oberhessen gelegene Wetterau bereits in den Jahren 1850 bis 1852 an den neuzeitlichen Verkehr anschloss, blieb der Hauptteil der Provinz Oberhessen rund um den Vogelsberg ohne Bahnanschluss.

Erst 1863 erfolgte die Eröffnung der Bahnstrecken Deutz-Gießen (Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft) und Oberlahnstein-Gießen (Nassauische Staatsbahn). Gießen hatte sich damit zu einem Eisenbahnknoten entwickelt. Im gleichen Jahr gründete sich in Gießen ein Eisenbahnkomitee, dass nun auch eine Erschließung des östlichen Teils der Provinz Oberhessen anstrebte. Favorisiert wurde ein Streckenverlauf von Gießen nach Fulda. Gleichzeitig machten sich verschiedene Eisenbahnkomitees in Büdingen und der restlichen Wetterau für einen Streckenverlauf von Gießen nach Gelnhausen bis ins bayerische Gemünden (Main) stark. Beide Komitees arbeiteten präzise Kosten-/Nutzenrechnungen aus. Für die Strecke nach Gemünden (Main) wurden 14,64 Millionen Gulden veranschlagt. Die Intention des Baus war vor allem die oberhessischen Erzeugnisse wie Eisenerz, Basaltsteine, Holzkohle und allgemeine landwirtschaftliche Produkte schneller zu den Absatzmärkten zu transportieren. Die Landstände des Großherzogtums Hessen und dessen Regierung weigerten sich jedoch aufgrund der klammen Haushaltslage des Großherzogtums dem Bau einer eigenen Staatsbahn zuzustimmen.

Erst mit der Zustimmung der Landesstände zum Bau der Odenwaldbahn durch die Hessische Ludwigsbahn (HLB) 1867, bei welcher der HLB feste Zinsgarantien durch den Staat zugesagt wurden, wurde auch der Bau der oberhessischen Strecken, in diesem Fall auf Staatskosten, genehmigt. Ungeachtet dessen versuchte das Großherzogtum (analog zur Odenwaldbahn) einen privaten Finanzier zu finden, um die gleiche Zinsgarantie auszusprechen, ohne die Strecken selbst bauen und betreiben zu müssen.[1]

Gründung

Oberhessische Eisenbahngesellschaft

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Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 4. April 1868
Auflösung 8. August 1876
Auflösungsgrund Verstaatlichung
Sitz Frankfurt (bis 1871), Gießen
Leitung Bankhaus Erlanger & Söhne
Mitarbeiterzahl 595 (1876)
Umsatz 1.000.435, 98 Mark (1876)

Am 21. Januar 1868 ersuchte ein Konsortium unter Führung des Frankfurter Bankhauses Erlanger & Söhne die Regierung um die Genehmigung zur Gründung der Oberhessischen Eisenbahn-Gesellschaft mit dem Zweck die beabsichtigten Strecken nach Fulda und Gelnhausen zu bauen und zu betreiben. Die großherzoglich-hessische Regierung erteilte daraufhin am 3. April 1868, der Gesellschaft eine Konzession zum Bahnbau für 99 Jahre, sowie eine Zinsgarantie von 3,5 %. Am Tag darauf wurde die Oberhessische Eisenbahn-Gesellschaft (OHB) gegründet.

Da die geplanten Strecken teilweise über preußisches Gebiet verlaufen sollten[Anm. 1], erteilte am 3. Mai 1869 auch die preußische Regierung eine entsprechende Konzession. Zuvor hatten das Großherzogtum Hessen und das Königreich Preußen diesbezüglich am 12. Juni 1868 einen Staatsvertrag abgeschlossen. In diesem war bereits vorgesehen, dass im Falle einer Verstaatlichung das Großherzogtum Hessen einen Pachtzins für die auf preußischem Gebiet liegenden Streckenabschnitte an Preußen zu zahlen hatte. Die Höhe des Pachtzinses sollte dem Reinertrag der Streckenabschnitte auf preußischem Gebiet entsprechen. Außerdem wurde die Genehmigung zum Bau der beiden Strecken von Preußen nur unter der Bedingung erteilt, dass das Großherzogtum Hessen im Gegenzug dem Bau der Strecke Friedberg – Hanau zustimmte.[2]

Bau

In der hessischen Konzession war vorgesehen, dass der Bau der beiden Strecken bereits am 1. April 1868 begonnen und innerhalb von 3 Jahren abgeschlossen sein musste. Der Finanzbedarf für den Bau wurde von der OHB mit knapp 36,7 Mio. Mark[Anm. 2] angegeben, weshalb sie ein notwendiges Aktienkapital von 48,7 Mio. Mark veranschlagte. Durch das erhöhte Aktienkapital wäre es später möglich gewesen, durch den Handel mit den Aktien die Gesellschaft künstlich im Wert zu steigern. Dies war zu jener Zeit eine weit verbreitete Methode unter Bankhäusern und Spekulanten, die im Eisenbahnbau tätig waren[Anm. 3]. Während die Gesellschaft nun vom Staat die 3,5 % Zinsgarantie verlangte, verlangte der Staat im Gegenzug eine Festschreibung der Zinsgarantie auf das veranschlagte Aktienkapital. Hieraus ergab sich ein maximal jährlicher Zins von 1,7 Mio. Mark. Die OHB lehnte dies anfänglich ab, da sie eine Kostenüberschreitung beim Bau befürchtete. Schlussendlich stimmte aber die OHB der Bedingung zu.[3]

Die Bauausführung wurde daraufhin der renommierten brüsseler Société anonyme d’entreprises de chemin de fer, routes et canaux übertragen. Diese hatte zuvor bereits Hauptstrecken der Bayerischen Ostbahnen gebaut. Bezahlt wurde die Societé mit Aktien der OHB im Wert von insgesamt 48 Mio. Mark, wodurch sowohl das Risiko der Baukostenüberschreitung als auch das des Werteverfalls der Aktien auf die Societé als Generalunternehmer abgewälzt wurde. Als Folge davon wurden die Strecken so billig wie möglich errichtet. Kunstbauten wurden durch Verlegung des Streckenverlaufes nach Möglichkeit umgangen. Dadurch wurden die meisten Stationen weit entfernt von den Orten, zu denen sie gehörten, errichtet. Der Bau an sich wurde solide ausgeführt, was auch durch eine staatlich eingesetzte technische Kommission, die die Bauaufsicht übernahm, permanent überwacht wurde. Die verwendeten Materialien waren jedoch für damalige Verhältnisse von minderer Qualität.[4] So wurden beim Verlegen der Gleise auf geraden Abschnitten Kieferschwellen, in Gleisbögen Kieferschwellen und unbehandelte Eichenschwellen im Wechsel verlegt. Die Lebensdauer dieser Schwellen betrug maximal 5 Jahre[Anm. 4]. Als Schienen wurden Eisenschienen verwendet. Diese wurden ohne Rippenplatten auf die Schwellen genagelt und mit schwebendem Stoß miteinander verbunden.[5] Trotz der einfachen Verhältnisse wurden die wenigen Kunstbauten bereits auf einen späteren zweigleisigen Betrieb ausgelegt, da man bereits von einer durchgehenden Nord-Ost-Haupttrasse träumte, zu der es aber nie kam.

Um bereits einen teilweisen Betrieb durchführen zu können, wurden die beiden Hauptstrecken abschnittsweise eröffnet:

  • 29. Dezember 1869: Gießen – Grünberg und Gießen – Hungen
  • 29. Juni 1870: Hungen – Nidda
  • 29. Juli 1870: Grünberg – Alsfeld
  • 29. Oktober 1870: Alsfeld – Lauterbach und Nidda – Büdingen
  • 30. November 1870: Büdingen – Gelnhausen
  • 31. Dezember 1870: Lauterbach – Salzschlirf
  • 31. Juli 1871: Salzschlirf – Fulda

Der Bahnbau verzögerte sich durch den Deutsch-Französischen Krieg, so dass die Strecke bis Fulda erst am 31. Juli 1871 durchgehend befahren werden konnte.[6]

Bereits ein Jahr nach der Vollendung der beiden Hauptstrecken, plante die OHB den Weiterbau ihrer Strecken von Alsfeld nach Hersfeld, von Gelnhausen nach Partenstein und von Fulda nach Schweinfurt. Hierdurch sollte eine Konkurrenzsituation zu den bereits bestehenden Strecken in Nord-Ost und Nord-Süd-Richtung geschaffen werden, was aber am Widerstand von Preußen und Bayern scheiterte.

Verstaatlichung

Im ersten Jahr des vollen Betriebes 1872 transportierte die OHB bereits 132.273 t Fracht und 416.680 Fahrgäste. Dies konnte bis 1876 auf 185.312 t Fracht und 551.912 Fahrgäste gesteigert werden. Damit lag die OHB mit ihren Fahrgastzahlen nur unwesentlich hinter der Main-Weser Bahn und der Cöln-Mindener Bahn. Der Frachtverkehr konnte jedoch besonders im Transitverkehr nicht die hohen Erwartungen erfüllen, da Preußen und Bayern Verlängerungen der Strecken ablehnten. Der lokale Güterverkehr wiederum war nur in der Lage die hohen Anlage- und Betriebskosten der beiden Strecken zu decken. So konnte aus den Einnahmen zwar der laufende Betrieb finanziert, aber keine Gewinne erwirtschaftet werden. Die von der OHB ursprünglich angegebene Ertragsgarantie von 3,5 % für das eingesetzte Kapital konnte nie ausgezahlt werden. Dadurch musste der Staat die Zinsgarantie nun jedes Jahr in voller Höhe von 1,7 Mio. Mark auszahlen. Trotzdem war die Situation für die Aktionäre prekär, weil diese Zinsgarantie gedeckelt war und bei einem Sinken der Einnahmen die Rendite unter die 3,5 % fallen konnte. Dies war absehbar, da durch die billige Bauweise der Strecke in den nächsten Jahren hohe Investitionen zur Erneuerung des Oberbaus nötig geworden wären. Bereits 1874 war deshalb die großherzoglich hessische Regierung in Kaufverhandlungen mit der OHB eingetreten. Am 21. Dezember 1875 kam es zu einem Vertrag zwischen der OHB und dem Großherzogtum Hessen, wonach dieses mit Wirkung vom 1. Januar 1876 Eigentümer der Bahn wurde und am 8. August 1876 den Betrieb übernahm.[6] Die Kaufsumme betrug insgesamt 38,9 Mio. Mark und wurde durch den Tausch von OHB-Aktien gegen hessische Staatsobligationen getätigt. Für die Aktionäre ergab sich dadurch ein Verlust von jährlich 1,80 Mark pro Aktie. Der Staat hingegen konnte durch den Wegfall der Zinsgarantie eine jährliche Ersparnis von 146.057 Mark verbuchen, zudem hatte die OHB keinerlei Schulden, sodass dem Staat aus den vorhandenen Fonds zusätzlich 376.879 Mark zuflossen.[7]

Großherzoglich Oberhessische Staatseisenbahn

Großherzoglich Oberhessische Eisenbahnen

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Rechtsform Staatsbahn
Gründung 1. Januar 1876
Auflösung 1. April 1897
Auflösungsgrund Einbringung in die Preußisch-Hessische Eisenbahngemeinschaft
Sitz Gießen
Mitarbeiterzahl 692 (1896)
Umsatz 1.459.751,57 Mark (1896)

Zur Verwaltung der nun gegründeten Großherzoglich Oberhessischen Staatseisenbahn (später nur Großherzoglich Oberhessische Eisenbahn) wurde in der Provinzhauptstadt Gießen eine Großherzogliche Direktion der Oberhessischen Eisenbahnen eingerichtet. Neben der Verwaltung bestanden in Gießen eine Betriebswerkstätte sowie in Gießen und Alsfeld noch zwei gesonderte Bauinspektionen. Anders als bei der Main-Weser Eisenbahn (MWE) und der Main-Neckar Eisenbahn (MNE) bei denen der Staat nur die Finanzierung überwachte, die Verwaltung und der Betrieb aber den „Directorialräthen“ des jeweiligen Unternehmens oblag, war bei der OHB der Vorsitzende der Großh. Direktion auch zugleich Vorsteher des Betriebsdienstes. Als Folge davon erhielten alle Lokomotiven und Wagen der OHB nach der Verstaatlichung zusätzlich zu dem Schriftzug „O.H.B.“ am Langträger bzw. „Oberhess. Bahnen“ an den Seitenwänden auch noch das Symbol der Großherzoglich Hessischen Krone aufgemalt, dass sie als Staatseisenbahn auswies.[8]

Die erste Zeit unter staatlicher Verwaltung war weiterhin von Sparsamkeit geprägt. So versuchte die OHB beispielsweise durch die Verringerung der Zugfahrten die laufenden Kosten zu senken, was aber regelmäßig am Widerstand der Bevölkerung und der Handelskammer Gießen scheiterte. Die OHB konnte zwar die mit der Cöln-Mindener Eisenbahn (CME) und der Bergisch-Märkischen Eisenbahn (BME) ausgehandelten Sondertarife für den Transitverkehr von Kohle, Eisen und Holz nach Bayern und Österreich aufrechterhalten, mit der Verstaatlichung der CME im Dezember 1879 und der BME im März 1882 und der Eröffnung der Bahnstrecke Friedberg – Hanau im September 1881 brach jedoch der Transitverkehr nahezu völlig zusammen, da Preußen nun über eine 10 km kürzere Verbindung nach Bayern verfügte und die Tarife und Frachtrouten selbst bestimmen konnte. Der OHB blieb daraufhin nur noch der lokale Güterverkehr, der aber nach wie vor nicht in der Lage war die laufenden Kosten zu decken. Als Reaktion darauf stellte der Hessische Abgeordnete Kugler den Antrag die OHB komplett an ein Konsortium zu verpachten, dass die Strecken als Sekundärbahn weiter betreiben sollte, um weitere finanzielle Verluste zu vermeiden. Die Handelskammer Gießen protestierte, da sie eine deutliche Verschlechterung des Transports auf der OHB befürchtet. Daraufhin wurde der Antrag von den Hessischen Landständen mit großer Mehrheit abgelehnt. Um wenigstens die laufenden Kosten weiter senken zu können, verkaufte die OHB 1882 und 1884 6 ihrer Schlepptenderlokomotiven an die Hessische Ludwigsbahn (HLB) und beschaffte 4 Tenderlokomotiven, die für den übriggebliebenen Verkehr ausreichend waren.[9]

Ende der 1880er Jahre erholte sich die Wirtschaft langsam wieder von der Großen Depression, wodurch die Fracht- und Fahrgastzahlen bis auf 280.269 t bzw. 648.200 Fahrgäste anstieg. Um diesen Trend weiter zu fördern, entschloss sich die OHB zur weiteren Erschließung ihres Verkehrsgebietes, indem sie Stichbahnen zu ihrer bestehenden Hauptstrecke Gießen – Gelnhausen eröffnete:

  • 26. Mai 1888: Nidda – Schotten
  • 1. Oktober 1888: Stockheim – Gedern
  • 1. Juni 1890: Hungen – Laubach

Kurze Zeit später war der Verkehr schon so sehr angestiegen, dass die OHB nun zusehends unter den vorher durchgeführten Sparmaßnahmen litt. So beschwerte sich die Handelskammer Gießen bei einer Sitzung des Eisenbahnrates Darmstadt 1890 darüber, dass viel zu wenig Züge vorhanden waren, um das Transportbedürfnis der Bauern und Händler zu befriedigen. So kam es mehrmals vor, dass Güterwagen vollbeladen an den Ladegleisen standen und nicht abtransportiert werden konnten, wodurch sich gleichzeitig ein Mangel an Güterwagen einstellte. Das führte dazu, dass Bauern ihre ebenfalls vollbeladenen Fuhrwerke an den Ladestraßen stehen lassen mussten, um sie erst am nächsten oder sogar übernächsten Tag entladen zu lassen. Auch die Anzahl der Personenzüge, speziell der Arbeiterzüge war für die nun zu transportierenden Mengen nicht mehr ausreichend. Auch war die Reisegeschwindigkeit der hauptsächlich gemischten Züge zu niedrig, da auf den Unterwegsstationen jedes Mal rangiert werden musste, um Güterwagen mitzunehmen oder abzustellen. Erst mit dem Sommerfahrplan 1897 konnte die OHB durch bessere Anschlüsse und zusätzliche Zugverbindungen der anhaltenden Verkehrsnachfrage gerecht werden.[10]

Dem Großherzogtum Hessen war die Verwaltung ihrer eigenen Eisenbahnen zunehmend lästig. Im Gegensatz zu den großen Länderbahnen in Bayern, Baden oder Preußen, warfen ihre eigenen Strecken kaum Gewinne ab und verursachten hohe Verwaltungskosten. Zudem wurde die Main Weser Eisenbahn (MWE) seit 1866 bereits komplett und die Main Neckar Eisenbahn (MNE) zu zweidritteln von Preußen verwaltet. Als sich 1894 abzeichnete, dass auch die letzte große Privatbahn in Hessen, die Hessische Ludwigsbahn (HLB) ebenfalls verstaatlicht werden würde, entschloss sich das Großherzogtum Hessen dazu mit Preußen in eine Eisenbahngemeinschaft einzutreten, in der die Verwaltung und der Betrieb der Eisenbahnen auf hessischem Gebiet von Preußen übernommen wurde. Zu diesem Zweck wurde zwischen dem Großherzogtum Hessen und Preußen am 23. Juni 1896 ein Staatsvertrag abgeschlossen. Die Gewinne aus den Strecken auf hessischem Gebiet wurden im Verhältnis 98:2 zwischen Preußen und Hessen aufgeteilt. Die OHB wurde ab 1. April 1897 Teil der Preußischen Staatsbahn-Direktion Frankfurt (M) und hörte auf als Begriff zu existieren.[11]

Streckennetz

Durch die nördlichen Ausläufer des Vogelsbergs führte die 106 km lange Verbindung von Gießen nach Fulda, deren erste Teilstrecke bis Grünberg am 29. Dezember 1869 den Betrieb aufnahm. Der Bahnbau verzögerte sich durch den Deutsch-Französischen Krieg, so dass die Strecke bis Fulda erst am 31. Juli 1871 durchgehend befahren werden konnte.[3]

Durch die Wetterau und entlang des westlichen Randes des Vogelsbergs führte die Strecke zwischen Gießen und Gelnhausen, die eine Querverbindung von 70 km Länge zur Kinzigtalbahn herstellte. Ihr erstes Teilstück zwischen Gießen und Hungen nahm ebenfalls am 29. Dezember 1869 den Betrieb auf. Durchgehender Betrieb erfolgte ab dem 30. November 1870.[4]

Fahrzeugpark

Der anfängliche Fahrzeugbestand wurde bis 1871 ausgeliefert und belief sich auf:

Baugleicher zweiachsiger Personenwagen 1./2. Klasse von Reifert von 1872

Die Güterwagen waren braunrot gestrichen und mit den weißen Buchstaben „O.H.B.“ bzw. „Oberhess. Bahnen“ am Langträger und der Seitenwand beschriftet.[13][8] Die Personenwagen stammten von der Firma Reiffert in Bockenheim (1./2. Klasse) bzw. von der Waggonbaufabrik in Mainz-Kastel (3. Klasse) und hatten nur Abteiltüren an der Außenseite. Alle Wagen waren zweiachsig. Ab 1876 wurden 12 der 21 Wagen der 1./2. Klasse zusätzlich mit einem Koksofen versehen. 1883 wurden erst 6, später nochmal 3 Wagen der 1./2. Klasse verkauft und durch 4 Durchgangswagen 1./2./3. Klasse ersetzt. Bis 1894 wurde der Personenwagenbestand um Wagen der 2./3. Klasse erweitert und die Gesamtanzahl auf 65 Wagen erhöht. Der Güterwagenbestand blieb bis 1886 unverändert und wurde erst auf insgesamt 375, später dann auf 456 Güterwagen aufgestockt.

OHB Lok Nr. 1-22
Baugleiche B1-Schlepptenderlokomotive der Hessischen Ludwigsbahn
Baugleiche B1-Schlepptenderlokomotive der Hessischen Ludwigsbahn
Baugleiche B1-Schlepptenderlokomotive der Hessischen Ludwigsbahn
Nummerierung: 1-22
Anzahl: HLB: 39, OHB: 22,

FHE: 7

Hersteller: Henschel & Sohn, Maschinenfabrik Karlsruhe
Baujahr(e): 1868-1875
Ausmusterung: bis 1905
Achsformel: B1
Bauart: Naßdampf-Zweizylinder Schlepptenderlokomotive
Spurweite: 1435 mm (Normalspur)
Gesamtradstand: 4,050 mm
Dienstmasse: 33,25 t
Reibungsmasse: 28 t
Treibraddurchmesser: 1,540 mm
Laufraddurchmesser: 1, 085 m
Zylinderanzahl: 2
Zylinderdurchmesser: 408 mm
Kolbenhub: 610 mm
Kesselüberdruck: 8 bar
Anzahl der Heizrohre: 191
Heizrohrlänge: 3,438 m
Strahlungsheizfläche: 6,04 m²
Rohrheizfläche: 94,8 m²
Tender: Schlepptender, 3-achsig
Wasservorrat: 8,4 m³
Brennstoffvorrat: Kohle, 5 t

Als Lokomotiven verwendete die OHB anfangs lediglich eine einzige Lokomotivbauart. Es waren Schlepptendermaschinen mit der Achsfolge B1 und einem Naßdampf-Zweizylinder-Triebwerk für den gemischten Güter- und Personenzugdienst (OHB Nr. 1-22). 12 Maschinen lieferte Henschel aus Kassel, 6 stammten aus der Maschinenfabrik Karlsruhe. 1875 wurden noch einmal 4 Maschinen gleicher Bauart bei Henschel nachbestellt und geliefert. Identische Maschinen wurden auch von der Hessischen Ludwigsbahn (HLB) und der Frankfurt-Hanauer Eisenbahn (FHE) zwischen 1868 und 1877 beschafft.

Nach der Verstaatlichung beschaffte die OHB 1877 die erste Tenderlokomotive. Ziel war es den Rangierbetrieb im Bahnhof Gießen zu rationalisieren. Es handelte sich dabei um eine Lok mit der Achsfolge B von der „Locomotiv-, Maschinen- und Kesselfabrik J. Kernaul & Comp.“ aus Giesing (OHB Nr. 23).

Nach der Eröffnung der Konkurrenzstrecke Friedberg – Hanau verkaufte die OHB 1882 sechs ihrer jüngsten Schlepptenderlokomotiven (OHB Nr. 17-22) an die Hessische Ludwigsbahn und beschaffte als Ersatz 4 Tenderlokomotiven vom Typ T1. Sie wurden als Nr.19 bis 22 in zweiter Besetzung eingereiht.

Zur Bedienung der Nebenstrecken wurden zwischen 1887 und 1889 acht weitere Tenderlokomotiven angeschafft. Hiervon war ein Exemplar vom Typ T1, sechs Exemplare vom Typ T2, und ein Exemplar vom Typ T7.

Die letzten fünf Maschinen wurden zwischen 1892 und 1896 beschafft. Hiervon war ein Exemplar vom Typ T1, ein Exemplar vom Typ T7, ein Exemplar vom Typ T9 und zwei Exemplare vom Typ T3.

Bis auf die beiden T3 stammten alle neubeschafften Maschinen von der Firma Krauss in München, die beiden T3 wurden von Henschel geliefert.

Im Jahr der Verstaatlichung 1896 besaß die OHB:

  • 31 Lokomotiven (16 davon Tenderlokomotiven)
  • 12 Tender
  • 69 Personenwagen
  • 1 Salonwagen
  • 14 Gepäckwagen (10 davon mit Postabteil)
  • 474 Güterwagen
  • 22 Arbeitswagen
  • 22 Bahnmeisterwagen
  • 2 Draisinen

Alle Fahrzeuge gingen in den Besitz der Direktion Frankfurt der K.P.u.G.H.St.E über. Die älteren Schlepptendermaschinen wurden allerdings bereits nach kurzer Zeit ausgemustert.

Literatur

  • Jahres-Bericht des Verwaltungs-Raths der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft 1870–1894 Digitalisat
  • Arthur von Mayer: Geschichte und Geographie der Deutschen Eisenbahnen, Berlin 1894
  • Karl, Brodhäcker: Die Oberhessische Eisenbahn, Ein Sach- und Lachbuch, Brühlscher Verlag, Gießen-Wieseck 1984, ISBN 3-922300-24-3
  • Jürgen Röhrig und Stefan Klöppel: 150 Jahre Oberhessische Eisenbahnen. Arbeitsgemeinschaft Drehscheibe, Köln 2020. ISBN 978-3-929082-38-8
  • Wolfgang Diener: Anstrich und Bezeichnungen von Güter- und Dienstwagen, Das Erscheinungsbild Deutscher Wagen von 1864 bis heute, VGB Verlagsgruppe Bahn GmBh, September 2017, ISBN 978-3-8375-1650-0

Anmerkungen

  1. Von den geplanten Strecken verliefen 148 km auf hessischem, 28 km auf preußischem Gebiet (Röhrig / Klöppel, S. 6).
  2. Die Kalkulation wurde ursprünglich in Gulden erstellt. Die Währungsumstellung auf Mark erfolgte 1871. Der Übersichtlichkeit halber sind hier alle Beträge in Mark angegeben.
  3. Siehe auch Finanzierungsmethoden zum Bahnbau von Henry Bethel Strousberg
  4. Die zu dieser Zeit üblichen imprägnierten Eichenschwellen konnten bis zu 25 Jahre Lebensdauer erreichen

Einzelnachweise

  1. Röhrig / Klöppel, S. 5f.
  2. Röhrig / Klöppel, S. 8.
  3. a b Röhrig / Klöppel, S. 12.
  4. a b Röhrig / Klöppel, S. 12.
  5. Verwaltungsrates der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft: Jahresbericht des Verwaltungsrates der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft vom Jahre 1874 für die siebente ordentliche Generalversammlung. Gießen 1875, S. 8 f.
  6. a b Röhrig / Klöppel, S. 12.
  7. Röhrig / Klöppel, S. 13.
  8. a b Ernst Schubert: Katechismus für den Bremserdienst. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1894, S. 26.
  9. Röhring/Klöppel, S. 15
  10. Röhring/Klöppel, S. 21f
  11. Röhring/Klöppel, S. 25f
  12. Verwaltungsrat der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft: Jahresbericht des Verwaltungsrates der Oberhessischen Eisenbahngesellschaft vom Jahre 1871 für die vierte ordentliche Generalversammlung. Gießen 1872, S. 5.
  13. Wolfgang Diener: Anstrich und Bezeichnungen von Güter- und Dienstwagen, Das Erscheinungsbild Deutscher Wagen von 1864 bis heute. VGB Verlagsgruppe Bahn GmbH, Fürstenfeldbruck 2017, ISBN 978-3-8375-1650-0, S. 11.