Nutzfahrzeugreifen

Größter Reifen der Welt (2007), gebaut für den Nutzfahrzeugsektor

Im Gegensatz zu PKW-Reifen sind Nutzfahrzeugreifen größer und breiter dimensioniert, d. h., sie haben einen höheren Reifenquerschnitt und somit eine breitere Auflagefläche. Reifen für Nutzfahrzeuge können ab einer bestimmten Dimension nachgeschnitten werden, darunter versteht man das Einschneiden eines tieferen Profils. Reifen, die dies ermöglichen, tragen die Aufschrift Regroovable. Des Weiteren werden Nutzfahrzeugreifen – soweit in der Karkasse nicht beschädigt – grundsätzlich einer Runderneuerung zugeführt.

Eigenschaften

Durch eine stärkere Karkasse halten Nutzfahrzeugreifen auch höheren Beanspruchungen stand. Ein Pkw-Reifen hat im Normalfall eine Tragfähigkeit von ca. 400 kg bis 800 kg, während ein Lkw-Reifen eine Tragfähigkeit von bis zu 6000 kg erreichen kann. Man unterscheidet hierbei zwischen einer Einzel- und Doppelbereifung, wobei der Tragfähigkeitswert für eine Einzel-Bereifung gegenüber der Doppelbereifung – in Abhängigkeit vom Luftdruck – deutlich höher liegt. Die tatsächliche Tragfähigkeit richtet sich hierbei nach der jeweiligen Tragfähigkeitskennzahl. Ein Lastindex von 150 bedeutet bei max. Reifendruck für Zwillingsreifen an der Hinterachse – unabhängig von der Reifengröße – z. B. eine Tragfähigkeit von 13.400 kg.

Typische Lkw-Bereifung eines Lkw (18 t)

  • Vorderachse (VA) 315/80 R 22,5 Einzelbereifung Tragfähigkeit 8.000 kg
  • Hinterachse (HA) 315/80 R 22,5 Doppelbereifung Tragfähigkeit 13.400 kg

oder

  • VA 385/55 R 22,5 Einzelbereifung, Tragfähigkeit 9.000 kg
  • HA 315/70 R 22,5 Doppelbereifung, Tragfähigkeit 13.400 kg

Eine besondere Bereifung stellt die sogenannte Super-Single-Bereifung an Hinterachsen von Sattelzugmaschinen dar. Hierbei wird auf die übliche Zwillingsbereifung verzichtet und stattdessen ein extrem breiter Einzelreifen verwendet. Hauptvorteile sind ein geringeres Systemgewicht und ein verringerter Rollwiderstand. Super-Single-Reifen können mit besonderen Notlaufelementen ausgestattet werden, die es ermöglichen, mit einem platten Reifen – auch bei voller Beladung – eine kürzere Strecke zurückzulegen. Die Super-Single-Bereifung hat jedoch nach einer 2011 veröffentlichten Untersuchung der Europäischen Union (COST 334[1]) eine deutlich höhere Belastung für den Straßenbelag zur Folge. Wegen größerer Systemkosten und im Vergleich zur Zwillingsbereifung geringerer Kilometerleistung findet der Super-Single-Reifen bisher kaum Verbreitung.

Super-Single-Bereifung für Lkw (18 t)

  • VA 385/55 R 22,5 Einzelbereifung, Tragfähigkeit 9.000 kg
  • HA 495/45 R 22,5 Einzelbereifung, Tragfähigkeit 11.600 kg

Lärmgrenzwerte und Rollwiderstandsbeiwerte

Grenzwerte für Abrollgeräusche und Rollwiderstandsbeiwerte nach EU-Verordnung Nr. 661/2009:

Klasse Reifenbreite in mm Lärmgrenzwert in dB(A) Rollwiderstandsbeiwert (max.) in kg/t
C2 (leichte NFZ) keine Angabe 72* (73) 9,0
C3 (schwere NFZ) keine Angabe 73* (75) 6,5
  • Normalreifen, Traktionsreifen ()[2]

Einsatzzweck

Nutzfahrzeugreifen unterscheiden sich stark vom Einsatzzweck. Gerade für Lkw gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Reifenarten, die für spezielle Einsätze konzipiert sind. Man unterscheidet im Allgemeinen die Reifen nach der Achsposition in:

  • Lenkachse
  • Antriebsachse
  • Anhänger/Trailer
  • Liftachse

sowie im Besonderen nach:

  • Asphalt- oder Baustelleneinsatz
  • Rundum-Bereifung für Allradfahrzeuge
  • Regionalverkehr- oder Fernverkehreinsatz
  • Linienbus-Reifen mit verstärkter Seitenwand (um Bordsteinschäden zu vermeiden)
  • Militär-/Geländeeinsatz
  • Winterreifen mit Lamellenstruktur. Diese Winterreifen für den alpinen Einsatz besitzen eine Silica-Laufflächenmischung ähnlich wie bei Pkw-Winterreifen, die bei Kälte weicher wird und für optimale Schneehaftung sorgt. Es gibt außerdem sogenannte Hybridreifen, mit denen man im Herbst als „Winterreifen“ startet. Sie verlieren über den Winterbetrieb eine von zwei Profilschichten. Darunter befindet sich eine neue Sommer-Profilschicht.

Nutzfahrzeugreifen sind auch in der Gummimischung anders beschaffen als Pkw-Reifen. Diese Reifen finden Verwendung in Fahrzeugen wie Lkw und Bussen. Für Baumaschinen, wie z. B. Bagger und Radlader, sowie Traktoren, gibt es wiederum eine Spezialbereifung.

Reifen nachschneiden

Nach dem Schneiden des Profils, lässt sich das herausgeschnittene Gummi einfach abziehen

Jeder Reifen mit der Kennzeichnung REGROOVABLE (nachschneidbar) verfügt über eine besonders hohe Grundgummistärke und kann bis zu zweimal nachgeschnitten werden.[3] Voraussetzung für das Nachschneiden von Reifen ist eine ausreichende Restprofiltiefe. Ein Lkw-Reifen kann mit einem beheizbaren Reifenprofilschneider in der Breite um bis zu 23 mm und in der Tiefe um bis zu 12 mm nachgeschnitten werden.[4]

Das Nachschneiden von Reifen war im Motorsportbereich und ist speziell im Lkw-Bereich an der Tagesordnung. Je nach Reifentyp und Einsatzbereich lässt sich die Kilometerleistung um bis zu 30 % erhöhen. Zudem können nachgeschnittene Reifen durch geringeren Rollwiderstand eine Kraftstoffeinsparung von ca. 5 % erzielen. Auch nach dem Nachschneiden kann der Reifen runderneuert werden.

Beim Kraftomnibus mit 100 km/h Zulassung dürfen an der Lenkachse keine nachgeschnittenen Reifen verwendet werden.[5]

Runderneuerte Nutzfahrzeugreifen

Die Runderneuerung von Nutzfahrzeugreifen bietet im Vergleich mit der Herstellung von Neureifen klare ökologische, ökonomische und soziale Vorteile. Runderneuerte Reifen für Nutzfahrzeuge bieten erwiesenermaßen die gleiche Qualität, Sicherheit und Haltbarkeit wie Neureifen und stehen zudem im Einklang mit den Zielen einer regionalen, zukunftsweisenden Kreislaufwirtschaft.

Die Runderneuerung von Nutzfahrzeugreifen erfüllt höchste Anforderungen an die Energieeffizienz. Laut einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts UMSICHT werden in der Fertigung runderneuerter Reifen bis zu 70 Prozent Energie (Gas & Strom) gegenüber der Herstellung vergleichbarer Neureifen eingespart[6]. Mit identischer Rollwiderstandsklasse und vergleichbarer Laufleistung verbrauchen Runderneuerte in der Anwendung nicht mehr Energie als Neureifen. Bei der Fertigung runderneuerter Reifen können zudem die CO2-Emissionen sowie der Verbrauch von Rohstoffen und Ressourcen um jeweils rund zwei Drittel gesenkt werden. Außerdem können Abfälle vermieden und die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen reduziert werden. Das trägt nachhaltig zum Schutz der Umwelt und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen bei.

Die Nutzung im Sinne einer Circular Economy wird mit jeder Reifen-Runderneuerung verdoppelt. Nutzfahrzeugreifen können bis zu dreimal runderneuert werden, Flugzeugreifen sogar bis zu zwölfmal.

Die Runderneuerung ist ein bewährter und zertifizierter Prozess, bei dem modernste Hightech-Maschinen zum Einsatz kommen. Voraussetzung für eine Reifenrunderneuerung ist immer eine einwandfreie Karkasse (Reifenunterbau).

Reifendruck

Nutzfahrzeugreifen haben mit rund fünf Prozent der Betriebskosten nur einen kleinen Anteil, wirken sich aber über den Rollwiderstand direkt auf den Kraftstoffverbrauch aus.[7] Reifenschäden sind bei LKW zudem der häufigste Grund für Pannen.[8] Die Reifen nehmen über den Kraftstoff Einfluss auf weitere 30 Prozent sowie über Wartung und Reparatur auf zusätzlich fünf Prozent; in Summe haben sie auf etwa 40 Prozent der Betriebskosten eines Nutzfahrzeugs Einfluss.[9]

Ein fehlerhafter Reifendruck kann zum Überhitzen oder Platzen des Reifens führen oder dieser sogar Feuer fangen.[10] Bei einem Vollgummireifen am Nutzfahrzeug kommt es aufgrund der technischen Besonderheiten von Gummi stets zu Diffusionsverlusten.[11] Unterbleibt jedoch eine regelmäßige Kontrolle des Reifendrucks, wirkt sich ein längeres Unterschreiten des vom Fahrzeughersteller vorgesehenen Fülldrucks ungünstig auf die Haltbarkeit eines Reifens aus.[7]

Reifendruckkontrollsystem für schwere Nutzfahrzeuge

Seit dem 1. Juli 2024 müssen in der EU neu zugelassene Lkw, Busse, Wohnmobile sowie Anhänger mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen mit einem Reifendrucküberwachungssystem ausgestattet sein.[12] Ein solches System soll den Fahrer spätestens nach zehn Minuten Fahrzeit warnen, wenn der Betriebsdruck eines Nutzfahrzeugreifens um 20 Prozent sinkt.

Reifendruck bei Zwillingsreifen

Bei Lastkraftwagen, Anhängern und Kraftomnibussen mit Zwillingsbereifung kann die Zugänglichkeit zu den inneren Reifenventilen eingeschränkt sein. Hierfür sind Ventilverlängerung verfügbar, um den Luftdruck des innen laufenden Reifens mit einem Reifenfüllmessgerät prüfen zu können.

Häufige Ursachen des Fülldruckabfalls

  • eingedrungene Nägel oder ähnliche Fremdkörper
  • undichte Ventile
  • Undichtigkeit zwischen Ventil und Felge
  • Beschädigung der Ventilverlängerung
  • defekte Schläuche und Wulstbänder
  • Risse in der Felge

Wartung und Prüfung

Eine Prüfung des Reifendrucks mit Hilfe eines Druckmessgeräts sollte in regelmäßigen Abständen im Rahmen einer Abfahrtskontrolle erfolgen. Bei neueren Fahrzeugen kann das Reifendruckkontrollsystem (RDKS) diese Aufgabe übernehmen. die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) empfiehlt auch bei verbauten RDKS mindestens einmal im Monat eine Prüfung, da diese Systeme in der Regel erst bei etwa 20 Prozent Druckverlust ansprechen.[13]

  • Prüfung erfolgt bei kalten Reifen bei Umgebungstemperatur
  • Gemessen wird am Ventil des Reifens bzw. an einer Ventilverlängerung
  • Der Luftdruck sollte je Achse gleich sein, ebenso bei Doppelbereifung
  • Das Ersatzrad sollte mindestens den laut Betriebsanleitung vorgesehenen Luftdruck aufweisen

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. K.- Glaeser: Schaedigen oder schonen neue Lkw-Kombinationen die Strassen? In: VDI-Berichte. Nr. 2137, 2011, ISSN 0083-5560 (trb.org [abgerufen am 11. Mai 2023]).
  2. VERORDNUNG (EG) Nr. 661/2009 (PDF)
  3. rillfit.de (abgerufen am 14. Juni 2014)
  4. rillfit.de (Memento des Originals vom 14. Juli 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rillfit.de Blades (abgerufen am 14. Juni 2014)
  5. conti-online.com Reifengrundlagen (abgerufen am 14. Juni 2014)
  6. recyclingportal.eu Fraunhofer-Institut Studie (abgerufen am 29. November 2022)
  7. a b Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V.: Untersuchung des Rollwiderstands von Nutzfahrzeugreifen auf echten Fahrbahnen. Schriftenreihe 255. (PDF) Verband der Automobilindustrie, 13. Juni 2013, S. 37 ff., abgerufen am 13. Juni 2025.
  8. Christian Marx: Reifenschäden sind die bei Weitem häufigste Pannenursache bei Lkw. Reifenpresse.de, 28. März 2019, abgerufen am 13. Juni 2025.
  9. Nutzfahrzeugreifen Technischer Ratgeber Ausgabe 1/2024. (PDF) Continental AG, 2024, S. 21, abgerufen am 13. Juni 2025.
  10. Vorsicht an heißen Tagen – Unfallgefahr. In: Pressemeldung ADAC Truckservice. ADAC, 17. Juni 2021, abgerufen am 13. Juni 2025.
  11. Lastauto Omnibus, Sonderheft CONTINENTAL SPEZIAL, 2015, Seite 8 und 9
  12. Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates (…) über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern. In: Amtsblatt der Europäischen Union. Europäische Union, 27. November 2019, abgerufen am 13. Juni 2025.
  13. John C Kindelberger: NHTSA Tire-Related Surveys: Results and Implications. Bureau of Transportation Statistics, 1. November 2024, abgerufen am 13. Juni 2025 (englisch).