Natalie Liebknecht

Natalie Liebknecht, um 1870

Wilhelmine Natalie Liebknecht, geb. Reh (* 19. Juli 1835 in Darmstadt; † 1. Februar 1909 in Berlin), war eine deutsche Übersetzerin und zweite Ehefrau des SPD-Mitgründers Wilhelm Liebknecht.

Zu ihren fünf Söhnen gehörte der letzte Vorsitzende der USPD, Theodor Liebknecht, sowie der spätere Mitgründer der KPD, Karl Liebknecht.

Leben

Herkunft

Natalie Liebknecht war die Tochter des Darmstädter Hofgerichtsrats und letzten Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, Theodor Reh (1801–1868), und seiner Ehefrau Caroline Theodore Louise Weidig (1802–1843). Ihr Onkel war der Theologe und Vormärzler Friedrich Ludwig Weidig (1791–1837). Herkunftsbedingt besaß sie eine gute, vor allem eine fremdsprachliche Bildung. Sie war mit der Familie des Arztes Ludwig Büchner und besonders mit dessen Frau Sophie befreundet. Außerdem bestand über den gleichen Urgroßvater Johann Georg Liebknecht eine entfernte Verwandtschaft zur Familie Liebknechts.

Wilhelm und Natalie Liebknecht, 1896
Amateuraufnahme im Hause des Genossen C. Ulrich, Offenbach a. M., August 1896

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Heirat

Am 16. März 1868 erlebte sie August Bebel (1840–1913) und den Witwer Wilhelm Liebknecht (1826–1900) während einer Wahlkampfveranstaltung in Darmstadt. Zu dieser Zeit arbeitete sie als Lehrerin. Einer Einladung Ludwig Büchners zu einer Abendgesellschaft auf der Darmstädter Ludwigshöhe folgend, lernte Natalie Reh Wilhelm Liebknecht persönlich kennen. Am 30. Juli desselben Jahres folgte die Heirat in Gießen. Reh hatte zuvor nach dem Tode ihres Vaters eine Erbschaft von 8.000 Gulden erhalten, die sie mit in die Ehe brachte.[1] Anschließend zog sie nach Leipzig zu Liebknecht und seinen zwei Töchtern aus erster Ehe (Alice, geb. 1857, und Gertrud, geb. 1863) in die Braustraße 15.

Tätigkeiten

Neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau führte sie brieflichen Austausch mit zahlreichen Sozialdemokraten und Personen der internationalen Arbeiterbewegung, dazu zählten Karl Marx, Friedrich Engels, August und Julie Bebel, Franz Mehring, Paul Singer, Adolf Hepner oder Karl Kraus. Laut Bundesarchiv hat sie auch mit Ilona B. Benda korrespondiert.[2] Aufgrund der häufigen Abwesenheit ihres Mannes führte sie den Familienhaushalt weitgehend selbständig, schrieb aber auch in ihren Briefen neben über poiltische Themen häufig über die daraus entstehende Einsamkeit und Entbehrung.[3] Ihre Briefe werden deutschlandweit in Archiven bewahrt.

Sie erlangte eigene Bekanntheit als Übersetzerin englischsprachiger sozialkritischer Texte und Romane, die teilweise deutschlandweit mit Zensur belegt wurden.[4] Dazu gehörte der Roman Kunde von Nirgendwo von William Morris, welchen sie zusammen mit Clara Steinitz erstmals ins Deutsche übersetzte. Auch übersetzte sie den sozialpolitischen Roman Sybil von Benjamin Disraeli sowie das in Deutschland zensierte Werk The true History of Joshua Davidsohn von Elizabeth Lynn Linton, erstmals ins Deutsche.

Außerdem war sie journalistisch tätig, sie verfasste für den Unterhalt der Familie für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen Kritiken über Theatervorstellungen und Konzerte.

Geburtshaus Karl Liebknechts in der Braustraße 15, Leipzig. Wilhelm und Natalie Liebknecht lebten dort mit insgesamt sieben Kindern bis 1881.
Familie Natalie und Wilhelm Liebknecht mit den gemeinsamen Söhnen, um 1890

Familie

Aus der Ehe gingen fünf eigene Söhne hervor:

  1. der Rechtsanwalt, sozialistischer Politiker und letzter USPD-Vorsitzender Theodor Liebknecht (1870–1948)
  2. der prominente sozialistische Politiker, Ausrufer der „freie[n] sozialistische[n] Republik Deutschland“ und KPD-Mitgründer Karl Liebknecht (1871–1919)
  3. der Chefchemiker von Degussa, Entwickler eines Verfahrens zur Herstellung des Bleichmittels Natriumperborat und Professor an der Universität Berlin Otto Liebknecht (1876–1949)
  4. der Mediziner Wilhelm-Alexander Liebknecht (1877–1972)
  5. der Dermatologe Curt Alexander Wilhelm Liebknecht (1879–1966)

Der Umstand, das diese meist akademische Berufe teilweise ohne Bezug zur Sozialdemokratie ausübten, führte mehrfach zur Verunglimpfung der Familie in der konservativen Presse.[5][6][7]

Aufgrund des Sozialistengesetzes von 1878 und des Kleinen Belagerungszustandes in Leipzig wurden 1881 unter anderem August Bebel und Wilhelm Liebknecht aus Leipzig ausgewiesen. Sie kamen in Borsdorf im heutigen Bebel-Liebknecht-Haus unter, während Natalie mit den Kindern in einer Wohnung am damaligen Südplatz 11 (heute Karl-Liebknecht-Straße 69)[8] in Leipzig blieb, so dass diese zur Schule gehen konnten. Sie besuchten sie regelmäßig an den Wochenenden und in den Ferien. Dieser Zustand dauerte bis 1890 an.[9] Dann zog die Familie im September des Jahres[8] nach Berlin um.

Tod und Beisetzung

Natalie Liebknecht starb am 1. Februar 1909 und wurde am 5. Februar auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde an der Seite ihres Ehemanns beigesetzt. Nach einem Bericht im Vorwärts sollen Tausende die Feier begleitet haben.[10] August Bebel veröffentlichte einen im Original zweiseitigen Nachruf in der „Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie“ Die Neue Zeit, Clara Zetkin einen in der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift Die Gleichheit.

Elizabeth Lynn Linton: Die wahrhaftige Lebensgeschichte des Josua Davidson. Übersetzung von Natalie Liebknecht, 1891

Übersetzungen

  • Benjamin Disraeli: Sybil. Sozialpolitischer Roman. Übersetzt von Natalie Liebknecht. Max Bading, Berlin um 1882, DNB 981894933.
  • Die Ritter der Arbeit. Nach dem Amerikanischen des Zor von N. Liebknecht. Bading, Berlin 1888, DNB 57460538X (Digitalisat, abgerufen am 13. August 2025).
  • Elizabeth Lynn Linton: Die wahrhaftige Lebensgeschichte des Josua Davidsohn. Aus dem Englischen übersetzt von Natalie Liebknecht. Mit einem Vorwort versehen von Wilhelm Liebknecht. Neue Ausgabe, Wöhrlein & Comp., Nürnberg 1891, DNB 574945687 (Digitalisat, abgerufen am 12. August 2025).
  • Robert Blatchford: Sozialismus und Sklaverei. [Auszug aus: Merrie England]. Deutsch von Natalie Liebknecht. Berlin 1896.[11]
  • William Morris: Der Kunde von Nirgendwo. Hrsg. von Wilhelm Liebknecht. [Aus dem Englischen übersetzt von Natalie Liebknecht und Clara Steinitz]. Dietz, Stuttgart 1900.[12]

Literatur

  • August Bebel: Natalie Liebknecht! In: Die Neue Zeit. Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie. 27 (1908/1909), Nr. 20 vom 6. Februar 1909, ZDB-ID 201011-2, S. 693–694 (Jahrgang online, abgerufen am 13. August 2025).
  • Clara Zetkin: Natalie Liebknecht. In: Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. 19 (1909), Nr. 10, ZDB-ID 542922-5, S. 152 (Digitalisat, abgerufen am 12. August 2025).
  • Friedrich Wilhelm Euler: Karl Liebknecht. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde. 18 (1969), ISSN 0016-6383, S. 485.
  • Kurt Adamy: Sie hat sich um die große Sache des Proletariats verdient gemacht. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 16 (1974), Nr. 4, ZDB-ID 282089-4, S. 672–677.
  • Kurt Adamy: Die Eltern Karl Liebknechts. Zwei biographische Skizzen mit einem Anhang von Karl-Liebknecht-Gedenk- und Erinnerungsstätten im Bezirk Potsdam. Kommission zur Erforschung der Geschichte der Örtlichen Arbeiterbewegung bei der SED-Kreisleitung Potsdam, Potsdam 1975, DNB 800900014
  • Kurt Adamy: Wilhelm und Natalie Liebknecht. Studien zu ihrer politischen Tätigkeit ... Potsdam, PH, Hist.-Phil. Fak., Diss., B., 02.10.1980 81/21797 q.[13]
  • Wolfgang Schröder: „Ich muß mich ganz hingeben können“. Anspruch, Ernüchterung und Bekenntnis Natalie Liebknechts. In: Friderun Bodeit (Hrsg.): Ich muß mich ganz hingeben. Frauen in Leipzig. Verlag für die Frau, Leipzig 1990, ISBN 3-7304-0256-0, S. 137–156 und 236–237.
  • August Bebel: Natalie Liebknecht, Nekrolog in der „Neuen Zeit“, Februar 1909. In: Anneliese Beske, Eckhard Müller (Bearb.): August Bebel. Ausgewählte Reden und Schriften. Band 8: Reden und Schriften 1906 bis 1913. Saur, München 1997, Reprint De Gruyter 2012, ISBN 978-3-598-11277-5, S. 452–454.

Einzelnachweise

  1. Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie – Politik und Familie (= aufbau taschenbuch. Band 2491). Aufbau Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-7466-2491-4, S. 19.
  2. Das Bundesarchiv, Nachlass Wilhelm Liebknecht, hier: Familienangehörige, Korrespondenz Natalie Liebknecht, NY 4034/248, Bd. 4 (Ba – Bu), 1872–1904, Korrespondenz-Nachlass Natalie Liebknecht bei archivesportaleurope
  3. Dieter Dowe: Agitieren, organisieren, studieren! Wilhelm Liebknecht und die frühe Sozialdemokratie (= Gesprächskreis Geschichte. Heft 36). Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2000, ISBN 3-86077-942-7, S. 8 f (Digitalisat, PDF-Datei, 3,55 MB, abgerufen am 13. August 2025).
  4. beispielhaft: Amtsblatt des Reichs-Postamts 6 (1885), Nr. 3 vom 15. Januar, ZDB-ID 210691-7, S. 8 (online, abgerufen am 13. August 2025).
  5. Kärtner Zeitung 2 (1895), Nr. 253 vom 3. November, (online, abgerufen am 13. August 2025).
  6. Augsburger Abendzeitung (1895), Nr. 301 vom 31. Oktober, ZDB-ID 821116-4, S. 6 (online, abgerufen am 13. August 2025).
  7. Bayreuther Tagblatt. Oberfränkische Volkszeitung 40 (1895), Nr. 304 vom 2. November, ZDB-ID 1321589-9, S. [1] (online, abgerufen am 14. August 2025).
  8. a b Otto Werner Förster: Leipziger Kulturköpfe aus 800 Jahren. II. Die Vorstädte. Taurus Verlag, Leipzig 2005, ISBN 3-9807753-9-9, S. 51.
  9. Heinz Wohlgemuth: Karl Liebknecht. Eine Biographie. 2., durchges. Auflage. Dietz, Berlin 1975, DNB 750198737, S. 20.
  10. Wohlgemuth, Berlin 1975, S. 153.
  11. Wilhelm Liebknecht: Briefwechsel mit deutschen Sozialdemokraten. Band 2: 1878–1884 (= Quellen und Studien zur Sozialgeschichte. Band 8). Hrsg. von Götz Langkau. Campus-Verlag, Frankfurt am Main und New York 1988, ISBN 3-593-33810-6, S. 61.
  12. Kunde von Nirgendwo : ein utopischer Roman / von William Morris. Hrsg. von Wilhelm Liebknecht. In: StabiKat. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, abgerufen am 12. August 2025.
  13. Wilhelm und Natalie Liebknecht Studien zu ihrer politischen Tätigkeit unter Berücksichtigung ausgewählter methodologischer Aspekte der Anfertigung biographischer Skizzen sowie zur Traditionspflege mit Lebensbildern revolutionärer Arbeiterführer. In: Gateway Bayern. Bayerische Staatsbibliothek, abgerufen am 12. August 2025.