Nehalennia

Nehalennia ist eine germanische Göttin, die im zweiten und dritten Jahrhundert von römischen, keltischen und germanischen Einwohnern im Gebiet der niederländischen Scheldemündung verehrt wurde.
Geschichte

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Nehalennia wurde durch Darstellungen auf etwa 25 Votivsteinen bekannt, die 1647 bei Domburg auf der Halbinsel Walcheren gefunden wurden. Etwa 25 km nordöstlich von Domburg wurden nach 1970 aus der Oosterschelde in Höhe des Ortes Colijnsplaat über 100 Votivgaben in Form von Statuen und Statuetten und Weihesteinen der Göttin geborgen. An beiden Fundstellen hatte ein Tempel gestanden. Auf den Bilddenkmälern findet sich Nehalennia sitzend oder stehend. Die Darstellungsweise entspricht der der Muttergöttinnen (Matronen) im Rheinland. Im Gegensatz zu diesen trägt sie eine Pelerine und hat einen Hund bei sich. Gelegentlich ist sie als Galionsfigur am Bug von Schiffen abgebildet, wurde aber auch mit einem Fruchtkorb dargestellt. Zwei der Weihesteine enthalten Inschriften, aus denen hervorgeht, dass es Kaufleute und Schiffer des Englandhandels waren, die die Steine aufgestellt hatten. Die Inschriften sind in lateinischer Sprache gehalten. Viele Dedikanten sind römische Bürger. Der Decurio Q. Phoebius Hilarus aus Nijmegen stiftete einen Altar vor Beginn einer Fahrt (pro mercibus bene conservandis)[3] und einen nach der Rückkehr (ob merces suas bene conservatas)[4]. Es finden sich auch keltische und germanische Namen. Durch Zeitangaben in einigen Inschriften lässt sich der Tempelbetrieb an den beiden Fundorten in die Zeit zwischen 188 und 227 datieren.[5]
Hintergrund und Identifizierung mit anderen Gottheiten
Man deutet Nehalennia als eine Göttin der Fruchtbarkeit und der Schifffahrt. Ellmers hält sie für eine „zweifelsfrei germanische“ Göttin der Schifffahrt.[6] Ein Teil der Wissenschaft geht davon aus, dass es sich um eine germanische Gottheit handelt, und deutet den Namen als „Die das Wasser nahe hat“, die also am Ufer wohnt. Wahrscheinlich steht der Name jedoch mit Nebel in Verbindung (idg. nebh ‚Nässe, Feuchtigkeit‘; hel ‚verhehlen, verhüllen‘). Der zweite Namensbestandteil -lennia könnte mit gotisch linnan (verschwinden, weggehen) in Verbindung stehen. Nehalennia würde daher „die im Nebel Verschwindende“ bedeuten.
Weiterhin scheint Nehalennia, welche oft mit Mantel und einem Hund oder Wolf dargestellt wird, auch die Göttin der Unterwelt gewesen zu sein. Verbindungen bestehen daher wohl zur nordischen Totengöttin Hel (siehe auch Niflhel) und zur deutschen Gestalt der Frau Holle.
Der frühere Vorschlag, Nehalennia mit Isis zu identifizieren, die nach Tacitus[7] von den Sueben verehrt wurde, wird heute nicht mehr weiterverfolgt.[8]
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Nehalennia-Skulptur in Domburg
Museen
Die Reliefs aus Domburg wurden in der reformierten Kirche von Domburg untergebracht, wo ein großer Teil 1848 bei einem Feuer vernichtet wurde. Die geretteten Altfunde befinden sich heute im Zeeuws Museum in Middelburg und im Rijksmuseum van Oudheden in Leiden. Die Fundstücke von 1970 werden heute im Rijksmuseum van Oudheden in Leiden aufbewahrt. Im Maritiem Museum in Zierikzee widmete sich 1990 eine kleine Ausstellung der Göttin Nehalennia. Fünf Votivaltare waren ausgestellt, die 1970 aus der Oosterschelde geborgen wurden. Das Modell eines der Nehalennia geweihten Tempels war ebenfalls zu sehen: In Colijnsplaat im Hafengelände wurde eine Nachbildung eines solchen römischen Tempels in Originalgröße gebaut.
Literatur
- Audrey Ferlut: The Cult of Nehalennia in Colijnsplaat during the Roman Empire: Merchants transferring Urban Ritual Practices to an Outpost on the North Sea. In: Susanne Rau, Jörg Rüpke (Hrsg.): Religion and Urbanity Online. De Gruyter, Berlin/Boston 2023 (Online-Publikation, Open Access).
- Fritz Heichelheim: Nehalennia. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XVI,2, Stuttgart 1935, Sp. 2177–2182.
- Ada Hondius-Crone: The Temple of Nehalennia at Domburg. J. M. Meulenhoff, Amsterdam 1955.
- Max Ihm: Nehalennia. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 3,1, Leipzig 1902, Sp. 76–86 (Digitalisat).
- Didier Martens: Nehalennia. In: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC). Band VI, Zürich/München 1992, S. 716–719.
- Bernard Mees: Nehalennia and the Marsaci. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 83, 2023, S. 1–25.
- Günter Neumann, Petrus J. Stuart: Nehalennia. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 21, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017272-0, S. 61–65.
- Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 280–281.
- Wolfgang Spickermann: Nehalennia. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 8, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01478-9, Sp. 786–787..
- Wolfgang Spickermann: Religion an der Nordseeküste: Dea Nehalennia. In: Kai Ruffing, Armin Becker, Gabriele Rasbach (Hrsg.): Kontaktzone Lahn. Studien zum Kulturkontakt zwischen Römern und germanischen Stämmen (= Philippika. Band 38). Harrassowitz, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-447-06249-7, S. 127–138.
- B. H. Stolte: Die religiösen Verhältnisse in Niedergermanien. In: Wolfgang Haase (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Bd. II 18, 1 Religion (Heidentum: Die religiösen Verhältnisse in den Provinzen). Walter de Gruyter, Berlin/New York 1986, ISBN 3-11-010050-9, S. 591–671.
- Petrus J. Stuart, J. E. Bogaers: Nehalennia. Römische Steindenkmäler aus der Oosterschelde bei Colijnsplaat (= Collections of The National Museum of Antiquities at Leiden. Band 11; = Corpus Signorum Imperii Romani Nederland. Band 2). Rijksmuseum van Oudheden, Leiden 2001, ISBN 90-6255-046-0.
Weblinks
- Jona Lendering: Nehalennia. In: Livius.org (englisch)
- Homepage: Nehalennia Tempel: Zeuuws-Romeins verleden herleeft. In: nehalennia-tempel.nl. Stichting monument Nehalennia, abgerufen am 28. August 2013 (niederländisch, 2005–2013).
- Nehalennia-Relief im Zeeuws Museum in Middelburg
- Inschriften in der Epigraphische Datenbank Heidelberg
- Einträge im F.E.R.C.A.N Projekt: „Keltische Götternamen in den Inschriften der römischen Provinz Germania Inferior“
Einzelnachweise
- ↑ CIL 13, 8788. Heute teilweise zerstört im Zeeuws Museum Middelburg Inv. G 3224, Abbildung nach L. J. F. Janssen: De Romeinsche Beelden en Gedenksteenen van Zeeland. Leiden 1845, Taf. 14, 26a.
- ↑ AE 1973, 363.
- ↑ AE 1975, 630.
- ↑ AE 1975, 646.
- ↑ Zu den Inhalten des Kapitels „Geschichte“ siehe P. Stuart: Nehalennia. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 21, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017272-0, S. 64 f.
- ↑ Detlev Ellmers: Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte. In: Heinrich Beck, Detlev Ellmers, Kurt Schier (Hrsg.): Germanische Religionsgeschichte – Quellen und Quellenprobleme (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde). Band 5. Berlin 1992, S. 95–117, hier S. 105.
- ↑ Tacitus, Germania Kap. 9.
- ↑ Günter Neumann: Nehalennia. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 21, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, ISBN 3-11-017272-0, S. 61–64. Hier: S. 62.